Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 06.05.2015

prüfer, jugend und sport, überprüfung, ausnahmefall

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 6.5.2015, 9 S 643/14
Berechtigung des Zwei-Prüfer-Prinzips; Überprüfung aller Arbeiten eines
Kurses; normative Regelung für Abweichungen vom Zwei-Prüfer-Prinzip
Leitsätze
1. Mit der Regelung des § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO macht der Verordnungsgeber
deutlich, dass auch bei Abweichungen zwischen Erst- und Zweitbewertung das Zwei-
Prüfer-Prinzip seine Bedeutung für die Bewertung - auch durch einen Drittkorrektor -
behält.
2. Selbst wenn sich aus § 21 Abs. 5 Satz 4 NGVO die Möglichkeit ergeben sollte,
nach Ermessen und ohne weitere Voraussetzungen alle Arbeiten eines Kurses einer
Überprüfung zuzuführen, spricht die angeordnete "entsprechende Anwendung des
Satzes 3" dafür, dass auch hier das Zwei-Prüfer-Prinzip seine grundsätzliche
Bedeutung nicht verliert.
3. Über das Gefüge des § 21 Abs. 5 NGVO hinausgehende Abweichungen vom Zwei-
Prüfer-Prinzip bedürfen einer ausdrücklichen normativen Regelung.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom
29. Januar 2014 - 2 K 1132/13 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Klägerin wendet sich gegen die Bewertung ihrer schriftlichen Prüfungsleistung
in der Abiturprüfung im Fach Deutsch.
2 Die Klägerin war Schülerin der Rudolf-Steiner-Schule - Freie Waldorfschule - S.
und legte dort im Frühjahr 2012 ihre Abiturprüfung ab. Unter Berücksichtigung der
Bewertung ihrer schriftlichen Prüfungsleistung im Fach Deutsch mit 9 Punkten
erzielte sie die Gesamtnote 1,5. Ein entsprechendes Zeugnis der Allgemeinen
Hochschulreife wurde ihr unter dem 15.06.2012 ausgestellt.
3 Die streitige Prüfungsleistung, die eine vergleichende Interpretation der Gedichte
„Ein Beispiel von ewiger Liebe" von Erich Kästner und „Nur nicht" von Erich Fried
zum Gegenstand hatte, ist von der Fachlehrerin der Klägerin mit 14 Punkten
bewertet worden. Die Zweitkorrektorin bewertete die Arbeit mit 10 Punkten. Der mit
der Endbeurteilung der Prüfungsleistung beauftragte Drittkorrektor setzte nach
einer Neukorrektur aller Arbeiten des Abiturkurses Deutsch der Freien
Waldorfschule S. als endgültige Bewertung 9 Punkte fest. Die Neukorrektur hatte
er unter dem 10.05.2012 gegenüber dem Regierungspräsidium im Wesentlichen
damit begründet, dass weder in der Erst- noch in der Zweitkorrektur die
Korrekturrichtlinien eingehalten worden seien. In beiden Korrekturdurchgängen
seien Fehler nicht mit der gebotenen Gewissenhaftigkeit gekennzeichnet worden.
Es sei auch nach der Zweitkorrektur nur ein Bruchteil der Fehler angestrichen
gewesen. Dies habe häufig zu einer Fehleinschätzung der Ausdrucksfähigkeit
geführt. Die Bewertungen der beiden Vorkorrektoren seien - gerade auch im
Vergleich mit anderen Kursen - nicht realistisch und zum Teil deutlich zu hoch.
4 Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 27.09.2012 legte die Klägerin beim
Regierungspräsidium Freiburg gegen das „Abiturzeugnis“ vorsorglich Widerspruch
ein, zu dem der Beklagte eine Stellungnahme des Drittkorrektors einholte.
5 Am 20.06.2013 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Freiburg gegen die
Schulgemeinde der Rudolf-Steiner-Schule S. (Untätigkeits-)Klage erhoben (die sie
in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zurückgenommen
hat) und diese am 15.07.2013 auf den Beklagten erweitert.
6 Mit Urteil vom 29.01.2014 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet,
die schriftliche Prüfungsarbeit der Klägerin in der Abiturprüfung im Fach Deutsch
nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bewerten und sie
aufgrund dieser Bewertung erneut über das Gesamtergebnis ihrer Abiturprüfung zu
bescheiden. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die auf eine
Neubescheidung der Klägerin über das Gesamtergebnis ihrer Abiturprüfung
gerichtete Klage sei als Verpflichtungsklage in der Form der Bescheidungsklage
statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klage sei auch begründet. Die
Bewertung durch den Drittkorrektor sei jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil der
Drittprüfer bei dieser - rechtsfehlerhaft - den Rahmen unterschritten habe, der
durch die Noten der Erst- und der Zweitkorrektorin gebildet werde. Nach § 21 Abs.
