Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 27.08.2013

politische verfolgung, amnesty international, folter, widerruf

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 27.8.2013, A 12 S 561/13
Zum Widerruf der Asylanerkennung einer türkischen Staatsangehörigen
kurdischer Volkszugehörigkeit - Prüfungsfrist
Leitsätze
1. Die Versäumung der in § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG geregelten
Prüfungsfrist hat nicht zur Folge, dass der nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG
gebundene Widerruf in eine Ermessensentscheidung umschlägt (wie BVerwG, Urt. v.
05.06.2012 - 10 C 4.11 -).
2. Zum Widerruf einer im Jahr 1999 erfolgten Feststellung des Vorliegens der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. zu Gunsten einer türkischen
Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit ohne herausgehobene
exilpolitische Betätigung.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen
vom 28. April 2011 - A 8 K 1196/09 - geändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Klägerin, eine am 01.11.1966 in der Gemeinde Varto, Provinz Mus/Türkei,
geborene türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, wendet sich
gegen den Widerruf der Feststellung, dass für sie die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 des (ehemaligen) Ausländergesetzes (AuslG) vorliegen.
2 Der im Jahr 1964 geborene Ehemann der Klägerin H. A. reiste bereits im
Dezember 1992 in das Bundesgebiet ein und stellte sogleich einen Asylantrag.
Anlässlich seiner persönlichen Anhörung beim (damaligen) Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 19.04.1995 gab der Ehemann der
Klägerin im Wesentlichen an, er sei Landwirt und habe 1992 in den Bergen PKK-
Angehörige mit Lebensmitteln unterstützt. Armee und Gendarmerie hätten dann
behauptet, er würde den PKK-Leuten helfen. Daraufhin sei er mit zur Karakol-
Station in seinem Heimatdorf genommen worden, wo er zwei Tage festgehalten
worden sei. Er sei dann noch mehrmals zur Karakol-Station gebracht worden. Er
sei misshandelt und geschlagen worden. Zum Schluss hätten sie ihm angeboten,
als Dorfschützer zu arbeiten, was er aber abgelehnt habe. Er sei dann wochenlang
festgehalten worden. Schließlich habe er die Entscheidung getroffen, auszureisen.
In Deutschland habe er Kontakt zur PKK, er habe an Veranstaltungen in Bonn,
Hannover und Frankfurt teilgenommen. Das sei noch vor dem Verbot der PKK
gewesen. Es habe sich um große öffentliche und genehmigte Veranstaltungen
gehandelt. Innerhalb der PKK nehme er keine bestimmte Funktion wahr. Er
informiere sich über Zeitungen. Bei den Veranstaltungen sei er nur normaler
Teilnehmer gewesen.
3 Die Klägerin selbst reiste Ende Oktober 1994 in das Bundesgebiet ein und suchte
durch ihren Prozessbevollmächtigten um Asyl nach. Anlässlich ihrer eigenen
persönlichen Anhörung beim Bundesamt in Göppingen am 16.12.1994 erklärte sie
im Wesentlichen, ihr Mann sei schon vor zwei Jahren nach Deutschland
gegangen, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei; er hätte als Dorfschützer
arbeiten sollen, das jedoch abgelehnt. Weil er befürchtet habe, umgebracht zu
werden, habe er das Land verlassen. Die Sicherheitskräfte seien öfters zu ihnen
gekommen und hätten nach ihrem Mann gesucht. Sie habe dann gesagt, dass sie
nicht wisse, wo er sei. Sie hätten aber gesagt, ihr Mann sei zu den PKK-Kämpfern
gegangen. Sie sei auch öfters beleidigt und zur Militärstation mitgenommen
worden. Dort habe sie über eine Woche in Haft bleiben müssen, während dieser
Zeit sei sie beleidigt und gefoltert worden. Sie hätten gesagt, weil ihr Mann weg sei,
müsse sie solange hier bleiben. Weil sie gefühlt habe, dass ihr Leben in Gefahr
gewesen sei, sei sie ausgereist.
4 Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit
Bescheid vom 22.05.1995 den Asylantrag der Klägerin und mit Bescheid vom
08.06.1995 auch den Antrag ihres Mannes ab. Es stellte fest, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen und
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind. Zugleich drohte
das Bundesamt die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung der Bescheide
führte es aus, türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit drohe
allein wegen der Volkszugehörigkeit keine politische Verfolgung in der Türkei.
Selbst wenn dies aber anzunehmen wäre, würden diese jedenfalls nicht
landesweit in eine ausweglose Lage geraten, weil ihnen in der westlichen Türkei
eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Der Ehemann der Klägerin
könne sich zudem nicht mit Erfolg auf eine asylrelevante Individualverfolgung
wegen angeblicher Unterstützung der PKK bzw. der Aufforderung, das
Dorfschützeramt zu übernehmen, berufen. So könne ihm bereits nicht geglaubt
werden, dass man ihn als Dorfschützer habe verpflichten wollen, nachdem er
zuvor der Unterstützung der PKK verdächtigt worden sei. Selbst wenn er aber als
Dorfschützer hätte herangezogen werden sollen, ergäbe sich für ihn keine
politische Verfolgung. Denn etwaige Repressionen seien regional sehr eng auf das
Heimatdorf bzw. den Heimatkreis des Betroffenen beschränkt, weshalb der
Ehemann der Klägerin in anderen Teilen der Türkei eine zumutbare Zuflucht hätte
finden können. Im Übrigen stellten vorübergehende polizeiliche
Überprüfungsmaßnahmen noch keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention
dar. In dem vorliegenden Fall sei jedenfalls die Schwelle, die bloße Belästigungen
von der politischen Verfolgung trenne, noch nicht überschritten worden. Auf
Nachfluchtgründe könne sich der Ehemann der Klägerin schon deswegen nicht mit
Erfolg berufen, weil die von ihm vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten jedenfalls
derart unbedeutend gewesen seien, dass auszuschließen sei, dass diese den
türkischen Stellen bekannt geworden seien. Denn der Überwachung durch den
türkischen Geheimdienst unterlägen nur diejenigen türkischen Staatsbürger, die
sich im Ausland in exponierter Stellung oder besonders öffentlichkeitswirksamer
Weise für kurdische Belange einsetzten. Nur diese Personen müssten bei einer
Rückkehr möglicherweise mit Maßnahmen rechnen.
5 Hinsichtlich der Klägerin selbst führte das Bundesamt im Bescheid vom
22.05.1995 aus, Fahndungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen türkischer
Behörden ließen einen asylrelevanten Charakter im Sinne einer staatlichen
Verfolgung der Klägerin unter Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale nicht
erkennen. Auch lägen bei ihr keine Abschiebungshindernisse nach den §§ 51 und
53 AuslG vor.
6 Mit Urteilen vom 12.08.1996 - A 9 K 11466/95 und A 9 K 11467/95 - wies das
Verwaltungsgericht Sigmaringen die gegen die Bundesamtsbescheide gerichteten
Klagen der Klägerin und ihres Ehemannes ab. Die Klägerin und ihr Ehemann
hätten - so das Verwaltungsgericht - ein ihrem eigenen Erleben entspringendes
asylrelevantes Verfolgungsschicksal nicht vorgetragen.
7 Gegen die beiden Urteile gerichtete Anträge auf Zulassung der Berufung lehnte
der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschlüssen vom 23.10.1996
- A 12 S 2759/96 und A 12 S 2760/96 - ab.
8 Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 03.12.1996 suchten die
Klägerin und ihr Ehemann gegenüber dem Bundesamt erneut um die Gewährung
politischen Asyls nach. Sie verwiesen hierzu auf eine eidesstattliche Versicherung
eines Schwagers des Ehemanns der Klägerin. Danach sei dieser „vor vier Jahren“
in der Türkei wegen des Verdachts der Unterstützung der kurdischen PKK von der
Gendarmerie festgenommen worden.
9 Mit Bescheid vom 14.01.1997 lehnte das Bundesamt diese Anträge auf
Durchführung weiterer Asylverfahren mit der Begründung ab, dem neuen
Vorbringen sei nicht zu entnehmen, dass sich die Sachlage nachträglich zu
Gunsten der Antragsteller geändert habe. Dieser Bescheid erlangte am
28.02.1997 Bestandskraft.
10 Mit weiterem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 24.04.1997
beantragten die Klägerin und ihr Ehemann zum dritten Mal ihre Anerkennung als
Asylberechtigte. Zur Begründung führten sie nunmehr an, es liege ein neues
Beweismittel im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG vor.
Dabei handele es sich um die eidesstattliche Versicherung eines Vetters des
Ehemanns der Klägerin, der sich seit einer Woche in Deutschland aufhalte und der
in ihrer Nachbarschaft in der Türkei gelebt habe. Dieser habe mit eigenen Augen
zweimal gesehen, wie der Ehemann der Klägerin von den Militärs mitgenommen
worden sei. Er könne im Wesentlichen die bisher als unglaubwürdig bewerteten
Angaben im Kern bestätigen. Des Weiteren werde auf eine Pressemitteilung
Bezug genommen, nach welcher sich der nordrhein-westfälische Innenminister im
Anschluss an eine Reise in die Türkei entsetzt über die dortige
Menschenrechtssituation gezeigt habe.
11 Mit Bescheid vom 12.05.1997 wies das Bundesamt auch diese Anträge auf
Durchführung weiterer Asylverfahren ab, weil der vorgelegten eidesstattlichen
Erklärung wegen deren familiärer Verbundenheit sowie der gleichgelagerten
Interessenlage des Zeugen grundsätzlich kein Beweiswert beizumessen sei und
weil auch der vorgelegte Zeitungsartikel die Einleitung eines erneuten
Asylverfahrens nicht rechtfertige.
12 Gegen diese Bescheide erhoben die Klägerin und ihr Ehemann unter dem
28.05.1997 Klagen beim Verwaltungsgericht Sigmaringen, zu deren Begründung
sie ergänzend ausführten, am 18.04.1998 sei in der
Südwestpresse/Schwäbisches Tagblatt ein Artikel über die Situation ihrer Familie
mit einem Foto aller Familienmitglieder erschienen.
13 In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren holte das Gericht zu der Frage, wie
groß im Hinblick auf den Zeitungsartikel im Schwäbischen Tagblatt vom
18.04.1998 der Grad der Wahrscheinlichkeit sei, dass die Kläger nach einer
Rückkehr in die Türkei menschenrechtswidrigen Repressalien seitens der
türkischen Behörden ausgesetzt sein würden und welcher Art gegebenenfalls
diese Maßnahmen seien, eine gutachterliche Stellungnahme des Herrn Helmut
Oberdiek vom 05.11.1998, ein Sachverständigengutachten des Herrn Serafettin
Kaya vom 18.11.1998 sowie eine amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes vom
06.01.1999, auf deren jeweiligen Inhalt Bezug genommen wird, ein.
14 In der mündlichen Verhandlung am 09.08.1999 nahmen die Klägerin und ihr
Ehemann ihre Klagen insoweit zurück, als sie ihre Anerkennung als
Asylberechtigte begehrten. Der Zeuge K. S. wurde in der mündlichen Verhandlung
informatorisch angehört.
