Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 15.05.2015

beiladung, soziologie, psychologie, ermessen

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 15.5.2015, 9 S 480/15
Zweck und Voraussetzungen der einfachen Beiladung
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen der einfachen Beiladung
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 4. Februar 2015 - 4 K 4516/14 - geändert.
Die ... ... .... ... ..., vertreten durch die ... ... ..., diese vertreten durch den
Geschäftsführer, ... ... ..., ... ...-..., wird zum Rechtsstreit beigeladen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Die fristgemäß eingelegte Beschwerde (§ 147 Abs. 1 VwGO) ist auch im Übrigen
zulässig. Sie ist nur für den Fall der (erfolgten) Beiladung in § 65 Abs. 4 Satz 3
VwGO ausdrücklich ausgeschlossen und steht auch dem Dritten zu, der seine
Beiladung beantragt hatte bzw. für den ein Beteiligter dies getan hat (Czybulka, in
Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 65 Rn. 181; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl.
2014, § 65 Rn. 38). Die Beschwerde ist auch begründet.
2 Ein Fall notwendiger Beiladung im Sinne des § 65 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor.
Indes sind die Voraussetzungen einer einfachen Beiladung auf der Grundlage des §
65 Abs. 1 VwGO erfüllt. Danach kann das Gericht, soweit das Verfahren noch nicht
rechtskräftig abgeschlossen oder in höherer Instanz anhängig ist, von Amts wegen
oder auf Antrag andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt
werden, beiladen. Dabei ist das Beschwerdegericht als zweite Tatsacheninstanz
infolge des Devolutiveffekts der Beschwerde zur vollen Überprüfung des
angegriffenen Beschlusses befugt, in dem das Verwaltungsgericht das ihm nach §
65 Abs. 1 VwGO zustehende Ermessen zu Ungunsten der Beschwerdeführerin
ausgeübt hat. Der Senat hat somit über den Antrag der Beschwerdeführerin nach
eigenem Ermessen zu entscheiden, ohne auf die Nachprüfung der
Ermessensentscheidung des Verwaltungsgerichts beschränkt zu sein (vgl.
Hessischer VGH, Beschluss vom 22.03.2004 - 9 TJ 262/04 -, juris; OVG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 31.10.1980 - 7 B 1366/80 -, NJW 1981, 1469; Czybulka,
in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 65 Rn. 169).
3 Der Zweck dieser Beiladung ist es, Dritte, die nicht zum Kreis der Hauptbeteiligten
gehören, deren rechtliche Interessen aber durch die gerichtliche Entscheidung
unmittelbar berührt werden können, am Verfahren zu beteiligen, damit sie die
Möglichkeit erhalten, sich mit ihrem Rechtsstandpunkt Gehör zu verschaffen. Ferner
soll dadurch, dass die Rechtskraftwirkungen der Entscheidung auch ihnen
gegenüber eintreten, aus Gründen der Prozessökonomie etwaigen weiteren
Rechtsstreitigkeiten vorgebeugt werden. Schließlich soll der Streitstoff umfassend
geklärt werden. Ein rechtliches Interesse, das eine Beiladung zu rechtfertigen
geeignet sein kann, ist gegeben, wenn der Beizuladende zu einer der Parteien oder
zu beiden oder zum Streitgegenstand so in Beziehung steht, dass sich je nach dem
Ausgang des Rechtsstreits seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern
kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.03.2005 - 4 VR 1001.04 u.a. -, juris, m.w.N.;
Czybulka, in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 65 Rn. 21).
4 Danach übt der Senat sein Ermessen in dem aus dem Tenor des Beschlusses
ersichtlichen Sinn aus, weil er die Beiladung der Beschwerdeführerin zum
Rechtsstreit für sachgerecht erachtet.
