Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 19.01.2010
VGH Baden-Württemberg: bvo, beihilfe, stationäre behandlung, dienstleistungsfreiheit, beschränkung, eugh, treu und glauben, versorgung, freizügigkeitsabkommen, notfall
VGH Baden-Württemberg Urteil vom 19.1.2010, 4 S 1070/08
Beschränkung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für medizinische Leistungen im Ausland bei Notfallbehandlungen in der Schweiz
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. März 2008 - 6 K 1409/07 - geändert. Der Beklagte wird
verpflichtet, der Klägerin eine weitere Beihilfe in Höhe von 5.578,44 EUR zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 10.07.2007 zu gewähren. Der Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg vom 24.04.2007
sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 22.06.2007 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt eine weitere Beihilfe zu Aufwendungen für eine Krankenhausbehandlung in der Schweiz.
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Die Klägerin steht als Richterin im Dienst des Beklagten und ist mit einem Bemessungssatz von 50% beihilfeberechtigt. Am 27.02.2007 erlitt sie
im Skigebiet Jakobshorn in Davos/Schweiz bei einem Skiunfall eine Femurfraktur (Bruch des Oberschenkelknochens). Sie wurde in der Zeit vom
27.02.2007 bis 08.03.2007 stationär im Spital Davos behandelt.
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Mit Beihilfeantrag vom 11.04.2007 - eingegangen am 13.04.2007 - machte sie Aufwendungen in Höhe von insgesamt 34.223,20 CHF (nach von
der Klägerin nicht beanstandeter Umrechnung des Beklagten 21.085,08 EUR) geltend. Davon entfielen 32.878,10 CHF (umgerechnet 20.256,35
EUR; Rechnung vom 29.03.2007) sowie 172,-- CHF (= 105,97 EUR; Rechnung vom 26.03.2007/03.04.2007) auf die Krankenhausbehandlung,
506,10 CHF (= 311,81 EUR; Beleg vom 08.03.2007) auf ein Rezept und 667,-- CHF (= 410,95 EUR; Rechnung vom 29.03.2007) auf den
Rettungsdienst.
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Mit Bescheid vom 24.04.2007 bewilligte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg (im Folgenden: Landesamt) der
Klägerin eine Beihilfe in Höhe von insgesamt 4.288,56 EUR. Dabei wurden von den - hier nur streitgegenständlichen - Aufwendungen von
(umgerechnet) 20.256,35 EUR für die stationäre Behandlung (Rechnung vom 29.03.2007) lediglich 7.774,86 EUR als beihilfefähig anerkannt
und entsprechend dem Bemessungssatz von 50% Beihilfe in Höhe von 3.887,43 EUR gewährt. Zur Begründung wurde insoweit im
vorgedruckten Hinweis Nr. 9990 ausgeführt, außerhalb der Europäischen Gemeinschaft entstandene Aufwendungen aus Anlass eines
stationären Krankenhausaufenthaltes seien nur insoweit und bis zu der Höhe beihilfefähig, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland am Sitz
der Beihilfestelle (Landesamt) oder deren nächster Umgebung entstanden und beihilfefähig gewesen wären. Dementsprechend seien die
Fallpauschalen/Pflegesätze der Vergleichskrankenhäuser in Stuttgart (hier: des Katharinenhospitals) zugrunde gelegt und bis zu deren Höhe
Beihilfe gewährt worden. Den von der Klägerin am 10.05.2007 eingelegten Widerspruch wies das Landesamt mit Widerspruchsbescheid vom
22.06.2007 zurück.
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Am 10.07.2007 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg erhoben und beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr eine weitere
Beihilfe in Höhe von 5.578,44 EUR zu bewilligen und den Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung vom 24.04.2007 - soweit er
dem entgegen- steht - und den Widerspruchsbescheid vom 22.06.2007 aufzuheben, und den Beklagten zu verurteilen, ihr gesetzliche Zinsen
aus 5.578,44 EUR ab dem 24.04.2007 zu zahlen.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 13.03.2008 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO
seien außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandene Aufwendungen nur beihilfefähig, wenn es sich um Aufwendungen nach § 6, § 7
Abs. 1 Nr. 1 und §§ 9 bis 12 handele und nur insoweit und bis zu der Höhe, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland am Sitz der Beihilfestelle
oder deren nächster Umgebung entstanden und beihilfefähig gewesen wären. Gemessen daran sei die stationäre Behandlung der Klägerin im
vorliegenden Fall zwar dem Grunde nach beihilfefähig gewesen, da es sich um eine Aufwendung nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 6 BVO gehandelt
habe. Die Beihilfefähigkeit sei der Höhe nach jedoch auf das begrenzt, was bei einer Behandlung am Sitz der Beihilfestelle (Katharinenhospital
in Stuttgart) angefallen wäre. Die Krankenhausbehandlung der Klägerin habe in der Schweiz stattgefunden und somit nicht innerhalb der
Europäischen Gemeinschaft (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BVO). Eine Gleichstellung sei insoweit auch nicht im Hinblick auf das Freizügigkeitsabkommen
zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz vom 21.06.1999 geboten (VG Freiburg, Urteil vom
24.10.2006 - 6 K 683/06 -, Juris). Die für die stationäre Behandlung in Davos angefallenen Kosten seien auch nicht im Hinblick auf § 13 Abs. 2
Nr. 3 2. Alt. BVO in vollem Umfang beihilfefähig. Danach werde kein Kostenvergleich vorgenommen, wenn bei Aufenthalt in der Nähe der Grenze
aus akutem Anlass das nächstgelegene Krankenhaus aufgesucht werden müsse. Diese Voraussetzungen seien hier jedoch nicht erfüllt, obwohl
bei der Klägerin auf Grund ihrer unfallbedingten Verletzung unzweifelhaft ein akuter Anlass vorgelegen habe, der sie dazu gezwungen habe, das
nächstgelegene Krankenhaus aufzusuchen. Diese akute Behandlungsbedürftigkeit sei jedoch nicht „in der Nähe der Grenze“ im Sinne des § 13
Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BVO aufgetreten. Zwar falle auch ein grenznaher Aufenthalt jenseits der Grenze, also außerhalb des deutschen
Hoheitsgebiets, unter diese Bestimmung (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.02.2006 - 4 5 2954/04 -, VBIBW 2006, 315). Der akute Notfall
sei jedoch in Davos und somit nicht mehr in der Nähe der Grenze aufgetreten. Das ergebe sich aus einer Gesamtschau von Fahrtdauer und
Fahrtstrecke bis zum nächstgelegenen Grenzübergang in Lindau. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs werde durch § 13 Abs. 2
Nr. 3 BVO dem Beihilfeberechtigten die Gewähr gegeben, dass eine private Absicherung nicht beispielsweise für jeden Ausflug, jeden Einkauf
oder jeden Erholungsaufenthalt im Ausland, sondern nur für diejenigen Fälle empfehlenswert sei, in denen bei nötig werdender medizinischer
Behandlung hohe Kosten anfielen und er deutsches Staatsgebiet nicht mehr rechtzeitig erreichen könne. Dabei sei angesichts zunehmender -
auch grenzüberschreitender - Mobilität kein enger Maßstab anzulegen. Der Verwaltungsgerichtshof habe daher das Erfordernis der Grenznähe
in einem Fall als erfüllt angesehen, in dem sich der Beihilfeberechtigte bei Eintritt der notfallbedingten Behandlungsnotwendigkeit maximal 56 km
vom nächsten Grenzübergang entfernt aufgehalten habe und die Fahrtzeit bis zur Grenze nicht länger als etwa eine Stunde gedauert habe. Im
vorliegenden Fall dauere die Fahrt vom Aufenthaltsort der Klägerin zur Zeit ihres Unfalls (Davos) bis zur Grenze in Lindau mindestens 1 Stunde
33 Minuten (Opel-Routenplaner), nach anderen Routenplanern 1 Stunde 49 Minuten (FaIk-Routenplaner) bzw. 1 Stunde 43 Minuten
(viamichelin.com) oder 2 Stunden 15 Minuten (Reiseplanung.de). Diese Fahrtzeiten überstiegen die Fahrtzeit von (etwa) einer Stunde bis zur
Grenze, bei der ein Aufenthalt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg noch als grenznah angesehen
werden könne, um mindestens 50%. Bereits dies spreche gegen die Anwendbarkeit des § 13 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BVO. Hinzu komme, dass hier
auch zwischen dem Ort, an dem der Behandlungsbedarf aufgetreten sei, und der Grenze eine wesentlich größere Entfernung bestanden habe
als in dem vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall. Dort sei es um einen Unfall in Damüls/Vorarlberg gegangen; die Entfernung von dort
bis zum nächsten deutschen Grenzübergang betrage ausweislich der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nach verschiedenen
Routenplanern zwischen 46 km und 56 km. Auch wenn für die Auslegung des Begriffs der Grenznähe die zunehmende Mobilität und die
Üblichkeit weiter Tagesausflüge zu berücksichtigen sei, so bleibe der Begriff doch ein geografischer. Die Frage, wann ein Ort in der Nähe der
Grenze liege, könne angesichts des Wortlauts des § 13 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BVO nicht völlig unabhängig von der räumlichen Entfernung beurteilt
werden. Allein die geänderten Lebensgewohnheiten, bei denen Fahrten von zwei Stunden und mehr im Rahmen von Tagesausflügen oder auch
von Berufspendlern in Kauf genommen würden, könnten zu keinem anderen Ergebnis führen, da insoweit der Wortlaut der Bestimmung eine
Grenze der Auslegung bilde. Die Fahrtdauer allein sei daher nicht zur Ermittlung der Grenznähe geeignet. Zwar hänge die Fahrtdauer auch von
der Entfernung ab, daneben seien jedoch noch weitere Faktoren wie die Streckenführung und der Ausbauzustand der Straßen von Bedeutung.
