Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 27.10.2015

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VGH Baden-Württemberg Urteil vom 27.10.2015, 8 S 2207/13
Baurechtliche Nachbarstreitigkeit über geplante Errichtung eines
Lebensmittelmarkts im Geltungsbereich eines Bebauungsplans; Wirksamkeit
und Bekanntgabe; Bestimmtheit der Festsetzung eines weitgehenden
Einzelhandelsausschlusses für "Weiße Ware"
Leitsätze
Der Hinweis auf den Ort, "wo der Bebauungsplan eingesehen werden kann" im Sinne
von § 12 Satz 3 BauGB 1987 (heute: § 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB) verlangt die
Bezeichnung des Aufbewahrungs- und Einsichtnahmeorts in einer Weise, die es
Personen, die Einsicht nehmen wollen, ermöglicht, ihn ohne große Schwierigkeiten zu
finden. Der Hinweiszweck wird noch erreicht, wenn jedenfalls eine "Anlaufstelle"
bezeichnet wird oder sich aus der Bekanntmachung ergibt, bei der Interessierte ohne
unzumutbare Erschwernisse nähere Auskunft über die Stelle der Einsichtnahme
erhalten können, wenn diese Stelle gleichfalls ohne unzumutbare Erschwerungen zu
erreichen ist.
Tenor
Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart
vom 14. November 2012 - 2 K 471/11 - teilweise geändert und neu gefasst.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus dem erstinstanzlichen
Verfahren, die diese selbst trägt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Beigeladene wendet sich gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart,
mit dem dieses die Beklagte verpflichtet hat, den Bauantrag der Klägerin zur
Errichtung eines Lebensmittelmarktes mit 123 Stellplätzen, Pfandrückgabe,
Backvorbereitung und Werbeanlagen neu zu bescheiden.
2 Die Klägerin beantragt am 26.11.2009 eine Baugenehmigung für den „Neubau
eines xxx Lebensmittelmarktes mit ca. 123 Stellplätzen, Pfandrückgabe,
Backvorbereitung und Werbeanlagen“ auf Teilen der Grundstücke mit den Flst. Nr.
2715 und 2818 im Gemeindegebiet der Beigeladenen. Diese Grundstücke liegen
im Geltungsbereich des Bebauungsplans „W.-N.“ vom 28.07.1997. Der
Bebauungsplan, der nur Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung enthält,
setzt im Bereich des Grundstücks mit der Flst. Nr. 2715 „GEe2,3“ und für den
Bereich des Grundstücks mit der Flst. Nr. 2818 „GEe2“ fest.
3 In den textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan heißt es unter B 1.2:
4
„GEe2- Gewerbegebiet mit Einschränkung entsprechend § 8 BauNVO und § 1 (5)
und (9) BauNVO.
5
Zulässig sind die in § 8 (2) BauNVO genannten gewerblichen Nutzungen mit
Ausnahme von Einzelhandelsbetrieben der Branchen:
6
- Nahrungs- und Genußmittel
7
- Drogeriewaren (u.a. Wasch- und Putzmittel, Kosmetika)
8
- Oberbekleidung, Kürschnerwaren, sonstige Textilwaren, Wolle u.a.
9
- Schuhe, Leder- und Galanteriewaren
10 - Sportbekleidung, Sportgeräte
11 - Haushalts- und Elektrowaren, optische und feinmechanische Geräte,
Fotowaren,
12 - Papier- und Schreibwaren, Bücher, Spielwaren
13 - Blumen
14 - Uhren, Schmuck
15 - Ausnahmsweise sind Einzelhandelsbetriebe für großteilige Sportgeräte und
Elektrowaren (sogenannte Weiße Ware) zulässig.
16 Zentrenrelevante Randsortimente bei ansonsten nichtzentrenrelevanten
Einzelhandelsbetrieben (Möbel- Bau und Gartenmärkten u.ä.) sind auf den
Bestand beschränkt und bei Neuansiedlung ausgeschlossen.“
17 Unter 1.3 heißt es in den textlichen Festsetzungen weiter:
18 „GEe3- Gewerbegebiet mit Einschränkung entsprechend § 8 BauNVO und § 1 (4)
BauNVO.
19 Zulässig sind nur Gewerbebetriebe, die das Wohnen nicht wesentlich stören.“
20 In der Zeichenerklärung zum zeichnerischen Teil heißt es u.a.:
21 „GEe1,2,3 Gewerbegebiet mit Einschränkung (§ 8 BauNVO i.V. mit § 1 (4), (5) und
(9) BauNVO)“
22 In dem Gutachten „Die Kommunen des Gemeindeverwaltungsverbandes xxx / xxx
als Standorte für Lebensmitteleinzelhandel und konsumnahe Dienstleistungen“ der
xxx mbH aus dem April 1997, das im Rahmen der Aufstellung des
Bebauungsplans „W.-N.“ beauftragt und erstellt worden war, heißt es u.a:
23 „5.4.2. Sicherung der Versorgung im Ortskern von xxx
24 Nicht alle Betriebe im Ortskern von xxx werden sich auf Dauer im Wettbewerb
behaupten können; hier muss ausdrücklich auf die vorgegebene Kleinflächigkeit
der Betriebe und auf gegebene Standortnachteile verwiesen werden. …
25 Aber auch in xxx wird die Ortskernlage durch Nahversorgungsangebote
stabilisiert. Hierzu zählen:
26 - aus dem Bereich Nahrungs- und Genußmittel:
27 - Lebensmittel, Reformwaren,
- Getränke, Spirituosen, Tabak
- Bäcker, Konditor,
- Metzger
28 - aus dem Bereich der Gesundheits- und Körperpflege:
29 - Drogerie, Parfümerie, Kosmetik
- Friseur
- Apotheke
- Blumen, Pflanzen
- Schreib- und Papierwaren, Zeitschriften
30 Deshalb wurden in xxx bereits entsprechende B-Planfestsetzungen mit
Ausschluß von Lebensmittel-Einzelhandel getroffen.
