Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 17.03.2011

VGH Baden-Württemberg: systematische auslegung, empfang, begriff, wohnung, einkünfte, nettoeinkommen, eltern, daten, verordnung, fahrtkosten

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 17.3.2011, 2 S 685/10
Einkommen i.S.d. Rundfunkgebührenrechts
Leitsätze
Einkommen i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV sind alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, vermindert um die Absetzungsbeträge nach § 82 Abs. 2
SGB XII (im Anschluss an Niedersächsisches OVG, Urteil vom 26.08.2009 - 4 LC 460/07 - juris und Hess. VGH, Urteil vom 19.05.2009 - 10 A 2476/08
- NVwZ-RR 2009, 844; anderer Auffassung: OVG für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.12.2008 - 3 O 55/08 - juris und Bayer. VGH,
Urteil vom 17.10.2006 - 7 BV 05.2898 - juris).
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Januar 2010 - 3 K 3491/09 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheids, mit dem der Beklagte den Kläger zu Rundfunkgebühren für den Zeitraum April
bis Juni 2009 herangezogen hat.
2
Der 1990 geborene Kläger befindet sich seit September 2008 in Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei einer Firma in Stuttgart. Er erhält
nach der Lohnabrechnung vom Januar 2009 eine monatliche Vergütung in Höhe von 352,78 EUR netto (= 449,00 EUR brutto). Der Kläger lebt
bei seinen Eltern in ... Er nutzt für die Fahrt zum Arbeitsplatz mit dem öffentlichen Nahverkehr eine Monatskarte zum Preis von 82,40 EUR.
3
Ein Beauftragter des Beklagten suchte am 16.02.2009 die Wohnung der Familie des Klägers auf. Auf dem vom Kläger unterschriebenen
Anmeldeformular vom gleichen Tag hielt der Beauftragte fest, dass der Kläger über einen Laptop und ein zum Hörfunkempfang taugliches Handy
verfüge. Mit an die Gebühreneinzugszentrale gerichteten Schreiben vom 05.03.2009 machte der Kläger geltend, nur ein geringfügiges
Einkommen und hohe Ausgaben für Fahrtkosten zu haben.
4
Mit Bescheid vom 01.05.2009 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger für den Zeitraum von September 2008 bis März 2009 rückständige
Rundfunkgebühren in Höhe von 39,36 EUR fest. Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 03.06.2009, zugestellt am 06.06.2009, zurück. Der Kläger ließ den Widerspruchsbescheid bestandskräftig werden.
5
Mit weiterem Bescheid vom 03.07.2009 setzte der Beklagte für den Folgezeitraum von April bis Juni 2009 gegenüber dem Kläger
Rundfunkgebühren in Höhe von 22,39 EUR einschließlich eines Säumniszuschlags von 5,11 EUR fest. Hiergegen erhob der Kläger mit
Schreiben vom 21.07.2009 ebenfalls Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2009 als unbegründet zurückwies.
6
Der Kläger hat am 11.09.2009 Klage erhoben und beantragt, den Gebührenbescheid des Beklagten vom 03.07.2009 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 11.08.2009 aufzuheben. Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
7
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20.01.2010 den Gebührenbescheid vom 03.07.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 11.08.2009
aufgehoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 RGebStV sei eine Rundfunkgebühr für Zweitgeräte in
einem angemeldeten Privathaushalt nicht zu leisten. Die Zweitgerätefreiheit gelte gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV auch für Personen, die mit
dem Rundfunkteilnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebten und deren Einkommen den einfachen Sozialhilferegelsatz nicht übersteige. Der
einfache Sozialhilferegelsatz für Haushaltsangehörige ab Vollendung des 14. Lebensjahres - wie den Kläger - habe ab Juli 2008 281,-- EUR
betragen. Das Einkommen des Klägers übersteige diesen Regelsatz nicht. Denn bei der Ermittlung seines Einkommens seien seine monatlichen
Fahrtkosten zum Arbeitsplatz abzusetzen. Nach § 82 Abs. 2 SGB XII und § 3 der DV zu § 82 müsse der Preis der günstigsten Monatskarte
eingesetzt werden. Der Kläger nutze den günstigsten Tarif für seine Fahrten zur Arbeitsstelle, so dass die Kosten der Monatskarte im Jahre 2009
von 82,40 EUR vom Nettolohn in Höhe von 352,78 EUR abzuziehen seien und sein Einkommen die Einkommensgrenze um rund 10,-- EUR
unterschreite.