5 Satz 3 NGVO dürfe der Beauftragte der oberen Schulaufsichtsbehörde bei der
endgültigen Festsetzung der Bewertung für die schriftliche Prüfung die von der
Fachlehrkraft des Schülers und von der als Zweitkorrektor tätig gewordenen
Fachlehrkraft eines anderen Gymnasiums vorgenommenen Bewertungen „in der
Regel“ nicht über- oder unterschreiten. Da diese Bindung des Endbeurteilers nach
der Formulierung des § 21 Abs. 5 Satz 3 letzter Halbsatz NGVO für den „Regelfall“
festgeschrieben sei, setze ein Über- oder Unterschreiten der Bewertungen der
Arbeit durch die Erst- und Zweitkorrektoren daher nach allgemeinen Grundsätzen
der Normauslegung das Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalls voraus.
7 Mit der Regelung zum Einsatz eines Endbeurteilers in § 21 Abs. 5 Satz 3 knüpfe
der Verordnungsgeber an das in § 21 Abs. 5 Satz 1 NGVO ausgestaltete Zwei-
Prüfer-Prinzip an, welches den prüfungsrechtlichen Normalfall darstelle und über
das die Schwierigkeiten der Überprüfbarkeit von grundrechtsrelevanten
Prüfungsentscheidungen verfahrensrechtlich kompensiert werden sollten.
Während der Verordnungsgeber bei gleichen Bewertungen der Arbeit durch den
Erst- und den Zweitprüfer sowie bei geringen Bewertungsdifferenzen davon habe
ausgehen können, dass beide Bewertungen die Qualität der Prüfungsleistung
derart zutreffend ausdrückten, dass das Gesamtergebnis der Bewertung über ein
arithmetisches Rechen- und Rundungsverfahren gebildet werden könne, habe er
bei größeren Bewertungsdifferenzen von mehr als zwei Punkten sachgerecht von
dem Prinzip der arithmetischen Mittelung der Einzelbewertungen abweichen und
eine weitere Bewertung anordnen können, deren Ergebnis dann den Ausschlag
geben solle. Über die hierbei für den Regelfall angeordnete Bindung des
Drittprüfers an den durch die Erst- und Zweitbewertung der Arbeit gebildeten
Rahmen gebe er dieser Bewertung das Gepräge eines „schiedsrichterlichen
Ausgleichs“ zwischen den bereits bestehenden Bewertungen der Arbeit durch die
Vorprüfer. Von diesem normativen Konzept ausgehend könne die Begrenzung des
Bewertungsspielraums eines Drittkorrektors durch die Einzelbewertungen des Erst-
und des Zweitprüfers nur dann nicht mehr gegeben sein, wenn diese
Vorbewertungen ihrerseits - atypischerweise - rechtswidrig seien und in einem
gerichtlichen Überprüfungsverfahren aufgehoben werden müssten. Dies sei immer
dann der Fall, wenn die Bewertung, die über- oder unterschritten werden solle,
einen justiziablen Fehler aufweise, der auf das Prüfungsergebnis einschließlich der
Prüfungsnote von Einfluss gewesen sein könne. Ein solcher Fehler könne sich
zugunsten wie zulasten des Prüflings daraus ergeben, dass eine vertretbare, mit
gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung als falsch bewertet
worden sei, der Prüfer die objektivierbaren Grenzen des Bewertungsspielraums
nicht eingehalten habe, weil er bei seiner Wertung von falschen Tatsachen
ausgegangen sei oder er ihr sachfremde Erwägungen zugrunde gelegt habe oder
aber der Prüfer objektiv festgelegte Bewertungsmaßstäbe (wie etwa eine
vorgegebene Punkteverteilung zu einzelnen Aufgaben) nicht beachtet habe.
Erforderlich sei zusätzlich, dass der Drittkorrektor bei verständiger Würdigung der
tragenden Gründe des Vorprüfers für seine Bewertung davon ausgehen müsse,
dass der festgestellte Korrekturfehler für diese im Ergebnis von Bedeutung
gewesen sei.