Auf diesen - räumlichen - Aspekt der Voraussetzung „in der Nähe der Grenze“ habe der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung auf
Grund der anderen Fallgestaltung nicht eingehen müssen. Daher sei jedenfalls in Fällen, in denen die Entfernung zum nächsten deutschen
Grenzübergang wesentlich größer sei als in dem vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall (56 km), eine Fahrtzeit von einer Stunde als
regelmäßig äußerste Grenze für die Annahme der „Grenznähe“ anzusehen. Im vorliegenden Fall falle daher neben der um 50% längeren
Fahrtdauer ins Gewicht, dass die Fahrtstrecke von Davos nach Lindau nach den genannten Routenplanem zwischen 126,62 km und 131 km
betrage und somit mehr als doppelt so groß sei wie in dem vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall. Insgesamt könne der Aufenthaltsort
zum Zeitpunkt des Eintritts des Behandlungsbedarfs daher nicht als grenznah angesehen werden. Die Berechnung der Kosten, die bei einer
Behandlung am Sitz der Beihilfestelle angefallen wären, begegne keinen rechtlichen Bedenken. Die Ablehnung der Gewährung einer weiteren
Beihilfe verletze auch nicht die Fürsorgepflicht des Beklagten. Die Beschränkung der Beihilfefähigkeit für eine Krankenhausbehandlung im
Ausland auf die fiktiven Kosten einer im Inland vorgenommenen Behandlung halte sich im Rahmen der mit der Regelung der Beihilfeansprüche
notwendigerweise verbundenen typisierenden Betrachtungsweise und sei mit der Fürsorgepflicht vereinbar. Selbst wenn diese Beschränkung -
wie im vorliegenden Fall - dazu führe, dass der Beamte mit erheblichen Kosten belastet bleibe, so verletze dies im Hinblick darauf, dass
zumindest ein Teil der Kosten erstattet werde und im Übrigen die Möglichkeit bestehe, diese Risiken durch eine zusätzliche Versicherung
abzudecken, die Fürsorgepflicht nicht in ihrem Kern.
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Gegen dieses - am 22.03.2008 zugestellte - Urteil hat die Klägerin am 17.04.2008 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
Sie trägt innerhalb der Begründungsfrist vor, ein Kostenvergleich hätte gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BVO nicht vorgenommen werden dürfen.
Dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20.02.2006 - 4 S 2954/04 - sei weder eine Obergrenze für die geografische
Entfernung noch für die Fahrtzeit zu entnehmen. Vielmehr müsse die - hier nicht überschrittene - Obergrenze nach der durch den
Verwaltungsgerichtshof entwickelten Definition des Begriffs der „Grenznähe“ und den Kriterien, aus denen diese Definition abgeleitet worden sei,
bestimmt werden. Danach umfasse der Begriff der „Grenznähe“ das Grenzgebiet jedenfalls so weit, wie man, wenn sich eine nicht notfallbedingte
Behandlungsnotwendigkeit abzeichne, problemlos wieder in Deutschland eintreffen könne. Die Begriffe „Grenzgebiet“ und „Grenznähe“ würden
damit entsprechend der Intention der Bestimmungen der Beihilfeverordnung über den allgemeinen Sprachgebrauch hinaus ausgedehnt. Wenn
darauf abgestellt werde, bis zu welcher Entfernung bzw. Fahrzeit man davon ausgehen könne, „problemlos“ wieder in Deutschland eintreffen zu
können, so werde dem Umstand Rechnung getragen, dass im Hinblick auf die erweiterte Mobilität auch bei einem Auslandsaufenthalt in einer
Grenzentfernung, die im allgemeinen Sprachgebrauch möglicherweise nicht eindeutig als „nah“ bezeichnet würde, gar nicht das Bewusstsein
aufkomme, man bewege sich - vom Notfall abgesehen - außerhalb des deutschen medizinischen Versorgungsbereichs, so dass an das
eventuelle Erfordernis einer Eigenvorsorge durch Abschluss einer Auslandskrankenversicherung nicht gedacht werden müsse. § 13 Abs. 2 Nr. 3
2. Alt. BVO befreie nämlich von der Obliegenheit zur Eigenvorsorge für dringliche im Ausland eintretende Krankenhausbehandlungen und
relativiere die Warnfunktion, die von § 13 Abs. 1 BVO ausgehe. In dem dargestellten Sinn liege Davos durchaus noch in Grenznähe. Bei einer
Fahrzeit von 1 ½ bis 1 ¾ Stunden handele es sich noch um eine Fahrzeit, die von Berufspendlern oder Ausflüglern für Hin- und Rückfahrt
(insgesamt also etwa 3 Stunden) an einem Tag „problemlos“ bewältigt werde. Niemand werde bei einer solchen Entfernung - vom Notfall
abgesehen - das Gefühl haben, eine etwa erforderliche medizinische Behandlung nicht an seinem Ausgangsort in Anspruch nehmen zu können.