15 Mit Urteil vom 09.08.1999 - A 8 K 11282/97 - hob das Verwaltungsgericht
Sigmaringen den Bescheid des Bundesamtes vom 12.05.1997 auf und
verpflichtete die Beklagte, festzustellen, dass für die Klägerin und ihren Ehemann
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen. Zur Begründung führte es aus,
der von den Klägern des Verfahrens vorgelegte Zeitungsartikel führe als
Nachfluchtgrund in der Sache auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51
AuslG hinsichtlich der Türkei. Denn in der Person der Kläger lägen insoweit
Besonderheiten vor, die abweichend vom Durchschnittsfall zu einer beachtlichen
Rückkehrgefährdung führten. Zwar dürfte es Zweifeln begegnen, ob bereits der
Zeitungsartikel zu gegen die Kläger gerichteten Verfolgungsmaßnahmen bei einer
Rückkehr in die Türkei führe. Insbesondere sprächen die gutachterlichen
Ausführungen zunächst gegen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer
Gefährdung der Kläger bei einer Wiedereinreise in die Türkei. Doch komme für sie
neben der Veröffentlichung im Schwäbischen Tagblatt hinzu, dass sie in
Deutschland offensichtlich türkischen Kreisen als aktive Unterstützer der PKK
aufgefallen seien. Hierfür spreche zunächst der Kontakt, den der Ehemann der
Klägerin mit dem Gebietsverantwortlichen der PKK gehabt habe, wie dies in einer
von ihm vorgelegten Aktennotiz der Landespolizeidirektion Tübingen vom
31.01.1996 belegt sei. Zudem habe der Ehemann der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung davon berichtet, bei einer kurdischen Demonstration in Tübingen am
27.03.1999 von einem MHP-Anhänger angesprochen und bedroht worden zu sein.
Der informatorisch gehörte Zeuge K. S. habe dazu für die Kammer glaubhaft
ausgeführt, MHP-Anhänger hätten bei dieser Gelegenheit gesagt, man kenne den
Ehemann der Klägerin und wisse, dass er für die Partei arbeite. Man habe ihn beim
MIT angezeigt. Damit träten aber neben der Veröffentlichung des Artikels im
Schwäbischen Tagblatt weitere Verdachtsmomente für die türkischen
Sicherheitsbehörden hinzu, die in ihrer Gesamtheit nahelegten, dass der Ehemann
der Klägerin selbst bei den türkischen Sicherheitskräften in dem dringenden
Verdacht stehe, wenn nicht Mitglied, so doch Unterstützer der PKK oder doch -
ebenfalls wie die Klägerin selbst - zumindest lohnenswerte Quelle möglicher
Informationen über die PKK zu sein. Deshalb spreche eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin und ihren Ehemann bei einer Rückkehr
in die Türkei zumindest Polizeihaft oder aber gar ein Strafverfahren wegen
Unterstützung einer bewaffneten Bande erwarte. Im Rahmen der Polizeihaft bzw.
einer längeren Untersuchungshaft sei ernstlich zu befürchten, dass die Kläger in
asylrelevanter Weise misshandelt würden, um etwa auch von ihnen Informationen
über die Organisationsstrukturen der PKK in Deutschland bzw. über die ihnen
bekannten Aktivisten sowie über ihr eigenes Tun zu erlangen, wie es auch Kaya in
seinem Gutachten vom 18.11.1998 ausgeführt habe. Folter während eines
polizeilichen Ermittlungsverfahrens, die sich gerade auch gegen die (vermutete)
politische Einstellung des Betroffenen richte, sei ein weit verbreitetes Phänomen,
das trotz gegenteiliger völkerrechtlicher Verpflichtungen und Erklärungen in der
Türkei hingenommen werde. Die Kläger hätten aufgrund dieses von ihnen
rechtzeitig geltend gemachten Nachfluchtgrundes auch einen Anspruch auf die
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 und 4 AuslG, da
ihnen bei der Wiedereinreise als Folter zu bewertende Misshandlungen konkret
drohten, womit zugleich ein Abschiebungshindernis nach Art. 3 EMRK gegeben
sei. Dieses Urteil erlangte am 08.12.1999 Rechtskraft.
16 Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 30.12.1999 stellte dieses für die Klägerin und ihren Ehemann fest, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und des § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen.
17 Nachdem die Klägerin beim Landratsamt Tübingen die Einbürgerung in den
deutschen Staatsverband beantragt hatte, bat das Landratsamt das Bundesamt
unter dem 08.11.2007 zu klären, ob die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft
noch Bestand habe. Hierauf leitete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
am 22.09.2008 ein Widerrufsverfahren ein und teilte der Klägerin zunächst mit
Schreiben vom 06.04.2009 mit, die allgemeine Lage in der Türkei habe sich im
Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung der Begünstigung wesentlich entspannt,
es werde auf die verbesserte Menschenrechtslage in der Türkei verwiesen.
Mangels entsprechender Referenzfälle sei auch davon auszugehen, dass sie nicht
mehr wegen ihres Ehemannes mit asylerheblichen Übergriffen zu rechnen habe.
18 Nach erhaltener Akteneinsicht entgegnete der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin unter dem 15.05.2009, die politische Situation in der Türkei habe sich
entgegen der Ansicht des Bundesamtes auf menschenrechtlicher Ebene nicht so
sehr geändert, dass von einer grundlegenden Veränderung im Sinne eines
„Wegfalls der Umstände“ auszugehen sei. In den letzten zwei Jahren habe sich im
Gegenteil eine „Roll-Back-Bewegung“ dahingehend gezeigt, dass
Gesetzesreformen zwar auf dem Papier stünden, jedoch in der Praxis zunehmend
nicht entsprechend dem Gesetzestext Umsetzung fänden. Gleichzeitig habe die
wieder zunehmende militärische Auseinandersetzung zwischen der PKK und den
türkischen Sicherheitskräften bzw. dem türkischen Militär erneut zu einer Umkehr
der eingeleiteten toleranteren Regierungspolitik gegenüber den politischen
Interessen der kurdischen Minderheit geführt. Aufgrund dieser politischen
Entwicklung bestehe für die Klägerin nach wie vor eine konkrete
Rückkehrgefährdung. Es sei daher nach wie vor nicht auszuschließen, dass sie
von den türkischen Sicherheitskräften weiter als aktive Sympathisantin der PKK
angesehen werde und aufgrund dieses Verdachts im Falle ihrer Rückkehr in die
Türkei mit der Vernehmung durch die politische Polizei zu rechnen habe. Im
Rahmen dieser Verhöre könne es nach wie vor zu menschenrechtswidrigen
Übergriffen kommen. Es sei auch nach wie vor nicht ausgeschlossen, dass gegen
verdächtige Personen rechtsstaatswidrige Verfahren durchgeführt würden und
auch auf dieser Ebene asylrelevante Nachteile drohten. Nach allem sei kein
Widerrufsverfahren durchzuführen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen.
19 Mit Bescheid vom 25.05.2009 widerrief das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge die mit Bescheid vom 30.12.1999 getroffene Feststellung, dass für die
Klägerin die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. vorliegen. Zugleich
stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht gegeben
sind. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, die Entscheidung basiere auf §
73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines
Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG a. F. lägen nicht mehr vor, weil sich
die erforderliche Prognose drohender politischer Verfolgung nicht mehr treffen
lasse. Seit der Ausreise der Klägerin hätten sich die Rechtslage und die
Menschenrechtssituation in der Türkei deutlich zum Positiven verändert. So habe
die aus den Wahlen im November 2002 hervorgegangene AKP-Regierung ein
umfangreiches gesetzgeberisches Reformprogramm verwirklicht und bekenne sich
ausdrücklich zur Verbesserung der Menschenrechtslage. Insgesamt seien seit
2002 neun sogenannte „Reformpakete“ verabschiedet worden, die in kurzer Zeit
umwälzende gesetzgeberische Neuerungen gebracht hätten. So seien etwa die
Todesstrafe vollständig abgeschafft und die Staatssicherheitsgerichte aufgelöst
worden. Die Minderheitenrechte - vor allem für die Kurden - seien ausgeweitet, die
Meinungsfreiheit sowie das Demonstrationsrecht gestärkt worden. Zum
01.06.2005 seien ein neues Strafgesetzbuch, eine neue Strafprozessordnung und
ein neues Strafvollzugsgesetz in Kraft getreten. Auch in den Jahren 2006 bis 2008
hätten weitere Reformen stattgefunden, so seien etwa im Juli 2006 ein neues Anti-
Terror-Gesetz und im Februar 2008 ein neues Stiftungsgesetz verabschiedet
sowie im Mai 2008 Änderungen bei Art. 301 TStGB vorgenommen worden. Zwar
habe sich das Reformtempo seit Anfang 2005 wieder verlangsamt, dennoch seien
die Bestrebungen unverkennbar, rechtsstaatliches Handeln durchzusetzen.
Einzelne Vorkommnisse und Entscheidungen von Justizorganen ließen zwar an
dieser Einschätzung zweifeln, es zeige sich jedoch, dass sich im Gegensatz zu
früher staatsanwaltliches Unrecht nicht halten lasse, sondern dieses revidiert
werde. Die türkische Regierung habe zudem wiederholt betont, dass sie
gegenüber Folter eine „Null-Toleranz“-Politik verfolge. Auseinandersetzungen
zwischen Sicherheitskräften und der kurdischen Arbeiterpartei PKK seien
allerdings nach wie vor ein Hauptproblem der türkischen Innenpolitik. Seit Jahren
würden aber keine Dörfer im Südosten der Türkei mehr geräumt und, von einigen
Fällen in 2007 abgesehen, auch keine Dorfschützer mehr rekrutiert. Vielmehr seien
nach offiziellen Angaben ca. 125.000 Vertriebene in ihre Dörfer zurückgekehrt. Ein
von Angehörigen der Sicherheitskräfte initiierter Bombenanschlag in der Provinz
Hakkari Ende 2005 sowie Aufstände in Diyarbakir und weiteren Orten im Südosten
des Landes im Frühjahr 2006 hätten nicht wieder zu einer allgemeinen bzw.
dauerhaften Verschlechterung der Lage in den mehrheitlich von Kurden
bewohnten Gebieten geführt. Die PKK gelte als militärisch weitgehend besiegt, der
Rückhalt, den sie in Teilen der kurdisch-stämmigen Bevölkerung gehabt habe, sei
deutlich zurückgegangen. Heutige Auseinandersetzungen zwischen
Sicherheitskräften und der PKK beträfen nicht die gesamte mehrheitlich von
Kurden bewohnte Region. Aufgrund der Veränderung von Rechtslage und
Menschenrechtssituation seien die Gründe für die damalige Schutzgewährung an
die Klägerin heute entfallen. Türkische Staatsangehörige kurdischer
Volkszugehörigkeit, die sich Verfolgungsmaßnahmen wegen tatsächlicher,
unterstellter oder vermeintlicher Unterstützung der kurdischen Guerilla entzogen
hätten, seien heute bei einer Rückkehr in die Türkei mit hinreichender Sicherheit
keinen Repressalien dieser Art bzw. staatlichen Maßnahmen in diesem
Zusammenhang mehr ausgesetzt. Es könne auch davon ausgegangen werden,
dass Kurden auch nicht im Osten und Südosten der Türkei einer regional
begrenzten staatlichen Gruppenverfolgung unterlägen, was von der
obergerichtlichen Rechtsprechung bestätigt oder jedenfalls offengelassen werde,
da eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Unabhängig hiervon
existiere nach jüngerer obergerichtlicher Rechtsprechung eine interne
Schutzalternative. Kurden seien etwa nach der ständigen Rechtsprechung des
OVG Hamburg gegenwärtig im Westen der Türkei, insbesondere in den dortigen
Großstädten, hinreichend sicher vor kollektiver Verfolgung.