8 Lägen derartige Fehler der Bewertung nicht vor, sondern komme der Drittprüfer
allein zu dem Ergebnis, dass diese aus seiner Sicht nicht (mehr) angemessen sei,
entfalle die Begrenzungswirkung nicht. Denn mit ihr wolle der Verordnungsgeber
gerade der Problematik entgegenwirken, dass der Prüfling bei der alleinigen
Maßgeblichkeit der Entscheidung des Drittprüfers in einem höheren Maße der
Subjektivität seiner Wertungen ausgesetzt sei als dies bei der Maßgeblichkeit
zweier Einzelbewertungen der Fall wäre. Würde die Begrenzung allein deshalb
entfallen, weil der Drittkorrektor aufgrund seiner eigenen subjektiven Bewertung
der Arbeit zu einer Note käme, die außerhalb des Rahmens liege, die durch die
Bewertung der Erst- und Zweitkorrektoren gebildet worden sei, so würde gerade
die Notenkonstellation zu einem Wegfall der Begrenzung führen, die nach dem
Willen des Verordnungsgebers begrenzt werden solle. Da es ferner dem von der
Norm vorgesehenen Regelfall entspreche, dass die Noten des Erst- und des
Zweitkorrektors um mehr als zwei Punkte differierten, könne auch nicht bereits aus
der großen Differenz zwischen den Bewertungen des Erst- und des
Zweitkorrektors geschlossen werden, dass der Prüfer, dessen Beurteilung als
untere oder obere Grenze der Drittbeurteilung entfallen solle, den ihm zustehenden
Beurteilungsspielraum in einer auch unter dem Gesichtspunkt der
prüfungsrechtlichen Chancengleichheit nicht mehr hinnehmbaren Weise ausgeübt
habe. Soweit der Drittkorrektor in diesem Zusammenhang darauf verweise, dass
sein subjektivierter Bewertungsmaßstab in Bezug auf die landesweit an die
Prüfung angelegten Anforderungen deshalb eine höhere Verlässlichkeit mit sich
bringe als die Bewertungen der Erst- und Zweitkorrektoren, weil er selbst nicht nur
ebenfalls als Erst- und Zweitkorrektor tätig gewesen sei, sondern er zudem als
Drittkorrektor den Überblick über die Bewertungen weiterer drei Kurse erhalten
habe, ändere dies nichts an der normativen Konzeption, nach der er bei der
Ausübung seines eigenen Beurteilungsspielraums durch die Festlegungen der
Vorprüfer begrenzt sein solle, soweit diese nicht einen der oben genannten Fehler
enthielten. Liege hiernach gemäß § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO ein zum Wegfall des
Bewertungsrahmens führender atypischer Fall nur dann vor, wenn die
Bewertungen der Vorprüfer an einem rechtlich relevanten Fehler litten und - ohne
die Drittkorrektur - im Falle einer gerichtlichen Überprüfung aufzuheben wären, so
könne diese Regelung inhaltlich nicht durch die „Arbeitsanweisung des
Regierungspräsidiums Freiburg für die Endbeurteilung“ abgeändert werden.
9 Komme es danach für die Möglichkeit des Drittkorrektors zur Abweichung von dem
durch die Erst- und Zweitkorrektoren gebildeten Bewertungsrahmen darauf an, ob
die zu über- oder zu unterschreitende Bewertung dieser Vorprüfer an einem
rechtlich relevanten Beurteilungsfehler leide, so sei der Endbeurteiler der
schriftlichen Prüfungsleistung der Klägerin im Fach Deutsch an der
Unterschreitung der insoweit maßgeblichen schlechteren Bewertung der Arbeit,
wie sie durch die Zweitkorrektorin vorgenommen worden sei, gehindert gewesen.
Denn diese Korrektur weise für sich keinen rechtlich relevanten
Beurteilungsmangel auf.
10 Ein - zur Rechtswidrigkeit der Zweitkorrektur führender - Beurteilungsfehler könne -
entgegen der Einschätzung des Drittkorrektors - nicht darin gesehen werden, dass
die Zweitkorrektorin insoweit gegen die „Beurteilungs- und Korrekturrichtlinien des
Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg für die
Abiturprüfung an den allgemein bildenden Gymnasien, gültig für die Abiturprüfung
2012“ verstoßen habe, als sie - entgegen der dortigen Anweisung zu Nr. 1.1. 2.
Absatz - nicht sämtliche Fehler mit Korrekturzeichen gekennzeichnet habe, die von
der Erstbeurteilerin übersehen worden seien. Zwar hätten sich die Erst- und die
Zweitkorrektorin darauf beschränkt gehabt, einige sprachlich-formale Mängel der
Arbeit, wie etwa Rechtschreib-, Zeichensetzungs- und Satzbaufehler zu
kennzeichnen, sodass sich der Drittkorrektor - in Einklang mit den
Korrekturrichtlinien - veranlasst gesehen habe, in einer Vielzahl von Fällen auch
Mängel inhaltlicher Art (wie etwa fehlende oder falsche Begründungen und
Belegstellen) mit den entsprechenden Korrekturzeichen kenntlich zu machen.
Zudem seien selbst die Kennzeichnungen der sprachlich-formalen Mängel der
Arbeit nach der Erst- und der Zweitkorrektur unvollständig geblieben, so dass der
Drittkorrektor auch hier in einigen Fällen entsprechende Korrekturzeichen habe
nachtragen müssen. Aus den genannten Unterlassungen ergebe sich jedoch
deshalb kein relevanter Beurteilungsfehler der Zweitkorrektorin, weil bei einer
entsprechend verständigen Würdigung der - auch nach den Beurteilungs- und
Korrekturrichtlinien maßgeblichen - schriftlichen Begründung der vergebenen Note
nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Zweitkorrektorin bei ihrer
Bewertung der Leistung der Arbeit der Klägerin in relevanter Weise von einem -
hinsichtlich ihrer sprachlich-formalen sowie argumentativ-inhaltlichen Leistungen -
falschen Sachverhalt ausgegangen sei. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die
Zweitkorrektorin die - vom Drittkorrektor gekennzeichneten - Rechtschreib- und
Zeichensetzungsfehler ungeachtet der fehlenden Vermerke am Korrekturrand
tatsächlich in ihre Bewertung aufgenommen habe und den möglicherweise
versehentlich übersehenen Fehlern im Gesamteindruck der Arbeit kein
zusätzliches Gewicht eingeräumt hätte. Soweit sich die ergänzende Korrektur der
Arbeit durch den Drittkorrektor schließlich auf Korrekturzeichen beziehe, mit denen
nach den Vorgaben der Nr. 2 der Beurteilungs- und Korrekturrichtlinien des
Kultusministeriums „Mängel inhaltlicher Art“ zu kennzeichnen seien, seien die - aus
der Sicht des Drittkorrektors - auch nach der Zweitkorrektur unterbliebenen
Korrekturzeichen auf inhaltliche und logische Mängel sowie auf unzureichende
oder fehlende Begründungen oder fehlerhafte oder fehlende Belege für einen
Gedanken bezogen. Da diese Aspekte im Wesentlichen auch die Aspekte des
Inhalts der Arbeit einschließlich ihrer sprachlichen Gestaltung beträfen, die die
Zweitkorrektorin in der zusammenfassenden Begründung ihrer Note ausdrücklich
aufgegriffen und abgewogen habe, müsse bei verständiger Würdigung davon
ausgegangen werden, dass sie die entsprechenden Fehler weder im Einzelnen
noch in ihrer Gesamtheit übersehen, sondern allein darauf verzichtet habe, diese
im Detail an den entsprechenden Passagen der Bearbeitung kenntlich zu machen.