31 5.4.3 Dezentrale Standorte
32 Als dezentrale Standorte sind vor allem die Gewerbegebiete zu verstehen, Für
diese Standortbereiche sollten in Abstimmung mit dem Sortimentskonzept nur
Betriebe mit nicht zentrenrelevanten Sortimenten zugelassen werden.
33 …
34 6.4 Planvorhaben xxx in xxx
35 Auch in xxx stehen im Ortskern keine verfügbaren Flächen für die Ansiedlung des
xxx-Discounters zur Verfügung. Die noch bedingt zentrumsnahe Ansiedlung des
Marktes auf dem Sportplatz könnte unter folgenden Voraussetzungen zu wenig
gravierenden Auswirkungen auf den Stadtkern von xxx und die Ortsmitte von xxx
führen:
36 - die ortskernnahe Genehmigung bleibt ein Ausnahmefall, weitere
Genehmigungen zentrenrelevanter Sortimente in dezentraler Lage werden nicht
angestrebt
37 - über Bebauungsplanfestsetzungen wird dem Einzelfallcharakter der
Genehmigung Rechnung getragen“.
38 Der Vorschlag dieses Gutachtens zur Unterscheidung nach zentrenrelevanten und
nicht zentrenrelevanten Sortimenten in xxx und xxx (S. 92 des Gutachtens) sah
u.a. vor, Nahrungs- und Genussmittel, Reformwaren, Fotogeräte, Videogeräte,
Fotowaren sowie Elektrowaren/ Unterhaltungselektronik (weißes und braunes
Sortiment) als zentrenrelevant zu behandeln. Als nicht zentrenrelevant wurden u.a.
Heimcomputer, Herde und Öfen bewertet.
39 Die Durchführung des Anzeigeverfahrens (§ 11 Abs. 3 BauGB in der Fassung vom
08.12.1986) nach dem Satzungsbeschluss des Gemeinderats wurde am
04.09.1997 ortsüblich bekanntgemacht. Die Bekanntmachung enthielt folgenden
Hinweis:
40 „Jedermann kann ab sofort auf unbegrenzte Zeit den Bebauungsplan und seine
Begründung während der Dienststunden (Kernzeit montags bis freitags von 8.00
Uhr - 12.00 Uhr; montags bis mittwochs von 13.30 Uhr - 15.30 Uhr, donnerstags
von 14.00 Uhr - 18.30 Uhr) beim Ortsbauamt xxx (Rathaus II, Zimmer 45)
einsehen und über ihren Inhalt Auskunft verlangen.“
41 Die Beigeladene teilte dem Vertreter des Beklagten mit Schreiben vom 17.12.2009
mit, dass das Bauvorhaben hinsichtlich des Warenangebotes den Festsetzungen
des Bebauungsplanes widerspreche, Gründe für eine Befreiung nicht ersichtlich
seien und deshalb das Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 BauGB nicht erteilt werde.
42 Das Landratsamt xxx lehnte den Bauantrag mit Bescheid vom 26.03.2010 ab. Der
geplante Lebensmittelmarkt verstoße hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung
gegen die Festsetzungen unter B 1.2. des Bebauungsplans. Die Voraussetzungen
für eine Befreiung lägen nicht vor, weil durch die geplante Nutzung Grundzüge der
Planung verletzt würden.
43 Mit ihrem Widerspruch vom 08.04.2010 machte die Klägerin u.a. geltend, dass der
Bebauungsplan „W. - N.“ unwirksam sei. Er verstoße gegen den
Bestimmtheitsgrundsatz. Die „Doppelfestsetzung“ „GEe2,3“ sei widersprüchlich.
Sie werde im Textteil des Bebauungsplans nicht erläutert. Im Gewerbegebiet GEe2
seien die in § 8 Abs. 2 BauNVO genannten gewerblichen Anlagen mit der
Ausnahme von Einzelhandelsbetrieben der aufgezählten innenstadtrelevanten
Branchen zulässig. Im Gewerbegebiet GEe3 seien nur Gewerbebetriebe zulässig,
die das Wohnen nicht wesentlich stören. Die in § 8 Abs. 2 BauNVO genannten
Nutzungen gehörten gerade nicht dazu, sodass die Festsetzungen in sich
widersprüchlich seien. Nach § 34 Abs. 1 BauGB sei das Vorhaben seiner Art nach
zulässig. Insbesondere handele es sich um keinen großflächigen
Einzelhandelsbetrieb. Auch ansonsten füge sich das Vorhaben ein. Es verstoße
auch nicht gegen § 34 Abs. 3 BauGB.
44 Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Widerspruch mit Bescheid vom
04.03.2011 zurück. Dem Vorhaben stünden bauplanungsrechtliche Vorschriften
entgegen. Gewerbebetriebe für den Lebensmitteleinzelhandel sollte ausweislich
der Begründung des Bebauungsplans nur im Gebiet GEe1 zulässig sein. Das
kombinierte Gewerbegebiet GEe2, 3 bedeute, dass in diesem Bereich die
aufgezählten Einzelhandelsbetriebe nicht zulässig seien und darüber hinaus nur
solche Gewerbebetriebe zulässig seien, die das Wohnen nicht wesentlich störten.
Eine Befreiung von den Festsetzungen sei hier nicht zulässig.