20 Auch soweit die Klägerin Schutz wegen drohender menschenrechtswidriger
Behandlung bei einer Einreise in die Türkei erhalten habe, könne dies heute mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Da die aus den Wahlen
im November 2002 hervorgegangene AKP-Regierung nach wie vor den Beitritt zur
EU anstrebe, wirke sich dies deutlich auf die Menschenrechtslage aus. Zwar gebe
es berechtigte Kritik an der Implementierung der Gesetzesreformpakete, würden
die Einschränkung der Meinungsfreiheit (Art. 301 TStGB) und die Neufassung des
Anti-Terror-Gesetzes vom Juni 2006 kritisiert, jedoch würden insgesamt der Türkei
erhebliche Fortschritte bei der Menschenrechtslage im EU-Fortschrittsbericht vom
08.11.2006 und vom 06.11.2007 sowie im Lagebericht des Auswärtigen Amtes
vom 11.09.2008 bescheinigt. Fälle schwererer Folter kämen nur noch vereinzelt
vor. Auch wenn sich die Dynamik des Fortschritts bisweilen verlangsame, sei
dennoch die Bestrebung zur Weiterentwicklung sichtbar, wie etwa die
Überarbeitung des von der Europäischen Union kritisierten Art. 301 TStGB
(„Herabwürdigung des Türkentums“) zeige. Menschenrechtsorganisationen
könnten inzwischen in der Türkei ungehindert arbeiten. Dass es der türkischen
Regierung bislang nicht gelinge, Folter vollständig zu unterbinden, stelle
keineswegs die erhebliche Veränderung der Sach- und Rechtslage in den letzten
Jahren in Frage. Vielmehr sei entscheidend, dass eine aus Europa
zurückkehrende oder abgeschobene Person heute hinreichend sicher vor
menschenrechtswidriger Behandlung sei. Dem Auswärtigen Amt sei seit vier
Jahren (Lagebericht vom 25.10.2007) bzw. in jüngerer Zeit (Lagebericht vom
11.09.2008) kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei
zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren
Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Auch die türkischen
Menschenrechtsorganisationen hätten explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem
Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohten.
21 In dem vorliegenden Fall sei auch zu beachten, dass die Klägerin die Türkei nicht
vorverfolgt verlassen habe und somit der allgemeine Prognosemaßstab
anzuwenden sei. Die Rechtsprechung vieler Verwaltungsgerichte, wonach bei
Vorverfolgten bei Rückkehr in die Türkei grundsätzlich erneute
Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen
werden könnten, sei daher vorliegend nicht anwendbar. Wer unverfolgt ausgereist
sei, habe nur dann einen Asylanspruch, wenn ihm aufgrund eines asylerheblichen
Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
drohe. Eine solche sei nur dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden
zusammenfassenden Bewertung des zu überprüfenden Lebenssachverhalts
einschließlich der politischen Situation im Herkunftsstaat die für eine Verfolgung
sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besäßen und deshalb gegenüber
den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen würden. Entscheidend sei, ob
aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des
Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat unzumutbar erscheine. Zu beachten sei in dem vorliegenden Fall
insbesondere, dass das Verwaltungsgericht Sigmaringen sein Verpflichtungsurteil
auf Gutachten gestützt habe, wonach allein der PKK-freundliche Beitrag der
Klägerin in einer deutschen Zeitung gerade nicht zu einer Rückkehrgefährdung
geführt hätte, da auch den türkischen Sicherheitsbehörden bekannt sei, dass
derartige Beiträge oft nur zum Zweck der Asylerlangung erfolgten, während
demgegenüber das Interesse des türkischen Staates dem Personenkreis gelte,
der als Auslöser separatistischer Aktivitäten oder als Anstifter oder Aufwiegler
angesehen werde. Diesem Personenkreis gehöre die Klägerin aber offensichtlich
nicht an. Ihre Gefährdung habe damals darauf beruht, dass ihr Ehemann
zusätzlich mit einem lokalen PKK-Funktionär bekannt gewesen sei und er bei
Demonstrationen MHP-Anhängern aufgefallen sei. Über weitere exilpolitische
Betätigungen sei weder für die Klägerin noch für ihren Ehemann etwas
vorgetragen worden. 1999 sei es im Zusammenhang mit der Festnahme Öcalans
zu Ausschreitungen von Exilkurden gegen türkische Auslandseinrichtungen
gekommen, weshalb seinerzeit dieser Personenkreis verschärft von den
türkischen Geheimdiensten beobachtet worden sei. Nachdem sich die Lage aber
allgemein entspannt habe, sei auch die diesbezügliche Empfindlichkeit der
türkischen Behörden zurückgegangen. Wegen eines einmaligen Besuchs eines
PKK-Funktionärs vor 11 Jahren sei schon allein aufgrund des zeitlichen Abstands
im Zusammenhang mit der weiteren exilpolitischen Zurückhaltung der Klägerin und
ihres Ehemannes eine erneute Gefährdung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
auszuschließen. Mangels Referenzfällen sei auch unter dem Gesichtspunkt der
„Sippenhaft“ bezüglich ihres Ehemannes eine erneute Gefährdung bei der
Rückkehr auszuschließen. Ebenso sei ihre strafrechtliche Belangung wegen der
damaligen Aktivitäten auszuschließen. Sofern ein strafrechtliches Verfahren
stattgefunden habe, wofür es aber keine Anhaltspunkte gebe, wäre die
Verfolgungsverjährung nach 10 Jahren eingetreten (Art. 112 Satz 1 Nr. 4 TStGB
i.V.m. Art. 169 TStGB). Anderenfalls wären Straftaten aus dem Jahr 1998 bereits
nach 5 Jahren verjährt.
22 Hinsichtlich der Klägerin lägen auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG nicht vor. Soweit der Schutzzweck des § 60 Abs. 1 AufenthG mit
demjenigen von § 51 Abs. 1 AuslG a. F. deckungsgleich sei, könne auf die hierzu
gemachten Ausführungen verwiesen werden. Anhaltspunkte für eine
Verfolgungsgefahr durch nicht-staatliche Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4c
AufenthG, insbesondere durch Anhänger der MHP, seien nicht ersichtlich, zumal
der Ehemann der Klägerin lediglich derartige Behelligungen im Bundesgebiet
erwähnt habe. Eine Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten
nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG sei entbehrlich, da der Widerruf aus Gründen der
Statusbereinigung erfolge und aufenthaltsbeendende Maßnahmen seitens der
zuständigen Ausländerbehörde nicht beabsichtigt seien, weshalb sich auch der
Widerruf des festgestellten subsidiären Schutzes erübrige. Der
Bundesamtesbescheid wurde mit an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin
gerichtetem Einschreibebrief am 26.05.2009 zur Post gegeben.
23 Die Klägerin hat am 27.05.2009 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage
erhoben, mit der sie beantragt,
24 den Bescheid der Beklagten vom 25.05.2009 aufzuheben sowie - hilfsweise -
festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG
vorliegen und ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist.
25 Zur Begründung der Klage hat sie auf ihre Stellungnahme gegenüber dem
Beklagten vom 15.05.2009 verwiesen und unter Bezugnahme auf den Lagebericht
Türkei von amnesty international vom Mai 2009 wie folgt ausgeführt: Aus dem
Bericht ergebe sich, dass es etwa seit Mitte 2005 zu einer deutlichen
Verlangsamung der Reformbemühungen in der Türkei gekommen sei und es in
einigen Bereichen sogar Rückschritte gegeben habe. Das Anti-Terror-Gesetz sei
im Juli 2006 verschärft worden. Insbesondere Art. 301 TStGB sei aufrechterhalten
worden. Es gebe auch massive Einschränkungen in der Meinungsfreiheit, wovon
auch Journalisten betroffen seien, welche Verlautbarungen von PKK-Kadern
veröffentlichten. Bereits der Versand einer SMS mit dem Wort „Kurdistan“ falle
unter das Anti-Terror-Gesetz und sei mit einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, zur
Bewährung auf 5 Jahre ausgesetzt, belegt worden. Ein weiteres Problem seien
unfaire Gerichtsverfahren. Nach wie vor sei auch eine Unterdrückung und
Diskriminierung der kurdischen Kultur bzw. Sprache festzustellen. Kurdische
Politiker würden mit Strafverfahren überzogen, wenn sie auf Wahlveranstaltungen
in den kurdischen Gebieten die Menschen auf Kurdisch ansprächen. Es gebe
immer wieder Prozesse gegen kurdische Lokalpolitiker. Amnesty international
kritisiere auch die nach wie vor praktizierte Folter und unverhältnismäßige
Polizeihaft. Nach Angaben der türkischen Menschenrechtsvereine hätten sich
Fälle von Folter und Misshandlung in den ersten 6 Monaten des Jahres 2008 im
Südosten der Türkei mit 434 Fällen mehr als verdoppelt. Nach offiziellen Angaben
des türkischen Justizministeriums hätten in den Jahren 2006 und 2007 4.719
türkische Bürger wegen Misshandlung und Folter durch Sicherheitsbeamte Klagen
eingereicht. Es werde darüber berichtet, dass Personen, denen etwa die PKK-
Mitgliedschaft vorgeworfen werde oder von denen vermutet werde, dass sie über
für die Polizei wichtige Informationen verfügten, verhört und auch gefoltert werden,
bevor die Festnahme offiziell registriert werde. Auch in den Gefängnissen hätten
nach dem Bericht Folter und Misshandlungen in letzter Zeit wieder zugenommen.
Nach wie vor bestehe auch eine Praxis der Sicherheitskräfte, verdächtige
Personen außerhalb offizieller Haftorte zu misshandeln und zu foltern, der IHD
habe für das Jahr 2008 264 solcher Fälle registriert. Die demnach nach wie vor
bestehende Gefahr der Folter und Misshandlung für PKK-Mitglieder bzw. -
Verdächtige betreffe die Klägerin ganz konkret. Auch die wohl überwiegende
Rechtsprechung gehe nach wie vor davon aus, dass sich in der Türkei die
maßgeblichen Umstände, welche zu einer Feststellung der Flüchtlingseigenschaft
der Klägerin geführt hätten, nicht grundlegend geändert hätten. Von einem Wegfall
der Umstände, aus denen der Klägerin seinerzeit politische Verfolgung gedroht
habe, könne demnach nicht ausgegangen werden. Auf das Urteil des
Europäischen Gerichtshofs vom 02.03.2010 in den verbundenen Rechtssachen C-
175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08 (Abdulla) werde Bezug genommen. Die
relevanten Umstände, die zu der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft der
Klägerin geführt hätten, hätten sich nicht erheblich, und wenn doch, dann lediglich
vorübergehend, verändert. Der türkische Staat sei auch keineswegs willens und in
der Lage, über die Reform verschiedener Gesetze hinaus den in der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 geforderten Schutz für vormals politisch
Verfolgte nunmehr im erforderlichen Umfang tatsächlich zu gewährleisten.