Soweit der Drittkorrektor - verallgemeinernd auf die Korrektur des gesamten
Deutschkurses der Klägerin - darlege, dass die fehlenden Korrekturzeichen
jedenfalls ein Indiz dafür bildeten, dass Fehler übersehen und deshalb in der
Gesamtbewertung der Arbeit nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, stehe
dem bereits entgegen, dass seine eigene Bewertung der Arbeit der Klägerin mit
neun Punkten die Bewertung der Zweitkorrektorin nur um einen Notenpunkt
unterschreite und sich damit in einem Bereich halte, der ohne weiteres mit der
unterschiedlichen Gewichtung der - auch von der Zweitkorrektorin erkannten -
Fehler etwa bei der Verwendung der Fachsprache der Gedichtinterpretation zu
begründen sei.
11 Schließlich könne die Möglichkeit des Drittkorrektors, von dem durch die Erst- und
Zweitkorrektur gebildeten Bewertungsrahmen abzuweichen, auch nicht aus der
Regelung des § 21 Abs. 5 Satz 4 NGVO abgeleitet werden, die in ihrem letzten
Halbsatz die Möglichkeit einer Überprüfung einer schriftlichen Arbeit „in
entsprechender Anwendung von Satz 3“ voraussetze. Die mit der
„entsprechenden Anwendung von Satz 3“ ermöglichte eigenständige Bewertung
einer Arbeit durch einen Drittprüfer sei schon vom Wortlaut allein auf die in Satz 4
des § 21 Abs. 5 NGVO direkt geregelten Fälle bezogen, in denen die Bewertungen
der Arbeit durch den Erst- und den Zweitkorrektor um zwei oder einen Punkt
differierten. Eine „entsprechende Anwendung von Satz 3“ auch auf die - hier
gegebene - Situation der eigenständigen Endbeurteilung von Prüfungsarbeiten,
deren Erst- und Zweitkorrektur um mehr als zwei Punkte differierten, scheide
hingegen aus. Solle über die entsprechende Anwendung von Satz 3 erreicht
werden, dass der Drittprüfer die Grundlagen der rechnerischen Ermittlung einer
Endnote überprüfen könne, so sei damit gleichzeitig verbunden, dass er nur dann
von der Vorgabe der rechnerischen Berücksichtigung dieser Noten befreit und mit
der eigenständigen Korrektur und Notenfestsetzung beauftragt sei, wenn diese
Nachprüfung ergebe, dass die Erst- und/oder Zweitkorrektur rechtswidrig sei. Denn
die Norm des § 21 Abs. 5 Satz 4 NGVO, die über die „entsprechende Anwendung
von Satz 3“ ergänzt werden solle, regele entsprechend dem Grundsatz des Zwei-
Prüfer-Prinzips den Fall der rechtmäßigen Bewertungen einer Prüfungsarbeit durch
den Erst- und den Zweitkorrektor über die grundsätzliche Anordnung der
Bindungswirkung unmittelbar selbst und bedürfe deshalb nur insoweit der
Ergänzung, als der in Bezug genommene Satz 3 des § 21 Abs. 5 NGVO die dort
ebenfalls bestimmte Bindung des Endbeurteilers an die Ergebnisse der Erst- und
Zweitkorrektur für die atypischen Fälle der rechtswidrigen Vorbeurteilungen für
nicht mehr gegeben halte.
