Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 27.09.2010

VGH Baden-Württemberg: pakistan, report, genfer flüchtlingskonvention, politische rechte, bundesamt für migration, zahl, muslim, religionsfreiheit, amnesty international, neues beweismittel

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 27.9.2010, A 10 S 689/08
Keine Gruppenverfolgung pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen Zugehörigkeit zur Ahmadiyyia-Glaubensgemeinschaft
Leitsätze
An den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung ist auch unter Geltung der Richtlinie
2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) festzuhalten (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237).
Auch bei Anwendung der Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG und der dort in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b geschützten Religionsausübungsfreiheit
bestehen keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zur
Ahmadiyyia-Glaubensgemeinschaft. Eine unmittelbare individuelle Gefahr der religiösen Verfolgung besteht allenfalls für pakistanische Ahmadis,
die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen (wie Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 -, juris).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
2
Der am …1974 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Er hat zum
Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 30.07.2001 und 20.01.2010 vorgelegt.
3
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 03.06.2001 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12.06.2001 einen
Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) am 30.08.2001 brachte er im Wesentlichen vor, er sei von Geburt an Ahmadi und habe
bestimmte Funktionen in seiner örtlichen Glaubensgemeinschaft ausgeübt. Zuletzt habe er seit dem Jahre 1998 das Amt eines Saik innegehabt.
Weiter berief er sich auf mehrere Übergriffe aus den Jahren 1998 und 1999 sowie auf Strafanzeigen gegen Verwandte und deren Inhaftierung.
Zentraler Gegenstand des Vorbringens war ein Vorfall am 08.06.2000, bei dem ein Onkel des Klägers durch einen Schuss getötet und auch der
Bruder des Klägers durch einen Schuss verletzt worden sein soll, sowie die sich daran anschließenden Ermittlungsverfahren gegen den Kläger
und weitere ortsansässige Ahmadis. Am 28.10.2000 sei der Name des Klägers in einer weiteren Strafanzeige gemäß § 302 des Pakistanischen
Strafgesetzbuches erwähnt worden. Aufgrund dieser Anzeige seien sein Bruder und sein Neffe festgenommen worden. Zum Beleg seines
Verfolgungsvorbringens legte der Kläger bei seiner Bundesamtsanhörung zahlreiche Unterlagen, insbesondere Strafanzeigen und
Zeitungsberichte über die Tötung seines Onkels sowie ein ärztliches Attest über von seinem Bruder erlittene Verletzungen, in Kopie vor.
4
Mit Bescheid vom 26.11.2003 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde dem Kläger die
Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen, die mit Urteil vom 28.10.2005
(Az.: A 6 K 12413/03) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem beachtlichen
individuellen Vorverfolgungsschicksal des Klägers. Die von ihm im Behördenverfahren vorgelegten FIRs (First Information Reports) seien nach
der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes mit großer Wahrscheinlichkeit gefälscht.
Jedenfalls bestehe im Falle einer Rückkehr des Klägers keine individuelle Verfolgungsgefahr, weil die Gerichtsverfahren betreffend den Vorfall
am 08.06.2000 ausweislich der Beweisaufnahme eingestellt worden seien. Eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan sei nicht gegeben,
auch nicht unter Berücksichtigung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie, durch die sich an der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff des religiösen Existenzminimums und des sog. „forum internum“ nichts ändere. Dahingestellt könne
deshalb bleiben, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits die Qualifikationsrichtlinie mit der Folge umgesetzt habe, dass diese
nunmehr im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG trotz der noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist Anwendung finde. Das Urteil wurde durch
Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Senats vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) rechtskräftig.
5
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 05.01.2007 - bei der Außenstelle Reutlingen des Bundesamtes persönlich abgegeben am
10.01.2007 - stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu
seinen Gunsten verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der
Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch
Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich
umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr
aufrecht erhalten werden. Darüber hinaus legte der Kläger einen Antrag an den Lahore High Court - Criminal Appeal Nr. 3/3/2003 - als neues
Beweismittel vor, den er von Verwandten in Kopie erhalten habe. Damit könne nunmehr belegt werden, dass entgegen der Annahme des
Verwaltungsgerichts in seinem klageabweisenden Urteil vom 28.10.2005 das im Asylerstverfahren thematisierte Gerichtsverfahren bei dem
Lahore High Court fortgeführt werde und nicht bereits von dem Untergericht endgültig eingestellt worden sei. Es handle sich dabei um ein sog.