26 Die Beklagte hat beantragt,
27 die Klage abzuweisen.
28 Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, der unverfolgt aus der Türkei
ausgereisten Klägerin sei nur deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 51 AuslG a.
F. zuerkannt worden, weil ihr Ehemann wegen eines regierungskritischen Artikels
in einer deutschen Zeitung und der Bekanntschaft zu einem PKK-Funktionär
entsprechend verdächtigt worden sei. Vor dem Hintergrund der damaligen
Menschenrechtslage, wie sie sich etwa aus dem Lagebericht des Auswärtigen
Amtes vom 20.03.2002 ergeben habe, habe dies zu der Feststellung eines
Abschiebungsverbots geführt. Die damalige Menschenrechtssituation habe sich
zwischenzeitlich aber erheblich und nachhaltig verbessert (wird ausgeführt). Hieran
gemessen habe sich die Klägerin bei einer Rückkehr zwar gegebenenfalls einer
Vernehmung zu unterziehen. Die Gefahr einer menschenrechtswidrigen
Behandlung hierbei sei aber ausgeschlossen. Die Klägerin könne sich zudem um
einen Rechtsanwalt bemühen, der sie zur Vernehmung begleiten könne. Nach der
Vernehmung dürfte sie nach Auskunft des Auswärtigen Amtes auf freien Fuß
gesetzt werden. Es bestehe angesichts dessen keine beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung bei einer Rückkehr der Klägerin. Die
Gesamtschau der dargelegten Umstände lasse vielmehr den Schluss zu, dass
eine politische Verfolgung der Klägerin bei ihrer Rückkehr in die Türkei mit
hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Die Klägerin könne es
daher nicht mehr ablehnen, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen,
dessen Staatsangehörigkeit sie besitze.
29 Mit Urteil vom 28.04.2011 - A 8 K 1196/09 - hat das Verwaltungsgericht
Sigmaringen den Bescheid der Beklagten vom 25.05.2009 aufgehoben. Zur
Begründung hat es ausgeführt, es könne offenbleiben, ob im vorliegenden Fall die
Voraussetzungen für einen Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG vorlägen. Denn das Bundesamt habe es
versäumt, bei seiner Entscheidung hierüber gemäß § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG
Ermessen auszuüben. An sich hätte das Bundesamt in Anwendung von § 73 Abs.
7 AsylVfG die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum
31.12.2008 vornehmen müssen. Ein Widerrufsverfahren sei zwar bereits am
22.09.2008 eingeleitet worden, indes sei die Klägerin erstmals mit Schreiben vom
06.04.2009 zu dem beabsichtigten Widerruf angehört worden, ohne dass für diese
nicht unerhebliche Verzögerung ein zureichender Grund vorgelegen hätte. Auch
unter Zubilligung eines angemessenen Prüfungszeitraums könne eine Einhaltung
der Frist des § 73 Abs. 7 AsylVfG daher nicht angenommen werden, zumal die
Klägerin neue oder andersartige Verfolgungsgründe nicht geltend gemacht habe.
Die nicht fristgerechte Entscheidung des Bundesamtes stehe einer Entscheidung,
dass die frühere Entscheidung nicht widerrufen werde, gleich, so dass ein Widerruf
nur noch im Ermessenswege gemäß § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG hätte erfolgen
können. Ermessenserwägungen habe die Beklagte im streitigen
Widerrufsbescheid indes nicht angestellt, weshalb dieser rechtswidrig und
aufzuheben sei. Das Urteil ist der Beklagten am 29.06.2011 zugestellt worden.
30 Das hierauf seitens der Beklagten am 22.07.2011 anhängig gemachte
Antragsverfahren auf Zulassung der Berufung ist mit Senatsbeschluss vom
28.12.2011 für beruhend erklärt und durch die Beklagte mit Schriftsatz vom
02.08.2012 wieder angerufen worden.
31 Mit Beschluss vom 13.03.2013 - A 12 S 1617/12 - hat der Senat sodann die
Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.
32 Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte vor, der ausgesprochene Widerruf
weise keine durchgreifenden formellen Mängel auf. Insbesondere lasse sich aus
den in § 73 Abs. 2a und Abs. 7 AsylVfG geregelten Überprüfungsfristen nichts zu
Gunsten der von der Klägerin begehrten Aufhebung des Widerrufsbescheids
herleiten, was zwischenzeitlich durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 05.06.2012 - 10 C 4.11 - bestätigt worden sei.
33 Ein aus § 26 Abs. 4 AsylVfG abzuleitender Anspruch der Klägerin auf
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheide aus, nachdem ihrem Ehemann
dieser Status zwar zuerkannt worden sei, diese Zuerkennung jedoch ebenfalls mit
Bescheid vom 25.05.2009 widerrufen und die hiergegen erhobene Klage des
Ehemannes der Klägerin zurückgenommen worden sei.
34 Die für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus maßgeblichen Umstände hätten
sich zwischenzeitlich derart grundlegend und dauerhaft geändert, dass die
Voraussetzungen für eine Anspruchsbejahung entfallen seien. Bei der Prüfung
eines Anspruchs auf Flüchtlingsanerkennung hätten die früher richterrechtlich
entwickelten Grundsätze zu unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben
nunmehr keine Bedeutung mehr. Insoweit gelte einheitlich der notwendige Grad
der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; bei einer - hier nicht vorliegenden -
Vorverfolgung sei das bisherige Konzept durch die tatsächliche Vermutung der
Verfolgungs- bzw. Eingriffswiederholung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie
2004/83/EG ersetzt worden. Bereits bis 2008 hätten sich die Verhältnisse in der
Türkei derart verändert und gefestigt, dass selbst bei im Einzelfall in der Türkei
erlittener Verhaftung und Misshandlung zwar im Sinne von Art. 4 Satz 4 der
Richtlinie 2004/83/EG die Vermutungswirkung zu beachten sei, wonach auch bei
Rückkehr in die Türkei die konkrete Gefahr der Verhaftung und Misshandlung
bestehe. Schon damals habe jedoch obergerichtlich Bestätigung gefunden, dass
diese Vermutung inzwischen durch stichhaltige Gründe widerlegt sei, wenn die zur
Ausreise führenden Vorfälle länger zurücklägen, der Rückkehrer vor Ausreise nicht
wegen seiner Aktivitäten strafrechtlich verurteilt oder - etwa mittels Haftbefehl -
gesucht worden sei und auch nicht anderweitig anzunehmen sei, dass gegen ihn
als Aktivisten oder Unterstützer heute noch ermittelt werde. Beruhe, wie im
vorliegenden Fall, die Statuszuerkennung ausschließlich auf Nachfluchtgründen,
gelte für den Widerruf - spiegelbildlich zur Anerkennung - allein der Maßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die Anerkennungsvoraussetzungen entfielen
bereits dann, wenn die der Zuerkennung zugrundeliegende Verfolgung nicht mehr
mit dem allgemeinen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohe. Davon
sei vorliegend auszugehen. Nach der zwischenzeitlichen Quellenlage
begründeten namentlich exilpolitische Betätigungen im Bundesgebiet für türkische
Staatsangehörige ein beachtliches Risiko im Allgemeinen nur, wenn sich der
Betreffende politisch exponiert habe, seine Betätigung sich also deutlich von
derjenigen der breiten Masse abhebe. Zwar möge je nach dem Grad der
Unterstützung linksorientierter bzw. separatistischer Organisationen im Fall einer
Rückkehr in die Türkei mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen sein. Für andere
Personen gelte dies aber grundsätzlich nicht, selbst wenn sie vorverfolgt
ausgereist und gegen enge Familienangehörige Verfolgungsmaßnahmen geführt
worden seien. Eine Gefährdung wegen Sippenhaft sei wegen der Annäherung der
Türkei an die EU nicht mehr feststellbar. Es sei zwar möglich, dass der Rückkehrer
verhört werde, wenn ein naher Angehöriger einer auch exponierten Mitgliedschaft
in einer terroristischen Organisation verdächtigt oder gegen diesen ermittelt werde.
Es sei aber nicht wahrscheinlich, dass der Rückkehrer unter relevanten Druck
gesetzt werde, wobei es allerdings zu Belästigungen wie auch Beschimpfungen
des Angehörigen kommen könne. Besonderes für eine einzelfallbezogen anders
zu wertende Lage habe die Klägerin nichts angeführt. Bezeichnenderweise habe
sie sich weder während des Widerrufsverfahrens noch im anschließenden
Klageverfahren auf irgendwelche exilpolitisch bedeutsamen eigenen Aktivitäten
berufen.
35 Dass vorliegend schließlich der nach § 60 Abs. 1 AufenthG erweiterte
Schutzumfang eine andere Beurteilung zur Folge haben könnte, sei nicht
erkennbar.
36 Die Beklagte beantragt,
37 das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. April 2011 - A 8 K
1196/09 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
38 Die Klägerin beantragt,
39 die Berufung zurückzuweisen.
40 Sie macht geltend, insbesondere im Jahr 2011/2012 habe sich die innenpolitische
Situation in der Türkei ganz erheblich im Hinblick auf die staatliche Verfolgung von
angeblichen Unterstützern etwa des Kongra-Gel verschärft. In den letzten zwei
Jahren seien eine Vielzahl von Journalisten sowie von Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälten allein deshalb inhaftiert worden, weil sie einerseits
regierungskritische Berichte über die türkische Sicherheitspolitik veröffentlicht
hätten, andererseits, weil sie im Rahmen ihrer anwaltlichen Verteidigertätigkeit der
Kongra-Gel-Unterstützung Verdächtige vor den zuständigen Gerichten in der
Türkei verteidigt hätten. Darüber hinaus gebe es eine Vielzahl von Fällen, in denen
legale politische Tätigkeiten mit regierungskritischen Inhalten als
Staatsschutzdelikte bewertet worden seien und zur Inhaftierung geführt hätten.
41 Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört.
Ihre Angaben lassen sich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung
entnehmen.
42 Dem Senat liegen die einschlägigen Behörden- und Gerichtsakten vor. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten und die im Verfahren vor dem
Verwaltungsgerichtshof gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
43 Die Berufung der Beklagten ist statthaft und auch ansonsten zulässig; sie ist
insbesondere fristgerecht begründet worden. Die Berufung ist auch begründet.
44 Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom
25.05.2009 zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist zwar zulässig, jedoch nicht
begründet. Die Klägerin kann nicht die Aufhebung des Widerrufs der mit Bescheid
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.12.1999 getroffenen
Feststellung verlangen, dass für sie die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
a.F. vorliegen (vgl. nachfolgend unter 1.). Ihr kommt auch nicht der hilfsweise
geltend gemachte Anspruch auf Feststellung zu, dass in ihrer Person die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegeben sind (vgl. unter 2.).
