Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 24.04.2009

OVG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, gemeinde, wahrscheinlichkeit, abrechnung, freiheit, ausdehnung, rückwirkung, betrug, rechtssicherheit, investition

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 S 67.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 8 Abs 5 KAG BB, § 8 Abs 7 S
1 KAG BB
Abrechnungsfähigkeit von ausgebauten Teilstrecken einer
Anlage
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen der Abrechnungsfähigkeit von ausgebauten Teilstrecken einer
Anlage.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts
Frankfurt (Oder) vom 24. April 2009 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Änderungsantrag des Antragsgegners abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 603,03 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2006 zog der Antragsgegner den Antragsteller zu einem
Straßenausbaubeitrag für die Herstellung, Verbesserung und Erweiterung der W.Straße
heran, die in der Gemeinde P. als kommunale Straße die Landstraße 30 (L 30) mit der
Landstraße 303 (L 303) verbindet. Den gegen den Bescheid erhobenen Widerspruch wies
der Antragsgegner mit Teilabhilfe- und Teilwiderspruchsbescheid vom 30. Juli 2007 im
Wesentlichen zurück.
Mit Eilbeschluss vom 31. März 2008 (7 L 292/07) ordnete das Verwaltungsgericht die
aufschiebende Wirkung der Klage (7 K 1242/07) gegen den Beitragsbescheid an; die
maßgebliche Straßenausbaubeitragssatzung aus dem Jahre 2003 (SABS 2003) sehe in
Bezug auf die einzelnen Teilanlagen von Straßen keine vorteilsgerechte Differenzierung
der Anlieger- bzw. Gemeindeanteile vor.
Nachdem die Gemeindevertretung in ihrer Sitzung am 12. Juni 2008 eine neue
Straßenausbaubeitragssatzung (SABS 2008) mit Rückwirkung zum 2. Februar 2004
beschlossen hatte und diese ebenso wie die mit Rückwirkung zum 2. April 2004 in Kraft
getretene Erste Straßenausbaubeitragsänderungssatzung 2004 öffentlich bekannt
gemacht worden war (Amtsblatt für die Gemeinde P. vom 1. Juli 2008, Nr. 7/2008, S. 4
ff.; 8 f.), stützte der Antragsgegner den Beitragsbescheid unter Neuberechnung der
Beitragshöhe auf die neue SABS 2008 in Form der Ersten
Straßenausbaubeitragsänderungssatzung 2004.
Im Januar 2009 hat der Antragsgegner beantragt, den Eilbeschluss des
Verwaltungsgerichts zu ändern und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der Klage abzulehnen. Dem hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24.
April 2009 (7 L 14/09) entsprochen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des
Antragstellers.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Mit Blick auf die fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6
VwGO) ist der angegriffene Beschluss zu ändern. Der Änderungsantrag des
Antragsgegners ist mit der Folge abzulehnen, dass es bei der mit Beschluss des
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Antragsgegners ist mit der Folge abzulehnen, dass es bei der mit Beschluss des
Verwaltungsgerichts vom 31. März 2008 angeordneten aufschiebenden Wirkung der
Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners verbleibt. Die aufschiebende Wirkung
von Widerspruch oder Klage gegen einen Abgabenbescheid ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1, § 80 Abs. 5 und § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO - vorbehaltlich des Vorliegens eines
Härtefalls - nur anzuordnen, wenn an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ernstliche
Zweifel bestehen, d.h. der Bescheid bei überschlägiger Prüfung mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. So liegen die Dinge hier.
Es kann offen bleiben, ob die neue SABS 2008 rechtmäßig ist und ob die zur Abrechnung
vorgesehene Anlage durch eine nachträgliche Veränderung des Bauprogramms
rechtmäßig um den östlichen, durch den Wald führenden Teil der W.Straße (Bauabschnitt
4) verkleinert worden ist. Für Letzteres könnte eine insoweit andere Vorteilslage
sprechen. Ungeachtet der östlichen Ausdehnung der Anlage ist es indessen
überwiegend wahrscheinlich, dass die Anlage noch nicht abrechnungsfähig ist. Unstrittig
gibt es keinen Beschluss über eine Abrechnung nach Bauabschnitten (§ 8 Abs. 5 KAG).
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die Anlage - gleich welche östliche
Ausdehnung sie hat - aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch noch nicht im
Sinne des § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG endgültig hergestellt, nachdem neben dem
Bauabschnitt 4 nur die Bauabschnitte 1 und 3, nicht aber der Bauabschnitt 2 ausgebaut
worden sind.