Ganz konkret sei auf die absolut üblichen Skitagesausflüge aus dem Bodenseegebiet nach Davos zu verweisen. Das Gefühl der Nähe zu
Deutschland lasse den Gedanken an das eventuelle Erfordernis einer Auslandskrankenversicherung nicht aufkommen. So habe es etwa bei
Betriebsausflügen des Landgerichts Freiburg nach Solothurn und Luzern schon vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs keine
Empfehlung für die durchweg beihilfeberechtigten Teilnehmer gegeben, eine Auslandskrankenversicherung abzuschließen. Luzern und
Solothurn lägen zwar näher an der Grenze als Davos. Die „Tagesausflugsentfernung“, die das Empfinden, im Ausland zu sein und entsprechend
Vorsorge für den Krankheitsfall treffen zu müssen, relativiere, sei jedoch auch bei der Entfernung Davos-Lindau noch gegeben. Wieso sie im
konkreten Fall bei einer noch gängigen Ausflugsentfernung zur Grenze nicht davon hätte ausgehen dürfen, Deutschland bei sich
abzeichnendem Erfordernis einer teuren medizinischen Behandlung schnell und problemlos erreichen zu können, begründe das
Verwaltungsgericht nicht. Mit dem apodiktischen Kernargument, wonach der Begriff der Grenznähe ein geografischer sei und daher in Fällen, in
denen die Entfernung zum nächsten deutschen Grenzübergang wesentlich größer sei als 56 km, eine Fahrzeit von einer Stunde als regelmäßig
äußerste Grenze für die Annahme von „Grenznähe“ angesehen werden müsse, verzichte das Verwaltungsgericht auf eine Begründung, die sich
mit Zweck und Wirkung der einschlägigen Bestimmungen der Beihilfeverordnung, so wie sie in der zitierten Entscheidung des
Verwaltungsgerichtshofs dargestellt seien, auseinandersetze. Kilometerentfernungen seien geografisch bestimmt, der Begriff der Nähe sei
jedoch immer relativ, nämlich abhängig davon, wie die jeweilige Entfernung zurückgelegt werden solle (zu Fuß, mit dem Fahrrad‚ mit dem Auto)
und zu welchem Zweck der Weg erforderlich sei (z.B. wäre für einen Tagesausflug zum Skilaufen oder Bergwandern ein 1,5 Fahrstunden
entferntes Ziel relativ nah‚ für einen Besuch im Schwimmbad eher weit). Der im Normtext verwendete Begriff der „Nähe“ werde relativiert durch
den Gesetzeszweck. Eine unangemessene Ausuferung von Beihilfeansprüchen, der das Verwaltungsgericht ersichtlich habe begegnen wollen,
sei auch bei uneingeschränkter Anwendung der vom Verwaltungsgerichtshof gefundenen Definition nicht zu befürchten, etwa indem man, was
nach der Entscheidung nahe liege, eine nachweislich noch „normale“ Tagesausflugsentfernung als Beschränkung nehme.
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Die Klägerin beantragt (sachdienlich),
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. März 2008 - 6 K 1409/07 - zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, ihr weitere
Beihilfe in Höhe von 5.578,44 EUR zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe aus 5.5784,44 EUR ab dem 24.04.2007 zu gewähren, und
den Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung vom 24.04.2007 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 22.06.2007
aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
10 Der Beklagte beantragt,
11
die Berufung zurückzuweisen.
12 Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus, das Verwaltungsgericht habe den Begriff der Grenznähe zu Recht anhand einer
Gesamtschau von Fahrtdauer und Fahrtstrecke bis zum nächstgelegenen Grenzübergang in Lindau ausgelegt. Entgegen der Auffassung der
Klägerin sei der genannten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg eine Obergrenze für die Fahrtdauer zu entnehmen.
Indem der Verwaltungsgerichtshofs bei einer Fahrtdauer von einer Stunde das Merkmal der Grenznähe noch als gegeben ansehe, bringe er
gleichzeitig zum Ausdruck, dass er diese Fahrtzeit als Obergrenze betrachte. Das Verwaltungsgericht habe zusätzlich auch die räumliche
Entfernung im Rahmen seiner Entscheidung berücksichtigt, die vorliegend (je nach Routenplaner) zwischen 126,62 km und 130 km liege. Eine
solche Distanz habe das Verwaltungsgericht zu Recht nicht als „nah“ bezeichnet. Dies ergebe sich auch aus dem von der Klägerin
vorgebrachten Argument der Berufspendler. Vollzeittätige Pendler, zwischen deren Wohn- und Arbeitsort eine Distanz von 130 km liege, würden
in der Regel nur zeitlich befristet pendeln oder aber - bei längerer Dauer - eine Zweitwohnung am Arbeitsort beziehen. Grund hierfür sei die nicht
unerhebliche räumliche Entfernung. Schließlich könne für die Bestimmung der Grenznähe entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht das
subjektive Empfinden des Einzelnen ausschlaggebend sein. Für die Bestimmung dieses Begriffs seien vielmehr objektive Merkmale
heranzuziehen.
13 Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.02.2009 - 2 CN 1.07 - sei nicht einschlägig. Vorliegend sei keine Ausschlussnorm
einschlägig, sondern die Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO a.F., nach der außerhalb der Bundesrepublik entstandene Aufwendungen nur
beihilfefähig seien, wenn es sich um Aufwendungen nach §§ 6, 7 Abs. 1 Nr. 1 BVO sowie nach §§ 9 bis 12 BVO handele und nur insoweit und bis
zu der Höhe, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland am Sitz der Beihilfestelle oder deren nächster Umgebung entstanden und beihilfefähig
gewesen wären. Infolge dessen sei vorliegend gerade nicht über einen Ausschluss, sondern über eine Begrenzung zu entscheiden. Soweit das
Bundesverwaltungsgericht ausführe, dass die Ausschlussregelung das Abkommen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten mit
der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 21.06.1999 verletze, sei diese Begründung auf die vorliegend einschlägige Regelung nicht
übertragbar; es finde vorliegend kein Ausschluss, sondern eine Begrenzung der Kosten dergestalt statt, dass in der Schweiz entstandene
Aufwendungen nur in der Höhe beihilfefähig seien, in der sie in Deutschland entstanden und beihilfefähig wären. In diesem Zusammenhang
werde auch auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 24.10.2006 - 6 K 683/06 - verwiesen, das die Kostenvergleichsregelung des §
13 Absatz 1 Satz 1 BVO ebenfalls an dem Freizügigkeitsabkommen vom 21.06.1999 messe und zu dem Ergebnis komme, dass bei
Krankenhauskosten in der Schweiz ein Kostenvergleich nicht deshalb entbehrlich sei, weil die Schweiz aufgrund dieses
Freizügigkeitsabkommens den Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft gleichgestellt wäre. Für das Verwaltungsgericht Freiburg sei fraglich
gewesen, ob die Überwälzung des staatlichen Förderanteils der Kantone an der Krankenhausfinanzierung auf den aus der Europäischen
Gemeinschaft stammenden ausländischen Patienten ihrerseits mit dem Koordinierungsgebot bei der sozialen Sicherung und
Krankenversorgung im genannten Freizügigkeitsabkommen in Einklang stehe. Art. 3 Abs. 1 GG sei vorliegend nicht verletzt. Nach den
Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts sei der allgemeine Gleichheitssatz dann verletzt, wenn eine bestimmte Regelung im
beihilferechtlichen Sinne notwendige und angemessene Aufwendungen von der Beihilfe ausschließe und dabei die im Beihilfesystem angelegte
Sachgesetzlichkeit ohne zureichenden Grund verlasse. Weiter führe das Gericht aus, dass dies bei der zu prüfenden Ausschlussregelung zu
bejahen sei, da der Ausschluss den Grundsatz verletzte, dass Beihilfe zu gewähren sei, soweit die Kosten der Behandlung notwendig und
angemessen seien. Die Rechtsprechung greife mangels eines hier einschlägigen Ausschlusstatbestandes nicht; vielmehr werde davon
ausgegangen, dass die Aufwendungen, wie sie in Deutschland angefallen wären, auch im Ausland für eine notwendige und angemessene
Behandlung grundsätzlich ausreichend sein müssten und sich der Beihilfeberechtigte ansonsten für den überschießenden Teil selbst - ggf. durch
eine Auslandsreisekrankenversicherung - absichern müsse, wenn er sicherstellen wolle, dass keine Aufwendungen bei ihm verblieben, die nicht
von der Beihilfe übernommen würden. Wie man auch an der Höhe der Differenz der Aufwendungen in der Schweiz zu den Aufwendungen in
Deutschland in diesem Verfahren erkennen könne, sei eine Anpassung bzw. eine Koordination der Systeme der sozialen Sicherheit gerade nicht
erfolgt, wenngleich dies das Ziel des Abkommens vom 21.06.1999 habe sein sollen. Bereits dies sei ein sachlicher Differenzierungsgrund dafür,
anders als in den EG-Mitgliedstaaten noch einen Kostenvergleich mit der Schweiz vorzunehmen, so dass Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt sei. Auch
in diesem Zusammenhang - insbesondere zu der mangelnden Umsetzung des Freizügigkeitsabkommens - werde auf das o.g. Urteil des
Verwaltungsgerichts Freiburg verwiesen. Bedenken hinsichtlich der geltend gemachten Kosten bestünden im Hinblick auf die Positionen
„Schuhlöffel“ (6 CHF) und „Schuhgumminesteln“ (4 CHF) auf der Honorarrechnung vom 26.03.2007, da diese Dinge letztlich geeignet seien,
Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen.