12 Entgegen der Auffassung des Beklagten könne ferner aus der in § 21 Abs. 5 Satz
4 NGVO vorausgesetzten Möglichkeit einer Abweichung von der dort bestimmten
Regelung zur rechnerischen Notenermittlung auch nicht abgeleitet werden, dass
es - über die ausdrücklichen Regelungen in § 21 Abs. 5 NGVO zur Notenbildung
hinaus - eine allgemeine Freiheit oder Pflicht des Drittkorrektors zur unabhängigen
Neukorrektur sämtlicher Arbeiten eines Kurses gebe, wenn aufgrund von
Stichproben festgestellt werde, dass die „Punkteverteilung des Erst- und
Zweitkorrektors nicht akzeptiert werden kann“. Es möge dem Endkorrektor
überlassen bleiben, die Erst- und Zweitkorrektur eines ganzen Kurses
stichprobenartig oder gar vollständig auch in den Fällen zu überprüfen, in denen
dies für die Notenbildung nach § 21 Abs. 5 NGVO nicht unmittelbar vorgeschrieben
sei. Er müsse jedoch stets die detaillierten und abschließenden Bestimmungen
des § 21 Abs. 5 NGVO beachten, die ihn bei der konkreten Ermittlung der Endnote
entweder direkt an die Ergebnisse der Erst- und Zweitkorrektur oder - bei
Abweichungen zwischen diesen Korrekturen von mehr als zwei Punkten -
zumindest an den durch diese Ergebnisse gebildeten Notenrahmen bänden und
die - in direkter oder entsprechender Anwendung von Satz 3 - eine Abweichung
hiervon nur dann zuließen, wenn die Vorkorrekturen justiziable Bewertungsfehler
aufwiesen.
13 Entgegen der Auffassung des Beklagten lasse sich schließlich eine hinreichend
klare Regelung zur Nachkorrektur eines ganzen Kurses auch nicht aus der
Arbeitsanweisung des als obere Schulaufsichtsbehörde zuständigen
Regierungspräsidiums Freiburg für die Endbeurteilung von Abiturarbeiten ableiten.
Denn abgesehen davon, dass die durch diese verwaltungsinternen Anweisungen
geprägte Prüfungspraxis eine notwendige normative Regelung des
Verordnungsgebers nicht ersetzen könne, sei der Erlass in Bezug auf die
Ermächtigung zur Nachkorrektur eines ganzen Kurses schon nicht geeignet, eine
einheitliche Prüfungspraxis festzulegen. So knüpfe er zum einen an die - letztlich
zu zufälligen Ergebnissen führende - Überprüfung von Stichproben an. Zum
anderen verknüpfe er unter Nr. 3 die vollständige Nachkorrektur eines Kurses mit
der Einschätzung des Drittprüfers, „ob ... die Korrekturrichtlinien eingehalten
wurden und die Punkteverteilung akzeptiert werden kann“, während die Hinweise
der Regierungspräsidien Stuttgart und Tübingen für die Endbeurteilung von
Prüfungsarbeiten davon - zumindest potentiell - abweichend von der Einschätzung
abhängig seien, dass bei der Erst- und Zweitkorrektur keine „angemessenen
Maßstäbe“ angelegt worden seien. Eine deutlich begrenztere Praxis der
Nachkorrektur dürfte im Bezirk des Regierungspräsidiums Karlsruhe herrschen,
wenn in den dortigen Hinweisen an den Endbeurteiler unter Nr. 7 die freie
Nachkorrektur des gesamten Kurses an die „Verwendung einer veralteten
Verrechnungstabelle“, „grobe Verstöße gegen die Korrekturrichtlinien“, das
„Übersehen fachlich schwerwiegender Fehler“ oder eine „völlig unakzeptable
Verteilung der Punkte“ geknüpft werde. Von der fehlenden Einheitlichkeit der
Praxis zur freien Nachkorrektur eines ganzen Kurses und der fehlenden
normativen Regelung abgesehen, sei die in den Arbeitsanweisungen enthaltene
Ermächtigung und Verpflichtung des Drittkorrektors zu einer vollständigen
Nachkorrektur des entsprechenden Kurses schließlich auch ungeeignet, von dem
in § 21 Abs. 5 NGVO zugrunde gelegten Grundsatz des Zwei-Prüfer-Prinzips
abzuweichen. Denn mit den Merkmalen der fehlenden „Angemessenheit“ oder
„Akzeptanz“ der von den Erst- und Zweitkorrektoren angelegten
Bewertungsmaßstäbe werde die - dem Prüfling potentiell ungünstige -
Nachkorrektur von einer Wertung des Drittprüfers abhängig gemacht, die ihrerseits
nicht gerichtlich nachgeprüft werden könne.