45 1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25.05.2009
ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO). Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und
Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der
Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F.
sowohl in formeller (vgl. unten zu a)) als auch in materieller Hinsicht (vgl. zu b))
gegeben.
46 a) Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft bzw. der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs.1 AuslG a.F. gegeben sind, hatte bei Entscheidungen über Asylanträge, die
vor dem 01.01.2005 unanfechtbar geworden sind, spätestens bis zum 31.12.2008
zu erfolgen (§ 73 Abs. 2a, Abs. 7 AsylVfG). Ist nach einer entsprechenden Prüfung
(und der Entscheidung hierüber) ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt,
steht eine etwaige spätere Entscheidung im Ermessen des Bundesamtes, es sei
denn, der Widerruf oder die Rücknahme erfolgt, weil die Voraussetzungen des §
60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen.
47 Mit diesen Vorgaben steht die mit dem angegriffenen Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 28.04.2011 - A 8 K 1196/09 - vertretene Auffassung nicht
in Einklang, wonach es das Bundesamt versäumt habe, bei dem Erlass seines
Bescheids vom 25.05.2009 Ermessen auszuüben, was zur Aufhebung der
Entscheidung führe.
48 Zwar hätte das Bundesamt in der Tat in Anwendung von § 73 Abs. 7 AsylVfG die
Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31.12.2008
vornehmen müssen, was in dem vorliegenden Fall ersichtlich nicht geschehen ist.
Denn die Verpflichtung, die Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen innerhalb
der vom Gesetzgeber gesetzten Frist zu prüfen, umfasst nicht etwa nur eine erste
Vorprüfung, ob ein Verfahren eingeleitet wird. Vielmehr muss mit Blick auf die
Absicht des Gesetzgebers, die asylverfahrensrechtlichen Vorschriften über
Widerruf und Rücknahme in der Praxis durch Einführung einer Überprüfungspflicht
von Amts wegen an Bedeutung gewinnen zu lassen (BTDrucks. 15/420 S. 107,
112), die Prüfung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen innerhalb der
gesetzlichen Frist auch tatsächlich abgeschlossen werden. Die Prüfung ist nach
Sinn und Zweck der auf eine Effektivierung zielenden Regelung aber erst mit einer
Negativmitteilung gemäß § 73 Abs. 2a Satz 2 AsylVfG an die Ausländerbehörde
oder dem Erlass eines Widerrufsbescheids beendet (BVerwG, Urteil vom
05.06.2012 - 10 C 4.11 -, NVwZ 2012, 1193).
49 Die danach nicht fristgerechte Entscheidung des Bundesamtes steht indes dem
Erlass einer Entscheidung außerhalb der Prüfungsfrist nicht entgegen.
50 Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.06.2012 (a.a.O.), dem
der Senat folgt, ist die Verpflichtung, die Widerrufs- und
Rücknahmevoraussetzungen gerade auch innerhalb des gesetzlich
vorgegebenen Zeitraums zu prüfen, insoweit dem Bundesamt ausschließlich im
öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Entscheidung über den Fortbestand der
Asylberechtigung bzw. des Flüchtlingsstatus auferlegt und schließt ein Verstoß
gegen diesen Prüfungsauftrag einen Widerruf nicht aus. Das ergibt sich aus den
Materialien des Zuwanderungsgesetzes, in denen die obligatorische Überprüfung
der Widerrufs- oder Rücknahmevoraussetzungen durch das Bundesamt als
Maßnahme zur Beschleunigung des Asylverfahrens bezeichnet wird (BTDrucks.
15/420 S. 107). Der Gesetzgeber wollte damit erreichen, dass die Vorschriften über
den Widerruf und die Rücknahme an Bedeutung gewinnen (BTDrucks. 15/420 S.
112). Die Effektivierung der Rechtsgrundlagen für die Aufhebung der Asyl- bzw.
Flüchtlingsanerkennung dient jedoch - wie auch das Gebot der Unverzüglichkeit
nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - nicht den Interessen der Statusinhaber (s.a.
Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2008, B 2 § 73 AsylVfG Rn. 93;
Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 73 AsylVfG Rn. 29).
51 Die Versäumung der in § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG geregelten
Prüfungsfrist hat auch nicht zur Folge, dass der gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG
gebundene Widerruf in eine Ermessensentscheidung umschlägt. Denn § 73 Abs.
2a Satz 4 AsylVfG knüpft den Übergang zu einer Ermessensentscheidung nicht an
den bloßen Zeitablauf von drei Jahren, sondern verlangt dafür eine vorherige
sachliche Prüfung und Verneinung der Widerrufs- oder
Rücknahmevoraussetzungen seitens des Bundesamtes durch eine formalisierte
Negativentscheidung (BVerwG, Urteil vom 20.03.2007 - 1 C 21. 04 -, BVerwGE
124, 277, Urteil vom 25.11.2008 - 10 C 53.07 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr.
31, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22). Erst nach negativem
Abschluss der von Amts wegen gebotenen Widerrufs- und Rücknahmeprüfung
steht in einem späteren Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren die
Aufhebungsentscheidung im Ermessen des Bundesamtes, wenn nicht die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen
(BVerwG, Urteil vom 05.06.2012, a.a.O.).
52 Eine Aufhebung der streitgegenständlichen Widerrufsentscheidung des
Bundesamtes hat danach entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht
aus dem Grund zu erfolgen, dass in dem vorliegenden Fall die zu Lasten der
Klägerin ergangene Entscheidung erst nach dem Ablauf der Prüfungsfrist des § 73
Abs. 7 AsylVfG ergangen ist.
53 b) Die angegriffene Widerrufsentscheidung stellt sich auch in materiellrechtlicher
Hinsicht als rechtmäßig dar.
54 aa) Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73
AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts-
und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08. 2007 (BGBl. I
S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28.08.2007 geltenden Fassung
(Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 02.09.2008,
BGBl. I S. 1798, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258).
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und
die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die
Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß Satz 2 der Vorschrift
insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen
kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt.
55 Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art.
11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004
über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die
anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu
gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie, ABl EU Nr. L 304 vom
30.09.2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 05.08.2005 S. 24) über das
Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung
begründenden Umstände umgesetzt. Die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs.
1 Satz 1 und 2 AsylVfG sind daher unionsrechtskonform im Sinne der
entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an
Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren.
56 Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG ist ein
Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände,
aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen
kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben
die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zu untersuchen, ob die
Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die
Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen
werden kann. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung
dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings,
gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und
alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in
jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist
oder es nie gewesen ist.
57 Die unionsrechtlichen Vorgaben für ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach
Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG hat der Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 02.03.2010 (Rs. C-​175/08 u.a.,
Abdulla u.a. -, NVwZ 2010, 505) weiter konkretisiert. Eine erhebliche Veränderung
der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt danach voraus, dass
sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich
geändert haben. Des Weiteren muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die
die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur
Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden
können (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, a.a.O., Rn. 72 ff.; zur Erheblichkeit und
Dauerhaftigkeit vgl. auch BVerwG, Urteil vom 01.06.2011, a.a.O., m.w.N.).
58 Veränderungen im Heimatland sind nur dann hinreichend erheblich und dauerhaft,
wenn sie dazu führen, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger
als begründet angesehen werden kann. Die Prüfung einer derartigen Änderung
der Verhältnisse im Herkunftsland ist mithin untrennbar mit einer individuellen
Verfolgungsprognose verbunden. Diese hat nach Umsetzung der Richtlinie
2004/83/EG anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu
erfolgen. Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das
Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft kann seit Umsetzung der in Art. 11 und 14
Abs. 2 dieser Richtlinie enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der früheren,
unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht mehr festgehalten werden. Der
Richtlinie 2004/83/EG ist ein solches materiellrechtliches Konzept
unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose
fremd. Sie verfolgt vielmehr unter Zugrundelegung eines einheitlichen
Prognosemaßstabs für die Begründung und das Erlöschen der
Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der
tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 und der Nachweispflicht der
Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie zum Ausdruck kommt.
Demzufolge gilt beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein
einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "...
aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2c der Richtlinie enthaltene
Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des
Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem
Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Aus der konstruktiven
Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche
Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9
i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich auch das
Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft danach bestimmt, ob noch eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010,
a.a.O., Rn. 84 ff., 98 f.; BVerwG, Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7.11-, Buchholz
402.25 § 73 AsylVfG Nr. 43).
59 Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann anzunehmen, wenn
bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung
gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein
größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden
Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht letztlich der
Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines
besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des
Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann aber eine Rückkehr in
den Heimatstaat auch dann sein, wenn auch nur ein mathematischer
Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung
gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit
einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer
Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die reale
Möglichkeit einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das
Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, Urteil
vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162).
60 Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde
liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur
vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die
Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründen und zur
Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden
können (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, a.a.O., Rn. 72 ff.). Für den nach Art. 14
Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person
nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt
kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche
dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der
tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der
Umstände als stabil erweist, d. h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden
Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Eine Veränderung kann in der Regel nur dann
als dauerhaft angesehen werden, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein
sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden
ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde
liegende Verfolgung zu verhindern (BVerwG, Urteil vom 24.02.2011 - 10 C 3.11 -,
BVerwGE 139, 109). Denn der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur
gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz
geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. So wie die
Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine
"qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller
festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig
denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt
unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit
dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt (BVerwG, Urteil vom
05.11.1991, a.a.O.), gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer
das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der
Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können. Sind - wie
hier - Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die
zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, sind an deren
Dauerhaftigkeit ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet,
dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und
Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und
der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der
Europäischen Union gehören (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, a.a.O., Rn. 90). Eine
Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit
kann indes nicht verlangt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011, a.a.O.).
61 Die Rechtskraft des zur Flüchtlingsanerkennung der Klägerin verpflichtenden
verwaltungsgerichtlichen Urteils aus dem Jahr 1999 steht einer
Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegen, wenn sich die
zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich
entscheidungserheblich verändert hat (sog. zeitliche Grenze der Rechtskraft,; vgl.
BVerwG, Urteil vom 18.09.2001 - 1 C 7.01 -, BVerwGE 115, 118 m.w.N.). Nach §
121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre
Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist.
Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im
Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht
befugt, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu
erlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011, a.a.O.). Die Behörde ist aber bei
einer entscheidungserheblichen Änderung des für die Flüchtlingsanerkennung
maßgeblichen Sachverhalts nicht gehindert, einen Verwaltungsakt mit Wirkung für
die Zukunft zu widerrufen, den sie in Erfüllung ihrer Verpflichtung aus einem
rechtskräftigen Verpflichtungsurteil erlassen hat. Das ist im Asylrecht dann der Fall,
wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die
Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich
von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter
Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute
Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist
(BVerwG, Urteil vom 18.09.2001, a.a.O.).
62 Die Rechtskraftwirkung besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das
rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage
erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat (BVerwG, Urteil vom 18.09.2001,
a.a.O.). Allerdings entfalten fehlerhafte Urteile keine weitergehende
Rechtskraftwirkung als fehlerfreie Urteile. Eine Lösung von der Rechtskraftwirkung
eines Urteils, das das Bundesamt zur Anerkennung als Asylberechtigter und
Flüchtling verpflichtet hat, ist vielmehr immer dann möglich, wenn sich die zum
Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage
nachträglich entscheidungserheblich verändert hat, unabhängig davon, ob das zur
Anerkennung verpflichtende Urteil richtig oder fehlerhaft war.