8
Mit dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht und dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof sei davon auszugehen, dass in § 5 Abs. 1
Satz 2 RGebStV der sozialhilferechtlich geprägte Begriff des Einkommens, wie er heute in § 82 SGB XII (früher § 76 BSHG) normiert sei,
Anwendung finde. Denn nach Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV solle ein Rundfunknutzer nur dann Rundfunkgebühren zahlen,
wenn ihm ein über dem einfachen Sozialhilferegelsatz liegendes Einkommen tatsächlich zur Verfügung stehe. Die Regelung knüpfe somit
erkennbar an das tatsächlich vorhandene Einkommen der mit dem Rundfunkteilnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebenden Person an. Dies
habe zur Folge, dass Einkünfte, die infolge zwingender Abzüge nicht bei der betreffenden Person verblieben, nicht als Einkommen im Sinne der
Vorschrift zu werten seien.
9
Zur Begründung der mit Beschluss vom 26.03.2010 zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend: Zu Unrecht gehe das
Verwaltungsgericht von einem sozialrechtlich geprägten Einkommensbegriff aus und nehme in Anlehnung an § 82 SGB XII einen Abzug von
Werbungskosten vom Nettoeinkommen vor. Bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch sei Einkommen im Fall eines Auszubildenden, wie des
Klägers, die - nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen - ausbezahlte Ausbildungsvergütung, von der keine weiteren
Abzüge vorzunehmen seien. Hätte der Gesetzgeber davon abweichend weitere Abzüge für berücksichtigungsfähig erachtet, so hätte er den
Einkommensbegriff entsprechend legal definiert (wie z.B. in § 82 Abs. 2 SGB XII) oder zumindest auf eine derartige Legaldefinition verwiesen.
Dies habe er für § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV nicht getan, obwohl an anderer Stelle im Rundfunkgebührenstaatsvertrag ausdrücklich auf die
Voraussetzungen anderer Gesetze verwiesen werde (vgl. z.B. § 5 Abs. 8 und Abs. 9; § 6 Abs. 1 RGebStV).
10 Auch die systematische Auslegung spreche gegen die Vornahme weiterer Abzüge vom Nettoeinkommen. Denn während § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
RGebStV auf § 82 Abs. 2 SGB XII, der einen entsprechenden Abzug anordne, verweise, enthalte § 5 RGebStV gerade keinen derartigen Verweis.
Die Unterschiedlichkeit zwischen § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV und § 6 RGebStV zeige sich auch bei teleologischer Auslegung beider Normen.
Ausweislich des Wortlauts von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 7 BefrVO habe der Zweck dieser Regelung darin
gelegen, von der Rundfunkgebührenpflicht nur solche Personen zu befreien, deren monatliches Einkommen zusammen mit dem Einkommen der
Haushaltsangehörigen eine bestimmte Einkommensgrenze nicht übersteige. Im Gegensatz zur Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV sei es
hierbei nicht auf das Einkommen des jeweiligen Haushaltsangehörigen, sondern vielmehr auf dasjenige der gesamten Haushaltsgemeinschaft
angekommen. Bei der Berechnung des Einkommens der Haushaltsgemeinschaft hätten - aufgrund des ausdrücklichen Verweises auf § 76
BSHG - die jeweiligen Werbungskosten abgezogen werden können. Hingegen gehe es bei der Freistellung von Zweitgeräten nach § 5 Abs. 1
Satz 2 RGebStV gerade nicht darum, Personen, die mit Rundfunkteilnehmern in häuslicher Gemeinschaft lebten, den Zugang zu einem
Rundfunkempfangsgeräte überhaupt erst zu ermöglichen. Der Haushaltsangehörige könne seinen Informationsbedarf vielmehr durch das bereits
vorhandene Rundfunkempfangsgerät innerhalb der Haushaltsgemeinschaft decken. Daher habe der Gesetzgeber - als Schranke für die
Privilegierung von Zweitgeräten Haushaltsangehöriger - auch auf das Nettoeinkommen abstellen können.