14 Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Verwaltungsgerichts und des Beklagten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitstands wird hierauf und auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
15 Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
16 Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist ganz überwiegend - mit
Ausnahme eines Teils des geltend gemachten Zinsanspruchs - begründet.
17 Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe in Höhe von 5.578,44 EUR nebst Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit (10.07.2007).
Der Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung vom 24.04.2007 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 22.06.2007 sind -
soweit sie dem entgegenstehen - rechtswidrig und verletzen die Klägerin daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ein
weitergehender Zinsanspruch (bereits ab dem 24.04.2007) besteht dagegen nicht.
18 Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen
(hier: Februar/März 2007) maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 - 2 C 35.04 -, Buchholz 270 § 5 BhV Nr.
17, m.w.N.). Anspruchsgrundlage sind danach § 5 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1 und § 13 der - auf der Grundlage von § 101 LBG
erlassenen - Verordnung des Finanzministeriums über die Gewährung von Beihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen
(Beihilfeverordnung - BVO) vom 28.07.1995 (GBl. S. 561) in der zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen geltenden Fassung vom
17.02.2004 (GBl. S. 66). Streitig ist hier allein, ob die anlässlich der Krankenhausbehandlung der Klägerin in der Schweiz entstandenen
Aufwendungen in voller Höhe beihilfefähig sind oder nur in Höhe der Kosten, die in Deutschland angefallen wären. Insoweit regelt § 13 Abs. 1
Satz 1 BVO, dass außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandene Aufwendungen nur beihilfefähig sind, wenn es sich um
Aufwendungen nach § 6, § 7 Abs. 1 Nr. 1 und §§ 9 bis 12 handelt und nur insoweit und bis zu der Höhe, wie sie in der Bundesrepublik
Deutschland am Sitz der Beihilfestelle oder deren nächster Umgebung entstanden und beihilfefähig gewesen wären. Eine Ausnahme gilt nach §
13 Abs. 1 Satz 3 BVO für innerhalb der Europäischen Gemeinschaft entstandene Aufwendungen für ambulante Behandlungen und für stationäre
Leistungen in öffentlichen Krankenhäusern. Hier ist regelmäßig ein Kostenvergleich nicht erforderlich, es sei denn, dass gebietsfremden
Personen regelmäßig höhere Preise als ansässigen Personen berechnet werden. Weitere Ausnahmen vom Grundsatz des Kostenvergleichs
nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO finden sich in § 13 Abs. 2 und 3 BVO. Hier kommt allein § 13 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BVO in Betracht, wonach
Aufwendungen nach Absatz 1 ohne Beschränkung auf die Kosten in der Bundesrepublik Deutschland beihilfefähig sind, wenn bei Aufenthalt in
der Nähe der Grenze aus akutem Anlass (der hier unstreitig gegeben war) das nächstgelegene Krankenhaus aufgesucht werden muss.
19 Entgegen der Auffassung der Klägerin gebietet nicht bereits § 13 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BVO, dass eine Vergleichsberechnung und eine
Beschränkung der Beihilfegewährung auf die in Deutschland beihilfefähigen Kosten (fiktive Inlandskosten) zu unterbleiben hätten. Mit dem
Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass sich der Unfall der Klägerin nicht „in der Nähe der Grenze“ ereignet hat. Angesichts
einer Fahrtstrecke zwischen Davos und dem nächsten Grenzübergang bei Lindau von ca. 130 km und einer Fahrtzeit von ca. anderthalb Stunden
kann nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BVO nicht mehr von „Grenznähe “ gesprochen werden. Wie das Verwaltungsgericht
zutreffend ausgeführt hat, ist der Wortlaut einer Norm die äußerste Grenze der Auslegung. Sie kann auch durch das - in Zusammenhang mit den
Besonderheiten des damals vom Senat entschiedenen Falls (Urteil vom 20.02.2006 - 4 S 2954/04 -, VBlBW 2006, 315) zu sehende - Kriterium,
ob man, wenn sich eine nicht notfallbedingte Behandlung abzeichne, „problemlos wieder in Deutschland eintreffen“ könne, nicht relativiert
werden. Die Klägerin räumt insoweit selbst ein, dass die Begriffe „Grenzgebiet“ und „Grenznähe“ bei der von ihr vorgenommenen Auslegung
„über den allgemeinen Sprachgebrauch hinaus ausgedehnt“ würden. Auch der Hinweis auf Berufspendler führt zu keinem anderen Ergebnis.
Denn auch bei vergleichbaren Entfernungen/Fahrtzeiten von Pendlern käme man nicht auf den Gedanken, deren Wohnort als „in der Nähe“ des
Arbeitsorts gelegen zu bezeichnen. Entsprechendes gilt mit Blick auf die Tatsache, dass Tagesausflüge von Deutschland aus nach Davos
unternommen werden: auch dies führt nicht dazu, Davos noch als „grenznah“ im allgemeinen Sprachgebrauch einzustufen. Bei einer Entfernung
von deutlich mehr als 100 km (ca. 130 km) und einer Fahrtzeit von ca. anderthalb Stunden kann von einer „Grenznähe“ auch bei einer weiten
Auslegung des Begriffs nicht mehr gesprochen werden. Vor diesem Hintergrund bedarf keiner Vertiefung, ob - wie der Beklagte annimmt - die im
Senatsurteil vom 20.02.2006 (a.a.O.) zu bewertende Entfernung/Fahrtzeit bereits eine „Obergrenze“ dessen darstellt, was noch als „Grenznähe“
bezeichnet werden kann.
20 Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Beschränkung auf die in Deutschland anfallenden Kosten in § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO auf einer
ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht. Gemäß Art. 61 Abs. 1 der Landesverfassung Baden-Württemberg (der der Regelung in Art. 80
Abs. 1 GG entspricht) sind in der Ermächtigungsgrundlage Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung anzugeben. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 19.02.2009 - 2 CN 1.07 -, Juris, und vom 17.06.2004 - 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103) hat
der Gesetzgeber im Beihilferecht u.a. festzulegen, nach welchen Grundsätzen Leistungen erbracht und bemessen oder ausgeschlossen werden.
Regelungen, die einen Leistungsausschluss oder jedenfalls eine erhebliche Erschwerung der Leistung zum Gegenstand haben, bedürfen daher
einer ausdrücklichen gesetzlichen Verordnungsermächtigung (BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O.). Welche Leistungsausschlüsse oder
Einschränkungen danach in Baden-Württemberg durch Verordnung geregelt werden dürfen, ergibt sich aus § 101 LBG. Diese Norm besagt nicht
ausdrücklich, dass die Beihilfefähigkeit im Ausland entstandener Aufwendungen auf die in Deutschland entstehenden Kosten begrenzt werden
kann. Diese Einschränkung könnte auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen. Da die Beihilfe ihre Grundlage in
der Fürsorgepflicht des Dienstherrn hat, ist diese bei der Prüfung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz in ihrem verfassungsrechtlich
geschützten Kernbereich einzubeziehen. Die vom Normgeber für eine Differenzierung im Beihilfesystem angeführten Gründe müssen hiervor
Bestand haben. Solange der Gesetzgeber am gegenwärtig praktizierten „Mischsystem“ aus privat finanzierter Vorsorge und ergänzender Beihilfe
festhält, ist der allgemeine Gleichheitssatz dann verletzt, wenn eine bestimmte Regelung im beihilferechtlichen Sinne notwendige und
angemessene Aufwendungen von der Beihilfe ausschließt und dabei die im Beihilfesystem angelegte Sachgesetzlichkeit ohne zureichenden
Grund verlässt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.02.1009, a.a.O., und vom 12.11.2009 - 2 C 61.08 -, Juris). § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO könnte den im
Beihilfesystem normativ verankerten Grundsatz, dass die Beihilfe die notwendigen und angemessenen Aufwendungen decken soll (§ 101 Satz 3
Nr. 4 LBG), verletzen. Hier kommt nur in Betracht, dass § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO als eine normative Konkretisierung der „Angemessenheit“ (zur
Auslegung des Begriffs vgl. BVerwG, Urteil vom 12.11.2009 - 2 C 61.08 -, a.a.O.) der Aufwendungen im Sinne von § 101 Satz 3 Nr. 4 LBG zu
verstehen sein könnte. Ob die Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO, die die beihilfefähigen Kosten auf die (fiktiven) Inlandskosten beschränkt,
noch von der Ermächtigung des § 101 LBG gedeckt ist (dies für eine entsprechende Regelung in Nordrhein-Westfalen bejahend: BVerwG,
Beschluss vom 20.09.1988 - 2 B 91.88 -, ZBR 1989, 175; offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O.), kann jedoch dahinstehen.
