Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 26.02.2008

VGH Baden-Württemberg: jugend und sport, schule, überwiegendes interesse, verfügung, begriff, eingriff, zusammenarbeit, bedürfnis, abrede, rektorat

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 26.2.2008, 4 S 19/08
Abordnung einer Rektorin nach schwerwiegenden Spannungen an der Schule
Leitsätze
Zur Zulässigkeit der Abordnung der Rektorin einer Grund- und Hauptschule nach § 37 Abs. 2 Satz 1 LBG bei Vorliegen eines
Spannungsverhältnisses, das zu einer Beeinträchtigung des Schulfriedens und des Schulbetriebs geführt hat.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17. Dezember 2007 - 2 K 3498/07 - geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, da sie innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 VwGO beim Verwaltungsgericht eingelegt und
fristgerecht (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) begründet worden ist und sich unter Darlegung der Beschwerdegründe entsprechend den
Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt.
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Die Beschwerde ist auch begründet. Die Prüfung der vom Antragsgegner dargelegten Gründe, aus denen die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts abzuändern sein soll und auf deren Prüfung das Beschwerdegericht sich grundsätzlich zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4
Satz 6 VwGO) ergibt, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs der Antragstellerin gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG)
Verfügung des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg vom 02.10.2007, mit welcher die Antragstellerin für die Dauer von
zwei Jahren in vollem Umfang an das Regierungspräsidium K. - Landeslehrerprüfungsamt - abgeordnet worden ist, zu Unrecht stattgegeben hat.
Denn anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat bei der in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen Abwägung
der entgegenstehenden Interessen der Beteiligten ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin, vom sofortigen Vollzug der angegriffenen
Verfügung einstweilen verschont zu bleiben, nicht festzustellen. Vielmehr überwiegt das gesetzlich vorgegebene öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung der streitigen Abordnung, weil sich diese bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage
voraussichtlich als rechtmäßig erweist.
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Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung ist die vom Antragsgegner als Ermächtigungsgrundlage für die verfügte Abordnung der
Antragstellerin allein herangezogene Vorschrift des § 37 Abs. 2 LBG. Danach kann ein Beamter aus dienstlichen Gründen vorübergehend ganz
oder teilweise - anders als bei einer Abordnung nach § 37 Abs. 1 LBG - auch zu einer nicht seinem Amt entsprechenden Tätigkeit abgeordnet
werden, wenn ihm die Wahrnehmung der neuen Tätigkeit aufgrund seiner Vorbildung oder Berufsausbildung zuzumuten ist (Satz 1). Eine
derartige Abordnung ist ohne die Zustimmung des Beamten bis zu einer Dauer von zwei Jahren zulässig (Satz 3). Entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts dürften im Falle der Antragstellerin die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 LBG erfüllt sein.
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Die Antragstellerin wird durch die streitige Verfügung wohl zu einer nicht ihrem Amt „entsprechenden“ Tätigkeit abgeordnet. Zutreffend dürften
nämlich sowohl der Antragsgegner als auch das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sein, dass die Antragstellerin Inhaberin eines
funktionsgebundenen Amtes ist. Ein derartiges Amt wird vom Besoldungsgesetzgeber nicht abstrakt, sondern nach der damit konkret
verbundenen Funktion umschrieben. Das hat zur Folge, dass das abstrakt-funktionelle Statusamt nur auf dem bereits gesetzlich bestimmten
konkreten Dienstposten ausgeübt werden kann (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 12.07.1972 - VI C 11.70 -, BVerwGE 40, 229; OVG Rheinland-
Pfalz, Beschluss vom 19.12.2001 - 2 B 11412/01 -, NVwZ-RR 2002, 856). Eine dem funktionsgebundenen Amt „entsprechende“ Tätigkeit im
Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 LBG ist deshalb nur bei einer Verwendung des Beamten in einer entsprechenden konkreten Funktion an der
anderen Dienststelle gegeben. Die Antragstellerin ist Inhaberin eines funktionsgebundenen Amtes, denn sie ist Rektorin an einer Grund- und
Hauptschule mit mehr als 180 bis zu 360 Schülern, deren Amt nach § 19 Abs. 2 BBesG i.V.m. Anlage I Bundesbesoldungsordnung A,
Besoldungsgruppe A 13 mit Amtszulage nach Anlage IX, durch diese Funktionsmerkmale gekennzeichnet wird. Es ist offensichtlich, dass die
beabsichtigte Verwendung der Antragstellerin als Referentin am Landeslehrerprüfungsamt, wo sie mit der Organisation der gymnasialen Ersten
Staatsprüfung an mehreren Universitäten betraut werden soll, dem funktionsgebundenen Amt einer Rektorin, wie es vorstehend beschrieben ist,
nicht entspricht.