Gegenverfahren der Ahmadis gegen die sunnitischen Moslems; aus diesem Grund müsse der Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan mit
Verfolgung durch fanatische Moslems rechnen.
6
Mit Bescheid vom 22.01.2007 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des
Bescheids vom 26.11.2003 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ab.
7
Am 24.01.2007 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur
Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs.
2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen und zur
Frage von Rechtsänderungen durch die Richtlinie 2004/83/EG vorgetragen.
8
Mit Urteil vom 28.09.2007 - A 6 K 43/07 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung im
Wesentlichen ausgeführt: Eine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan könne derzeit nicht angenommen
werden und drohe auch nicht in absehbarer Zukunft. Das Gericht folge dabei der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg und der übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung. Insoweit habe sich an der Sachlage bis zum heutigen
Zeitpunkt nichts Relevantes geändert. Auch das Inkrafttreten von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung
aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union rechtfertige keine abweichende Beurteilung der Sachlage aus
Rechtsgründen. Die Neubestimmung des Flüchtlingsbegriffs in Anwendung der Genfer Konvention führe nicht zur Annahme einer
Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan. Weder die Qualifikationsrichtlinie noch die Genfer Flüchtlingskonvention forderten inhaltlich eine
wesentlich andere Betrachtungsweise, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob nach Inkrafttreten der neuen Rechtslage die bisherige
Rechtsprechung zum sog. „forum internum“ und zur Gewährleistung des asylrechtlich erforderlichen religiösen Existenzminimums weiterhin
fortbestehen könne und inwieweit dies Folgen für die Annahme einer Gruppenverfolgung von Ahmadis habe.
9
Jedenfalls erreichten die im Hinblick auf Ahmadis in Pakistan dokumentierten Verfolgungsfälle, selbst wenn man den Kreis der
einzubeziehenden Referenzfälle erweitere, auch zum derzeitigen Zeitpunkt nicht die zur Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche
Verfolgungsdichte. Nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie könnten nur schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte die
Flüchtlingseigenschaft begründen. Deshalb seien nicht sämtliche Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit bei der Auswahl der zu
berücksichtigenden Referenzfälle einzubeziehen. Unter Beachtung der Rechtsanwendungspraxis in Pakistan sei weiter darauf abzustellen,
welche Referenzfälle zu Gefahren für Leib, Leben oder die physische Freiheit führten. Hinsichtlich der Frage der öffentlichen Religionsausübung
sei darauf hinzuweisen, dass den Ahmadis eine öffentliche Religionsausübung nicht völlig unmöglich sei. Das Auswärtige Amt weise in seinem
Lagebericht vom 18.05.2007 beispielhaft darauf hin, dass es Gotteshäuser gebe, in denen Ahmadis trotz der bestehenden Strafvorschriften
öffentlich ihren Glauben ausüben könnten. Ahmadis sei es auch nicht untersagt, sich öffentlich zum Quadianismus oder Ahmadiismus als ihrer
Religion zu bekennen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24.10.2007 zugestellt.
10 Am 24.11.2007 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
11 Mit Beschluss vom 07.03.2008 - dem Kläger am 14.03.2008 zugestellt - hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger die
Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt. Im Übrigen blieb der Antrag bezogen auf die Verpflichtung zur
Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ohne Erfolg.
12 Am 14.04.2008 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und unter Bezugnahme auf die Ausführungen im
Zulassungsantrag begründet.