11 Für die Nichtanwendbarkeit von § 82 Abs. 2 SGB XII spreche zudem, dass die Gebührenfreiheit von Zweitgeräten Haushaltsangehöriger nicht
wie bei § 6 RGebStV auf Antrag des Betroffenen in einem eigenständigen Verfahren festgestellt werde, sondern von Gesetzes wegen zu
gewähren sei. Über das Gebührenprivileg für Zweitgeräte werde danach ohne jeglichen Antrag allein aufgrund der vom Betroffenen mitgeteilten
Angaben entschieden. Dieser Konzeption würde es widersprechen, wenn die jeweilige Rundfunkanstalt eine umfangreiche und detaillierte
Einkommensberechnung durchführen müsste und hierbei die Angemessenheit von Werbungskosten zu berücksichtigen hätte. Dass ein
derartiges Verfahren vom Gesetzgeber nicht gewollt sein könne, zeige sich auch in den durch den Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag
erfolgten Änderungen. Nunmehr sei selbst in den Fällen einer nur auf individuellen Antrag in Betracht kommenden Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht gemäß § 6 RGebStV eine eigenständige Einkommens- und Bedarfsberechnung durch die zuständige Rundfunkanstalt
ausgeschlossen. Dies müsse daher im Umkehrschluss erst recht für eine Privilegierung gelten, die ohne individuellen Antrag, d.h. allein anhand
der allgemeinen Angaben des Betroffenen, zu gewähren sei.
12 Des Weiteren enthalte der Rundfunkgebührenstaatsvertrag auch keine Ermächtigungsgrundlage zur Erhebung all jener Daten, deren Prüfung
bei einer Anwendung des § 82 Abs. 2 SGB XII erforderlich wäre. Die Ermächtigung des § 4 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 RGebStV umfasse
diese Daten nicht. Weitere Daten könne die Rundfunkanstalt gem. § 4 Abs. 5 Satz 3 RGebStV nur „im Einzelfall“ erheben.
13 Letztlich würde die Anwendung des § 82 Abs. 2 SGB XII eine einheitliche und den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Gebührenpraxis
nahezu unmöglich machen, weil damit ein nicht zu bewältigender Prüfungsaufwand verbunden wäre. Soweit sich der Rundfunkteilnehmer auf §
82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII berufe, würde es in jedem Einzelfall für jede in Ansatz gebrachte Position einer Prüfung der Frage bedürfen, ob es sich
um eine mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgabe handele. Auch das Kriterium der Notwendigkeit bzw. das
Erfordernis eines nach Grund und Höhe angemessenen Versicherungsbeitrages nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII eröffne zugleich einen
Bewertungsspielraum und würde Unwägbarkeiten und Anwendungsprobleme mit sich bringen. Zwar seien in der Durchführungsverordnung zu §
82 SGB XII zum Teil Pauschalbeträge festgesetzt. Diese seien jedoch nicht abschließend und eröffneten die Möglichkeit, im Einzelfall höhere
Aufwendungen nachzuweisen.
14 Der Beklagte beantragt,
15
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.01.2010 - 3 K 3491/09 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
16 Der Kläger beantragt,
17
die Berufung zurückzuweisen.
18 Der Kläger bezieht sich auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts.
19 Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Verwaltungsgerichts und die der beklagten Rundfunkanstalt vor. Auf diese und auf die zwischen
den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
20 Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der zulässigen Anfechtungsklage des Klägers zu
Recht stattgegeben. Denn der angefochtene Rundfunkgebührenbescheid des Beklagten vom 03.07.2009, mit dem der Kläger für den Zeitraum
von April bis einschließlich Juni 2009 zu einer Grundgebühr für ein zum Hörfunkempfang taugliches Handy herangezogen wurde, und der
Widerspruchsbescheid vom 11.08.2009 sind rechtswidrig und verletzen daher den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21 Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RGebStV hat jeder Rundfunkteilnehmer - vorbehaltlich der Regelung des § 5 RGebStV - für jedes von ihm zum Empfang
bereitgehaltene Rundfunkempfangsgerät eine Grundgebühr und für das Bereithalten jedes Fernsehgerätes jeweils zusätzlich eine
Fernsehgebühr zu entrichten. Dies gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV nicht für weitere Rundfunkempfangsgeräte (Zweitgeräte), die von
einer natürlichen Person oder ihrem Ehegatten in ihrer Wohnung oder ihrem Kraftfahrzeug zum Empfang bereitgehalten werden, wobei aber für
Rundfunkempfangsgeräte in mehreren Wohnungen für jede Wohnung eine Rundfunkgebühr zu entrichten ist. Eine Rundfunkgebührenpflicht im
Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 1 RGebStV besteht nach dessen Satz 2 auch nicht für Zweitgeräte, die von Personen zum Empfang bereitgehalten
werden, welche mit dem Rundfunkteilnehmer in häuslicher Gemeinschaft leben und deren Einkommen den einfachen Sozialhilferegelsatz nicht
übersteigt.
