Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 19.02.2014

christentum, übertritt, überzeugung, bad

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 19.2.2014, A 3 S 2023/12
Anforderungen an die Asylrechtsgewährung für Konvertiten zum christlichen
Glauben
Leitsätze
1. Für die Asylrechtsgewährung nach Art. 16a GG oder die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 AsylVfG wegen
Verfolgung aus religiösen Gründen aufgrund eines Übertritts zum christlichen Glauben
kommt es nicht darauf an, ob im Zeitpunkt der Taufe eine ernsthafte Hinwendung zum
Christentum stattgefunden hat.
2. Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in
Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung der erforderlichen
Überzeugungsgewissheit, der Getaufte werde auch nach seiner Rückkehr in sein
Herkunftsland dort religiöse Betätigungen vornehmen, regelmäßig nicht aus.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. August 2012 - A 6 K 1056/12 - wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
Gründe
1 Der zulässige Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9.8.2012 hat keinen Erfolg.
I.
2 Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 24.4.2012
den Antrag der Klägerin - einer iranischen Staatsangehörigen - auf Anerkennung
als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung
der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG nicht vorliegen und drohte der Klägerin bei nicht freiwilliger Ausreise
innerhalb von 30 Tagen die Abschiebung in den Iran unter dem Hinweis an, dass
sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne, in den sie einreisen
könne oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei.
3 Die hiergegen von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht
Karlsruhe mit Urteil vom 9.8.2012 - A 6 K 1046/12 - abgewiesen. Zur Begründung
hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Angaben der Klägerin zu ihren
Vorfluchtgründen seien nicht glaubhaft. Der in der Bundesrepublik Deutschland
erfolgte Übertritt der Klägerin zum Christentum und ihre Taufe begründe gleichfalls
weder einen Asylanspruch noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach
§ 60 Abs. 1 AufenthG. Gleiches gelte für die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs.
2 - 7 AufenthG. Nach Überzeugung des Gerichts sei die Klägerin nicht aufgrund
eines ernsthaften Willensentschlusses zum christlichen Glauben konvertiert. Die
Konversion diene alleine dazu, missbräuchlich ein Aufenthaltsrecht in der
Bundesrepublik Deutschland zu erwerben. Der Glaubenswechsel habe in keiner
Weise auch nur im Ansatz prägenden Einfluss auf ihre Persönlichkeit erlangt.
Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt
habe, führe zu keinen staatlichen Repressionen nach der Rückkehr in den Irak.
Dies gelte im vorliegenden Fall umso mehr, als die Klägerin den Iran legal
verlassen habe. Die Geltendmachung einer posttraumatischen Belastungsstörung
- PTBS -, die durch eine Stellungnahme von Lic. Ing. Lic. Psych. M. ... -
Psychologische Beratungsstelle für politisch Verfolgte und Vertriebene - PBV
Stuttgart - vom 2.7.2011 belegt werden solle, führe gleichfalls nicht zum Vorliegen
von Abschiebungsverboten. Angesichts des widersprüchlichen Vorbringens der
Klägerin blieben durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt derjenigen
Schilderung, die der Stellungnahme vom 2.7.2011 zugrunde gelegen habe. Ferner
genüge die Stellungnahme nicht den Mindestanforderungen, die an die
Substantiierung eines PTBS-Leidens zu stellen seien.
II.
4 Der von der Klägerin allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3
Nr. 1 AsylVfG (grundsätzliche Bedeutung) rechtfertigt aus den mit dem Antrag
genannten Gründen nicht die Zulassung der Berufung.
5 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG kommt einer
Rechtssache zu, wenn das erstrebte weitere Gerichtsverfahren zur Beantwortung
von entscheidungserheblichen konkreten Rechtsfragen oder im Bereich der
Tatsachenebene nicht geklärten Fragen mit über den Einzelfall hinausreichender
Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts höhergerichtlicher
Klärung bedürfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - NJW 2009,
364; Bay. VGH, Beschl. v. 9.8.2011 - 13a ZB 11.30007 - AuAS 2011, 250). Das
Darlegungsgebot nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG verlangt bei diesem
Zulassungsgrund entweder in rechtlicher oder in tatsächlicher Hinsicht die
Formulierung einer bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärten
konkreten Frage und außerdem die Angabe, worin diese Bedeutung bestehen soll
(BVerwG, Beschl. v. 6.7.2012 - 10 B 18.12 - juris). Schließlich muss dargelegt
werden, warum die aufgeworfene konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage für das
Verwaltungsgericht erheblich war und warum sie sich auch im Berufungsverfahren
als entscheidungserheblich stellen würde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.9.2009 - BvR
814/09 - NJW 2009, 3642; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 24.9.2008 - 2 L 86/08 -
NVwZ 2009, 192). Insoweit ist es erforderlich, dass die aufgeworfene
Grundsatzfrage rechtlich derart aufbereitet wird, wie dies nach Maßgabe der
Begründung in der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts
erforderlich ist. Damit ist eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des
Verwaltungsgerichts notwendig, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird.