14 Gegen das ihm am 03.03.2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 25.03.2014
die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese rechtzeitig
begründet. Er macht geltend, das Verwaltungsgericht differenziere zwischen
„rechtlich relevanten“ Fehlern und „nicht relevanten“ Fehlern. Eine derartige
Unterscheidung und Interpretation lasse sich jedoch aus der Vorschrift des § 21
Abs. 5 Satz 3 NGVO nicht ableiten. Nach dem Verständnis des beklagten Landes
sei jeder Korrekturfehler, der sich auf die Beurteilung einer Arbeit auswirke,
grundsätzlich relevant. Der von den Vorkorrektoren gesetzte Rahmen könne auch
dann ausnahmsweise ohne Bindungswirkung sein, wenn zwar kein Rechtsfehler
vorliege, aber die Vorkorrektoren doch eindeutig von den landesweiten Maßstäben
für die Notengebung abwichen. Exakt dieser Gedanke liege der vom
Verwaltungsgericht beanstandeten Ziffer 3 der Arbeitsanweisung für die
Endbeurteilung der Abiturarbeiten für die schriftliche Abiturprüfung 2012 des
Regierungspräsidiums Freiburg zugrunde. Danach seien alle Arbeiten des
betreffenden Kurses neu zu korrigieren, wenn bei der Erst- und Zweitkorrektur die
Korrekturrichtlinien nicht eingehalten worden seien bzw. die Bewertung nicht
akzeptiert werden könne. Diese Überprüfungsmöglichkeit sehe auch § 21 Abs. 5
Satz 4 letzter Halbsatz NGVO vor. Durch die Formulierung „in entsprechender
Anwendung von Satz 3“ sei hier explizit die Möglichkeit vorgesehen, dass ein
Beauftragter der oberen Schulaufsichtsbehörde die beiden vorangegangenen
Bewertungen überprüfen und die endgültige Bewertung der schriftlichen Prüfung
festsetzen könne und eben nicht nur für den Fall, dass die Korrekturen von Erst-
und Zweitkorrektor punktemäßig entsprechend differierten. Nur unter diesem
Gesichtspunkt sei überhaupt eine effektive Schulaufsicht zu gewährleisten.
Ansonsten bestünde keine Möglichkeit, bei Verstößen gegen Korrekturrichtlinien
bzw. wenn die Bewertung nicht akzeptiert werden könne, zu intervenieren. In
seinem Bericht vom 10.05.2012 habe der Drittkorrektor ausführlich dargelegt und
begründet, weswegen sowohl in der Erst- als auch in der Zweitkorrektur die
Korrekturrichtlinien nicht eingehalten worden seien. Wie das Verwaltungsgericht
selbst ausführe, habe der Drittkorrektor in diesem Zusammenhang darauf
verwiesen, dass sein subjektiver Bewertungsmaßstab in Bezug auf die landesweit
an die Prüfung angelegten Anforderungen deshalb eine höhere Verlässlichkeit mit
sich bringe als die Bewertungen der Erst- und Zweitkorrektoren, weil er selbst nicht
nur ebenfalls als Erst- und Zweitkorrektor tätig gewesen sei, sondern zudem als
Drittkorrektor den Überblick über die Bewertungen weiterer dreier Kurse erhalten
habe.
15 Der Beklagte beantragt,
16 das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29. Januar 2014 - 2 K 1132/13 -
zu ändern und die Klage abzuweisen.
17 Die Klägerin beantragt,
18 die Berufung zurückzuweisen.
19 Sie verteidigt vertiefend das angefochtene Urteil.
20 Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten
Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten des
Beklagten und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Freiburg verwiesen.
Entscheidungsgründe
21 Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht
statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist aber nicht begründet. Das
Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht und mit detaillierter und
überzeugender Begründung verpflichtet, die schriftliche Prüfungsarbeit der
Klägerin in der Abiturprüfung im Fach Deutsch nach Maßgabe der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bewerten und sie aufgrund dieser
Bewertung erneut über das Gesamtergebnis ihrer Abiturprüfung zu bescheiden.
Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils als
unbegründet zurück (vgl. § 130b Satz 2 VwGO) und sieht von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe ab und bemerkt im Hinblick auf das
Berufungsvorbringen ergänzend:
22 Das beklagte Land verkennt die Bedeutung des Zwei-Prüfer-Prinzips, wie es in §
21 Abs. 5 der Verordnung des Kultusministeriums über die Jahrgangsstufen sowie
über die Abiturprüfung an Gymnasien der Normalform und Gymnasien in
Aufbauform mit Heim (Abiturverordnung Gymnasien der Normalform - NGVO) vom
24.07.2001 (GBl. S. 518, mit nachfolgenden Änderungen) seinen Ausdruck
gefunden hat.
23 Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 NGVO wird jede schriftliche Arbeit von der Fachlehrkraft
des Schülers und von einer Fachlehrkraft eines anderen von der oberen
Schulaufsichtsbehörde bestimmten Gymnasiums korrigiert und nach § 5 Abs. 1
bewertet. Weichen die Bewertungen um mehr als zwei Punkte voneinander ab,
muss ein Beauftragter der oberen Schulaufsichtsbehörde die beiden
vorangegangenen Bewertungen überprüfen und die endgültige Bewertung für die
schriftliche Prüfung festsetzen; dabei dürfen die vorangegangenen Bewertungen in
der Regel nicht über- oder unterschritten werden (Satz 3). Bei Abweichungen von
zwei Punkten gilt der Durchschnittswert und bei Abweichungen von einem Punkt
die höhere Punktzahl der beiden Bewertungen als endgültige Bewertung für die
schriftliche Prüfung, falls nicht in entsprechender Anwendung von Satz 3 eine
Überprüfung erfolgt (Satz 4).
24 Das in dieser Vorschrift normierte Zwei-Prüfer-Prinzip dient dem Ziel, die
Objektivität der Leistungsbewertung dadurch zu verbessern, dass sie nicht einem
einzelnen Prüfer, sondern mehreren Prüfern überlassen wird (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 24.08.1988 - 7 B 113.88 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr.
