Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: kamerun, rechtliches gehör, amnesty international, auskunft, behandlung, prozessrecht, beweisantrag, ausbildung, rüge, durchschnitt

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 3 N 105.08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 103 Abs 1 GG, § 78 Abs 3
Nr 3 AsylVfG, § 78 Abs 4 S 4
AsylVfG, § 86 Abs 2 VwGO, §
138 Nr 3 VwGO
Ablehnung von Beweisanträgen: (keine) Bescheidung in
mündlicher Verhandlung; Einverständnis mit Bescheidung
"außerhalb der mündlichen Verhandlung"; Rügeverlust; nicht
eingeführte Erkenntnismittel
Leitsatz
Zum Einverständnis mit Entscheidung über Beweisanträge "außerhalb der mündlichen
Verhandlung"
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. Mai 2008 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs
(§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
1. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2
VwGO) verpflichtet das Gericht dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur
Kenntnis zu nehmen und - soweit entscheidungserheblich - in Erwägung zu ziehen. Dabei
soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die
gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der
Außerachtlassung von wesentlichem Vorbringen der Beteiligten haben. Zur Wahrung
rechtlichen Gehörs dient unter anderem § 86 Abs. 2 VwGO, wonach ein in der
mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag nur durch einen Gerichtsbeschluss, der
zu begründen ist, abgelehnt werden kann. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift - dem
Antragsteller Gelegenheit zu geben, sein weiteres Prozessverhalten auf das Ergebnis
seiner Aufklärungsbemühungen einzustellen -, folgt, dass über den Beweisantrag vor
Erlass des Urteils zu befinden ist (BVerwG, Urteil vom 11. April 1986 - 4 C 57.82 -,
Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 29).
Das Zulassungsvorbringen rügt, das Verwaltungsgericht habe hiergegen verstoßen,
indem es die Beweisanträge des Klägers erst in dem angefochtenen Urteil abgelehnt
habe.
Die Rüge ist unberechtigt. Ein Antragsteller kann auf die Bescheidung seines
Beweisantrags verzichten. Hierdurch geht das Rügerecht verloren (vgl. BFH, Beschluss
vom 31. Januar 1989 - 7 B 162/88 -, NVwZ-RR 1990, 335; Seibert in Sodan/Ziekow,
VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 Rn 216; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 86 Rn. 20).
Entsprechendes gilt auch im Fall des Klägers. Seine Bevollmächtigte hat ausweislich des
Protokolls der mündlichen Verhandlung erklärt, sie sei damit einverstanden, dass über
die Beweisanträge außerhalb der mündlichen Verhandlung entschieden wird. Damit hat
sie auf die Einhaltung der prozessualen Vorschrift des § 86 Abs. 2 VwGO verzichtet.
Ohne Erfolg beruft der Kläger sich darauf, seine Bevollmächtigte habe ihre Erklärung so
gemeint, dass das Verwaltungsgericht über die Beweisanträge „wie oftmals üblich“ nach
der mündlichen Verhandlung durch Beschluss entscheidet und diesen Beschluss den
Beteiligten mit der Möglichkeit der Stellungnahme übersendet. Für die Üblichkeit jener
Verfahrensweise ist nichts dargetan. Im Übrigen hat die Bevollmächtigte nach
Anbringung ihrer Beweisanträge und noch vor Erklärung ihres Einverständnisses mit
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Anbringung ihrer Beweisanträge und noch vor Erklärung ihres Einverständnisses mit
einer Entscheidung „außerhalb der mündlichen Verhandlung“ die Sachanträge gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat sodann den Beschluss verkündet, dass eine Entscheidung
am Schluss der Sitzung ergeht. Diese Rechtsanwälten geläufige Formulierung kündigt
an, dass das Gericht am Schluss der Sitzung eine Entscheidung verkündet. Ein den
Beteiligten gesondert bekannt zu gebender schriftlicher Beschluss hingegen wäre nicht
am Schluss der Sitzung ergangen. Die Bevollmächtigte des Klägers konnte also nicht
darauf vertrauen, dass das Verwaltungsgericht über ihre Beweisanträge im
Dezernatswege befinden und eine Entscheidung zustellen wird. Vielmehr musste sie,
besonders nachdem die Sachanträge bereits gestellt waren, damit rechnen, dass am
Schluss der Sitzung ein Urteil verkündet werde. Nach der übereinstimmenden
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (u.a. Beschluss vom 10. Februar 1987 -
2 BvR 314/86 -, BVerfGE 74, 220, 225) und des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss
vom 6. April 2004 - 9 B 21.04 -, juris) sowie der Rechtsprechung des Senats (u.a.
Beschluss vom 24. November 2009 - OVG 3 N 7.08 -) kann ein Verfahrensbeteiligter
einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs mit Erfolg nur rügen, wenn
er zuvor alle ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör
zu verschaffen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Bevollmächtigte des Klägers
(sogar) verpflichtet gewesen wäre, die für das Ende der Sitzung angekündigte
Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuwarten (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 3.