Die endgültige Herstellung einer Anlage setzt grundsätzlich voraus, dass die Anlage auf
ihrer gesamten Länge mit allen Teileinrichtungen ausgebaut wird. Nur ausnahmsweise
kann bereits der Ausbau einer - allerdings erheblichen - Teilstrecke als endgültige
Herstellung der gesamten Anlage mit der Folge angesehen werden, dass alle Anlieger
der Anlage - auch die Anlieger der nicht ausgebauten Teilstrecke - zu den Kosten des
Ausbaus herangezogen werden dürfen. Von hier nicht interessierenden Fallgestaltungen
wie der nicht durchgängigen Ausstattung mit Parkplätzen gilt dies vornehmlich dann,
wenn die nicht ausgebaute Teilstrecke entweder aus tatsächlichen Gründen nicht mit
vertretbarem Aufwand ausgebaut werden kann, weil ihrem Ausbau Hindernisse wie etwa
Altbebauung oder natürliche Hindernisse entgegenstehen, oder wenn sie mit Blick auf
das Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung deshalb nicht
ausgebaut werden darf, weil ihr Zustand unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein
Ausbaubedürfnis erkennen lässt (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Juli 2007 – 9 LC 262.04 –
juris). Mit Blick auf das grundsätzlich weite Ausbauermessen der Gemeinde ist Letzteres
nur selten anzunehmen. Insbesondere kann der Ausbau einer erheblichen Teilstrecke
nicht schon dann als endgültige Herstellung der Anlage angesehen werden, wenn die
Gemeinde lediglich meint, der Ausbau des nichtausgebauten Teils könne zunächst noch
um ein paar Jahre verschoben werden und deshalb schon nach einem
Teilstreckenausbau zunächst einmal die endgültige Herstellung der gesamten Anlage
"erklärt". Ein solches Vorgehen lässt sich auch nicht mit der Freiheit der Gemeinde bei
der Ausgestaltung des Bauprogramms rechtfertigen. Diese Freiheit bedeutet nicht die
Freiheit zur Abrechnung nach zeitlichen Bauphasen, die das Gesetz aus Gründen der
Vorteilsgerechtigkeit und der Rechtssicherheit nicht vorsieht; vielmehr kann und muss
eine Gemeinde, die eine Anlage nur abschnittsweise ausbaut und dies zügig durch
Beitragserhebung refinanzieren will, nach Abschnitten abrechnen (§ 8 Abs. 5 KAG) oder
den jeweiligen Abschnitt zur selbstständigen Anlage erklären, was auf der Grundlage des
im Land Brandenburg geltenden straßenausbaubeitragsrechtlichen Anlagenbegriffs
möglich ist. Dass auf diese Weise grundsätzlich nur diejenigen herangezogen werden
können, vor "deren Tür" auch gebaut worden ist, hat seinen guten Grund: Es stärkt die
Nachvollziehbarkeit und damit Akzeptanz der Beitragserhebung.
Gemessen an diesem Maßstab dürfte die Anlage hier - wegen Aussparung des
Bauabschnitts 2 - noch nicht endgültig fertig gestellt sein. Es fehlt jeder Anhaltspunkt
dafür, dass dem Ausbau des Bauabschnitts tatsächliche oder natürliche Hindernisse
entgegenstehen. Auch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass dem nichtausgebauten
Bauabschnitt 2 jegliches Ausbaubedürfnis fehlt. Das Gegenteil ergibt sich mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit schon aus der vorgelegten Ausführungsplanung des
Ingenieurbüros für Bauplanung GmbH E. vom 15. Juni 2005 (vgl. Beiakte 5 zu 7 K
1216/07, S. 3 ff.). Darin ist die Wilhelm-Pieck-Straße in ihrer vollen Länge „vom Knoten D.
Straße (L 30) bis zur L 303“ als 2.638 m lange Ausbaustrecke angesehen und eben in
vier Bau abschnitte eingeteilt worden: Der 1. Bauabschnitt betrug 652 m, der 2.
Bauabschnitt 602 m, der 3. Bauabschnitt 654 m und der 4. Bauabschnitt 730 m;
vorgesehen waren jeweils verschiedene Einzelmaßnahmen an unterschiedlichen
Teileinrichtungen. Gegen das Fehlen jeglichen Ausbaubedürfnisses für den Bauabschnitt
2 spricht im Übrigen der Umstand, dass nach dem Entwurf des gemeindlichen
Haushaltsplanes für das Haushaltsjahr 2009 Mittel in Höhe von 496.000 Euro für die
„Investition W.Str.“ bereitgestellt werden sollten; selbst wenn dies nur der mittelfristigen
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„Investition W.Str.“ bereitgestellt werden sollten; selbst wenn dies nur der mittelfristigen
Finanzplanung dienen sollte, lässt es doch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
erkennen, dass dem Bauabschnitt 2 nicht jegliches Ausbaubedürfnis abzusprechen ist.
Einer Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch bedarf es danach nicht mehr.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung
mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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