256; Bayerischer VGH, Urteil vom 11.02.1998 - 7 B 96.2163 -, juris). Der
Verordnungsgeber bezweckt damit bei der - immer auch subjektiv geprägten -
Bewertung der Qualität einer Prüfungsleistung eine Kompensation typischer
Defizite an Prüfungsgerechtigkeit (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6.
Aufl. 2014, Rn. 547; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 250 ff.).
Gleichzeitig verhilft das Verfahren der Kollegialprüfung auch zur Realisierung der
Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) der als künftige Berufsbewerber
konkurrierenden Prüflinge (Art. 12 Abs. 1 GG). Dabei macht der Verordnungsgeber
indes deutlich, dass auch bei Abweichungen zwischen Erst- und Zweitbewertung
das Zwei-Prüfer-Prinzip seine Bedeutung für die Bewertung - auch durch einen
Drittkorrektor - behält. Allein die Abweichung macht die Bewertung durch Erst- und
Zweitkorrektor nicht hinfällig. Denn bei einer Abweichung von mehr als zwei
Punkten muss sich der Drittkorrektor nach Satz 3 grundsätzlich in dem von Erst-
und Zweitbewertung gebildeten Rahmen bewegen. Bei einer geringeren
Abweichung gilt nach Satz 4 der Durchschnitt aus Erst- und Zweitbewertung bzw.
die höhere Punktzahl.
25 Dass der Verordnungsgeber insoweit differenziert, ist nicht zu beanstanden. Er darf
einen Sachverhalt, der eine andere rechtliche Behandlung erfordert, ohne Verstoß
gegen den Gleichheitssatz darin sehen, dass Bewertungen um mehr als zwei
Punkte voneinander abweichen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.12.1987 - 7 B
216.87 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 247). Hier wird die nach seiner
Einschätzung noch hinnehmbare Toleranzbreite überschritten, so dass Zweifel
bestehen, ob die Bewertungen das - trotz aller subjektiver Prägung - erreichbare
Maß an Objektivität aufweisen. Für diesen Fall schreibt § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO
zwingend vor, dass ein Drittkorrektor die endgültige Note festsetzt. Damit ist
grundsätzlich nur noch diese Bewertung Gegenstand der (gerichtlichen)
Überprüfung. Dass der Verordnungsgeber eine Punktevergabe im Rahmen der
ursprünglichen Bewertungen vorschreibt, rechtfertigt auch nicht den Schluss, dass
er diese Bewertungen damit einer Überprüfung zugänglich machen wollte.
Vielmehr liegt diese Regelung in Gründen des Vertrauensschutzes des
betreffenden Prüflings und der Chancengleichheit der Prüflinge untereinander
(Aufrechterhaltung des generellen Bewertungssystems des jeweiligen Prüfers)
begründet, ohne dass damit die Aussage verbunden wäre, dass die
ursprünglichen Bewertungen als rechtlich einwandfrei zu unterstellen wären (vgl.
VG Trier, Urteil vom 22.05.2007 - 2 K 5/07.TR -, juris). Die Regelung bestätigt damit
gleichzeitig die fortbestehende Bedeutung der vorangegangenen Bewertungen
durch zwei Prüfer. Selbst wenn sich aus § 21 Abs. 5 Satz 4 NGVO die Möglichkeit
ergeben sollte, nach Ermessen und ohne weitere Voraussetzungen alle Arbeiten
eines Kurses einer Überprüfung zuzuführen, spricht die angeordnete
„entsprechende Anwendung des Satzes 3“ dafür, dass auch hier das Zwei-Prüfer-
Prinzip seine grundsätzliche Bedeutung behält (vgl. auch Lambert/Müller/Sutor,
Schulrecht Baden-Württemberg, Stand September 2014, § 21 NGVO Rn. 3; s.a.
die Ausführungen unten). Dieses in der Verordnung als Regelfall vorgesehene
Prinzip darf auch nicht durch eine gegenläufige generelle Handhabung bei der
Prüfung zum Ausnahmefall werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.08.1988,
a.a.O.; Bayerischer VGH, Urteil vom 19.03.2004 - 7 B 03.1162 -, BayVBl 2005,
662).
26 Da die Bindung des Drittkorrektors nach § 21 Abs. 5 Satz 3 letzter Halbsatz NGVO
für den „Regelfall“ festgeschrieben ist, ist er grundsätzlich an den Rahmen der Erst-
und Zweitkorrektur (im Fall des Satzes 3) bzw. an die arithmetische Berechnung
(im Fall des Satzes 4) gebunden. Diese Bindung entfällt (erst) bei Vorliegen eines
atypischen Ausnahmefalls, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat.