6 Wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Bereich der
Tatsachenfeststellung geltend gemacht, erfordert das Darlegungsgebot
insbesondere, dass die Antragsbegründung erkennen lässt, warum das
Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse in einer über den Einzelfall
hinausgehenden Weise unzutreffend beurteilt haben soll, dass also z.B.
einschlägige Erkenntnisquellen unberücksichtigt geblieben sind, das Gewicht einer
abweichenden Meinung verkannt worden ist und die Bewertungen des
Verwaltungsgerichts deshalb nicht haltbar sind (OVG Sachsen, Beschl. v.
18.9.2009 - A 1 A 498/09 - NVwZ-RR 2010, 167; OVG Nordrhein-Westfalen,
Beschl. v. 21.3.2007 - 15 A 750/07.A - juris).
7 1. Die Klägerin hält zunächst die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam,
8
ob eine fehlende tiefe Überzeugung geeignet sein könnte, einen vom Islam zum
Christentum übergetretenen Iraner auf eine Geheimhaltung seiner
Religionszugehörigkeit oder sogar auf einen möglichen Übertritt wieder zurück
zum Islam zu verweisen.
9 Sie trägt in diesem Zusammenhang vor, das Verwaltungsgericht habe behauptet,
dass den Betroffenen ein Verschweigen, ein Verleugnen oder die Aufgabe der
neuen Glaubenszugehörigkeit zur Vermeidung staatlicher oder nichtstaatlicher
Repressionen im Heimatland zugemutet werden könne, wenn eine Konversion
nicht auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer
ernsthaften Gewissensentscheidung und nicht auf einem ernst gemeinten
religiösen Einstellungswandel mit einer Identitätsprägenden festen Überzeugung,
sondern lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruhe. Gegen diesen
allgemeinen Rechtssatz bestünden durchgreifende die Berufung eröffnende
Bedenken.
10 Mit ihrem Vorbringen übersieht die Klägerin jedoch, dass die von ihr aufgeworfene
Rechtsfrage für das angestrebte Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich
ist. Zur Beurteilung einer der Klägerin drohenden Verfolgung im Sinne des Art. 16a
GG oder des § 60 Abs. 1 AufenthG aus religiösen Gründen kommt es nicht
entscheidend darauf an, ob zum Zeitpunkt der Taufe der Klägerin eine ernsthafte
Hinwendung zum Christentum stattgefunden hat. Wie der Senat schon mehrfach
entschieden hat (vgl. Beschl. v. 23.4.2013 - 3 S 2022/12 -, v. 3.4.2013 - A 3 S
2021/12 -, v. 13.3.2013 - A 3 S 103/12 -, v. 25.2.2013 - A 3 S 3081/11 -, 17.9.2013
- A 3 S 2306/12 -), hätte er vielmehr in einem Berufungsverfahren in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v.
5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - InfAuslR 2012, 444) und des
Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - InfAuslR 2013, 300)
zu prüfen, ob im Hinblick auf die persönlichen Umstände der Klägerin
vernünftigerweise anzunehmen ist, dass sie nach einer Rückkehr in ihr
Herkunftsland dort religiöse Betätigungen vornehmen wird (so EuGH, a.a.O.) bzw.
dort unterdrückte religiöse Betätigungen ihres Glaubens für sich selbst als
verpflichtend empfindet, um ihre religiöse Identität zu wahren (BVerwG, a.a.O.).
Aus einer ernsthaften Hinwendung zum christlichen Glauben im Zeitpunkt der
Taufe folgt jedoch noch nicht, dass diese Hinwendung fortdauern wird. Die
Verwaltungsgerichte sind nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289),
des Senats (vgl. Beschl. v. 9.2.2010 - 3 S 474/08 -) und anderer
Oberverwaltungsgerichte (vgl. nur OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.7.2009 - 5
A 982/07.A - juris) berechtigt und verpflichtet, das Vorliegen einer voraussichtlich
andauernden christlichen Prägung des Konvertierten nachzuprüfen (a. A., soweit
ersichtlich, nur VG Schwerin, Urt. v. 13.2.2013 - 3 A 1877/10 As - juris). Der
formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt
der Taufe reicht für die Gewinnung der dafür erforderlichen
Überzeugungsgewissheit im Regelfall nicht aus, insbesondere kommt ihm für die
zu bildende Prognose keine bindende präjudizielle Wirkung zu (vgl. VGH Bad.-
Württ., Beschl. v. 9.1.2014 - 2 S 1812/13 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v.
24.5.2013 - 5 A 1062/12.A - juris).
11 2. Die Klägerin hält ferner die Tatsachenfrage für von grundsätzlicher Bedeutung,
12 ob es einem in Deutschland abgelehnten und in den Iran abgeschobenen
Asylbewerber möglich ist, seinen Übertritt zum Christentum zu verheimlichen.