45 Bereits am 11.02.2011 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben,
zur Begründung ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und
vertieft sowie ergänzend geltend gemacht, dass der Bebauungsplan mit seinem
Einzelhandelsausschluss unwirksam sei. Es werde insoweit kein hinreichendes
Plankonzept verfolgt. Haushalts- und Elektrowaren würden ausgeschlossen,
obwohl in der Begründung des Bebauungsplanes angeführt werde, dass
Elektrogroßgeräte, Öfen, Herde und Elektroeinbaugeräte nicht zentrenrelevant
seien. Für den Ausschluss fehle es daher hier an der erforderlichen
städtebaulichen Rechtfertigung. Inkonsistent sei das Planungskonzept auch
deshalb, weil das westlich an das Baugrundstück angrenzende Grundstück nicht
von den Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung erfasst werde. Daher
könnten dort Einzelhandelsbetriebe angesiedelt werden Weiter sei das
Planungskonzept inkonsistent, weil im Gewerbegebiet GEe1
Lebensmitteleinzelhandel zugelassen werde. In der Begründung werde das damit
gerechtfertigt, dass sich die Ansiedlungsbemühungen für den
Lebensmitteleinzelhandel im Ortskern schwierig gestaltet hätten. Die
Nahversorgung mit Lebensmitteln sei für die Wohnbebauung zwischen xxx und
xxx sowie xxx Straße mangelhaft. Wenn sich Lebensmitteleinzelhandel im
Ortskern nicht ansiedeln lasse, fehle es an der Rechtfertigung für den Ausschluss
des Lebensmitteleinzelhandels im GEe2. Nach § 34 BauGB sei das Vorhaben
aber zulässig. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten, die Beigeladene hat
sich nicht geäußert.
46 Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Landratsamts xxx vom 26.03.2010
und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom
04.03.2011 mit Urteil vom 14.11.2012 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet,
den Bauantrag der Klägerin vom 25.11.2009 entsprechend der Rechtsauffassung
des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen: Der
Beklagte sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Bauvorhaben gegen
Vorschriften des Bauplanungsrechts verstoße. Da bauordnungsrechtliche
Vorschriften nicht geprüft worden seien, könne die Verpflichtung zur Erteilung der
Baugenehmigung aber nicht ergehen.
47 Die Regelung unter 1.2 des Bebauungsplanes sei jedenfalls wegen
Funktionslosigkeit außer Kraft getreten. Nach den Feststellungen der
Auswirkungsanalyse für Einzelhandelsnutzungen in xxx, xxx xxx xxx, der xxx vom
April 2008 könnten die Ziele des Bebauungsplans mit Hilfe der Festsetzungen in
Nr. 1.2 nicht mehr erreicht werden, weil selbst eine umfängliche
Einzelhandelsfreigabe keine maßgeblichen Auswirkungen mehr auf den
Einzelhandel im Ortszentrum der Beigeladenen habe. Im Jahr 2008 habe im
Plangebiet - nämlich im westlichen Teil mit der Festsetzung GEe2 - eine
umfängliche Genehmigung von Nutzungsänderungen für den Einzelhandel
stattgefunden. Der zur erwartenden Umsatzverteilung habe die Einschätzung
zugrunde gelegen, dass der Einkaufsschwerpunkt der Gemeinde schon bislang in
dezentraler Lage bestanden habe. Nach Darlegung des Gutachtens sei der
historisch gewachsenen Einzelhandelslage, nur noch geringe Bedeutung
zugekommen. Das Gutachten sei für 2008 schon zu dem Ergebnis gekommen,
dass die Vorhaben - ein Textilmarkt mit 734 m2, ein Fachmarkt für Tiernahrung mit
643 m2, ein Sportbekleidungs- oder Spielwarenfachmarkt mit 693 m2, ein
Schuhfachmarkt mit 684 m2 und ein Drogeriemarkt mit 750 m2 keine schädlichen
Auswirkungen auf die zentralen Ortskerne von xxx oder xxx habe. Das gelte nach
Überzeugung des Gerichts auch für das Vorhaben der Klägerin. Die
Funktionslosigkeit von Nr. 1.2. führe hier nur zur Teilunwirksamkeit des
Bebauungsplans. Das Vorhaben füge sich im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB, der
zur Anwendung komme, ein. Es liege auch kein Verstoß gegen § 34 Abs. 3
BauGB vor.
48 Die Beigeladene hat gegen das ihr am 10.12.2012 zugestellte Urteil die Zulassung
der Berufung beantragt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom
16.10.2013 zugelassen. Die Berufung ist am 08.11.2013 begründet worden: Der
Bauantrag widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans „W. - N.“. Die
Festsetzungen zum Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben mit
zentrenrelevanten Sortimenten seien nicht wegen Funktionslosigkeit außer Kraft
getreten. Von einer Funktionslosigkeit könne nur dann ausgegangen werden,
wenn - erstens - die Verhältnisse, auf die sich der Bebauungsplan bezieht, in der
tatsächlichen Entwicklungen einen Zustand erreicht hätten, der eine
Verwirklichung der Festsetzungen auf unabsehbare Zeit ausschließe und -
zweitens - die Erkennbarkeit der Tatsache einen Grad erreicht habe, der einem
etwa in die Fortgeltung gesetzten Vertrauens die Schutzwürdigkeit nehme. Das
vom Verwaltungsgericht herangezogene Gutachten der xxx aus dem Jahr 2008
habe die Frage zum Gegenstand, ob die Umnutzung eines aufgegebenen Markts
schädliche Auswirkungen auf die zentralen Ortskerne von xxx und xxx haben
könne. Ihm lasse sich nicht entnehmen, dass eine umfängliche
Einzelhandelsfreigabe keine Auswirkungen auf den Einzelhandel im Ortszentrum
haben könne. Auch sei anzuzweifeln, dass der Beschränkung der
Einzelhandelsnutzung im Bebauungsplan gar keine Funktion mehr zukomme. Im
Übrigen habe sie zwischenzeitlich eine Veränderungssperre erlassen und diese
auch verlängert.