63 Die Voraussetzungen für eine Beendigung der Rechtskraftwirkung entsprechen
damit weitgehend denen, die für den Widerruf einer Anerkennungsentscheidung
nach § 73 Abs. 1 AsylVfG gelten. Denn auch § 73 Abs. 1 AsylVfG setzt eine
wesentliche Änderung der für die Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse
voraus. Für den Widerruf einer Behördenentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG
hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass es unerheblich ist, ob
die Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom
19.09.2000 - 9 C 12.00 -, BVerwGE 112, 80). Der Anwendung des § 73 Abs. 1
Satz 1 AsylVfG auf rechtswidrige Verwaltungsakte steht danach auch nicht
entgegen, dass die Voraussetzungen einer zu Unrecht erfolgten Asylanerkennung
oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Nachhinein scheinbar nicht
entfallen sein können, da sie begriffsnotwendig von Anfang an nicht vorlagen.
Diese Sicht verstellt den Blick für den eigenständigen, nicht an die Rechtswidrigkeit
des Ausgangsbescheids, sondern an die nachträgliche Veränderung der
politischen Verhältnisse im Verfolgerland anknüpfenden Regelungszweck der
Widerrufsbestimmung. Dies gilt erst recht für den Widerruf der auf einem
Verpflichtungsurteil beruhenden Anerkennung, von deren Rechtmäßigkeit wegen
der Rechtskraft des Urteils auch im Rahmen der Widerrufsprüfung auszugehen ist
(vgl. BVerwG, Urteil vom 22.11.2011 - 10 C 29.10 -, NVwZ 2012, 1042, Urteil vom
01.03.2012 - 10 C 8.11 -, AuAS 2012, 153).
64 bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen lässt sich für die Klägerin aus heutiger
Sicht aufgrund in der Türkei seit dem Jahr 1999 eingetretener veränderter
Verhältnisse (vgl. nachfolgend unter aaa)) sowie aufgrund der seither
verstrichenen Zeit und des individuellen Vorbringens der Klägerin (vgl. unter bbb))
nicht (mehr) mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit feststellen,
dass diese bei einer unterstellten nunmehrigen Rückkehr in die Türkei von nach §
51 Abs. 1 AuslG a.F. relevanten Verfolgungsmaßnahmen betroffen werden wird,
was letztlich auch die Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils des
Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 09.08.1999 rechtfertigt.
65 Der insoweit anzustellenden Prognose ist die seitens des Senats nicht zu
beanstandende Einschätzung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen aus dem
Jahr 1999 zu Grunde zu legen, wonach die Klägerin und ihr Ehemann seinerzeit in
Deutschland als aktive Unterstützer der PKK aufgefallen seien. Damit seien - so
das Verwaltungsgericht - neben der Veröffentlichung des Artikels im
Schwäbischen Tagblatt weitere Verdachtsmomente für die türkischen
Sicherheitsbehörden hinzugetreten, die in ihrer Gesamtheit nahelegten, dass der
Ehemann der Klägerin selbst bei den türkischen Sicherheitskräften in dem
dringenden Verdacht gestanden habe, wenn nicht Mitglied, so doch Unterstützer
der PKK oder doch - ebenfalls wie die Klägerin selbst - zumindest lohnenswerte
Quelle möglicher Informationen über die PKK zu gewesen zu sein. Aus diesen
Gründen spreche eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin und
ihr Ehemann bei einer Rückkehr in die Türkei (im Jahr 1999) zumindest Polizeihaft
oder aber gar ein Strafverfahren wegen Unterstützung einer bewaffneten Bande zu
erwarten gehabt hätten. Im Rahmen der Polizeihaft bzw. einer längeren
Untersuchungshaft sei sodann ernstlich zu befürchten gewesen, dass sie in
asylrelevanter Weise misshandelt werden würden, um etwa auch von ihnen
Informationen über die Organisationsstrukturen der PKK in Deutschland bzw. über
die ihnen bekannten Aktivisten sowie über ihr eigenes Tun zu erlangen. Folter
während eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens, die sich gerade auch gegen die
(vermutete) politische Einstellung des Betroffenen richte, sei ein weit verbreitetes
Phänomen, das trotz gegenteiliger völkerrechtlicher Verpflichtungen und
Erklärungen in der Türkei - zu dem seinerzeit für die Beurteilung der Sach- und
Rechtlage maßgeblichen Zeitpunkt - hingenommen werde.
66 aaa) Relevant ist vor diesem Hintergrund zunächst, ob sich die Verhältnisse in der
Türkei seither derart nachhaltig und stabil geändert haben, dass seitens des
türkischen Staates entsprechende Maßnahmen „asylrelevanter Weise“ bei einer
unterstellten jetzigen Rückkehr der Klägerin in die Türkei nicht mehr mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom
01.03.2012, a.a.O.). Insbesondere ist daher von Bedeutung, ob es in der Türkei
gerade im Polizei- und Justizbereich zu einer hinreichend erheblichen und
dauerhaften Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie
2003/83/EG gekommen ist, weil sich eine signifikant und entscheidungserheblich
veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben hat, so dass für die
Klägerin keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht, sie
insbesondere nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat, bei
einer Rückkehr in die Türkei - etwa um sie als „Informationsquelle“ abzuschöpfen -
in Polizeihaft bzw. Untersuchungshaft zu geraten und dort der Folter oder einer
unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
67 Die Veränderung der Verhältnisse muss danach kausal für den Wegfall der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung sein (vgl. auch VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11-, juris ), wobei das
Erfordernis der Veränderung der Verhältnisse in Widerrufsfällen gerade auch
deshalb einer gesonderten Prüfung bedarf, um eine unzulässige Neubewertung
der Gefährdungslage auf ein und derselben Tatsachengrundlage zu vermeiden.
68 Auf der Grundlage sämtlicher von den Beteiligten im behördlichen und
gerichtlichen Verfahren angesprochenen Erkenntnisquellen sowie der zusätzlich
seitens des Senats in das Verfahren eingeführten Materialien einschließlich des
dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der Sitzung vom 27.08.2013
übergebenen, am 19.01.2013 dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht
erstatteten Gutachtens des Kamil Taylan ergibt sich für den Senat das folgende
Bild:
69 Die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland Türkei haben sich seit der
aufgrund des Verpflichtungsurteils vom 09.08.1999 erfolgten Feststellung der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. durch den Bescheid des
Bundesamtes vom 30.12.1999 geändert. Seit der Flüchtlingsanerkennung der
Klägerin haben sich insbesondere die Rechtslage und die
Menschenrechtssituation in der Türkei - nicht zuletzt mit Blick auf den angestrebten
EU-​Beitritt des Landes - deutlich zum Positiven gewandelt, so dass jedenfalls im
konkreten Fall der Klägerin keine beachtliche Gefahr von politischer Verfolgung für
den Fall ihrer nunmehrigen Rückkehr in die Türkei mehr besteht.
70 Die vergangenen Jahre waren in der Türkei durch einen tiefgreifenden
Reformprozess gekennzeichnet, der wesentliche Teile der Rechtsordnung betraf
(vgl. Auswärtiges Amt - AA -, Lageberichte Türkei vom 08.04.2011 und
26.08.2012). Zwischen 2002 und 2005 wurden insgesamt acht Reformpakete zur
Änderung der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze
verabschiedet (vgl. amnesty international -ai -, Länderbericht Türkei vom
Dezember 2010 und Report 2011 Türkei). Abgesehen von der Beendigung des
Notstandsregimes, in dessen Folge die Verfahrensgarantien gegenüber den
Sicherheitsbehörden in den hiervon betroffenen Gegenden massiv eingeschränkt
waren, sind dabei insbesondere die gesetzlichen Schutzmaßnahmen wie die
Regeln über die Verstärkung der Verteidigerrechte, der Zugang zu einem
Rechtsbeistand, die zeitlichen Vorgaben bis zur obligatorischen Vorführung eines
Festgenommenen vor ein Gericht, die Regeln über die ärztliche Untersuchung
eines Festgenommenen und die Straferhöhung für Foltertäter zu nennen (vgl. EU-
Kommission, Turkey Progress Report vom 10.10.2012; AA, Lageberichte Türkei
vom 08.04.2011 und 26.08.2012). Zu dem Reformpaket gehören auch die
Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung der
Meinungsfreiheit. Die türkische Regierung hat zudem wiederholt betont, dass sie
gegenüber Folter eine „Null-​Toleranz“-​Politik verfolge. So unterstreicht das
Auswärtige Amt die von der türkischen Regierung zur Unterbindung von Folter und
Misshandlungen eingesetzten gesetzgeberischen Mittel, etwa eine Erhöhung der
Strafandrohung gemäß Art. 94 ff. TStGB, direkte Anklagen ohne Einverständnis
von Vorgesetzten des der Folter Verdächtigten, Durchsetzung ärztlicher
Untersuchungen bei polizeilicher Ingewahrsamnahme sowie Stärkung von
Verteidigerrechten und Kameras bei Verhören in Ermittlungs- und Strafverfahren
(vgl. AA, Lageberichte Türkei vom 08.04.2011 und 26.08.2012). Die AKP-
Regierung hat alle gesetzgeberischen Mittel eingesetzt, um Folter und
Misshandlungen im Rahmen einer „Null-​Toleranz-​Politik“ zu unterbinden. Nach
belastbaren Informationen von Menschenrechtsorganisationen hat sich auch die
Situation hinsichtlich der Folter in Gefängnissen in den letzten Jahren erheblich
gebessert. Runderlasse schreiben vor, dass Staatsanwaltschaften Folterstraftaten
vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen haben. Ein im Januar 2012
vorgestelltes 3. Justizreformpaket fokussiert auf die Beschleunigung von Verfahren
und die Verkürzung der Untersuchungshaft, sieht aber auch weitere
Verbesserungen der Meinungsfreiheit vor (AA, Lagebericht Türkei vom
26.08.2012).
71 Auch das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert.
Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist zurückgegangen. Im Jahr
2010 fand ein Verfassungsreferendum statt, das weitere Fortschritte vorsah.
Insbesondere wurde eine Individualbeschwerdemöglichkeit vor dem
Verfassungsgericht eingeführt. Das Verfassungsgericht wurde zudem mit der
Gerichtsbarkeit auch gegenüber den Oberbefehlshabern des Militärs, welche
bislang vor den Zivilgerichten fehlte, betraut (vgl. AA, Lageberichte Türkei vom
08.04.2011 und 26.08.2012; Taylan an OVG Bautzen vom 19.01.2013). Seit 2010
hat die Regierung auf der Grundlage des erfolgreichen Verfassungsreferendums
substanzielle Reformen insbesondere im Bereich der Gewerkschaftsrechte, der
Gleichstellung und des Datenschutzes verwirklicht (AA, Lagebericht Türkei vom
26.08.2012).