13 Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Als Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL gälten nunmehr Handlungen, die sich
nach ihrer Art oder Wiederholung als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Als Verfolgung seien
aber nach Buchst. b auch Maßnahmen anzusehen, die so gravierend seien, dass eine Person auf eine ähnliche Weise wie nach Buchst. a
betroffen sei. Die Religionsfreiheit stelle ein Menschenrecht im Sinne dieser Vorschrift dar, was sich insbesondere aus Art. 18 Abs. 1 und 27 des
Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ergebe. Vor diesem Hintergrund sei ein Rückgriff auf
die Rechtsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16 a GG nicht zulässig. Vielmehr dürften Einschränkungen der
Religionsfreiheit nur unter Beachtung von Art. 18 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie Art. 9 Abs. 2
EMRK vorgenommen werden. Die hiernach erforderlichen Gesetze müssten allgemeiner Natur sein, d. h. für alle Staatsbürger, egal welcher
religiösen Ausrichtung sie angehörten, gelten. Bezogen auf die Ahmadis in Pakistan bedeute dies, dass sämtliche gegen diese
Bevölkerungsgruppe gerichteten Strafgesetze offensichtlich nicht den vorgenannten Anforderungen genügten. Bereits diese Regelungen seien
für sich genommen daher geeignet, als schwerwiegende Verletzung eines Menschenrechts zu gelten.
14 Mit einzubeziehen seien auch die staatlichen Regelungen, wonach Ahmadis, um einen Nationalpass ausgestellt zu bekommen, ihre
Glaubensgrundsätze dadurch verleugnen müssten, dass sie sich schriftlich auf einem Sonderformular als Nicht-Moslems bezeichnen müssten.
Weiter seien die diskriminierenden Regelungen des Wahlrechts zu berücksichtigen, die es Ahmadis seit längerem unmöglich machten, sich auf
normalen Wahllisten als Kandidat aufstellen zu lassen oder die normalen Kandidaten zu wählen, was zur Folge habe, dass Ahmadis an den
Parlamentswahlen nicht mehr teilnähmen und daher im Parlament auch nicht mehr vertreten seien. Zu verweisen sei in diesem Zusammenhang
auf den sog. Präsidentenerlass Nr. 15 vom 17.06.2002 zur Ergänzung des Erlasses über die allgemeinen Wahlen 2002. Nach dieser Regelung
bleibe der Status von Ahmadis unverändert, nach Ziff. 7 c der Regelung müssten aber Personen, die sich als Wähler registrieren lassen wollten,
für den Fall, dass Einspruch eingelegt werde, innerhalb von 15 Tagen bei der Aufsichtsbehörde erscheinen und ein Formular mit einer Erklärung
über die Finalität des Propheten unterzeichnen. Falls der Betreffende sich weigere, werde er als Nicht-Muslim betrachtet und sein Name werde
aus dem allgemeinen Wahlverzeichnis gestrichen und der Zusatzliste für Nicht-Muslime zugeteilt. Damit werde sowohl das aktive als auch das
passive Wahlrecht deutlich eingeschränkt. Ferner müssten auch die Regelungen bei der Registrierung von Geburten in Betracht gezogen
werden, da bei den öffentlichen Registrierungsstellen die Religion des Kindes bzw. der Eltern angegeben werden müsse. Ahmadis müssten dort
„Ahmadi“ angeben und dürften nicht entsprechend ihrem Selbstverständnis „Moslem“ eintragen lassen. Dies führe in Pakistan faktisch zu einer
stigmatisierenden Ausgrenzung.