49 Die Beigeladene beantragt,
50 das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. November 2012 - 2 K 471/11
- zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
51 Die Klägerin beantragt,
52 die Berufung zurückzuweisen.
53 Die Veränderungssperre könne dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden.
Das Baugesuch sei am 25.03.2010 rechtswidrig abgelehnt und seit dem faktisch
zurückgestellt worden. Im Übrigen verteidigt die Klägerin das angegriffene Urteil.
Insbesondere sei das Gutachten der xxx aus dem Jahr 2008 zutreffend gewürdigt
worden. Im Übrigen wiederholt und vertieft sie ihren Vortrag zur anfänglichen
Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Die Festsetzungen seien nicht hinreichend
bestimmt. Es fehle auch an einem für den Ausschluss für Einzelhandelsbetriebene
erforderlichen schlüssigen Konzept. Ergänzend sei zu berücksichtigen, dass der
Hinweis zum Ort der Bereithaltung des Bebauungsplans in der ortsüblichen
Bekanntmachung nicht den gesetzlichen Vorgaben gerecht werde. Es sei für den
Adressaten unklar, wo sich das „Rathaus II“ befinde.
54 Der Beklagte hat sich dem Vortrag der Beigeladenen angeschlossen.
55 Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten - einschließlich der
Planaufstellungsakten für den Bebauungsplan W.-N. der Beigeladenen, der
„Auswirkungsanalyse für Einzelhandelsnutzungen in xxx xxx, xxx“ der xxx xxx xxx
xxx xxx mbH aus dem April 2008 sowie der Standortuntersuchung „Die
Kommunen des Gemeindeverwaltungsverbandes xxx als Standorte für
Ladeneinzelhandel und konsumnahe Dienstleistungen- Fortschreibung und
Ergänzung der Markt- und Standortuntersuchung aus den Jahren 1985 (xxx) und
1987/1994 (xxx)“ der xxx xxx xxx xxx xxx xxx mbH aus dem April 1997 - vor. Auf
diese wird wegen der weiteren Einzelheiten ebenso verwiesen wie auf die
Gerichtsverfahrensakten.
Entscheidungsgründe
56 Die Berufung der Beigeladenen ist zulässig (I.) und begründet (II.).
57 I. Die Berufung der Beigeladenen ist zulässig. Insbesondere hat die Beigeladene
die vom Senat zugelassene Berufung rechtzeitig binnen der Monatsfrist des §
124a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründet. Die Begründung enthält - wie von § 124a
Abs. 3 Satz 4 VwGO gefordert - einen Antrag und die Gründe der Anfechtung des
Urteils.
58 Die Beigeladene ist auch berufungsbefugt. Zwar war sie im ersten Rechtszug nicht
formell unterlegen, weil sie keinen Antrag gestellt hat. Sie ist durch die
Entscheidung jedoch materiell beschwert, was für die Begründung der
Berufungsbefugnis ausreichend ist (BVerwG, Urteil vom 14.04.2000 - 4 C 5.99 -
BauR 2000, 1312 m.w.N.). Denn sie hatte zu dem Vorhaben ihr - erforderliches -
Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 BauGB versagt.
59 II. Die Berufung der Beigeladenen ist auch begründet. Zu Unrecht hat das
Verwaltungsgericht die Beklagte zur erneuten Bescheidung des Bauantrags der
Klägerin vom 25.11.2009 verpflichtet. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf
eine Neubescheidung ihres Bauantrags. Der ablehnende Bescheid des
Landratsamts xxx vom 26.03.2010 in Gestalt des Widerspruchbescheids des
Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.03.2011 ist rechtmäßig. Die Klägerin ist
durch ihn nicht in eigenen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Die
Beigeladene kann eine vollständige Überprüfung des stattgebenden Teils des
angegriffenen Urteils beanspruchen, da dieser allein bauplanungsrechtlich
begründet ist.
60 1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kommt der Klägerin kein
Anspruch auf Neubescheidung ihres Bauantrags zu. Dieser bestünde nur dann,
wenn dem Vorhaben der Klägerin keine Vorschriften des Bauplanungsrechts
entgegenstünden (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO). Das Entgegenstehen anderer
öffentlich-rechtlicher Vorschriften - insbesondere des Bauordnungsrechts - ist
schon deshalb nicht zu prüfen, da die Klägerin die teilweise Abweisung ihrer Klage
und die - bloße - Verpflichtung zur Neubescheidung durch das Verwaltungsgericht
hingenommen hat (vgl. zur Anwendung von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO bei Klagen
auf Erteilung von Baugenehmigungen BVerwG, Beschluss vom 26.03.2014 - 4 B
3.14 - UPR 2014, 313 Rn. 16). Dem Vorhaben der Klägerin stehen jedoch die
Festsetzungen des Bebauungsplans „W.-N.“ für das Baugrundstück entgegen.
61 a) Der Bebauungsplan „W.-N.“ ist entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin
und des Verwaltungsgerichts für das Baugrundstück anwendbar. Er ist weder von
Anfang an unwirksam (aa)) noch später infolge einer Funktionslosigkeit unwirksam
geworden (bb)).
62 aa) Der Bebauungsplan „W.-N.“ der Beigeladenen vom 28.07.1997 ist ohne
beachtlichen Rechtsverstoß erlassen und in Kraft gesetzt worden.