5 Die Beschwerdeführerin hat einen Schriftsatz der Klägerin in einem zwischen ihnen
vor dem Landgericht München geführten Hauptsacheverfahren (- 1 HK O 17935/14
-) vorgelegt, in dem diese anregt, das Verfahren auszusetzen, bis über die
vorliegende Klage 4 K 4516/14 gegen das Land Baden-Württemberg rechtskräftig
entschieden sei. Die Klägerin hat dort u.a. vorgetragen, dass ein
Unterlassungsanspruch gegen sie nicht bestehe, weil die streitgegenständliche
Werbung eine zutreffende Tatsachenbehauptung und eine zulässige reine
Meinungsäußerung enthalte, für deren Richtigkeit sie überzeugende Argumente
habe. Unstreitig sei zunächst, dass es sich bei den unverbindlichen
Stellungnahmen der Regierung von Oberbayern und des Landesprüfungsamtes
Baden-Württemberg nicht um (negative) „Anerkennungsbescheide“ handele,
sondern um bloße Stellungnahmen, die nach ihrer Auffassung evident unzutreffend
seien. Konsequenterweise habe sie daher Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart
gegen das Land Baden-Württemberg erhoben und mit ihrem Hauptantrag beantragt
festzustellen, dass das Land Baden-Württemberg verpflichtet sei, den an der
freien/privaten Universität Varna angebotenen Leistungsnachweis „Medizinische
Psychologie und Soziologie“ auf das Studium der Humanmedizin in Deutschland
anzuerkennen bzw. hilfsweise festzustellen, dass von den entsprechenden „Vorab-
Stellungnahmen“ des Landesprüfungsamts für Medizin und Pharmazie keinerlei
vorgreifende Rechtswirkungen im Hinblick auf die Anerkennung des an der freien
Universität Varna erworbenen Leistungsnachweises „Medizinische Psychologie und
Soziologie“ auf das Studium der Humanmedizin in Baden-Württemberg ausgingen.
Es werde angeregt, das Verfahren auszusetzen, bis über diese Klage rechtskräftig
entschieden worden sei, da die Entscheidung über die Frage der Anerkennung des
Leistungsnachweises „Medizinische Psychologie und Soziologie“ auf das Studium
der Humanmedizin in Deutschland bzw. über die Frage der Rechtswirkungen
entsprechender „Vorab-Stellungnahmen“ auch für das vorliegende Verfahren von
entscheidender Bedeutung und somit vorgreiflich sei.
6 Vor diesem Hintergrund hält der Senat eine Beiladung der Beschwerdeführerin für
angezeigt. Die Zulässigkeit einer einfachen Beiladung setzt nämlich nicht voraus,
dass der Dritte durch die Entscheidung tatsächlich in seinen Rechten berührt wird.
Vielmehr reicht es aus, wenn im Zeitpunkt der Beiladung die Möglichkeit besteht,
dass die Entscheidung auf rechtliche Interessen des Beigeladenen einwirken kann.
Es genügt mithin, dass sich eine Rechtsposition des Beizuladenden durch das
Unterliegen einer der Parteien verbessern oder verschlechtern könnte, und dabei
macht es keinen Unterschied, ob diese Rechtsposition durch öffentliches oder
bürgerliches Recht begründet wird (BVerwG, Urteil vom 16.09.1981 - 8 C 1.81 u.a. -,
BVerwGE 64, 67). Dass diese Möglichkeit hier besteht, liegt mit Blick auf das
Verfahren vor dem Landgericht München auf der Hand.
7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Unterliegender Teil ist die
Klägerin, die der Beschwerde entgegengetreten ist.
8 Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht. Gerichtskosten werden bei einer
erfolgreichen Beschwerde der hier vorliegenden Art nicht erhoben, weil in Verfahren
über sonstige Beschwerden nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu
§ 3 Abs. 2 GKG) nur bei Erfolglosigkeit der Beschwerde eine Gebühr und zum
anderen (ohnehin) nur eine Festgebühr von 60,-- EUR anfällt.
9 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).