15 Im Übrigen seien die faktischen Beeinträchtigungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungsbereich sowie die Benachteiligungen bei der
Einstellung bzw. Beförderung im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. Benachteiligungen bestünden auch in Bezug auf das Bildungswesen,
weil die Studenten auf den Antragsformularen ihre Religionszugehörigkeit angeben müssten. Bezeichneten die Ahmadis sich auf diesem
Formular entsprechend ihrem Selbstverständnis als „Moslem“, riskierten sie eine Freiheitsstrafe. Bezeichneten sie sich hingegen als „Ahmadi“,
müssten sie mit einer Verweigerung des Zugangs rechnen. Im Fall einer Zulassung dürften sie in der Regel nicht am Pflichtfach „Islamiyat“
teilnehmen, was zur Benachteiligung beim Schulabschluss führe. Hinzuweisen sei auf die weit verbreiteten Entweihungen der ahmadischen
Grab- und Gebetsstätten, den Ausschluss von der Beerdigung auf den meisten Friedhöfen, die Beschränkung der Rede- und
Versammlungsfreiheit sowie die Beschränkungen im Bereich der Publizistik. Betrachte man dieses Bündel von diskriminierenden und
ausgrenzenden Maßnahmen unterschiedlichen Charakters einerseits sowie andererseits die Tatsache, dass bei einer Gesamtzahl von ca. zwei
bis vier Millionen Ahmadis in Pakistan nur noch ca. 500.000 sog. bekennende Ahmadis lebten, so liege es nahe, dass die weit überwiegende
Anzahl der Ahmadis sich nur deshalb nicht traue, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen, um dem auf ihnen lastenden
Ausgrenzungsdruck zu entgehen, wobei auch die Existenz und der Vollzug der religiösen Strafgesetze berücksichtigt werden müsse. Auch die
Anzahl der tätlichen Übergriffe von privaten Dritten in Bezug auf religiöses Verhalten der Ahmadis müsse in die Gesamtbetrachtung einbezogen
werden.
16 Mit Schriftsätzen vom 09.03.2009 und 27.07.2010 ließ der Kläger ergänzend vortragen, dass sich nach der neueren Erkenntnislage die Situation
der Ahmadis in Pakistan hinsichtlich ihrer Religionsausübungsmöglichkeiten erneut wesentlich verschlechtert habe. Ausweislich eines Berichts
der Human Rights Commission of Pakistan vom 09.07.2008 sei gegen die ganze ahmadische Bevölkerung von Rabwah ein religiös motiviertes
Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, nachdem die ahmadische Bevölkerung das 100-jährige Kalifat ihrer Gemeinde gefeiert habe.
Ausgehend von der Einwohnerzahl von Rabwah und dem Anteil der Ahmadis hieran könne geschlossen werden, dass sich dieses
Ermittlungsverfahren auf mindestens 50.000 Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde beziehe; die vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom
22.10.2008 genannte Zahl von lediglich „über tausend“ Strafverfahren gegen Ahmadis nach § 289c des Pakistanischen Strafgesetzbuches sei
deshalb deutlich zu niedrig geschätzt. Auch hätten in einer Fernsehsendung vom 07.09.2008 pakistanische Mullahs unwidersprochen die
Auffassung vertreten, dass Ahmadis aus religiösen Gründen zu töten seien; in der Folgezeit seien daraufhin zwei bekannte ahmadische
Persönlichkeiten ermordet worden. Seit dieser Sendung habe sich das Klima zwischen Ahmadis und Nichtahmadis in Pakistan weiter
verschlechtert, so dass Ahmadis landesweit von Tötung bedroht seien. Am 28.01.2009 seien fünf Ahmadis, davon vier Jugendliche im Alter
zwischen 14 und 16 Jahren, nach § 295c des Pakistanischen Strafgesetzbuches wegen Blasphemie angezeigt worden, der Vorwurf habe auf
Beleidigung des Propheten mittels verunglimpfender Graffiti in einer Toilette gelautet.
17 Der Kläger beantragt,
18
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - zu ändern und die Beklagte unter
entsprechender Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 22. Januar 2007 zu verpflichten, dem Kläger die
Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
19 Die Beklagte beantragt,
20
die Berufung zurückzuweisen.
21 Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid und führt im Übrigen aus, § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst.
b QRL führe zu keiner grundsätzlich abweichenden Bewertung. Entgegen der vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (Az.: A 10 S 72/08)
vertretenen Auffassung habe sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie nicht wesentlich
erweitert; an der Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009
(Az.:10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. Denn das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Urteil klargestellt, dass auch
unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG nicht jede Einschränkung der Religionsfreiheit zu einer Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts führe.
Ob ein Ausländer als Flüchtling anzuerkennen sei, müsse vielmehr nach höchstrichterlicher Sicht maßgeblich nach Art. 9 Abs. 1 der
Qualifikationsrichtlinie beurteilt werden, denn dieser Bestimmung sei zu entnehmen, welches Rechtsgut in welchem Ausmaß geschützt sei.