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Die Abordnung zu einer wie hier dem Amt des Beamten nicht entsprechenden, gegebenenfalls auch nicht statusgemäßen, also „unterwertigen“,
Tätigkeit ist nach § 37 Abs. 2 LBG nur möglich, wenn dafür „dienstliche Gründe“ vorliegen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt,
dass der Wortlaut des Gesetzes keinen näheren Aufschluss gibt, was unter dem Begriff der dienstlichen Gründe zu verstehen ist. Trotz der weiten
Fassung des Begriffs muss dieser, anders als der Wortlaut es vermuten lassen könnte, wegen des systematischen Zusammenhangs mit dem
Begriff des „dienstlichen Bedürfnisses“ als Voraussetzung einer statusgemäßen Abordnung nach § 37 Abs. 1 LBG enger ausgelegt werden als
das „dienstliche Bedürfnis“. Da die Intensität des Eingriffs in die subjektive Rechtsstellung des betroffenen Beamten bei der nicht amtsgemäßen
Abordnung nach § 37 Abs. 2 LBG nämlich höher als bei einer amtsentsprechenden Abordnung nach § 37 Abs. 1 LBG ist, wie das
Verwaltungsgericht zu Recht bemerkt hat, müssen an die Rechtmäßigkeit einer Abordnung nach § 37 Abs. 2 LBG zum Schutz des Beamten
höhere Anforderungen als bei einer solchen nach § 37 Abs. 1 LBG gestellt werden. Diese erhöhten Anforderungen betreffen die Auslegung des
unbestimmten Rechtsbegriffs der „dienstlichen Gründe“ und verwirklichen sich in einer strengen Einhaltung des rechtsstaatlichen Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) und der verfassungsrechtlichen Grundsätze des Art. 33 Abs. 5 GG, insbesondere der darin
verankerten Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. Battis, BBG, 3. Aufl., 2004, § 27 RdNr. 12 m.w.N.). Davon geht auch die amtliche Begründung
zur Neufassung des § 37 Abs. 2 LBG aus, der die erweiterte Möglichkeit der nicht statusgemäßen Abordnung vorsieht (vgl. LT-Drucks. 12/2067
S. 36 und 37: Optimierung des Personaleinsatzes). „Dienstliche Gründe“ als Voraussetzung einer nicht amtsentsprechenden Abordnung können
sich danach nur aus einer besonderen, der dienstlichen Sphäre zuzurechnenden Sachlage ergeben, deren Beschaffenheit nicht nur ein
„dienstliches Bedürfnis“ im Sinne des § 37 Abs. 1 LBG, sondern einen darüber hinausreichenden dringenden Handlungsbedarf in Richtung auf
die Abordnung auslöst (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19.12.2001, a.a.O.; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Aufl., 2005,
RdNr. 128). In die Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsprüfung sind die Schwere des Eingriffs in die Rechtsstellung des Beamten, der Grad
an Dringlichkeit, der zu dem Eingriff nötigt, sowie seine Dauer einzubeziehen. Wegen der im Vergleich zu einer Versetzung geringeren
Eingriffsintensität der Abordnung wird man jedoch nicht verlangen können, dass der Eingriff unabweisbar geboten ist. Es genügt vielmehr ein
objektiver, dienstlich begründeter dringender Handlungsbedarf. Die Interessen des Dienstherrn wären freilich unangemessen bevorzugt, wollte
man alle Bedürfnisse einer zeit- und sachgerechten Aufgabenerledigung von vornherein als ausreichend für eine Abordnung nach § 37 Abs. 2
LBG genügen lassen (in diese Richtung gehend Summer in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, BayBG, Art.33, Anm. 9b; dagegen
Schnellenbach, a.a.O.).