72 Auch hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten
der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen galt, wurde mit
der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und
Sirnak im November 2002 beendet. Ein Teil der abgewanderten oder infolge der
militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der PKK zwangsevakuierten
Bevölkerung hat danach begonnen, in die Heimat zurückzukehren (vgl. AA,
Lagebericht Türkei vom 11.01.2007). Die türkische Regierung hat erkannt, dass
die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln überwunden werden
können. So wurden außer der geplanten wirtschaftlichen Aufbauhilfe für die
strukturschwachen Gebiete im Südosten im Rahmen des Programms zur
„Demokratischen Öffnung“ der kurdischen Bevölkerung kulturelle Rechte in Bezug
auf die kurdische Sprache eingeräumt, wie Fernsehsendungen auf Kurdisch und
Lehr- und Studienangebote für die kurdische Sprache (vgl. AA, Lageberichte
Türkei vom 08.04.2011 und 26.08.2012).
73 Trotz allem wird übereinstimmend auch noch nach wie vor von bestimmten
Defiziten, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs-
und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die
Sicherheitsbehörden berichtet. Der türkischen Regierung ist es bislang noch nicht
vollständig gelungen, Folter und Misshandlung zu unterbinden. Vor allem beim
Auflösen von Demonstrationen kam es bis in jüngste Zeit zu übermäßiger
Gewaltanwendung. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die im Falle einer
Festnahme vorgesehenen gesetzlichen Schutzinstrumentarien zuweilen
unbeachtet bleiben. Auch die Ahndung von Misshandlung und Folter ist noch nicht
vollständig zufriedenstellend (vgl. AA, Lageberichte vom 08.04.2011 und
26.08.2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH - vom 09.10.2008, Türkei,
Aktuelle Entwicklungen; EU-Kommission, Turkey Progress Report vom
10.10.2012; ai, Länderbericht Türkei vom Dezember 2010). So berichtet etwa das
Auswärtige Amt, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und
Pressefreiheit, welche verfassungsrechtlich garantiert seien, nach wie vor aufgrund
verschiedener, teils unklarer Rechtsbestimmungen Einschränkungen unterlägen.
Ehemalige Tabuthemen, etwa die Kurdenfrage betreffend, könnten jedoch
mittlerweile offener diskutiert werden. Auch lägen weiterhin Hinweise vor, dass die
verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz
sowie die rechtsstaatlichen Garantien im Strafverfahren nicht immer konsequent
eingehalten würden (vgl. AA, Lagebericht Türkei vom 08.04.2011 und 26.08.2012).
74 Dies gilt trotz des Umstands, dass die Türkei Mitglied des Übereinkommens der
Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung oder Strafe und der Europäischen
Menschenrechtskonvention ist. Entsprechend ist Folter in der Türkei verboten.
Gemäß der Türkischen Gesellschaft für Menschenrechte wurden im Jahr 2009
1.094 Fälle von Folter, Misshandlung und unmenschlicher Behandlung durch
staatliche Sicherheitskräfte gemeldet. Im Vergleich zu 2008 (1.047 Fälle) hat sich
die Foltersituation kaum verändert, im Vergleich zu den Jahren 2006 und 2007 ist
nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und anderer Organisationen
und Gutachter allerdings eine Erhöhung der gemeldeten Fälle festzustellen (SFH,
Bericht vom 20.12.2010; ai, Länderbericht Türkei vom Dezember 2010; Oberdiek
an VGH München vom 09.09.2011; vgl. auch SFH, Bericht vom 26. 05.2010; Irmak
an VG München vom 15.10.2012 und an VG Darmstadt vom 24.10.2012). Im Jahr
2010 wurden im Osten und Südosten der Türkei 741 Folterfälle und
Misshandlungen registriert. 2011 stieg diese Zahl auf 1.555. Allein in den ersten
vier Monaten des Jahres 2012 registrierten die Anwaltskammer und die
Menschenrechtsvereinigung 281 Fälle von Folter und Misshandlungen (Taylan
vom 19.01.2013 an OVG Bautzen). Aufgrund zunehmender Kontrollen in den
Gefängnissen werden Personen nun häufiger an unbeobachteten Orten und
außerhalb der Gefängnisse misshandelt (SFH, Bericht vom 20.12.2010). Dabei
gibt es Anzeichen, dass Misshandlungen nicht mehr in den Polizeistationen,
sondern an anderen Orten, u. a. im Freien stattfinden (AA, Lageberichte vom
11.04.2010 und 26.08.2012; EU-Kommission, Turkey Progress Report vom
10.10.2012).
75 Seit 2008 habe sich jedoch die vormals zögerliche Haltung bezüglich der
Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar
verbessert, wenn es auch vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der
Tatsachenfeststellung nur in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen gekommen
sei. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen habe sich die Situation in den letzten
Jahren erheblich verbessert; es würden jedoch weiterhin Einzelfälle zur Anzeige
gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischem
Druck wie Anschreien und Beleidigungen. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei
weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Auch kämen nach wie vor willkürliche
kurzfristige Festnahmen, etwa im Rahmen von Demonstrationen vor, die von
offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen
Organisation gerechtfertigt würden (vgl. AA, Lageberichte Türkei vom 08.04.2011
und 26.08.2012).
76 Auch nach den Angaben von amnesty international gab es in der Türkei seit etwa
2002 verstärkte Bemühungen, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den
Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Seit Mitte 2005 sei
jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in
einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Durchaus vorhandene
Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ebenfalls ins Stocken
geraten. Geprägt seien die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden
auch von den Aktivitäten der PKK, die nicht nur - inzwischen mit reduzierter
Intensität - einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern
auch zumindest in der Vergangenheit vor Bombenanschlägen gegen die
Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt habe. Die Reformpakete, die in den
Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, hätten wichtige Mechanismen
zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Dennoch seien auch danach
noch Folter und Misshandlungen in Polizeihaft, außerhalb offizieller Haftorte und
auch in Gefängnissen zu verzeichnen. Die im Jahre 2010 umgesetzten
Änderungen der Verfassung und des Antiterrorgesetzes seien ein weiterer Schritt
hin zum Schutz der Menschenrechte gewesen. Ermittlungen und Strafverfahren
gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in Folterfällen seien aber noch immer
ineffektiv, wenn auch inzwischen eine vielbeachtete Verurteilung von Polizisten zu
hohen Haftstrafen stattgefunden habe, die den Tod eines Festgenommenen
verursacht hätten. Die Meinungsfreiheit werde in der Türkei noch immer durch
zahlreiche Gesetze und deren sehr weite Auslegung durch die Gerichte
eingeschränkt (vgl. ai, Länderbericht Türkei vom Dezember 2010 sowie Reports
2011 und 2013).
77 Neben demnach immer noch vorkommenden Fällen von Folter und
Misshandlungen ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch die
Kurdenfrage nach wie vor ein Problem der türkischen Innenpolitik. Aus den
neueren Erkenntnissen geht hervor, dass in den kurdisch geprägten Regionen im
Südosten des Landes trotz der von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident
Erdogan im Jahr 2009 initiierten „Demokratischen Öffnung“, die auf eine Lösung
der Probleme des Südostens zielte und politische, wirtschaftliche und
soziokulturelle Maßnahmen beinhaltete, weiterhin Spannungen zu verzeichnen
sind. So wurden etwa in der Provinz Diyarbakir auch in jüngerer Zeit
Versammlungen gewaltsam aufgelöst und von Menschenrechtsorganisationen
kritisch bewertete (Massen-)Prozesse wegen des Verdachts der PKK-​
Unterstützung eingeleitet. Immer noch gibt es Auseinandersetzungen zwischen
der PKK und den türkischen Sicherheitskräften. Allerdings haben diese sich im
Vergleich zu den 1990er Jahren in erheblichem Umfang reduziert und betreffen
auch nicht die gesamte von Kurden bewohnte Region. Insgesamt hat sich die
Härte des Einsatzes der Sicherheitskräfte, die bei ihrem Kampf gegen die PKK in
den 1990er Jahren die Bevölkerung im Südosten erheblich in Mitleidenschaft
gezogen hatten, in den letzten Jahren deutlich verringert (vgl. AA, Lagebericht
Türkei vom 08.04.2011 und 26.08.2012).
78 Was die Einreise in die Türkische Republik betrifft, hat sich hierbei jedermann,
gleich welcher Volkszugehörigkeit, einer Personenkontrolle zu unterziehen. Das
gilt für abgeschobene oder freiwillig dorthin zurückkehrende Asylbewerber
gleichermaßen. Ist eine Person in das Fahndungsregister eingetragen oder ist
gegen sie ein Ermittlungsverfahren anhängig, wird sie in Polizeigewahrsam
genommen; ist ein Strafverfahren anhängig, wird der Betroffene festgenommen
und der Staatsanwaltschaft überstellt. Hierzu wird ein Anwalt hinzugezogen und
eine ärztliche Untersuchung vorgenommen (AA, Lagebericht vom 26.08.2012,
Kaya vom 22.07.2009 an OVG Münster). Außerdem interessieren sich die
Staatssicherheitskräfte besonders für die Kurden, deren Asylgesuche abgelehnt
und die abgeschoben werden (Aydin vom 02.06.2011 an VG Darmstadt).
Abgelehnte kurdische Asylbewerber müssen dabei an der Grenze und
insbesondere auf den Flughäfen in Istanbul und Ankara mit Polizeihaft rechnen,
währenddessen überprüft wird, ob sie sich politisch gegen den türkischen Staat
betätigt haben oder ob sie zumindest Informationen über politische Organisationen
im Ausland geben können. Hierbei haben sie aber, jedenfalls soweit in ihrer
Person keine Besonderheiten vorliegen, nicht mit asylrelevanter Verfolgung zu
rechnen (AA, Lageberichte Türkei vom 08.04.2011 und 26.08.2012). Für
exponierte Mitglieder terroristischer Organisation kann in diesem Zusammenhang
eine Gefahr der Folter bzw. Misshandlung bestehen. Allerdings führt das
Auswärtige Amt aus, dass in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in
dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrter Asylbewerber im
Zusammenhang mit seinen früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden
sei, was auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten
terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer gelte. Diese
Feststellung werde auch von türkischen Menschenrechtsorganisationen sowie von
Auskünften anderer EU-​Staaten und den USA geteilt (AA, Lagebericht vom
26.08.2012). Eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung kann nach alledem
weiterhin bei Personen bestehen, bei denen Besonderheiten vorliegen, etwa weil
sie in das Fahndungsregister eingetragen sind, gegen sie Ermittlungs- ​oder
Strafverfahren anhängig sind, oder die sich in besonders exponierter Weise
exilpolitisch betätigt haben und deshalb in das Visier der türkischen
Sicherheitsbehörden geraten, weil sie als potenzielle Unterstützer etwa der PKK
oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen werden (vgl.
aus der Rechtsprechung zur aktuellen Lage in der Türkei OVG Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06 -, juris; OVG Mecklenburg-
Vorpommern, Urteil vom 21.08.2012 - 3 L 218/08 -, Asylmagazin 2012, 386;
Bayerischer VGH, Urteil vom 27.04.2012 - 9 B 08.30203 - Asylmagazin 2012, 394;
Sächsisches OVG, Urteil vom 22.03.2012 - A 3 A 428/11 -, juris; OVG Schleswig-
Holstein, Urteil vom 01.12.2011 - 4 LB 8 /11 -, juris; OVG Saarland, Urteile vom
25.08.2011 - 3 A 24/10 und 3 A 35/10 - juris; OVG Niedersachsen, Urteil vom
11.08.2010 - 11 LB 405/08 -, AuAS 2010, 236; VG Bremen, Urteil vom 05.08.2013
- 2 K 691/12.A - juris; VG Hamburg, Urteil vom 14.06.2013 - 15 A 9/11 -, juris; VG
Köln, Urteil vom 20.03.2013 - 3 K 944/11.A -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom
22.02.2013 - A 11 K 800/12 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 19.09.2012 - 26 K
977/11.A -, juris; VG Leipzig, Urteil vom 24.05.2012 - A 5 K 88/12 -, juris).