März 1997 - 12 UZ 4835.96.A -, juris Rn. 8). Jedenfalls war sie auf die Ankündigung des
Einzelrichters, eine Entscheidung ergehe am Schluss der Sitzung, gehalten, sich bei ihm
zu vergewissern, dass er ihre Erklärung so wie im Zulassungsvorbringen angegeben
verstanden hat. Dass sie dies getan und damit versucht hätte, sich rechtliches Gehör zu
verschaffen, ist substanziiert nicht geltend gemacht. Soweit die Bevollmächtigte dem
Verwaltungsgericht gegenüber klargestellt haben soll, dass sie zu der gerichtlichen
Entscheidung über ihre Beweisanträge Stellung nehmen wolle, erschließt sich aus dem
Zulassungsvorbringen schon nicht, zu welchem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung -
vor oder nach Stellung der Sachanträge - sie diese (nicht protokollierte) Erklärung
abgegeben habe.
2. Zudem entspricht die Gehörsrüge nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4
AsylVfG. Der Kläger hat nicht dargelegt, inwiefern das angefochtene Urteil darauf
beruhen kann, dass das Verwaltungsgericht die Beweisanträge nicht vor der
Urteilsverkündung beschieden hat. Besteht der Zweck des in § 86 Abs 2 VwGO
geregelten Verfahrens darin, der Partei schon vor Erlass des Urteils die Auffassung des
Gerichts über die Erheblichkeit eines Beweisthemas zur Kenntnis zu geben, um sich
darauf einstellen zu können, so gehört zur Rüge eines dahin gehenden
Verfahrensmangels die substanziierte Darlegung, wie sich die Partei auf die ihr (erst)
durch das Urteil bekannt gewordenen Ablehnungsgründe erklärt hätte, insbesondere
welche anderen Tatsachen und Beweismittel sie vorgetragen hätte, wenn ihre in der
mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge vorab abgelehnt worden wären,
ferner die Darlegung, inwieweit der weitere Vortrag zur Klärung der geltend gemachten
Ansprüche geeignet gewesen wäre (BVerwG, Beschlüsse vom 11. März 2009 - 8 PKH
5.08 -, juris Rn. 4, vom 23. Februar 2005 - 1 B 102.04 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO
Nr. 60, und vom 13. September 1977 - V CB 68.74 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr.
20; Senatsbeschluss vom 7. März 2007 - OVG 3 N 197.06 -, juris Rn. 9; Berlit in GK-
AsylVfG, Stand April 1998, § 78 Rn. 667). Hieran fehlt es. Der Kläger hat nur pauschal
angemerkt, ihm sei durch den Verstoß gegen § 86 Abs. 2 VwGO die Möglichkeit
genommen worden, „sich auf das Ergebnis der Gerichtsentscheidung einzustellen,
darauf folgend evtl. noch weitere Beweisanträge zu stellen etc.“. Im Weiteren hat er zwar
Rügen gegen die Ablehnung seiner Beweisanträge vorgebracht (siehe hierzu
nachfolgend unter 3.). Damit war aber jedenfalls nicht die Darlegung verbunden,
inwieweit sein weiterer Vortrag der Klage zum Erfolg hätte verhelfen können (so BVerwG,
Beschluss vom 23. Februar 2005, a.a.O.).