22 Diese Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV waren in dem hier zu beurteilenden Zeitraum erfüllt. Der Kläger lebte (und lebt) mit seinen
Eltern, die Rundfunkteilnehmer sind, in häuslicher Gemeinschaft. Er hat in dieser Zeit auch ein zum Hörfunkempfang taugliches Handy, also
zumindest ein weiteres Rundfunkempfangsgeräte i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV, zum Empfang bereitgehalten. Seinen Vortrag, nicht er,
sondern sein Vater halte das Gerät zum Empfang bereit, hat er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht aufrecht erhalten. Das
Einkommen des Klägers überstieg jedoch im streitgegenständlichen Zeitraum nicht den einfachen Sozialhilferegelsatz, der damals für
Haushaltsangehörige ab Vollendung des 14. Lebensjahres - wie der Kläger - bei 281,-- EUR lag (vgl. Verordnung der Landesregierung Baden-
Württemberg über die Festsetzung der Regelsätze in der Sozialhilfe i.d.F. vom 06.06.2008, GBl. S. 206). Denn Einkommen i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2
RGebStV sind alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, vermindert um die Absetzungsbeträge nach § 82 Abs. 2 SGB XII. Die notwendigen
Ausgaben, die der Kläger für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte aufwenden muss, sind deshalb vor der Prüfung, ob der einfache
Sozialhilferegelsatz nicht überstiegen wird, abzuziehen.
23 Die Definition des Einkommens ergibt sich allerdings nicht bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Die juristische Fachsprache kennt keinen
allgemein gültigen Einkommensbegriff. Vielmehr wird der Begriff „Einkommen“ in zahlreichen Fachgesetzen verschieden definiert (vgl. die in der
Entscheidung des Niedersächsischen OVG vom 26.08.2009 - 4 LC 460/07 - juris, Rdnr. 28 aufgeführten zahlreichen Beispiele). Der
Einkommensbegriff ist daher für jedes Rechtsgebiet, in dem er verwendet wird, nach Sinn und Zweck der Regelung gesondert zu ermitteln
(Niedersächsisches OVG, aaO). Der allgemeine Sprachgebrauch spricht für eine Auslegung, wonach als Einkommen das „Nettoeinkommen“ und
dieses als Bruttoeinkommen abzüglich Steuern und Sozialabgaben, nicht aber abzüglich der Werbungskosten zu verstehen ist (so auch: Bayer.
VGH, Urteil vom 17.10.2006 - 7 BV 05.2898 - juris). Zu Recht weist der Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch Gründe der
Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung für eine solche Auslegung des Einkommensbegriffs sprechen; allein auf Grundlage der
vorgelegten Lohn-/Gehaltsabrechnung lässt sich danach für die Rundfunkanstalten auf einen Blick entnehmen, ob für den betreffenden
Haushaltsangehörigen eine Rundfunkgebührenpflicht i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV besteht oder nicht. Auch der Einwand des
Niedersächsischen OVG (aaO), dass vom zu versteuernden Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit nach § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 EStG
generell Werbungskosten in Höhe des Arbeitnehmer-Pauschbetrages nach § 9 a Satz 1 Nr. 1 a) EStG in Abzug gebracht würden und diese
Vorwegabzüge bei konsequenter Anwendung des Einkommensbegriffes im Sinne des „Nettoeinkommens“ nachträglich korrigiert werden
müssten, überzeugt nicht. Die Gruppe der Haushaltsangehörigen, deren Einkommen sich in der Nähe des einfachen Sozialhilferegelsatzes
bewegt und bei denen allein eine vertiefte Prüfung vorzunehmen ist, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV vorliegen, hat in
aller Regel ein so geringes Bruttoeinkommen, dass Lohnsteuer nicht zu zahlen ist. Eine verwaltungsaufwändige Korrektur des vorab erfolgten
Werbungskostenabzugs in rundfunkrechtlichen Verfahren - wie sie vom Niedersächsischen OVG behauptet wird - ist deshalb nicht erforderlich,
um auf der Grundlage des „Nettoeinkommens“, wie es der allgemeine Sprachgebrauch versteht, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen
des § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV ohne größeren Verwaltungsaufwand feststellen zu können.