63 (1) Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin steht der Wirksamkeit des
Bebauungsplans der Hinweis auf den Ort für die Einsichtnahme in den
Bebauungsplan in der ortsüblichen Bekanntmachung nicht entgegen. Vielmehr
entspricht dieser Hinweis den gesetzlichen Vorgaben.
64 (a) Nach § 12 Sätze 2 und 3 BauGB (in der Fassung des Gesetzes vom
08.12.1986, BGBl. I, S. 2191 - BauGB 1987) ist der Bebauungsplan mit der
Begründung zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten; über den Inhalt ist auf
Verlangen Auskunft zu geben (Satz 2). In der Bekanntmachung ist darauf
hinzuweisen, wo der Bebauungsplan eingesehen werden kann (Satz 3). Soweit
der mit der Bekanntmachung der Satzung verfolgte Hinweiszweck nicht erreicht
worden ist, handelt es sich nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB 1987 um einen
beachtlichen Fehler, der auch nicht nach § 215 Abs. 1 BauGB 1987 unbeachtlich
sein kann.
65 Der Hinweis auf den Ort, „wo der Bebauungsplan eingesehen werden kann“ im
Sinne von § 12 Satz 3 BauGB 1987 (heute: § 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB) verlangt
die Bezeichnung des Aufbewahrungs- und Einsichtnahmeorts in einer Weise, die
es Personen, die Einsicht nehmen wollen, ermöglicht, ihn ohne große
Schwierigkeiten zu finden. Der Hinweiszweck wird noch erreicht, wenn jedenfalls
eine „Anlaufstelle“ bezeichnet wird oder sich aus der Bekanntmachung ergibt, bei
der Interessierte ohne unzumutbare Erschwernisse nähere Auskunft über die
Stelle der Einsichtnahme erhalten können, wenn diese Stelle gleichfalls ohne
unzumutbare Erschwerungen zu erreichen ist (Stock, in:
Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Mai 2015, § 10 BauGB Rn.
123). Die ortsübliche Bekanntmachung hat nicht den Zweck, den am Planinhalt
Interessierten jedwede Anstrengung zu ersparen, den Planentwurf ausfindig zu
machen. Eigenständige Bemühungen, die den Betroffenen nicht überfordern,
dürfen ihm zugemutet werden (vgl. BVerwG; Urteil vom 29.01.2009 - 4 C 16.07 -
BVerwGE 133, 98 Rn. 34).
66 (b) Gemessen an diesen Maßstäben wird der Hinweis in der ortsüblichen
Bekanntmachung vom 04.09.1997 den Vorgaben des § 12 Satz 3 BauGB 1987
gerecht. Mit dem Hinweis „Ortsbauamt xxx (Rathaus II, Zimmer 45)“ hat die
Beigeladene im Sinne dieser Vorschrift darauf hingewiesen, „wo der
Bebauungsplan eingesehen werden kann“. Denn bei der Beigeladenen - einer
Gemeinde mit rund 10.000 Einwohnern - führt der Hinweis auf das „Rathaus II“
verlässlich in die Nähe des Einsichtnahmeorts, nämlich zum Rathaus, dessen
Auffinden in xxx einfach und ohne unzumutbare Anstrengungen möglich ist. Das
Rathaus befindet sich, wie eine in der Verhandlung mit Hilfe eines Mobilfunkgeräts
des Klägervertreters in Augenschein genommene Luftbildaufnahme belegt, in der
Ortsmitte der Beigeladenen. Da die Gebäude Rathaus I und Rathaus II in
unmittelbarer Nachbarschaft stehen, ist auch sichergestellt, dass die im „Rathaus I“
nachfragende Person, unmittelbar an den richtigen Ort, das „Rathaus II“,
weiterverwiesen werden kann. Damit wird den Anforderungen des § 12 Satz 3
BauGB 1987 genügt.
67 (2) Der Bebauungsplan „W.-N.“ der Beigeladenen vom 28.07.1997 verstößt mit
seiner Festsetzung GEe2, 3 nicht gegen das Gebot der hinreichender
Bestimmtheit der Gesetze. Ebenso ist die Formulierung „Elektrowaren (sogenannte
Weiße Ware)“ in Nr. B I. 1.2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans
hinreichend bestimmt.
68 (a) Das in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie in Art. 25 Abs. 2
LV verankerte Rechtsstaatsprinzip begründet das Gebot hinreichender
Bestimmtheit der Gesetze. Gesetze sind so zu fassen, dass die Betroffenen die
Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können. Welche
Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen sind, lässt sich nicht generell und
abstrakt festlegen, sondern hängt auch von der Eigenart des Regelungsgebietes
ab (BVerwG, Urteil vom 26.03.2015 - 7 C 17.12 - NVwZ 2015, 1215 Rn. 29). Für
Bebauungspläne - als materielle Gesetze - bedeutet dies, dass die zeichnerischen
und die textlichen Festsetzungen aus sich heraus eindeutig und verständlich sein
müssen. Die von den Festsetzungen Betroffenen müssen vorhersehen können,
welchen Regelungen ihre Grundstücke unterworfen werden und welche
Einwirkungen von Nachbargrundstücken zu erwarten sein können (OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.01.2014 - 7 A 1066/11 - BauR 2014, 1123).
69 (b) Diesen Anforderungen wird der Bebauungsplan „W.-N.“ vom 28.07.1997
gerecht. Die Nennung verschiedener tiefergestellter Ziffern meint, dass die in den
textlichen Festsetzungen vorgegebenen Modifizierungen nach § 1 Abs. 4, 5 oder 9
BauNVO ergänzend gemeinsam für das betroffene Gebiet Geltung beanspruchen,
im Fall des Grundstücks der Klägerin also die Festsetzungen GEe2 und GEe3.