Entscheidend sei auf die Gefährdungslage abzustellen, die aus einer aktiven Wahrnehmung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit durch
einen Ahmadi resultiere, die also aufgrund einer öffentlichkeitswirksamen Betätigung eintrete. Einschränkungen der religiösen Betätigung als
solche stellten nur dann hinreichend schwere Eingriffe dar, wenn die Religionsausübung grundsätzlich unterbunden werde oder sie zu einer
Beeinträchtigung eines unabdingbaren Teils des religiösen Selbstverständnisses des Gläubigen führen würde und daher ein Verzicht nicht
zugemutet werden könne. Nur dieser Kernbereich der Religionsausübung sei nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9
Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar. Unabhängig hiervon habe die Qualifikationsrichtlinie keine Veränderung insoweit erbracht, als Schutzbedarf
notwendigerweise eine individuelle Betroffenheit voraussetze. Selbst wenn zugunsten des Klägers von einer Rechtsänderung durch die
Qualifikationsrichtlinie ausgegangen werde, bedürfe es tragfähiger Feststellungen dazu, wie er seinen Glauben bisher gelebt habe und eine
Prognose, ob er dies auch bei Rückkehr entsprechend fortsetzen wolle. Im Übrigen spreche jedoch die Entstehungsgeschichte und die bisherige
Rechtslage nicht für die Auffassung des Klägers, dass mit Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie 2004/83/EG eine erhebliche
Rechtsänderung eingetreten sei.
22 Der Senat hat den Kläger und seine Lebensgefährtin, Frau A. S., in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört; wegen der dabei
getätigten Angaben wird auf die gefertigte Anlage zur Niederschrift verwiesen.
23 Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen hinsichtlich des Erst- und des
gegenständlichen Folgeverfahrens vor.
Entscheidungsgründe
24 Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des
Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) bleibt in der Sache
ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge vom 22.01.2007 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG)
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung zur
Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Buchst. c der zur Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom
29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) im Wege des Asylfolgeverfahrens.
25 Entsprechend der Berufungszulassung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch die von dem Kläger begehrte Verpflichtung zur
Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht auch die im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrte
Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
26 Da der erste Asylantrag des Klägers bereits im Jahre 2006 bestandskräftig abgelehnt wurde, handelt es sich bei dem gegenständlichen
Asylantrag um einen Folgeantrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren
Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor (1.). Auch hat sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sowohl
der flüchtlingsrechtliche Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit als auch der anwendbare Prognosemaßstab für eine festzustellende
Verfolgungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu den im Asylerstverfahren einschlägigen Vorgaben verändert (2.). Jedoch kann sich der Kläger
auch bei Anwendung dieses günstigeren Maßstabs für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung
der Ahmadis berufen (3.). Eine - grundsätzlich denkbare - individuelle flüchtlingsrelevante Rückkehrgefährdung scheidet mangels hinreichender
Glaubensgebundenheit des Klägers aus (4.).
27 1. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellten
Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Hiernach setzt ein
Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens insbesondere voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue
Beweismittel vorliegen und dass die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird.
Der Folgeantrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem
Wiederaufgreifensgrund hat (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Diese einschränkenden Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3
VwVfG finden auch dann Anwendung, wenn der Antragsteller in einem weiteren Verfahren eine ihm günstige Rechtsänderung unter Hinweis auf
die nunmehr eingetretene unmittelbare Wirkung der Richtlinie 2004/83/EG geltend macht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage im
Verfahren Az.: A 10 S 688/08).
28 a) Entgegen der vom Bundesamt in seinem Bescheid vom 22.01.2007 vertretenen Auffassung ist mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie und
in Bezug auf die Beurteilung der maßgeblichen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1
Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris). Ob für den Betroffenen tatsächlich eine
günstigere Entscheidung im Einzelfall in Betracht kommt, muss der Prüfung in dem durchzuführenden Asylfolgeverfahren vorbehalten bleiben;
das Bundesamt hat zu Unrecht in dem versagenden Bescheid eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen und mit diesen
Überlegungen einen Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verneint. Nach der Konzeption des Asylverfahrensgesetzes
ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der geltend gemachten Sachverhalts- oder Rechtsänderung auf einer zweiten Stufe erst
dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Umstände jedenfalls möglich erscheint.