21 Denn jedenfalls verletzt die in § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO normierte Beschränkung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für medizinische
Leistungen im Ausland auf die in Deutschland anfallenden und beihilfefähigen Kosten in Fällen, in denen - wie hier - ein Beihilfeberechtigter
aufgrund eines akuten Notfalls eine (medizinisch gebotene) sofortige ärztliche (Krankenhaus-)Behandlung in der Schweiz in Anspruch
genommen hat, das kraft Ratifikation durch den Deutschen Bundestag durch Gesetz vom 02.09.2001 (BGBl. II S. 810) in den Rang einfachen
Bundesrechts überführte Abkommen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über
die Freizügigkeit vom 21.06.1999 (im Folgenden: Freizügigkeitsabkommen), weil sie den freien Dienstleistungsverkehr zwischen Deutschland
und der Schweiz in unzulässiger Weise behindert.
22 Das Freizügigkeitsabkommen bestimmt in Art. 1 Buchst. b) als sein Ziel u.a. die „Erleichterung der Erbringung von Dienstleistungen im
Hoheitsgebiet der Vertragsparteien, insbesondere (die) Liberalisierung kurzzeitiger Dienstleistungen“. Nach Art. 5 Abs. 1 wird einem
Dienstleistungserbringer gemäß Anhang I das Recht eingeräumt, Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei zu erbringen,
deren tatsächliche Dauer 90 Arbeitstage pro Kalenderjahr nicht überschreitet. Nach Absatz 3 dieser Bestimmung wird natürlichen Personen, die
Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft oder der Schweiz sind und sich nur als Empfänger einer Dienstleistung
in das Hoheitsgebiet einer Vertragspartei begeben, das Einreise- und Aufenthaltsrecht eingeräumt. Nach Absatz 4 werden die in diesem Artikel
genannten Rechte gemäß den Bestimmungen der Anhänge I, II und III eingeräumt. Anhang I bestimmt in Art. 17 Buchst. a), dass hinsichtlich der
Erbringung von Dienstleistungen gemäß Art. 5 dieses Abkommens Beschränkungen grenzüberschreitender Dienstleistungen im Hoheitsgebiet
einer Vertragspartei, deren Dauer 90 tatsächliche Arbeitstage pro Kalenderjahr nicht überschreitet, untersagt sind.
23 Das Freizügigkeitsabkommen erklärt durch Art. 8 („Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“) i.V.m. Anhang II Art. 1 und Abschnitt A Nr.
1 auch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf
Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (mit den dort genannten
nachfolgenden Änderungen sowie den dort normierten Modifikationen), für anwendbar. Deren Art. 22 regelt (u.a.) die Erstattung von Kosten
medizinischer Behandlungen im Ausland. Art. 22 findet jedoch nach Art. 89 i.V.m. Anhang VI Buchst. C. Nr. 21 Buchst. a) der Verordnung (EWG)
Nr. 1408/71 auf beihilfeberechtigte Beamte und diesen gleichgestellte Personen (hierunter fallen Richter) keine Anwendung (vgl.
Senatsbeschluss vom 04.06.2002 - 4 S 844/02 -). Die in Bezug genommene Verordnung (die damit ebenfalls Bestandteil des
Freizügigkeitsabkommens ist) stellt andererseits aber auch keine abschließende Spezialregelung dar, die den Rückgriff auf die im
Freizügigkeitsabkommen normierte Dienstleistungsfreiheit ausschließen würde. Auch der Europäische Gerichtshof misst nationale Regelungen
sowohl an der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 als auch an den (primärrechtlichen) Vorschriften (Art. 49, 50 EG) zur Dienstleistungsfreiheit (vgl.
EuGH, Urteile vom 12.07.2001 - C 368/98 - , DVBl. 2001, 1509, vom 23.10.2003 - C- 56/01 - , Slg. 2003, I-12403, und vom
16.05.2006 - C-372/04 - , DVBl. 2006, 965). Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist somit eröffnet.
24 Medizinische Leistungen sind Dienstleistungen im Sinne des Freizügigkeitsabkommens. Was unter Dienstleistung zu verstehen ist, ist zwar
weder im Abkommen noch im Ratifizierungsgesetz definiert, ergibt sich jedoch aus dem EG-Vertrag, auf den das Freizügigkeitsabkommen in
seiner Einleitungsformel („entschlossen, diese Freizügigkeit zwischen ihnen auf der Grundlage der in der Europäischen Gemeinschaft geltenden
Bestimmungen zu verwirklichen“) Bezug nimmt. Art. 49 EG (der zum Zeitpunkt des Entstehens des Aufwendungen noch galt; jetzt Art. 56 des
Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV -) gewährleistet den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft.
Art. 50 EG (jetzt Art. 57 AEUV) beschreibt den Begriff der Dienstleistung als „Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit
sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Als Dienstleistungen
gelten insbesondere […] freiberufliche Tätigkeiten“, worunter auch die Tätigkeit der Ärzte fällt. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs fallen medizinische Tätigkeiten unter Art. 50 EG, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Behandlung im klinischen
Rahmen oder außerhalb davon erfolgt (vgl. EuGH, Urteile vom 28.04.1998 - C-158/96 - , Slg. 1998, I-1931, vom 04.10.1991 - C-159/90 -
1984, 377). Diese Rechtsprechung wird auch in späteren, für die Auslegung des 1999 geschlossenen Freizügigkeitsabkommens nach dessen
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 allerdings nicht mehr maßgeblichen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs fortgeführt (vgl. EuGH, Urteile vom 12.07.2001
Slg. 2003, I-4509, vom 18.03.2004 - C-8/02 - , Slg. 2004, I-2641, vom 16.05.2006 , a.a.O., und vom 19.04.2007 - C-444/05 -
25 Die Dienstleistungsfreiheit schließt die Befugnis der Leistungsempfänger ein, sich zur Inanspruchnahme einer medizinischen Behandlung in
einen anderen Mitgliedstaat zu begeben (EuGH, Urteile vom 19.04.2007 , a.a.O., und vom 16.05.2006 , a.a.O.).
26 Eine medizinische Leistung verliert, wie der Europäische Gerichtshof mehrfach entschieden hat, auch nicht deshalb ihren Charakter als
Dienstleistung, weil der Patient, nachdem er den ausländischen Dienstleistungserbringer für die erhaltene Behandlung bezahlt hat, später die
Übernahme der Kosten dieser Behandlung durch einen nationalen Gesundheitsdienst oder - als Beamter oder Richter - durch die Beihilfestelle
beantragt (vgl. EuGH, Urteile vom 13.05.2003 , a.a.O., vom 19.04.2007 , a.a.O., und vom 18.03.2004
27 Bei ärztlichen Dienstleistungen, die in der Schweiz gegenüber einem deutschen Staatsangehörigen erbracht worden sind, handelt es sich
danach um grenzüberschreitende Dienstleistungen im Sinne des Freizügigkeitsabkommens (BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O.).