79 Zusammenfassend lässt sich für den Senat festzuhalten, dass in der Türkei seit
der Flüchtlingsanerkennung der Klägerin tiefgreifende Reformen stattgefunden und
die gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen der letzten Jahre im Hinblick
auf die Menschenrechtslage deutliche Veränderungen zum Positiven bewirkt
haben, auch wenn, wie dargelegt, die erreichten Standards in verschiedener
Hinsicht noch nicht gänzlich insbesondere den Vorgaben der EMRK entsprechen.
Der Reformprozess dauert inzwischen aber schon über ein Jahrzehnt an und wird
prinzipiell weitergeführt. Die Türkei strebt nach wie vor eine Mitgliedschaft in der
Europäischen Union an. Der Reformprozess unterliegt insofern einer Kontrolle, als
die Europäische Union turnusgemäß über die erreichten Fortschritte berichtet und
die Fortschrittsberichte veröffentlicht. Von daher sind die seit der
Flüchtlingsanerkennung der Klägerin in der Türkei stattgefundenen
Veränderungen nach der Überzeugung des Senats durchaus als dauerhaft
einzustufen, auch wenn es in Einzelpunkten im Laufe der Jahre auch Rückschritte
gegeben hat.
80 Entsprechende Veränderungen hat auch bereits das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25.05.2009 ausführlich
und zutreffend dargetan, weshalb der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen
nach § 117 Abs. 5 VwGO hierauf verweisen kann.
81 Bezogen auf die individuelle Situation der Klägerin kann nach allem aufgrund der
dargestellten veränderten Umstände in ihrem Heimatland vor allem deswegen
nicht mehr von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit ihrer Verfolgung im Falle
einer Rückkehr in die Türkei ausgegangen werden, weil sie seitens der türkischen
Sicherheitsbehörden - unter Zugrundelegung der vom Verwaltungsgericht
Sigmaringen in seinem Urteil vom 09.08.1999 - A 8 K 11282/97 - dargestellten
Annahmen in tatsächlicher Hinsicht - jedenfalls nicht (mehr) als eine potentielle
Unterstützerin der PKK und auch nicht (mehr) etwa als eine exponierte
exilpolitische Aktivistin angesehen werden dürfte. Wie ausgeführt, müssen heute
nur noch derart qualifizierte Personen in der Türkei befürchten, politischer
Verfolgung ausgesetzt zu werden. Im Gegensatz zu den noch im Jahr 1999 in der
Türkei herrschenden Verhältnissen stehen heute nur noch exponierte
Regimegegner im Fokus des türkischen Staates und damit in der Gefahr, etwa von
einer extralegalen menschenunwürdigen Behandlung betroffen zu werden. Die
Klägerin aber ist bereits bis zum Jahr 1999 nicht durch in irgendeiner Weise
hervorgehobene exilpolitische Aktivitäten in Deutschland aufgefallen. Die von ihr in
Folge der Veröffentlichung eines Artikels im Schwäbischen Tagblatt am
18.04.1998 wohl bezweckte öffentliche Aufmerksamkeit stellte - für sich
genommen - bereits seinerzeit keinen Grund für die Annahme einer Gefährdung in
ihrem Heimatland dar, wie dies auch das Verwaltungsgericht Sigmaringen in
seinem Urteil vom 09.08.1999 unter Auswertung der von ihm eingeholten
Gutachten angenommen hat, und aus der Verbindung mit ihrem Ehemann lässt
sich ebenfalls kein ernsthaftes Engagement der Klägerin zu Gunsten der PKK im
Sinne einer herausgehobenen bzw. exponierten exilpolitischen Betätigung
ableiten. Dafür, dass die Klägerin selbst noch heute vom türkischen Geheimdienst
als Unterstützerin der PKK geführt wird, lassen sich keine Anhaltspunkte erkennen,
zumal zu keiner Zeit von der Einleitung irgendeines strafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens oder gar eines regulären strafgerichtlichen Verfahrens
gegen sie die Rede gewesen ist. Aus welchem Grund noch heute die Klägerin als
„lohnenswerte Quelle möglicher Informationen über die PKK“ angesehen werden
könnte, wie dies das Verwaltungsgericht Sigmaringen noch angenommen hat,
lässt sich für den Senat insbesondere auch deswegen nicht (mehr) erkennen, weil
weder die Klägerin selbst noch ihr Ehemann im Rahmen der sie betreffenden
Widerrufsverfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von einer
irgendgearteten Fortsetzung der behaupteten Unterstützung der PKK für die Zeit
nach ihrer Flüchtlingsanerkennung berichtet haben.
82 bbb) Der letztgenannte Gesichtspunkt führt im Übrigen auch für sich genommen zu
der Annahme einer seit dem Jahr 1999 eingetretenen erheblichen Veränderung
der die seinerzeitige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1
AuslG a.F. begründenden Umstände. Denn weder die Klägerin selbst noch ihr
Ehemann haben für die mittlerweile vergangenen 14 Jahre seit dem
anerkennenden Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen irgendwelche
weiteren exilpolitischen Betätigungen bzw. auch nur Kontakte zur PKK oder PKK-
nahen Kreisen im Bundesgebiet geltend gemacht. Es ist daher davon
auszugehen, dass die Klägerin und ihr Ehemann in diesen ganzen Jahren keinen
zusätzlichen Grund mehr dafür lieferten, um ein besonderes Interesse der
türkischen Sicherheitskräfte zu wecken.
83 Zwar kann ein reiner Zeitablauf für sich genommen keine Sachlagenänderung
bewirken. Allerdings sind - so das Bundesverwaltungsgericht - „wegen der Zeit-
und Faktizitätsbedingtheit einer asylrechtlichen Gefahrenprognose
Fallkonstellationen denkbar, in denen der Ablauf einer längeren Zeitspanne ohne
besondere Ereignisse im Verfolgerstaat im Zusammenhang mit anderen Faktoren
eine vergleichsweise höhere Bedeutung als in anderen Rechtsgebieten zukommt“
(Urteil vom 01.06.2011, a.a.O.), und können sich Widerrufsgründe nach der
Auffassung des Senats durchaus auch aus Veränderungen in der Person des
Flüchtlings ergeben (so Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand August 2012, § 73 Rn.
23 und 28; vgl. auch OVG Saarland, Urteil vom 25.08.2011 - 3 A 34/10 -, a.a.O.;
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.05.2013 - 14a K 1699/11.A -, juris).
84 Vor diesem Hintergrund ist für den Senat von Bedeutung, dass die Klägerin nach
der Einleitung des Widerrufsverfahrens durch das Bundesamt am 22.09.2008 und
nach erhaltener Akteneinsicht mit ihrer Entgegnung vom 15.05.2009 mit keinem
Wort eine nach wie vor fortbestehende, irgendgeartete exilpolitische Betätigung
oder etwa eine - unter Umständen auch nur über ihren Ehemann - noch gegebene
Beziehung zu der PKK oder dieser nahestehenden Organisationen oder Personen
geltend gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sprach
die Klägerin auf die Frage, weshalb sie sich gegen den Widerruf der
Flüchtlingseigenschaft wende, zunächst nur allgemein von immer noch nicht
erledigten „Problemen“ zwischen den Türken und den Kurden. Außerdem wisse
sie nicht, wo sie in der Türkei hingehen solle, weil sie und ihr Ehemann dort gar
kein Eigentum und kein Haus mehr hätten. Diese Angaben verdeutlichen dem
Senat, dass die Klägerin selbst nicht mehr ernsthaft damit rechnet, im Fall einer
nunmehrigen Rückkehr in die Türkei gerade von politischer Verfolgung betroffen
zu werden.
85 Erst auf die mehrmalige Nachfrage ihres Prozessbevollmächtigten äußerte die
Klägerin in der mündlichen Verhandlung dann noch, dass sie der Frauengruppe
eines kurdischen Kulturvereins in N. angehöre und sie mit ihrer Familie stets an
dem in Deutschland einmal jährlich stattfindenden kurdischen Großfestival
teilnehme. Hieraus auf eine hervorgehobene politische Betätigung für die
kurdische Sache zu schließen, die bei den türkischen Behörden den Verdacht auf
eine ernstzunehmende Bedrohung des Staates lenken könnte, liegt indes fern,
zumal die Klägerin diese Äußerungen auch nur sehr zögerlich vorbrachte.
86 cc) Der Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat schließlich auch
nicht aufgrund der Bestimmung des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG auszuscheiden.
Denn die Klägerin kann sich ersichtlich nicht auf zwingende auf früheren
Verfolgungen beruhende Gründe berufen, um eine Rückkehr in die Türkei
abzulehnen.
87 Der Hauptantrag der Klägerin bleibt nach allem ohne Erfolg.
88 2. Der Klägerin kommt auf den von ihr gestellten Hilfsantrag zudem kein Anspruch
auf Feststellung zu, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
Satz 1 AufenthG vorliegen.
89 Hat die Beklagte die im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 30.12.1999 getroffene Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. vorliegen, zu Recht widerrufen, ist
auch die weitere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG nicht vorliegen, zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Rahmen des
Widerrufsverfahrens zu Recht auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG entschieden. Insoweit sowie zu den Voraussetzungen eines
Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG wird auf die zutreffenden
Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid nach § 117 Abs. 5 VwGO Bezug
genommen.
90 Eine nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle einer Rückkehr drohende
Gefährdung kommt ausgehend vom Vorbringen der Klägerin ebenfalls nur mit Blick
auf die Befürchtung staatlicher Repressionen im Zusammenhang mit dem vormals
geltend gemachten exilpolitischen Verhalten in Betracht. Wie bereits ausgeführt,
kann insoweit jedoch für den gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der
Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht
(mehr) von einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden. Dass die
Klägerin als kurdische Volkszugehörige in der Türkei etwa einer
gruppengerichteten politischen Verfolgung ausgesetzt wäre, macht sie selbst nicht
geltend und solches drängt sich auch dem Senat nicht auf (vgl. die ständige
Senatsrechtsprechung, Senatsurteil vom 09.02.2006 - A 12 S 1505/04 -, juris).
91 Die Klage der Klägerin ist nach allem auf die Berufung der Beklagten unter
Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 28.04.2011 mit der sich
aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
92 Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylVfG nicht erhoben.
93 Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs.
2 VwGO gegeben ist.