Deshalb muss es auch ausreichen, wenn der Betroffene innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG sich auf die mögliche Rechtsänderung durch
das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie berufen hat; der Vortrag weiterer Tatsachen, die einen Rückschluss darauf zulassen, dass ein Ahmadi
mit seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie aktuell aktiv ausgeübt hat, ist demgegenüber keine
Zulässigkeitsvoraussetzung (a. A. VG des Saarlandes, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 621/08 - juris).
29 b) Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat, steht einem Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt.
VwVfG unter dem Gesichtspunkt der Rechtsänderung auch nicht entgegen, dass es bereits in seinem das Erstverfahren abschließenden Urteil
vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) die materiellen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie zumindest hilfsweise seiner inhaltlichen Prüfung
zugrunde gelegt hat. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Urteil offen gelassen, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits
einen Teil der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt hat und bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft
nationalen Rechts im Lichte von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem
Zusammenhang dann im Einzelnen näher dargelegt, dass selbst bei Anwendung der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie nicht von einer
Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan ausgegangen werden könne, da Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG eine mit dem
nationalen Recht vergleichbare Struktur aufweise und den Schutzbereich der Religionsausübung nicht über die vom Bundesverwaltungsgericht
entwickelten Grundsätze zum „forum internum“ hinaus erweitert habe.
30 Diese vom Verwaltungsgericht der Sache nach vorgenommene Überprüfung des Asylbegehrens anhand der Maßstäbe der
Qualifikationsrichtlinie steht der Annahme einer Rechtsänderung nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass erst mit Ablauf des 10.10.2006
(Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit, vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) objektiv-rechtlich
eine Rechtsänderung eingetreten ist. Für dieses Verständnis sprechen nicht zuletzt Gesichtspunkte des effektiven Rechtsschutzes. Da der Senat
in seinem die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) die vom Verwaltungsgericht erwogene
Vorwirkung bzw. vorzeitige Umsetzung des Richtlinienentwurfs in nationales Recht abgelehnt hat, war dem Kläger eine obergerichtliche
Überprüfung des vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der Qualifikationsrichtlinie verwehrt. Der Kläger konnte daher im
Asylerstverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, dass sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG gerade im Hinblick auf die
Religionsausübungsfreiheit eine Erweiterung des Schutzbereichs ergeben hat.
31 c) Der Kläger hat auch die maßgebliche Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten, ohne dass es darauf ankommt, wann der Kläger bzw. sein
Prozessbevollmächtigter positive Kenntnis von der Rechtsänderung erlangt hat. Da der Kläger seinen Asylfolgeantrag persönlich bei der
zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bereits am 10.01.2007 gestellt hat, wird auch die denkbar kürzeste Frist (drei Monate ab Ablauf der
Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie) gewahrt.
32 Nach alledem liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG
vor. Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuellen Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch
eine erneute Überprüfung und Bewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn die Qualifikationsrichtlinie misst sich keine Geltung
auch für Sachverhalte bei, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden wurde
(vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris ). Im Folgenden ist deshalb lediglich zu überprüfen, ob bei Anwendung der
Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bzw. deren Umsetzung durch § 60 Abs. 1 AufenthG eine flüchtlingsrechtlich relevante individuelle oder
gruppenbezogene Rückkehrgefährdung des Klägers besteht.
33 2. Der Senat geht im Anschluss an sein Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei
Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der
Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert hat.
34 2.1.a) Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 Buchst. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden
Zusammenhang ist insbesondere der Schutz der Religionsausübung gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL maßgeblich. Danach umfasst der
Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an
religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder
Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach
dieser vorgeschrieben sind. Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definiert, was unter dem Verfolgungsgrund der Religion
zu verstehen ist, d. h. an welche religiösen Einstellungen oder Betätigungen eine Verfolgungshandlung anknüpfen muss, um flüchtlingsrechtlich
beachtlich zu sein. Die Vorschrift gewährleistet dabei bereits nach ihrem Wortlaut für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn sie
sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jede
religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen
bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst
wird.