28 Gegen die Dienstleistungsfreiheit, die der Europäische Gerichtshof mittlerweile nach ständiger Rechtsprechung als Beschränkungsverbot
versteht, verstößt jede nationale Regelung, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von
Diensten im Inneren eines Mitgliedstaates erschwert (vgl. EuGH, Urteile vom 05.10.1994 - C-381/93 - , Slg. 1994, I-
5145, vom 28.04.1998 , a.a.O., vom 12.07.2001 , a.a.O., und vom 19.04.2007 , a.a.O.).
29 Da der genannte Art. 17 Buchst. a) des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens ausdrücklich „Beschränkungen grenzüberschreitender
Dienstleistungen“ untersagt, und auch die entsprechende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bis zum Abschluss des
Freizügigkeitsabkommens heranzuziehen ist (Art. 16 Abs. 2 des Freizügigkeitsabkommens), ist auch im Verhältnis zur Schweiz die dargestellte
Auslegung der Dienstleistungsfreiheit als Beschränkungsverbot vorzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O.; dies bezweifelnd:
Kahil-Wolff, SZS 2004, 578).
30 Eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt im medizinischen Bereich vor, wenn der Versicherte oder Beihilfeberechtigte davon
abgeschreckt oder daran gehindert wird, sich an Erbringer von Krankenhausdienstleistungen im Ausland zu wenden. In derartigen Fällen wird
sowohl in die passive Dienstleistungsfreiheit des Versicherten oder Beihilfeberechtigten als auch in die aktive Dienstleistungsfreiheit des
medizinischen Dienstleistungserbringers eingegriffen (EuGH, Urteile vom 31.01.1984 , a.a.O., vom 28.01.1992 - C-204/90 -
vom 19.04.2007 , a.a.O.).
31 Eine Beihilferegelung, die die Erstattung im Ausland entstandener Aufwendungen für medizinische Dienstleistungen ausschließt oder auch nur
begrenzt und gegenüber der Beihilfegewährung für ärztliche Behandlungen im Inland ungünstiger ist, ist grundsätzlich geeignet, einen
Beihilfeberechtigten von einer medizinischen Behandlung in der Schweiz abzuschrecken (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O., zum EG-
Ausland: EuGH, Urteil vom 18.03.2004 , a.a.O., BVerwG, Urteil vom 23.05.2002 - 2 C 35.00 -, BVerwGE 116, 269). Ein derartiger Fall
liegt mit der Normierung eines Kostenvergleichs in § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO und der damit verbundenen Begrenzung der Beihilfegewährung auf
fiktive Inlandskosten vor. Diese Vorschrift nimmt dem Beihilfeberechtigten zwar nicht die Möglichkeit, medizinische Dienstleistungen in der
Schweiz entgegenzunehmen. Sie unterwirft aber die dortige Inanspruchnahme einer ärztlichen Behandlung im Rahmen der Beihilfegewährung
einer ungünstigeren Regelung als dies bei einer inländischen Dienstleistung üblicherweise der Fall ist. Im Inland sind bei Behandlungen in
Krankenhäusern im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 6 BVO nämlich grundsätzlich die gesamten (notwendigen und angemessenen) Kosten beihilfefähig,
während durch § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO bei Behandlungen in der Schweiz die Beihilfefähigkeit auf die in Deutschland in vergleichbaren Fällen
anfallenden Kosten beschränkt wird, so dass - wie im vorliegenden Fall - ein Patient, der sich in der Schweiz behandeln lässt, möglicherweise
einen erheblichen Anteil der anfallenden Kosten selbst tragen muss.
32 Zwar gibt es auch in Deutschland Krankenhäuser, bei deren Leistungen die Kosten nur nach Maßgabe einer Vergleichsberechnung (und
aufgrund dessen ggf. gekürzt) erstattet werden. Dies ist nach § 6a Abs. 3 BVO bei zugelassenen Krankenhäusern der Fall, die nicht nach der
Bundespflegesatzverordnung oder dem Krankenhausentgeltgesetz vergütet werden. Diesbezüglich ist die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen
begrenzt auf die Kosten, die für Leistungen in zugelassenen Krankenhäusern im Sinne von § 6a Abs. 1 BVO, die nach der
Bundespflegesatzverordnung oder dem Krankenhausentgeltgesetz vergütet werden, beihilfefähig wären. Für nicht zugelassene Krankenhäuser
nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 BVO gelten noch weitergehende Einschränkungen bei der Beihilfegewährung. Dabei handelt es sich aber um
Ausnahmefälle, die nicht als Vergleichsmaßstab heranzuziehen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 12.07.2001 , a.a.O.), wonach
auf den „größte[n] Teil der Krankenhausversorgung“ im jeweiligen Mitgliedstaat - dort: Niederlande - als Vergleichsmaßstab abzustellen ist). Es
ist vielmehr auf den Normalfall der Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, das nach der Bundespflegesatzverordnung oder dem
Krankenhausentgeltgesetz vergütet wird, abzustellen. Die hierfür entstandenen (notwendige und angemessene) Aufwendungen sind
grundsätzlich in vollem Umfang beihilfefähig.
33 Bei der Prüfung, ob medizinische Dienstleistungen in der Schweiz nach den Erstattungsvorschriften der Beihilfeverordnung einer ungünstigeren
Regelung unterliegen als solche in Deutschland, ist auch nicht etwa der zahlenmäßig bezifferte Erstattungsbetrag zu betrachten. Denn dieser ist
bei einer Beihilfegewährung nach Durchführung eines Kostenvergleichs für Behandlungen im In- und Ausland typischerweise gleich (wobei der
Beklagte bei seiner hier vorgenommenen Vergleichsberechnung Pflegekosten des Katharinenhospitals mit - um 25% nach § 6a GOÄ gekürzten -
Arztkosten, die in der Schweiz tatsächlich angefallen sind, vermengt hat, so dass unklar ist, welche Gesamtkosten bei einer Behandlung im
Katharinenhospital tatsächlich angefallen wären). Für den Patienten ist aber nicht entscheidend, in welcher zahlenmäßigen Höhe ihm Beihilfe
gewährt wird, sondern die Frage, ob sämtliche angefallenen Kosten beihilfefähig sind. Auch die Regelung des § 13 Abs. 1 BVO knüpft nicht an
(bezifferte) Erstattungsbeträge an, sondern es wird differenziert zwischen der (grundsätzlich) vollständigen Beihilfefähigkeit bei Leistungen in
öffentlichen Krankenhäusern im Inland und im EG-Ausland (letztere nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BVO) einerseits und der auf die Inlandskosten
begrenzten Beihilfefähigkeit bei Aufwendungen, die außerhalb der EG-Staaten entstanden sind (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BVO), andererseits.
34 Somit ist eine Begrenzung der beihilfefähigen Aufwendungen auf die (fiktiven) Inlandskosten grundsätzlich als Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit anzusehen.