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Nach diesen Maßstäben dürften entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts „dienstliche Gründe“ für die angegriffene Abordnung gegeben
sein. Auch wenn man mit dem Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass nur solche Umstände, die aus erheblichen organisatorischen
Schwierigkeiten des Dienstherrn erwachsen, dienstliche Gründe nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 LBG sein können, und dass personenbezogene
Anlässe dem Erfordernis der dienstlichen Gründe nicht genügen, ist im vorliegenden Fall eine besondere, der dienstlichen und
organisatorischen Sphäre zuzurechnende Sachlage gegeben, die über einen personenbezogenen Anlass in der Person der Antragstellerin
hinausgeht und einen dringenden Handlungsbedarf für den Antragsgegner begründet, der auch bei der gebotenen Anwendung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dem Erfordernis der dienstlichen Gründe entsprechen dürfte. Zutreffend hat bereits das Verwaltungsgericht
angenommen, dass innerhalb der von der Antragstellerin geleiteten Schule ein objektiv schwerwiegendes und andauerndes
Spannungsverhältnis zwischen der Schulleitung einerseits und dem größten Teil des Lehrerkollegiums sowie einem erheblichen Teil der Eltern
andererseits besteht, weshalb die notwendige Zusammenarbeit im täglichen Schulbetrieb nur noch unter großen Schwierigkeiten möglich ist
oder sogar unmöglich geworden ist. Dabei kommt es auf die Frage der Verursachung oder des Verschuldens nicht an. Es genügt, dass die
Antragstellerin wesentlich an den Spannungen beteiligt ist (vgl. etwa den Beschluss des Senats vom 16.06.2004 - 4 S 1073/04 -). Da das danach
objektiv gegebene schwerwiegende und andauernde Spannungsverhältnis zu einem Großteil der am Schulleben Beteiligten besteht und eine
polarisierende Wirkung hervorruft, hat es, wie der Antragsgegner glaubhaft gemacht hat, schwerwiegende Auswirkungen auf den Schulfrieden
und die Funktionsfähigkeit der Schule. Insbesondere geht dies aus einem Schreiben des Lehrerkollegiums an den Minister für Kultus, Jugend
und Sport vom 21.12.2007 hervor, das der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren vorgelegt hat. In ähnlicher Weise hat der Elternbeirat der
Schule in einer Stellungnahme vom 03.01.2008 seine Befürchtungen zum Ausdruck gebracht, dass es bei einer Rückkehr der Antragstellerin in
das Rektorat zu erheblichen, den Schulfrieden beeinträchtigenden emotionalen Folgen im schulischen Ablauf kommen werde. Auch aus dem
sonstigen umfangreichen Aktenmaterial, wie es dem Senat vorliegt, wird deutlich, dass das an der von der Antragstellerin geleiteten Schule
zwischen den am Schulleben Beteiligten bestehende, durch Zerwürfnisse geprägte Spannungsverhältnis ein derartiges Ausmaß erreicht hat,
dass der Schulfrieden nachhaltig gestört ist. Ein großer Teil des Lehrerkollegiums und der Elternschaft sieht die Vertrauensbasis aufgrund des
Verhaltens der Antragstellerin im Laufe der letzten Jahre als zerstört an und kann sich eine Zusammenarbeit mit ihr nicht mehr vorstellen. Dies ist
nach den vorliegenden Erkenntnissen offensichtlich und kann von der Antragstellerin nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden. Für ihre in der
Beschwerdeerwiderung vorgebrachte Einwendung, ihr sei das erforderliche rechtliche Gehör nicht gewährt worden, sieht der Senat keine
greifbaren Anhaltspunkte, denn die Antragstellerin konnte sich sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
zu allen wesentlichen Umständen äußern. Dem von ihr erwähnten Gespräch bei der Stadtverwaltung P. vom 26.04.2007 dürfte keine
entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen. Auch eine Beweisaufnahme ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht geboten.