Ein solcher Ausnahmefall ist (jedenfalls) dann gegeben, wenn - wie hier nicht - die
insoweit zu über- oder zu unterschreitende Bewertung an einem rechtlich
erheblichen Beurteilungsfehler leiden. Der Beklagte meint weitergehend, der von
den Vorkorrektoren gesetzte Rahmen könne auch dann ausnahmsweise ohne
Bindungswirkung sein, wenn die Vorkorrektoren eindeutig von den landesweiten
Maßstäben für die Notengebung abwichen. Nach Ziffer 3 der Arbeitsanweisung für
die Endbeurteilung der Abiturarbeiten für die schriftliche Abiturprüfung 2012 des
Regierungspräsidiums Freiburg seien alle Arbeiten des betreffenden Kurses neu
zu korrigieren, wenn bei der Erst- und Zweitkorrektur die Korrekturrichtlinien nicht
eingehalten worden seien bzw. die Bewertung nicht akzeptiert werden könne. Hier
ist indes zwischen der Befugnis zur Drittkorrektur und der Frage der Bindung des
Drittkorrektors zu differenzieren: Selbst wenn man vor dem Hintergrund der
Regelung in § 21 Abs. 5 Satz 4 NGVO - und mit Blick auf die vom Beklagten
geltend gemachten Belange der Schulaufsicht - die Befugnis zu einer erneuten
Überprüfung bzw. Drittkorrektur nach Ermessen annehmen wollte, änderte dies
nichts an der normativ angeordneten fortbestehenden Bindung des Drittkorrektors
an die Vorkorrekturen. Ein Ausnahmefall kann nicht verallgemeinernd in Anspruch
genommen werden, sondern ist in Bezug auf jede einzelne Prüfungsarbeit
festzustellen. Die verwaltungsinterne Arbeitsanweisung kann, wie das
Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, die normativen Vorgaben des § 21
Abs. 5 NGVO nicht außer Kraft setzen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass
dieser Erlass vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Arbeitsanweisungen der
anderen Regierungspräsidien ersichtlich nicht geeignet ist, eine einheitliche
Prüfungspraxis im Land festzulegen.
27 Abgesehen davon weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass die
Korrekturrichtlinien zwar formale Kriterien enthalten und den Rahmen der
Bewertung festlegen, aber nicht selbst der Maßstab für die Bewertung sind. Dem
Korrektor wird formal vorgegeben, in welcher Weise er korrigieren soll, was er wie
kennzeichnen soll und welche Gesichtspunkte er im Rahmen seiner Bewertung
berücksichtigen soll. Es wird aber nicht geregelt, wie die einzelnen Bestandteile zu
gewichten sind und es wird kein Maßstab für die Notengebung festgelegt. Die
Korrekturrichtlinien gehen im Übrigen selbst davon aus, dass es nicht unüblich ist,
dass nicht alle Fehler gekennzeichnet werden. Denn es heißt in Nr. 1.1.1.: „Der
Zweitbeurteiler...kennzeichnet nur diejenigen Fehler, die vom Erstbeurteiler
übersehen wurden. Ist der Zweitbeurteiler der Ansicht, dass ein vom Erstbeurteiler
angestrichener Fehler nicht als solcher bzw. mit einem anderen Gewicht zu werten
sei, kennzeichnet er diese Stelle im Text durch Einklammern und hält dies am
linken Rand durch die Bemerkung „kein Fehler“ bzw. ein anderes Korrekturzeichen
fest“. Die Beachtung der Korrekturrichtlinien durch Anbringung von
Korrekturzeichen stellt lediglich eine formale Vorstufe der Bewertung dar.
Entscheidend ist nicht die Anbringung des Korrekturzeichens, sondern vielmehr,
ob der Prüfer die Fehler der Arbeit zur Kenntnis genommen und in seine
Bewertung einbezogen hat. Ein Verstoß gegen die Korrekturrichtlinien ist danach
grundsätzlich nicht geeignet, einen Ausnahmefall darzulegen. Nachdem diese
selbst davon ausgehen, dass es nicht unüblich ist, dass nicht alle
Korrekturzeichen angebracht werden, wäre es sonst auch ohne weiteres möglich,
vom Zwei-Prüfer-Prinzip abzuweichen.
28 Die Auffassung des Beklagten, eine Drittkorrektur sei gerechtfertigt, wenn „die
Bewertung nicht akzeptiert werden könne“, ist schließlich auch angesichts der
Unbestimmtheit dieses Begriffs und der Verknüpfung mit einer nicht überprüfbaren
Wertung ungeeignet, eine Befugnis zur freien Drittkorrektur zu begründen.
29 Hätte der Verordnungsgeber über das abschließende Gefüge des § 21 Abs. 5
NGVO hinaus eine weitergehende Möglichkeit der Abweichung von dem Zwei-
Prüfer-Prinzip vorsehen wollen, hätte er dies - auch unter dem Gesichtspunkt des
Vorbehalts des Gesetzes - klar und eindeutig regeln und dabei insbesondere auch
normative Regelungen zu den Voraussetzungen und Grenzen eines solchen
Vorgehens festlegen müssen, die hier jedoch fehlen.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
31 Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
32
Beschluss vom 6. Mai 2015
33 Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 47
Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 38.6 der Empfehlungen des
Streitwertkatalogs 2013, VBlBW 2014, Sonderbeilage zu Heft 1).
34 Der Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3
GKG).