3. Soweit der Kläger rügt, die in dem angefochtenen Urteil genannten Gründe für die
Ablehnung seiner Beweisanträge seien fehlerhaft, erschließt sich nicht, dass die
Ablehnung im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom
2. September 2009 - OVG 3 N 94.08 -).
a) Er beanstandet die Ablehnung des Beweisantrags „zu der Frage der
Behandlungsmöglichkeiten in Kamerun“ und meint, das Verwaltungsgericht habe das
Ergebnis der Beweiserhebung in unzulässiger Weise vorweggenommen. Dies trifft nicht
zu. Das Verwaltungsgericht hat sich auf eine Auskunft des Auswärtigen Amtes an das
Verwaltungsgericht Oldenburg vom 6. November 2003 gestützt, wonach psychische
Erkrankungen in Kamerun behandelbar seien. Es hat ferner darauf hingewiesen, dass
nach dem im vorliegenden Verfahren eingeholten ethnopsychiatrischen Fachgutachten
der Frau Dr. W. vom 25. November 2007 der psychische Konflikt des Klägers nur mithilfe
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der Frau Dr. W. vom 25. November 2007 der psychische Konflikt des Klägers nur mithilfe
seines (in Kamerun lebenden) Vaters zu lösen sei. Schließlich habe die Gutachterin
angeboten, mit familientherapeutisch arbeitenden Kollegen in Kamerun Kontakt
herzustellen. Angesichts des von ihm für eindeutig gehaltenen Wortlauts des ärztlichen
Gutachtens hat das Verwaltungsgericht nicht nur - was der Kläger an dieser Stelle auch
nicht rügt - keinen Anlass gesehen, eine Auskunft der begutachtenden Ärztin über
Kontakte zu familientherapeutisch arbeitenden Psychologen in Kamerun einzuholen,
sondern es hat hinzugefügt, ebenso wenig sei deshalb dem Beweisangebot des Klägers
nachzugehen und Amnesty International zu der Erreichbarkeit psychologischer
Behandlung für den Kläger zu befragen. Das Verwaltungsgericht hat also angesichts der
ihm vorliegenden Erkenntnisse zu Behandlungsmöglichkeiten (gerade) für den Kläger
dessen auf die allgemeinen Verhältnisse in Kamerun beschränkte Tatsachenbehauptung
für unsubstanziiert gehalten. Dies ist nicht ohne Stütze im Prozessrecht, da der
Beweisantrag sich insbesondere nicht damit befasst, dass nach der Äußerung von Frau
Dr. W. jedenfalls für den Kläger Behandlungsmöglichkeiten gegeben sind. Das
Zulassungsvorbringen wiederum weist nur pauschal darauf hin, dass die von dem
Verwaltungsgericht herangezogene Auskunft des Auswärtigen Amtes bereits fünf Jahre
alt sei und der Kläger „unter Darlegung umfangreicher Recherchen und Erkenntnisse“
der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus den Jahren 2004 und 2006 beschrieben habe,
dass es in Kamerun keine ausreichende Behandlungsmöglichkeiten, kein qualifiziertes
Fachpersonal und keine Finanzierung der Behandlung gebe. Auch dies betrifft nur die
allgemeinen Verhältnisse und blendet das gerade auf seinen Fall bezogene Ergebnis der
bereits erfolgten Beweisaufnahme aus.
b) Des Weiteren bemängelt das Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe
das Ergebnis der Beweisaufnahme vorweggenommen, indem es „unterstellt, der Kläger
könne arbeiten, verdienen und die Behandlung bezahlen“. Damit bezieht es sich auf die
Ablehnung des Beweisantrags, wonach seine Behandlung in Kamerun mit erheblichen
Kosten verbunden sein werde, die er nicht tragen könne, da er erkrankt sei, in Kamerun
bisher nicht gearbeitet habe und auch keine Aussicht auf eine Arbeit habe, die ihm einen
Verdienst ermögliche. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, es könne nicht
feststellen, dass der Kläger nicht in der Lage sei, sich etwa erforderliche Behandlungen
und Medikamente zu verschaffen. Seine Einreise ins Bundesgebiet auf dem Luftweg
spreche deutlich für eine ausreichende Leistungsfähigkeit. Im Übrigen beherrsche er die
französische Sprache und habe eine fundierte Ausbildung mit
Hochschulzugangsberechtigung sowie eine nahezu dreijährige Ausbildung als
Informatiker. Er verfüge damit angesichts einer offiziellen Analphabetenrate in Kamerun
von etwa 40 % über weitaus bessere Start- bzw. Verdienstmöglichkeiten als der
Durchschnitt der dortigen Bevölkerung. Hiernach hat sich das Verwaltungsgericht nicht
vom Gegenteil der unter Beweis gestellten Behauptung überzeugt gezeigt. Vielmehr hat
es die vom Zulassungsvorbringen angeführte Tatsachenbehauptung, der Kläger könne
nicht arbeiten und kein Geld verdienen, angesichts seiner fundierten Ausbildung sowie
seiner erheblich über dem Durchschnitt liegenden Sprachkenntnisse für unsubstanziiert
gehalten, ferner auch für unwesentlich, da der Kläger auf dem Luftweg ins Bundesgebiet
eingereist sei, was (schon für sich genommen) deutlich für eine ausreichende
Leistungsfähigkeit sowie dafür spreche, dass er bessere Startmöglichkeiten als der
Durchschnitt der Bevölkerung in Kamerun habe. Dass diese Vorgehensweise des
Verwaltungsgerichts keine Stütze im Prozessrecht mehr findet, zeigt das
Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht auf.
4. Schließlich leitet der Kläger einen Gehörsverstoß aus dem Umstand her, dass das
Verwaltungsgericht eine Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Karlsruhe vom 30.
März 2004 - die offizielle Analphabetenrate in Kamerun betrage etwa 40 Prozent -
verwertet habe, ohne sie zuvor in das Verfahren einzuführen. Auch diese Rüge entspricht
nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG. Der Kläger legt
nicht dar, was er vorgetragen hätte, wenn ihm die Auskunft des Verwaltungsgerichts
rechtzeitig bekannt gewesen wäre. Ist ein verfahrensfehlerhaft nicht eingeführtes
Erkenntnismittel der Prozesspartei nicht ohne Weiteres zugänglich, so muss sie es
innerhalb der Rechtsmittelfrist bei Gericht anfordern, es überprüfen und dann im
Einzelnen darlegen, was sie zu den darin enthaltenen Feststellungen ausgeführt hätte
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 - 1 B 161.04 -, Buchholz 310 § 133 [n.F.]
VwGO Nr. 81). Dies hat der Kläger nicht getan.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß §
83 b AsylVfG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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