35 Wie im Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, dürfte die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz
hinausgehen, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16 a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen
Verfolgungsgründe eingeräumt wurde, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor
Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede steht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -
BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den
eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen
Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der
Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in
der Öffentlichkeit. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. Urteil
des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032.07 - a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101).
36 b) Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen
Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende
Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft
verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall,
sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden
kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
37 Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit liegt in jedem Falle dann vor, wenn der Gläubige so schwerwiegend an der Ausübung
seines Glaubens gehindert wird, dass das Recht auf Religionsfreiheit in seinem Kernbereich verletzt wird. Der Kern der Religionsfreiheit ist für
die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar und gehört damit zum menschenrechtlichen Mindeststandard. Er ist
nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar (vgl. zu den Einzelheiten etwa BVerfG,
Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>; sowie BVerwG, Urteile vom 20.01.2004 - 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16
und vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - a.a.O.). Wird dieser Kernbereich verletzt, ist in jedem Fall eine schwerwiegende Rechtsverletzung im Sinne
des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu bejahen und dementsprechend Flüchtlingsschutz zu gewähren.
38 Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere Buchst. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht jedoch
deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung - von
Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen - in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird, und dass der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG
verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann. Vielmehr können erhebliche Einschränkungen oder
Verbote öffentlicher Glaubensbetätigung, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion oder dem - nicht notwendigerweise völlig
identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der
Flüchtlingseigenschaft führen, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere
kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen
herauszufordern.
39 2.2.a) Wie vom Senat bereits in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07- a.a.O.) näher dargestellt, hat sich unter Geltung der
Qualifikationsrichtlinie auch der Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert. Nach Art. 4 Abs. 3 QRL ist -
bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung - eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorzunehmen. Soweit nach der bisherigen
Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist,
unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nachdem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar
drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom
10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; st.
Rspr.), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung ebenfalls. So ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Ausdruck des auch der
bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgericht zugrunde liegenden Gedankens, die
Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenziert zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die
Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt
(BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht
selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären
Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch
seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
40 b) Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Der der Prognose zugrunde zu legende
Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15
der Richtlinie 2004/83/EG erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdulla -). Der in dem
Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe…“ des Art. 2 Buchst. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr
ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff. - Saadi -); das entspricht dem
Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
41 Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen
ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr
in das Herkunftsland wiederholen werden; die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre
Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 - a.a.O). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von
der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände
der Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen
sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - a.a.O.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist
erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften
(vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
42 2.3. Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143) gilt auch hier, dass
eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher
ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und
abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt,
jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können. Allerdings ist an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung
entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom
21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 sowie Beschluss vom 02.02.2010 - 10 B 18.09 -, juris).
43 a) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich
geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1
AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. §
60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung),
sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit
ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der
Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes
unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen
Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten
Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -,
BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die
Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht
mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen
müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in
quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die
Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung
ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen.
Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale
erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den
subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).
44 b) Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte
erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung
zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden.
Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen
Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist,
möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG
nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte
Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine
bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe
vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.). An diesem Grundkonzept hat sich nach
Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG nichts geändert. Es stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht
insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten
Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie
definiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.).
45 3. Der Kläger kann sich bei Anwendung dieser Grundsätze für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor
Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung der Gruppe der Ahmadis (oder der Untergruppe der
ihren Glauben aktiv ausübenden Ahmadis) berufen.
46 3.1 Die Lage in Pakistan - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich auch im September 2010
im Wesentlichen so wie bereits im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) geschildert dar. Der Senat hat in diesem Urteil folgendes
ausgeführt:
47
„Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in
Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
48
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris)
u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
49
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen
Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von
sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der
herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner
Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman
Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des
Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten"
Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach
Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn
Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des
Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur
Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die
nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
50
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947
siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis
erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 %
der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya
Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen
der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
51
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-
Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an
Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom
20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im
Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über
140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach
Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem
Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen,
dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre
Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen
Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen
genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten
Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der
Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
52
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der
Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im
März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des
erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch
heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133
Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S.