13 Das Verwaltungsgericht habe entscheidend darauf abgestellt, dass es der Klägerin
zumutbar sei, ihren Übertritt zum Christentum zu verheimlichen, womit es
vorausgesetzt habe, dass sie es allein in der Hand habe, dass ihr
Glaubenswechsel im Iran nicht bekannt werde. Die dieser Annahme zugrunde
liegende Tatsache, dass eine in Deutschland stattgefundene Taufe nicht mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Iran bekannt würde, gehe angesichts eines
hervorragend organisierten Spitzelnetzes des iranischen Regimes im Ausland fehl.
Außerdem würden erfolglose Asylbewerber bei der Ankunft in den Iran einer
Befragung auch dann unterzogen, wenn sie „legal“ ausgereist seien. Hierbei
würden auch nach internationalen Standards unzulässige Befragungsmethoden
angewandt.
14 Der Tatsachenfrage fehlt es ebenfalls an der erforderlichen
Entscheidungserheblichkeit (vgl. auch insoweit VGH Bad.-Württ., Beschl. v.
23.4.2013 - 3 S 2022/12 -, v. 3.4.2013 - A 3 S 2021/12 -, v. 13.3.2013 - A 3 S
103/12 -, v. 25.2.2013 - A 3 S 3081/11 -, 17.9.2013 - A 3 S 2306/12 -). Da das
Verwaltungsgericht eine dauerhafte Hinwendung der Klägerin zum Christentum
nicht als glaubhaft erachtet hat, könnte die aufgeworfene Frage nur dann
entscheidungserheblich sein, wenn allein der formale Akt des Übertritts zum
christlichen Glauben im Ausland, auch wenn dieser nach einer Rückkehr in den
Iran nicht mehr gelebt wird, Repressionen seitens des iranischen Staates nach
sich zöge. Dafür benennt die Klägerin jedoch keine nachvollziehbaren Belege
(anders auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.8.2012 - 13 A 1703/12.A -;
Urt. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - beide in juris). Sie zitiert zwar aus dem
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 4.11.2011, dass Konvertiten Verfolgung
und Bestrafung bis hin zur Todesstrafe drohten, übersieht aber, dass es sich bei
diesem Zitat um eine allgemeine Äußerung zur Religionsfreiheit im Iran handelt
und dass es in demselben Lagebericht zur Situation der Christen heißt,
Repressionen träfen missionierende Christen unabhängig davon, ob diese zuvor
konvertiert seien.
15 3. Schließlich ist nach Auffassung der Klägerin auch die Tatsachenfrage von
grundsätzlicher Bedeutung,
16 ob iranische Staatsangehörige, die nach erfolglosem Ausgang ihres
Asylverfahrens in den Iran abgeschoben werden, einem beachtlichen Risiko
unterliegen, dort bereits bei der Ankunft verhaftet und unter Folter zu ihrem
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland befragt zu werden.
17 Das Verwaltungsgericht habe - so die Klägerin - diese Frage ohne hinreichende
Tatsachengrundlage verneint. Denn die letzte Rückführung aus Deutschland in
den Iran habe im Mai 2010 stattgefunden. Sie berufe sich insoweit auf die
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9.3.2010 (-
41827/07 - R.C. v. Sweden).
18 Mit diesem Vorbringen wird die Klärungsbedürftigkeit der für rechtsgrundsätzlich
angesehenen Tatsachenfrage nicht hinreichend dargelegt. Das
Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf die Einschätzung des Auswärtigen
Amts in den Lageberichten vom 18.3.2008, 23.2.2009, 28.7.2010, 27.2.2011 und
4.11.2011 gestützt, wonach allein die Stellung eines Asylantrags im Ausland keine
staatlichen Repressionen nach der Rückkehr in den Iran auslöst. Dem setzt die
Klägerin nur entgegen, diese Einschätzung entbehre einer hinreichenden
Tatsachengrundlage, weil die letzte Rückführung aus Deutschland in den Iran im
Mai 2010 stattgefunden habe. Belege für eine gegenteilige Einschätzung werden
von ihr nicht genannt. Die von ihr angeführte Auskunft der Schweizer
Flüchtlingshilfe vom 18.8.2011 berichtet zwar von zwei namentlich genannten,
nach Abschiebung misshandelten Rückkehrern in den Iran. Diese haben aber im
Ausland nicht nur einen Asylantrag gestellt, sondern - anders als die Klägerin - sich
dort auch regimekritisch politisch betätigt. Auch die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urt. v. 9.3.2010 - 41827/07 - R.C.
v. Sweden), auf die die Klägerin sich beruft, hat eine Rückkehrgefährdung für den
dortigen iranischen Beschwerdeführer nicht allein wegen seiner
Asylantragstellung, sondern wegen des Zusammentreffens verschiedener
Umstände, insbesondere auch einer individuellen Vorverfolgung des
Beschwerdeführers angenommen. Eine Vorverfolgung der Klägerin hat das
Verwaltungsgericht dagegen nicht als glaubhaft erachtet (vgl. zu alledem wiederum
VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.4.2013 - 3 S 2022/12 -, v. 3.4.2013 - A 3 S 2021/12
-, v. 13.3.2013 - A 3 S 103/12 -, v. 25.2.2013 - A 3 S 3081/11 -, 17.9.2013 - A 3 S
2306/12 -).
19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
20 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.