24 Die Auslegung des Einkommensbegriffs in § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV hat aber nicht allein auf der Grundlage des Wortlauts zu erfolgen,
maßgebliche Bedeutung hat vielmehr auch in diesem Zusammenhang der Sinn und Zweck der Vorschrift. Dieser spricht entscheidungserheblich
dafür, zur Bestimmung des in dieser Regelung verwendeten Begriffs des Einkommens auf den sozialhilferechtlichen Einkommensbegriff des § 82
SGB XII zurückzugreifen.
25 Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 19.05.2009 - 10 A 2476/08 - (NVwZ-RR 2009, 844) in diesem Zusammenhang
unter anderem Folgendes ausgeführt:
26
„Vielmehr folgt der Senat der Auffassung der Klägerin, wonach der in § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV verwandte Begriff des Einkommens
dort ohne weitere Zusätze aufgeführt wird, aber in einem konkreten sozialhilferechtlich geprägten Zusammenhang steht. Es trifft zu, dass
nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ein Rundfunknutzer nur dann Rundfunkgebühren zahlen soll, wenn ihm ein über dem
einfachen Sozialhilferegelsatz liegendes Einkommen wirklich zur Verfügung steht. Sinn der Regelung ist erkennbar, dass grundsätzlich
für weitere Rundfunkempfangsgeräte, die von Personen zum Empfang bereitgehalten werden, welche mit dem Rundfunkteilnehmer in
häuslicher Gemeinschaft leben, keine Rundfunkgebührenpflicht bestehen soll, was erkennbar dem Gedanken Rechnung trägt, dass ja
für die im Haushalt vorhandenen Rundfunkempfangsgeräte bereits Rundfunkgebühren bezahlt werden. Nur dann, wenn die mit dem
Rundfunkteilnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebende Person eigenes Einkommen hat, das den einfachen Sozialhilferegelsatz
übersteigt, soll für dieses weitere Rundfunkempfangsgerät eine Rundfunkgebühr gezahlt werden. Die Regelung knüpft somit erkennbar
an das tatsächlich vorhandene Einkommen der mit dem Rundfunkteilnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebenden Person an. Dies hat
zur Folge, dass Einkünfte, die infolge zwingender Abzüge nicht bei der betreffenden Person verbleiben, nicht als Einkommen i.S.v. § 5
Abs. 1 Satz 2 RGebStV zu werten sind. Soll nach alledem sichergestellt werden, dass der betreffenden Person das Einkommen in Höhe
des einfachen Sozialhilferegelsatzes verbleibt, ohne dass dieses Einkommen durch Rundfunkgebühren vermindert würde, so zeigen
diese Überlegungen und die Anknüpfung an die Grenze des einfachen Sozialhilferegelsatzes, dass der
Rundfunkgebührenstaatsvertrag vom sozialhilferechtlich geprägten Begriff des Einkommens ausgeht. Dies bedeutet, dass der heute in §
82 des Zwölften Buches des SGB (früher § 76 BSHG) geregelte Begriff des Einkommens auch in den Fällen des § 5 Abs. 1 Satz 2
RGebStV heranzuziehen ist.“
27 Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Danach kann auch nicht dem Einwand des Beklagten gefolgt werden, eine
Prüfung des Einkommens in entsprechender Anwendung des § 82 SGB XII könne den Rundfunkanstalten nicht zugemutet werden, weil es sich
bei den Befreiungsverfahren um ein Geschäft der Massenverwaltung handele. Der Umstand, dass die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben einen
erhöhten Verwaltungsaufwand mit sich bringt, kann zwar durchaus Bedeutung für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften haben; vor dem
Hintergrund des dargelegten Zwecks der Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV kommt diesem Gesichtspunkt hier aber keine
entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
28 Die Anwendung sozialhilferechtlicher Grundsätze auch im Bereich des § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV führt im Übrigen zwar zu einem höheren
Verwaltungsaufwand, für den Senat ist aber ein nicht leistbarer und damit nicht zumutbarer Aufwand für die Rundfunkanstalten nicht erkennbar.
In entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 2 SGB XII sind vom Einkommen abzusetzen die auf das Einkommen entrichteten Steuern (Nr. 1),
die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung (Nr. 2), die Beiträge zu öffentlichen oder privaten
Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind,
sowie geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des
Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten (Nr. 3), die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben (Nr. 4)
sowie das Arbeitsförderungsgeld und Erhöhungsbeträge des Arbeitsentgelts i.S.v. § 43 Satz 4 des Neunten Buches (Nr. 5). Streitig und damit mit
einem nennenswerten Verwaltungsaufwand verbunden sind danach im Wesentlichen nur die Absetzungsbeträge der Nrn. 3 und 4. Dabei dürfte
die Frage, ob und inwieweit i.S.v. § 82 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen vom Einkommen abzusetzen
sind, sicherlich Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfen und damit auch einen gewissen zusätzlichen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. Da
das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV typischerweise bei der Personengruppe der Auszubildenden, die noch bei
ihren Eltern leben, zu prüfen ist, wird sich die Anzahl der Fälle, in denen die Verästelungen des § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII streitig sind, jedoch in
engen Grenzen halten. Die Überprüfung des Einkommens der Haushaltsangehörigen i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 2 RGebStV wird sich deshalb auf die
Frage konzentrieren, ob der Betreffende mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben geltend machen kann. Dabei
wird - wie auch im hier zu beurteilenden Fall - im Vordergrund die Prüfung stehen, in welchem Umfang die Kosten für die Fahrt zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte abzusetzen sind. Hierfür enthält § 3 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII detaillierte und handhabbare
Vorgaben. Danach sind grundsätzlich die Kosten der tariflich günstigsten Zeitkarte eines öffentlichen Verkehrsmittels und ausnahmsweise im
Einzelnen festgelegte Pauschalbeträge eigener Kraftfahrzeuge abzusetzen (vgl. § 3 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. Abs. 6 der genannten
Durchführungsverordnung). Auch Aufwendungen für Arbeitsmittel können nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 der Verordnung grundsätzlich nur
mit einem monatlichen Pauschbetrag (derzeit 5,20 EUR) und nur im Einzelfall beim Nachweis höherer Aufwendungen berücksichtigt werden.
Diese Fragen, auf die sich die Prüfung bei der maßgeblichen Gruppe der im Haushalt der Eltern wohnenden Auszubildenden beschränken
dürfte, können von den Rundfunkanstalten mit noch vertretbarem Verwaltungsaufwand beantwortet werden.
29 Nach alledem sind von dem monatlichen Verdienst des Klägers von 449,-- EUR brutto die Beträge für Krankenversicherung, Pflegeversicherung,
Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung sowie die Kosten der Monatsfahrkarte für den öffentlichen Personennahverkehr in Höhe von
82,40 EUR abzuziehen. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht angenommen, dass es sich hierbei um die Kosten der
tariflich günstigsten Zeitkarte für die Fahrten des Klägers von ... (Teilort ...) bis zu seiner Ausbildungsstelle in der Stuttgarter Innenstadt handelt;
der Beklagte hat seine hiergegen erhobenen Einwendungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr aufrecht erhalten.
Danach sind für die streitgegenständlichen Monate April bis Juni 2009 vom Nettolohn des Klägers in Höhe von 352,78 EUR zumindest die
monatlichen Fahrtkosten zum Arbeitsplatz in Höhe von 82,40 EUR in Abzug zu bringen. Für April bis Juni 2009 errechnet sich daraus ein
monatliches Einkommen von 270,38 EUR, das unter der Grenze von 281,-- EUR liegt.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
31 Die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Frage, ob beim Tatbestandsmerkmal „Einkommen“ in § 5 Abs. 1 Satz 2
RGebStV alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert um die Absetzungsbeträge nach § 82 Abs. 2 SGB XII zu vermindern sind, hat insbesondere vor
dem Hintergrund der dargelegten differierenden Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte grundsätzliche Bedeutung.
32
Beschluss vom 17. März 2011
33 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf 22,39 EUR festgesetzt.
34 Der Beschluss ist unanfechtbar.