Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 20.09.2005

OVG Berlin-Brandenburg: vorläufige aufnahme, besuch, schule, jugendhilfe, kindergarten, erfüllung, ausnahme, begriff, hauptsache, wahrscheinlichkeit

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 3 S 71.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 55 Abs 3 S 2 SchulG BE, § 55
Abs 3 S 3 SchulG BE, § 123 Abs
1 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO
Leitsatz
„Gewachsene Bindungen" zu anderen Kindern im Sinne des § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SchulG
Bln sind solche Bindungen, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und zu einer
inneren Verbundenheit der Kinder geführt haben (Anschluss an den Beschluss des 8. Senats
vom 20. September 2005 - OVG 8 S 84.05 -).
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 24. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten der Beschwerde.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet
Das Beschwerdevorbringen, das Inhalt und Umfang der Überprüfung des angefochtenen
Beschlusses durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO),
rechtfertigt nicht dessen begehrte Änderung.
Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens haben die Antragsteller nicht
mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit
die Voraussetzungen eines im Wege der einstweiligen Anordnung zu sichernden
Anspruchs auf – vorläufige – Aufnahme ihrer Tochter E. T. zum Schuljahr 2007/2008 in
eine 1. Klasse der C.-Schule glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920
Abs. 2, § 294 ZPO).
Die Antragsteller und ihre Tochter erfüllen nach den Feststellungen des
Verwaltungsgerichts nur das Kriterium des § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SchulG Bln
(Profilwunsch), so dass sie lediglich – ohne Erfolg – an einem Losverfahren um einen
Schulplatz (§ 55 Abs. 3 Satz 3 SchulG Bln) teilnehmen konnten (S. 6 des
Beschlussabdrucks). Das Gericht geht im Übrigen davon aus, dass „gewachsene
Bindungen zu anderen Kindern“ i. S. v. § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SchulG Bln bei der
Tochter der Antragsteller nicht vorliegen. Dies greift die Beschwerde ohne Erfolg an.
Der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat zu dem Kriterium der „gewachsene(n)
Bindungen“ bereits entschieden, dies seien solche Bindungen, die sich über einen
längeren Zeitraum entwickelt und zu einer inneren Verbundenheit der Kinder geführt
hätten (Beschluss vom 20. September 2005 - OVG 8 S 84.05 -, juris, Rdnr. 10). Hierbei
hat der 8. Senat an die insoweit gleich lautende Vorgängerregelung des § 8 Abs. 3 Satz
3 Nr. 1 SchulG Bln a.F. angeknüpft (vgl. dazu OVG Berlin, Beschluss vom 26. November
2004 - OVG 8 S 109.04 -, juris). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende
Senat an.
Die Auslegung des Merkmals „gewachsene Bindungen zu anderen Kindern“ ergibt sich
aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit dem Begriff „Bindungen“
macht der Gesetzgeber deutlich, dass nicht jedwede Beziehung zwischen Kindern
ausreicht, sondern eine innere Verbundenheit erforderlich ist. Das Merkmal
„gewachsen“ erfordert, dass sich die Bindung über einen längeren Zeitraum entwickelt
hat. Dies entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, den Besuch einer anderen als der
zuständigen Grundschule nur ausnahmsweise, d.h. bei Vorliegen besonderer Umstände
zuzulassen. Der Gesetzgeber geht von dem Regelfall aus, dass Kinder im vorschulischen
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zuzulassen. Der Gesetzgeber geht von dem Regelfall aus, dass Kinder im vorschulischen
Alter ihre Bindungen zu Geschwisterkindern oder Kindern in (wohnortnahen)
Kindergärten oder anderen Einrichtungen der Jugendhilfe entwickeln. Für den
(Ausnahme-) Fall, dass durch den Besuch einer nicht im Einschulungsbereich liegenden
vorschulischen Einrichtung oder durch Umzug der Eltern eine gewachsene Bindung
zwischen Kindern beeinträchtigt würde, soll eine Ausnahme vom Grundsatz der
Einschulung in der zuständigen Grundschule möglich sein.
Ausgehend hiervon gehören zu den „gewachsenen Bindungen“ neben den Bindungen
zwischen Geschwistern, auch solche Bindungen zwischen Kindern, die aus dem
gemeinsamen Besuch von Einrichtungen der Jugendhilfe und aus sonstiger organisierter
Betreuung im vorschulischen Bereich entstanden sind (vgl. zu letzterem: Amtliche
Begründung zum 14. Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Berlin - 14. ÄndG -
Abgh.-Drs. 7/1297 zu § 8, S. 19). Dabei genügt es allerdings nicht, dass Kinder
gemeinsam dieselbe vorschulische Einrichtung besucht haben; erforderlich ist vielmehr,
dass daraus Bindungen erwachsen sind.
Erziehungsberechtigte, die ihre Kinder in eine andere als die zuständige Grundschule
einschulen möchten, müssen bereits bei Antragstellung (vgl. zum maßgeblichen
Zeitpunkt: OVG Berlin, Beschluss vom 4. November 2004 - OVG 8 S 111.04 -, juris, Rdnr.