35 Die Frage, ob eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vorliegt, hängt auch nicht davon ab, ob sich der Betreffende mit der Absicht, im
Ausland eine medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen, dorthin begeben hat oder ob sich die Notwendigkeit der Inanspruchnahme
ärztlicher Leistungen erst nach der Einreise ergeben hat. Eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ist insbesondere auch - wie hier - bei
einer sich zu touristischen Zwecken bereits im Ausland aufhaltenden Person, die aufgrund eines Notfalls einen dortigen Arzt aufsucht, möglich
(vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O.; VG Aachen, Urteil vom 10.01.2008 - 1 K 339/05 -, Juris). Dies wird von Teilen der Rechtsprechung
zum einen mit der Begründung in Frage gestellt, dass sich der Betreffende in derartigen Fällen nicht mit dem Ziel der (noch nicht absehbaren)
medizinischen Behandlung in den anderen Staat begeben habe (so VG Düsseldorf, Urteil vom 29.11.2005 - 26 K 327/05 -, Juris), zum anderen
damit, dass er bei einem Notfall gezwungen sei, die medizinische Dienstleistung in Anspruch zu nehmen und insoweit keine Wahl habe (so VG
Sigmaringen, Urteil vom 28.10.2004 - 6 K 1122/03 -, Juris - aufgehoben durch Senatsurteil vom 20.02.2006, a.a.O.). Beide Argumente
überzeugen indes nicht. Voraussetzung der (passiven) Dienstleistungsfreiheit ist es nicht, dass der Dienstleistungsempfänger zum Zeitpunkt des
Grenzübertritts schon alle Dienstleistungen benennen kann, die er im Zielstaat in Anspruch zu nehmen gedenkt. Es genügt, dass er sich zur
Entgegennahme ihm noch unbekannter Dienstleistungen vorübergehend in den anderen Staat begibt (vgl. EuGH, Urteil vom 31.01.1984
und Carbone>, a.a.O., das allgemein Studien- und Geschäftsreisen sowie den Auslandsaufenthalt von Touristen als Gegenstand der passiven
Dienstleistungsfreiheit ansieht, ohne auf die konkreten Dienstleistungen abzustellen). Auch die Erwägung, dass bei einem Notfall keine
Wahlmöglichkeit mehr bestehe, ist so pauschal nicht richtig. Der Beihilfeberechtigte könnte in einem Notfall angesichts drohender hoher Kosten
in vielen Fällen - wenngleich nicht bei akuter Lebensgefahr - durchaus davon abgehalten werden, eine an sich sofort notwendige medizinische
Behandlung in Anspruch zu nehmen, und sich - unter Inkaufnahme einer Verschlimmerung oder unnötiger Schmerzen - in die Bundesrepublik
Deutschland zurücktransportieren lassen. Davon abgesehen verkennen die genannten Entscheidungen aber auch, dass bereits die Normierung
des Kostenvergleichs als solche geeignet ist, Beihilfeberechtigte wegen des Kostenrisikos bei einem Notfall von einer Reise in die Schweiz (und
der dortigen Inanspruchnahme touristischer Dienstleistungen) abzuhalten (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Vorlagebeschluss vom 27.06.2008
- L 1 KR 137/07 -, Juris), und damit eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt.
36 Nach alldem ist die in § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO normierte Begrenzung der Beihilfefähigkeit auf die im Inland anfallenden Kosten geeignet, die
Dienstleistungsfreiheit zu beschränken.
37 Diese Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ist auch nicht gerechtfertigt.
38 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können rein wirtschaftliche Gründe eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes
des freien Dienstleistungsverkehrs nicht rechtfertigen (EuGH, Urteil vom 28.04.1998 , a.a.O.).
39 Jedoch kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des
Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs zu rechtfertigen vermag (vgl. EuGH, Urteile vom 28.04.1998 , a.a.O., vom 12.07.2001 , a.a.O.,
sowie , a.a.O., und vom 19.04.2007 , a.a.O.). Dabei sind die finanziellen Auswirkungen nicht (nur) anhand
der Kosten des zu entscheidenden Falls zu beurteilen, da die Übernahme der Aufwendungen für eine einzelne Behandlung eines bestimmten
Beihilfeberechtigten oder Krankenversicherten im Ausland nie bedeutende Auswirkungen auf das betreffende Beihilfe- oder Gesundheitssystem
haben kann; vielmehr sind die Auswirkungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Gesundheitswesen in ihrem Gesamtzusammenhang zu
betrachten (EuGH, Urteil vom 13.05.2003 , a.a.O.).
40 Der Europäische Gerichtshof hat weiter anerkannt, dass das Ziel, eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung
aufrechtzuerhalten, zwar eng mit der Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit verbunden ist, aber auch zu den Ausnahmen aus
Gründen der öffentlichen Gesundheit nach Art. 46 EG (jetzt Art. 52 AEUV) zählen kann, soweit es zur Erzielung eines hohen
Gesundheitsschutzes beiträgt (vgl. EuGH, Urteile vom 28.04.1998 , a.a.O., vom 12.07.2001 , a.a.O., sowie
Peerboms>, a.a.O., und vom 19.04.2007 , a.a.O.).
41 Schließlich hat der Europäische Gerichtshof auch entschieden, dass Art. 46 EG es den Mitgliedstaaten erlaubt, den freien Dienstleistungsverkehr
im Bereich der medizinischen Versorgung einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und
pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde für die Gesundheit oder sogar für das Überleben der Bevölkerung
erforderlich ist (vgl. EuGH, Urteile vom 28.04.1998 , a.a.O., vom 12.07.2001 , a.a.O., sowie , a.a.O.,
und vom 19.04.2007 , a.a.O.).
42 Keiner der genannten Gründe kann jedoch die in § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO geregelte Begrenzung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für
Notfallbehandlungen in der Schweiz auf die fiktiven Inlandskosten rechtfertigen. Es ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
zunächst Sache des betreffenden Mitgliedstaats, anhand entsprechender Untersuchungen zur Geeignetheit und zur Verhältnismäßigkeit einer
die Dienstleistungsfreiheit beschränkenden Regelung den Nachweis zu erbringen, dass diese aus einem der grundsätzlich zur Rechtfertigung
geeigneten Gründe erforderlich ist (EuGH, Urteile vom 28.04.1998 , a.a.O., und vom 18.03.2004 , a.a.O.). Dies hat der Beklagte
nicht getan. Der bloße Hinweis auf höhere Behandlungskosten in der Schweiz reicht hierfür nicht aus.
43 Was eine mögliche erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit anbelangt, ist darüber hinaus
zweifelhaft, ob das deutsche Institut der beamtenrechtlichen Beihilfe überhaupt als ein System der sozialen Sicherheit anzusehen ist (vgl.
BVerwG, Urteil vom 23.05.2002, a.a.O.). Selbst wenn man dies bejahte, dürften notfallmäßige Behandlungen deutscher Beihilfeberechtigter im
Ausland und insbesondere in der Schweiz zu selten sein, um eine finanzielle Gefährdung sowohl des Instituts der Beihilfe einerseits als auch des
gesamten Gesundheitssystems andererseits verursachen zu können. Dagegen spricht vor allem auch, dass der Verordnungsgeber selbst
mehrere Ausnahmen vom Grundsatz des Kostenvergleichs und der Beschränkung der Beihilfe auf die (fiktiven) Inlandskosten normiert hat, ohne
dass er hierin eine finanzielle Gefahr für das Beihilfe- oder gar das Gesundheitssystem gesehen hätte. Denn weder bei Unfällen in der Schweiz
in Grenznähe (nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BVO) noch (grundsätzlich) bei Behandlungen im EG-Ausland (nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BVO, der nicht
nur Notfälle, sondern z.B. auch geplante Krankenhausaufenthalte erfasst) wird ein Kostenvergleich durchgeführt.
44 Der Beklagte hat auch nicht nachgewiesen, dass § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO dem Ziel diente, eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und
klinische Versorgung aufrechtzuerhalten. Hinter diesem Rechtfertigungsgrund steht der Gedanke, dass sich Patienten grundsätzlich in dem Staat
ihres gewöhnlichen Aufenthalts medizinisch behandeln lassen sollen, um eine bessere Auslastung (und damit auch Finanzierung) der dortigen
Krankenhäuser zu erreichen, damit die staatlichen Planungs- und Rationalisierungsanstrengungen im Gesundheitsbereich nicht konterkariert
werden, die dazu dienen, die Überkapazität von Krankenanstalten, Ungleichgewichtigkeiten im Angebot an medizinischer
Krankenhausversorgung und logistische wie auch finanzielle Verschwendung und Verluste zu verhindern (vgl. EuGH, Urteil vom 12.07.2001
45 Bei Notfällen im Ausland - wie hier - kann diese Steuerungsfunktion aber keine Wirkung entfalten, weil der Verunglückte (oder plötzlich
Erkrankte) grundsätzlich sofortiger Behandlung vor Ort bedarf. Gleiches gilt für den - hiermit in Zusammenhang stehenden - möglichen
Rechtfertigungsgrund der Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten
Niveaus der Heilkunde.