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Es erscheint dem Senat ferner nicht zweifelhaft, dass die gravierenden Spannungen an der Schule auch eine Beeinträchtigung der
Funktionsfähigkeit der Schule und damit des gesetzlichen Erziehungsauftrages des Antragsgegners (vgl. Art. 7 Abs. 1 GG, Art. 11 LV) nach sich
gezogen haben. Die Auswirkungen der an der Schule herrschenden Spannungen haben nämlich offenbar ein Ausmaß erreicht, dass die
Situation nicht mehr lediglich in der Weise gesehen werden kann, als handelte es sich nur um die Antragstellerin betreffende personenbezogene
Umstände, die wegen der begrenzten Auswirkungen auf wenige Streitbeteiligte der Annahme „dienstlicher Gründe“ im Sinne des. § 37 Abs. 2
LBG entgegenstehen könnten. Wegen der andauernden und nachhaltigen Störung des Schulfriedens, die zu einer Beeinträchtigung der
Funktionsfähigkeit der Schule und damit zu einer Gefährdung des gesetzlichen Erziehungsauftrages geführt hat, hat das Spannungsverhältnis
vielmehr eine schwerwiegende objektive Dimension angenommen, die über den personenbezogenen Ursprung hinausreicht und einen
dringenden Handlungsbedarf für eine Abordnung begründet. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner dienstliche Gründe im
Sinne des § 37 Abs. 2 LBG bejaht (vgl. zu einem ähnlichen Fall VG Göttingen, Beschluss vom 19.01.1998 - 3 D 3401/97 -, NVwZ-RR 1998, 667).
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Die Annahme dienstlicher Gründe für die nicht amtsentsprechende Abordnung der Antragstellerin ist im vorliegenden Zusammenhang auch bei
der gebotenen Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Dabei erscheint dem Senat von Bedeutung,
dass die Abordnung der Antragstellerin zwar in ein andersartiges, nicht aber in ein unterwertiges Amt erfolgen soll. Denn die Antragstellerin ist in
ein Amt abgeordnet worden, das einer Laufbahn des höheren Dienstes mit dem Eingangsamt des Regierungsschulrats (Besoldungsgruppe A
14) angehört. Das mit ihrer Tätigkeit im Landeslehrerprüfungsamt verbundene statusrechtliche Amt ist demnach nicht niedriger bewertet als ihr
statusrechtliches Funktionsamt einer Rektorin an einer Grund- und Hauptschule mit mehr als 180 bis zu 360 Schülern, welches in der
Besoldungsgruppe A 13 mit Amtszulage eingeordnet ist. Für die Annahme, die Antragstellerin solle im Landeslehrerprüfungsamt tatsächlich nicht
ihrem Statusamt entsprechend und deshalb „unterwertig“ beschäftigt werden, gibt es keine Anhaltspunkte.
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Danach erscheint die Wahrnehmung der neuen Tätigkeit der Antragstellerin auch zumutbar im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 LBG. Anhaltspunkte
für Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
11 Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG (Hälfte des sich aus
§ 52 Abs. 2 GKG ergebenden Auffangstreitwerts von 5.000,-- EUR).