19 ff.) konkret und nachvollziehbar die gewachsenen Bindungen zu anderen Kindern und
deren mögliche Beeinträchtigung darlegen. Dabei dürfen die Anforderungen an die
Darlegung einerseits nicht zu hoch gesteckt werden, andererseits muss der Vortrag aber
so konkret sein, dass ohne weitere Nachfrage für die Schule erkennbar ist, was die
„gewachsenen Bindungen“ im Einzelnen ausmacht. Die Angabe, die Kinder hätten
gemeinsam eine vorschulische Einrichtung besucht, reicht nicht aus; denn daraus ergibt
sich nicht automatisch, dass aus diesem gemeinsamen Besuch auch gewachsene
Bindungen entstanden sind, die beeinträchtigt werden können. Ebenso wenig genügt die
pauschale Behauptung, es bestünden gewachsene Bindungen zu anderen namentlich
benannten Kindern, oder der Vortrag, die Kinder seien eng miteinander befreundet.
Denn der Begriff der (engen) Freundschaft wird von den Erziehungsberechtigten fünf-
bzw. sechsjähriger Kinder völlig unterschiedlich genutzt und gibt daher keinen Aufschluss
über die Bindung eines Kindes zu anderen Kindern. Lediglich bei Geschwisterkindern liegt
es nahe, ohne weitere Ausführungen des Erziehungsberechtigten gewachsene
Bindungen anzunehmen, die durch den Besuch von unterschiedlichen (Grund-) Schulen
beeinträchtigt werden können (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.
September 2005, a. a. O., Rdnr. 13).
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss im Einklang mit dieser Rechtsprechung
festgestellt, dass die Antragsteller nicht in ausreichender Weise gewachsene Bindungen
ihrer Tochter zu anderen Kindern und deren mögliche Beeinträchtigung dargelegt haben.
Der Umstand, dass die Tochter der Antragsteller mit mehreren Kindern aus dem
Kinderladen „F.“ seit Jahren befreundet sei und diverse Kontakte durch gemeinsame
Reisen, gegenseitige Übernachtungen sowie Nachmittagsbetreuungen bestünden, habe
nicht den Schluss zugelassen, dass besondere Bindungen oder geschwisterähnliche
Beziehungen entstanden sein könnten (S. 4/5 des Beschlussabdrucks). Mit ihrer
Beschwerde wiederholen die Antragsteller hierzu lediglich ihr erstinstanzliches
Vorbringen, dessen Richtigkeit im Übrigen nicht – etwa durch Versicherung an Eides
Statt – glaubhaft gemacht ist. Sie gehen jedoch nicht auf die – zutreffende – Feststellung
des Verwaltungsgerichts ein, dass die besonderen Bindungen zu einzelnen Kindern
substantiiert darzulegen seien. Allein die Schilderung eines sozialen
Beziehungsgeflechts, das aus einer Reihe von Kindern besteht und innerhalb dessen die
Tochter der Antragsteller freundschaftliche Beziehungen pflegt, reicht nicht aus,
intensive Bindungen darzutun.
Soweit das Verwaltungsgericht darüber hinaus festgestellt hat, die Bindungen der
Tochter der Antragsteller zu verschiedenen Kindern, die bereits die 1. oder 2.
Klassenstufe der C.-Schule besuchen, seien durch deren frühere Einschulung ohnehin
gelockert (S. 5 des Beschlussabdrucks), steht dies mit der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts gleichfalls im Einklang. Durch diese vom Verwaltungsgericht
festgestellten Trennungen sind die Voraussetzungen für die kontinuierliche
Weiterentwicklung der Bindungen grundsätzlich entfallen und hierauf basiert maßgeblich
die nachfolgende Bindungsbeeinträchtigung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 20. September 2005 - OVG 8 S 84.05 -, juris, Rdnr. 4). Es entspricht der
Lebenserfahrung, dass mit dem Übergang eines Kindes vom Kindergarten zur
Grundschule bestehende Bindungen zu jüngeren Kindern, die im Kindergarten
verbleiben, gelockert werden und sich häufig durch Zeitablauf sukzessive auflösen. Die
dauerhafte Aufrechterhaltung solcher Bindungen ist eher atypisch. Das Vorliegen einer
solchen Atypik hätte hier eingehender Darlegung seitens der Antragsteller bedurft,
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solchen Atypik hätte hier eingehender Darlegung seitens der Antragsteller bedurft,
woran es jedoch fehlt. Allein die Schilderung eines allgemeinen sozialen
Beziehungsgeflechts reicht insofern nicht aus.
Die weitere Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass von den Antragstellern das
Merkmal der „wesentlichen Betreuungserleichterung“ (§ 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SchulG
Bln) nicht glaubhaft gemacht worden sei, ist mit der Beschwerde nicht angegriffen
worden. Infolgedessen ist vorliegend davon auszugehen, dass der Antragsgegner
zutreffend bei der Tochter der Antragsteller lediglich die Erfüllung des Kriteriums
„Profilwunsch“ (§ 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SchulG Bln) angenommen hat. Ob – wie die
Antragsteller meinen – der Antragsgegner bei anderen Kindern zu Unrecht lediglich die
Erfüllung des Kriteriums „Profilwunsch“ angenommen hat, ist vorliegend ohne
Entscheidungserheblichkeit, weil aus diesem Umstand kein Nachteil für die Antragsteller
und ihre Tochter erwachsen würde.
Ohne Substanz ist schließlich der Einwand der Antragsteller, bei den Geschwisterkindern
sei das Vorliegen eines Profilwunsches teilweise „zweifelhaft“. Es fehlt insofern an der
Darlegung, woraus diese Zweifel erwachsen sollen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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