Dass eine solche Kombination der verschiedenen textlichen Festsetzungen vom
Normgeber gewollt ist, ergibt sich aus Zeichenerklärung des zeichnerischen Teils,
wenn dort ganz allgemein der Texteintrag „GEe1,2,3“ und damit gerade die
größtmögliche Kombination, erläutert wird. Dies ist auch für den Normadressaten
unmittelbar zu erkennen. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt die
Kombination der Festsetzungen GEe2 und GEe3 nicht zu einer in sich
widersprüchlichen und deswegen unbestimmten Regelung. Vielmehr lässt sich der
Ausschluss des das Wohnen wesentlich störender Gewerbebetriebe ergänzend
zu der Anordnung, dass Gewerbebetriebe nach § 8 Abs. 2 BauNVO mit
Ausnahme bestimmter Einzelhandelsbetriebe zulässig sind, lesen und für den -
objektiven - Adressaten verstehen.
70 Auch die Festlegung, nach der die Nutzung durch Einzelhandelsbetriebe der
Branche Elektrowaren (sogenannte Weiße Ware) ausnahmsweise zulässig ist,
genügt den Anforderungen an die Bestimmtheit. Der Begriff der „Weißen Ware“
knüpft ebenso wie derjenige der „Braunen Ware“ an ihre einst herkömmliche Farbe
(Weiß = elektrische Haushaltsgeräte; Furnier = braune Ware als Geräte der
Unterhaltungselektronik) an (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 20.04.2009 -
1 KN 79/05 - BauR 2009, 1425). Die von der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung geäußerten Zweifel, ob die Bestimmtheit des Begriffs auch schon
1997 gegeben gewesen sei, sind erkennbar nicht berechtigt, weil auch schon
1997 Geräte der Unterhaltungselektronik so gut wie nicht mehr in
Holzfurnierausstattung gefertigt worden sind und die Unterscheidung zwischen
Weißer und Brauner Ware also schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des
Bebauungsplans einer jahrzehntealten Sprachübung entsprechend erfolgte.
Überdies ist durch die angegriffene textliche Festsetzung auch geregelt, dass nur
großteilige Sportgeräte und großteilige Elektrogeräte zu den ausnahmsweise
zulässigen Einzelhandelsbranchen im Plangebiet gehören.
71 (3) Der Bebauungsplan „W.-N.“ vom 28.07.1997 verstößt auch nicht gegen § 1
Abs. 3 BauGB 1987, weil es etwa für den Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben
an einem schlüssigen Konzept fehlte
72 (a) Gemäß § 1 Abs. 5 BauNVO in der hier einschlägigen bis zum 20. September
2013 geltenden Fassung kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass
bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2, 4 bis 9 und 13 BauNVO
allgemein zulässig sind, nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen
werden können, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt
bleibt. Nach § 1 Abs. 9 BauNVO kann darüber hinaus im Bebauungsplan, wenn
besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen, bei Anwendung des § 1 Abs.
5 bis Abs. 8 BauNVO festgesetzt werden, dass nur bestimmte Arten der in den
Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen baulichen oder sonstigen
Anlagen zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen
werden können. Der von § 1 Abs. 5 BauNVO gestattete Ausschluss bestimmter
Nutzungsarten - z. B. von Einzelhandel - in einem - wie hier - festgesetzten
Baugebiet ist nur wirksam, wenn er im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB für die
städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich und durch städtebauliche
Gründe gerechtfertigt ist. Darüber hinaus können nach § 1 Abs. 9 BauNVO
weitergehende Differenzierungen vorgenommen werden. Ziel des § 1 Abs. 9
BauNVO ist es, die allgemeinen Differenzierungsmöglichkeiten der
Baugebietstypen nochmals einer „Feingliederung" unterwerfen zu können, falls
sich hierfür besondere städtebauliche Gründe ergeben, um die Vielfalt der
Nutzungsarten im Plangebiet zu mindern. Die Planungsfreiheit der Gemeinden ist
lediglich dadurch begrenzt, dass sich die Differenzierungen auf bestimmte
Anlagentypen beziehen müssen, die es in der sozialen und ökonomischen Realität
bereits gibt (BVerwG, Beschluss vom 05.06.2014 - 4 BN 8.14 - ZfBR 2014, 574 Rn.
10).
73 Was im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB 1987 erforderlich ist, bestimmt sich
maßgeblich nach der jeweiligen planerischen Konzeption der Gemeinde (vgl.
BVerwG, Urteil vom 07.05.1971 - 4 C 76.68 - Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 7;
Beschluss vom 17.05.1995 - 4 NB 30.94 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 82).
Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt in ihrem planerischen
Ermessen; der Gesetzgeber ermächtigt sie, die „Städtebaupolitik“ zu betreiben, die
ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 14.08.1995 - 4 NB 21.95 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 86). Dem Kriterium
der städtebaulichen Rechtfertigung kommt dieselbe Funktion zu wie demjenigen
der Planrechtfertigung im Planfeststellungsrecht, nämlich die Planung, die ihre
Rechtfertigung nicht in sich selbst trägt, im Hinblick auf die damit verbundenen
Rechtseinwirkungen in Einklang mit den gesetzlich zulässigen Planungszielen zu
bringen und auf diese Weise grundsätzlich zu rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urteil
vom 14.02.1975 - 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <60> m.w.N.). Nicht erforderlich im
Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sind danach Pläne, die einer positiven
Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen,
für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht
bestimmt sind; § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist ferner verletzt, wenn ein
Bebauungsplan, der aus tatsächlichen oder Rechtsgründen auf Dauer oder auf
unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt, die Aufgabe der verbindlichen
Bauleitplanung nicht zu erfüllen vermag (BVerwG, Urteil vom 21.03.2002 - 4 CN
14.00 - BVerwGE 116, 144 <146 f.> m.w.N.). In dieser Auslegung setzt § 1 Abs. 3
BauGB der Bauleitplanung eine erste, strikt bindende Schranke, die allerdings
lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt (BVerwG,
Urteil vom 27.03.2013 - 4 C 13.11 - BVerwGE 146, 137 Rn. 9 m.w.N.). Sie betrifft
die generelle Erforderlichkeit der Planung, nicht hingegen die Einzelheiten einer
konkreten planerischen Lösung. Dafür ist das Abwägungsgebot maßgeblich
(BVerwG, Urteil vom 21.03.2002 - 4 CN 14.00 - BVerwGE 116, 144 (147)), das im
Hinblick auf gerichtliche Kontrolldichte, Fehlerunbeachtlichkeit und
heranzuziehende Erkenntnisquellen abweichenden Maßstäben unterliegt. Die
dem Abwägungsgebot unterfallenden Einzelheiten der Planung werden auch dann
nicht Teil der städtebaulichen Rechtfertigung im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1
BauGB, wenn der Träger der Bauleitplanung die Erforderlichkeit seiner Planung
durch eine Bezugnahme auf ein gemeindliches Planungskonzept begründet,
dessen Vorgaben aber nur teilweise umsetzt. Wie sich aus § 1 Abs. 6 Nr. 11
BauGB ergibt, sind derartige Planungskonzepte als Belang im Rahmen der
planerischen Abwägung - nur - zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom
27.03.2013 - 4 CN 13.11 - BVerwGE 146, 137 Rn. 11).
74 Schon weil gemeindliche Planungskonzepte bei der Bauleitplanung nur zu
berücksichtigen sind, kann nicht jede Abweichung vom Planungskonzept und
auch nicht jede Abweichung von sachverständigen Vorschlägen für ein Konzept
dazu führen, dass Festsetzungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO wegen „fehlender
Konsistenz“ als nicht erforderlich und damit rechtswidrig anzusehen sind. Auch
eine nur teilweise Umsetzung ist nicht zu beanstanden, sofern sie geeignet ist,
einen Beitrag zur Förderung des Plankonzepts oder -ziels - zu leisten. Davon kann
erst dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn die realistische Gefahr besteht,
dass die gewählte Umsetzung das Planungskonzept konterkariert (BVerwG, Urteil
vom 10.09.2015 - 4 CN 8.14 - juris Rn. 13; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
12.02.2014 - 2 D 13/14.NE - BauR 2014, 2042, juris Rn. 126). Ebenso fehlen
rechtfertigende Gründe, wenn ein Planungskonzept nicht zu erkennen ist und
deshalb eine konzeptionslose, einen städtebaulichen Missgriff darstellende
Planung vorliegt (vgl. Senatsurteil vom 01.08.2013 - 8 S 2965/11 - VBlBW 2014,
65).
75 (b) Gemessen an diesen Maßstäben kann der Planung der Beigeladenen die
städtebauliche Rechtfertigung weder deswegen abgesprochen werden, weil - wie
die Klägerin vorträgt - Haushalts- und Elektrowaren im Gebiet GEe2 als Branchen
ausgeschlossen seien, während in der Begründung des Bebauungsplans
Elektrogroßgeräte, Öfen, Herde und Elektroeinbaugeräte den nicht
zentrenrelevanten Sortimenten zugeordnet seien, noch weil in dem Bereich des
alten Sportplatzes im Gewerbegebiet GEe1 Lebensmitteleinzelhandel ausdrücklich
zugelassen ist.
76 (aa) Selbst wenn auch vereinzelte nicht-zentrenrelevante Sortimente im Plangebiet
ausgeschlossen wären, führte dies nicht zu einer nicht mehr städtebaulich
gerechtfertigten Planung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB 1987. Denn wenn die
Bauleitplanung einem Konzept in Randbereichen nicht - vollständig - folgt, führt
dies weder zu einer Gefährdung des Planungsziels - hier des Zentrenschutzes -,
noch erweist sie sich als städtebaulicher Missgriff. Denn der erfolgte Ausschluss
von Nutzungsmöglichkeiten für den Einzelhandel leistet jedenfalls einen Beitrag
zur Förderung des Plankonzepts, was zur städtebaulichen Rechtfertigung
ausreicht.
77 Im Übrigen lassen die textlichen Festsetzungen unter B. I. 1.2
Einzelhandelsbetriebe für großteilige Elektrogeräte in Anwendung von § 1 Abs. 5
und 9 BauNVO als Ausnahme zu. Soweit die Klägerin in der mündlichen
Verhandlung ausgeführt hat, dass diese ausnahmsweise Zulassung, die nach der
Begründung erfolge, weil das Bebauungsplangebiet vorrangig dem
produzierenden Gewerbe vorbehalten werden solle, in dieser Form rechtlich nicht
haltbar sei, weil es keine hinreichende Analyse der Bedarfslage für Flächen für das
produzierende Gewerbe gebe, führt dies nicht auf die Unwirksamkeit der
Festsetzung. Allein das Ziel „der nachhaltigen Stärkung des zentralen xxx xxx
Gemeindebereichs in der Hauptgeschäftslage“ rechtfertigt die Regelung, ohne
dass es darauf ankäme, ob die weiteren Erwägungen die Regelung ebenfalls
rechtfertigten.