46 Soweit der Europäische Gerichtshof in der Vergangenheit eine Beschränkung der Erstattung von Kosten medizinischer (Auslands-
)Dienstleistungen auf die im Inland geltenden Tarife für zulässig gehalten hat, betraf dies Fälle, in denen sekundärrechtliche Regelungen der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 eine derartige Begrenzung vorsehen (EuGH, Urteil vom 16.05.2006 , a.a.O.), oder - dies allerdings als
obiter dictum - die Konstellation, dass ein Patient ohne den im Notfall bestehenden Zeitdruck die Wahl zwischen einer (günstigeren) inländischen
und einer (teureren) ausländischen Klinik hat (EuGH, Urteil vom 18.03.2004 , a.a.O.). Bei einer derartigen Situation hat der
Europäische Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt des objektiven, nichtdiskriminierenden und transparenten Kriteriums der „medizinischen
Notwendigkeit“ der Kosten eine Beschränkung der Beihilfefähigkeit auf die Inlandskosten für zulässig erachtet. Der hier zu beurteilende
Sachverhalt (Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen anlässlich eines akuten Notfalls) ist damit nicht vergleichbar. Die „medizinische
Notwendigkeit“ der sofortigen Behandlung der Klägerin in der Schweiz lag unstreitig vor; sie hatte gerade nicht die Alternative der
Inanspruchnahme einer günstigeren Inlandsbehandlung, ohne dabei unnötige Schmerzen und ggf. weitere Gesundheitsschäden zu erleiden.
47 Das vom Beklagten angeführte Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 24.10.2006 (- 6 K 683/06 -, Juris) kann auch zu keinem anderen
Ergebnis führen. Denn es befasst sich nicht mit der - hier entscheidenden - Frage, ob die Durchführung eines Kostenvergleichs und die damit
verbundene Begrenzung der Beihilfegewährung eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der auch im Verhältnis zur Schweiz geltenden
Dienstleistungsfreiheit darstellt. Im Übrigen verkennt das Urteil, dass eine Umsetzung des Freizügigkeitsabkommen sehr wohl erfolgt ist (durch
dessen Ratifizierung, s.o.), und dass eine Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die gerade keine Harmonisierung in Form der
Anpassung der Abrechnungssysteme und der Kosten voraussetzt, durch Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 jedenfalls teilweise
stattfindet.
48 Nach alldem ist die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch eine Begrenzung der Beihilfefähigkeit auf die Kosten, die im Inland am Sitz
der Beihilfestelle angefallen und beihilfefähig gewesen wären, hier nicht gerechtfertigt. § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO ist insoweit jedenfalls bei der
medizinischen Behandlung eines akuten Notfalls in der Schweiz - wie im Fall der Klägerin - nicht anzuwenden, weil die Regelung gegen das in
Deutschland ratifizierte und damit als einfaches Bundesgesetz geltende Freizügigkeitsabkommen verstößt (Art. 31 GG).
49 Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob die unterschiedliche Normierung der Beihilfegewährung bei Notfällen in der Schweiz (bei denen
nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO eine Vergleichsberechnung vorgesehen ist) und in den EG-Mitgliedstaaten (bei denen nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BVO
grundsätzlich - es sei denn, dass gebietsfremden Personen regelmäßig höhere Preise als ansässigen Personen berechnet werden - kein
Kostenvergleich durchzuführen ist), obwohl im Verhältnis zu beiden Staaten(-gruppen) die Dienstleistungsfreiheit gilt, zugleich einen Verstoß
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt.
50 Die Klägerin hat somit Anspruch auf die begehrte weitere Beihilfe zu den Kosten der Krankenhausbehandlung in Höhe von 5.578,44 EUR. Ein
Abzug nach § 6a GOÄ ist in Fällen, in denen - wie hier - ein Kostenvergleich zu unterbleiben hat, nicht vorzunehmen (Senatsurteil vom
20.02.2006, a.a.O.). Die Kosten waren auch notwendig und angemessen. Die Behandlung in der Schweiz war medizinisch geboten und daher
notwendig. Die Kosten sind auch der Höhe nach angemessen, da keine Bedenken bestehen, dass sie nach dortigem Recht - entsprechend der
von der Klägerin vorgelegten Tarifübersicht des Spitals Davos - rechtmäßig erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.11.2009, a.a.O.).
Der Beklagte hat die Berechnung der Kosten insoweit auch nicht beanstandet. Soweit er darauf hingewiesen hat, dass die Aufwendungen für
Schuhlöffel und Schuhgumminesteln nicht beihilfefähig seien, verkennt er, dass diese Positionen nicht Gegenstand der Klage sind. Im Gegensatz
zum Widerspruchsverfahren hat die Klägerin nur weitere Beihilfe zu den aufgrund der Rechnung vom 29.03.2007 entstandenen Aufwendungen
für die Krankenhausbehandlung eingeklagt (nicht dagegen zu den - auch teilweise abgelehnten - Aufwendungen aus der Rechnung vom
26.03./03.04.2007), wie sich aus ihrer Klageschrift vom 05.07.2007 ergibt. Die Aufwendungen aus der Rechnung vom 29.03.2007 (abzüglich der
Differenz von 1.324,62 EUR zum Zweibettzimmer, die ebenfalls nicht Gegenstand des Klageverfahrens ist) sind in der verbleibenden Höhe von
18.931,73 EUR beihilfefähig. Abzüglich bereits hierauf geleisteter Beihilfe in Höhe von 3.887,43 EUR ergibt sich bei einem Bemessungssatz von
50% ein weiterer Beihilfeanspruch der Klägerin in Höhe von 5.578,44 EUR.
51 Die Zinsforderung der Klägerin ist ganz überwiegend begründet. Zwar hat sie mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage keinen
Anspruch auf Verzugszinsen, wie für die Zeit ab 24.04.2007 (Erlass des Ablehnungsbescheids) geltend gemacht. Ihr stehen aber ab
Rechtshängigkeit, die mit der Klageerhebung am 10.07.2007 eingetreten ist (§§ 81 Abs. 1, 90 VwGO), Prozesszinsen zu, die nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats für öffentlich-rechtliche Geldforderungen unter sinngemäßer Anwendung des §
291 BGB zu entrichten sind, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht keine gegenteilige Regelung trifft. Damit wird an die Rechtsauffassung
angeknüpft, wonach der Schuldner, auch wenn er in redlichem Glauben, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, sich auf einen Prozess einlässt,
nach dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet ist, dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz
zu leisten, die er ihm während der Dauer des Prozesses vorenthalten hat (BVerwG, Urteil vom 22.02.2001 - 5 C 34.00 -, BVerwGE 114, 61;
Urteile des Senats vom 05.01.2006 - 4 S 1956/04 -, vom 08.02.2006 - 4 S 1550/03 -, vom 14.02.2006 - 4 S 1322/05 - und vom 27.06.2007 - 4 S
2090/05 -). Da keine Ausschlussregelung hinsichtlich Prozesszinsen existiert (§ 108 LBG i.V.m. § 3 Abs. 6 BBesG betrifft nur Verzugszinsen), gilt
§ 291 BGB in sinngemäßer Anwendung auch für Beihilfeansprüche. Die Höhe der Prozesszinsen folgt aus der entsprechenden Anwendung der
§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, 289 Satz 1 und 247 BGB.
52 Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das geringfügige Unterliegen der Klägerin hinsichtlich des weitergehenden
Zinsbegehrens rechtfertigt keine anteilige Kostentragung.
53 Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Auslegung des ratifizierten Abkommens der Europäischen Gemeinschaft und ihrer
Mitgliedstaaten mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Freizügigkeit vom 21.06.1999, insbesondere der dort normierten
Dienstleistungsfreiheit, mit Blick auf eine Regelung wie § 13 Abs. 1 Satz 1 BVO, zugelassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
54
Beschluss vom 19. Januar 2010
55 Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 GKG auf 5.578,44 EUR festgesetzt.
56 Der Beschluss ist unanfechtbar.