78 (bb) Die Zulassung von Lebensmitteleinzelhandel im Gebiet im Gebiet GEe1 führt
ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans „W.-N.“. Entgegen der
Auffassung der Klägerin ist diese Festsetzung kein Beleg für das Vorliegen einer
konzeptionslosen Planung. Vielmehr handelt es sich bei den planerischen
Festsetzungen um eine konsequente Umsetzung der insoweit eindeutigen und
nachvollziehbaren Aussage der xxx Analyse aus dem April 1997, die gerade zu
dem Ergebnis kommt, dass im Ortskern keine verfügbaren Flächen für die
Ansiedlung eines xxx-Discounters zur Verfügung stünden und die bedingt
zentrumsnahe Ansiedlung des Markes auf dem Sportplatz unter den
Bedingungen, dass dies die Ausnahme bleibe und diese Ausnahme auch
planungsrechtlich abgesichert werde zu wenig gravierenden Auswirkungen auf die
Ortsmitte von xxx führen könne. Das Planungskonzept wird durch diese
Festsetzung daher gerade nicht konterkariert.
79 bb) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Bebauungsplan „W.-
N.“ auch nicht funktionslos geworden.
80 (1) Eine bauplanerische Festsetzung tritt nur dann außer Kraft, wenn und soweit
die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen
Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare
Zeit ausschließt und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre
Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (BVerwG, Urteile vom
03.12.1998 - 4 CN 3.9 - BVerwGE 108, 71 und vom 18.11.2004 - 4 CN 11.03 -
BVerwGE 122, 207 sowie auch Beschluss vom 22.07.2013 - 7 BN 1.13 - NVwZ
2013, 1547 Rn. 6).
81 (2) Gemessen an diesen, auch vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten,
Maßstäben lässt sich eine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans W.-N. im
Bereich des Baugrundstücks nicht feststellen.
82 Es ist bereits nicht möglich, dass eine nicht veröffentlichte und nicht allgemein
zugängliche Studie unmittelbar zu der Feststellung führt, dass die Verwirklichung
einer Festsetzung in offensichtlicher Weise auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen
ist und ein in die Fortgeltung gesetztes Vertrauen eines Normunterworfenen
keinen Schutz mehr verdient. Denn ein nicht jedermann zugängliches Dokument
kann nicht zu einem - für jeden Normunterworfenen - offensichtlichen Zustand
führen. Weiter geht es hier nicht um die Verwirklichung der Festsetzung -
weitgehender Einzelhandelsausschluss -, diese ist vielmehr offensichtlich weiter
verwirklichbar, sondern um die Frage, ob das damit verfolgte Ziel noch erreichbar
ist. Dies steht der Annahme einer Funktionslosigkeit des Bebauungsplans
ebenfalls entgegen.
83 Schließlich gibt die vom Verwaltungsgericht herangezogene Auswirkungsanalyse
aus dem April 2008 den Schluss auf eine Funktionslosigkeit des
Einzelhandelsausschlusses auch inhaltlich nicht her. Es kann aus ihr nicht
unmittelbar darauf geschlossen werden, dass der Schutz der Funktion des
Ortskerns nicht mehr notwendig oder möglich wäre.
84 Die Aussagen der Analyse, dass die Ansiedlung eines Fachmarkts für
Drogeriewaren, eines Fachmarkts für Spielwaren und Babybedarf, eine
Vergrößerung/Auslagerung eines Modecenters und eine Verlagerung eines
Schuhfachmarkts keine schädlichen Auswirkungen auf den Ortskern der
Beigeladenen haben werde, vermögen es nicht zu rechtfertigen, davon
auszugehen, dass mit einem Einzelhandelsausschluss in Bebauungsplänen das
Ziel der Stärkung der Versorgung im Ortskern nicht mehr erreicht werden könnte.
85 Die weiteren vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erwägungen tragen den
Schluss auf die fehlende Schutzfähigkeit oder -notwendigkeit ebenfalls nicht.
Insbesondere der Umstand, dass im Ortskern mit „xxx xxx“ noch ein
Lebensmitteldiscounter angesiedelt ist, belegen sogar das Gegenteil.
86 b) Da auf dem Baugrundstück Einzelhandelsbetriebe mit einem Sortiment aus dem
Bereich „Nahrungs- und Genussmittel“ mithin nicht zulässig sind, ist das Vorhaben
der Klägerin planungsrechtlich unzulässig. Eine Befreiung kommt nicht in Betracht.
Die Grundzüge der Planung werden durch das Vorhaben offensichtlich berührt, §
31 Abs. 2 BauGB, da Ziel des Bebauungsplans gerade der
Einzelhandelsausschluss ist.
87 c) Auf die von den Beteiligten angesprochenen Fragen der Veränderungssperre
und der Bedeutung des Wasserrechts für das Vorhaben kommt es daher nicht an
88 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da die
Beigeladene vor dem Verwaltungsgericht keinen Antrag gestellt und das Verfahren
auch ansonsten nicht wesentlich gefördert hat, entspricht es billigem Ermessen,
ihre Kosten für das erstinstanzliche Verfahren nicht für erstattungsfähig zu
erklären. Als Rechtsmittelführerin ist sie hingegen im Berufungsverfahren ein
Kostenrisiko eingegangen, § 155 Abs. 3 VwGO, so dass ihre Kosten insoweit für
erstattungsfähig zu erklären waren.
89 3. Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2
VwGO vorliegt.
90
B e s c h l u s s
vom 23. Oktober 2015
91 Der Streitwert wird auf 90.000,-- EUR festgesetzt.
92
Gründe
93 Die Streitwertfestsetzung erfolgt in Anwendung der §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG
und orientiert sich an der Festsetzung im erstinstanzlichen Verfahren. Von dem
dortigen Streitwert waren ¾ für das Berufungsverfahren anzusetzen, nachdem hier
allein der Anspruch auf Neubescheidung verfahrensgegenständlich ist.
94 Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.