210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du
Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine
Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer
Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom
05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15
bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA
an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
53
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die
Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem
Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report
Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen
Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende
Mitglieder seien.
54
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
55
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings
von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch
eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als
religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen
Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere
Propheten als Mohammed anerkennt.
56
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten
kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss
eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der
Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die
Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom
Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden
die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
57
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis
befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
58
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
59
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien
sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
60
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui
Mumineen', 'Khalifar-ul-Mimineem', 'Shaabi' oder 'Razi-Allah-Anho' bezeichnet oder anredet;
61
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ummul-Mumineen'
bezeichnet oder anredet;
62
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ahle-bait'
bezeichnet oder anredet;
63
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei
Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
64
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien
sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft
befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden
Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
65
Sec. 298 C lautet:
66
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie
gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein,
oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert,
seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit
Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
67
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
68
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder
Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm)
verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
69
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung
betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb.
v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 -
NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug),
stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen
des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 – Larissis -
http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine
unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des
öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten
Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt
wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für
die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143
im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern
auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt
sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der
Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung
beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des
Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein
von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen
Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom
Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
70
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen
Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein
(vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren
Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu
21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende
Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den
jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51;
Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden
sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere
Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz
häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum
Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl.
AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel
werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10).
Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of
State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs
restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court
vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren
der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares
„Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen
HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
71
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht
vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report
Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und
Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom
Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
72
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der
Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch
Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report,
10.09.2007, S. 2).
73
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft
Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der
Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden
könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
74
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten,
namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International
Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53).
Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die
Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch
hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus
willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert
an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer
wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report,
10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
75
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die
eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of
State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
76
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen
geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
77
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in
internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report,
10.09.2007, S. 3 und 4).
78
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der
Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz
gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest
aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights
Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.;
Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen).
Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan,
07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren
Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
79
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig
gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere
überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende
Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin
Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of
State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten
Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan,
01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
80
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im
Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen
Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit
nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen
dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch
gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im
Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international
Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf
zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck
ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
81
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare
Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9
Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind
(vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern
treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren
nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
82
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen
bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten
Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten
erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen
es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu
unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit
nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden
auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung
ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert
betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht
aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden
Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem
Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung
verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der
Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.“
83 3.2. Auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beansprucht die vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S
3032/07 - a.a.O.) dargestellte Einschätzung der Lage weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit. Nach aktueller Erkenntnislage kann nicht davon
ausgegangen werden, dass sich das Risiko für einfache Ahmadi, mit einem Strafverfahren nach dem Blasphemieparagrafen sec. 295c des
pakistanischen Strafgesetzbuches oder den sonstigen sogenannten „Ahmadi-Paragrafen“ überzogen zu werden, signifikant erhöht hätte. Die
vom Senat in dem genannten Urteil zugrunde gelegten Zahlenverhältnisse (vgl. insbesondere Randziffer 102 bis 104 im UA bei juris) treffen
nach wie vor zu; allenfalls ist eine leichte Besserung der Verhältnisse eingetreten. So führt das Auswärtige Amt im seinem Lagebericht vom
22.10.2008 (Stand: September 2008) aus, dass im Jahre 2007 gegen 23 Ahmadis Anklage in Blasphemiefällen erhoben worden sei; die erhoffte
Verbesserung der Lage sei deshalb nicht eingetreten. Die Zahl der Neufälle insgesamt stagniere bei ca. 50 pro Jahr und steige nicht weiter an. In
seinem aktuellen Lagebericht vom 17.03.2010 (Stand: März 2010) geht das Auswärtige Amt für den Beurteilungszeitraum 2008 davon aus, dass
gegen 14 Ahmadis wegen Blasphemie Anklage erhoben worden sei, mithin ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr beobachtet werden
könne.
84 Insgesamt gesehen steht diese zahlenmäßige Entwicklung mit den sonstigen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten
Erkenntnismitteln in Einklang, auch wenn darin teilweise von leicht abweichenden Zahlen ausgegangen wird. So geht etwa das U.S. Department
of State in seinem International Religious Freedom Report 2009 (Stand: 26. Oktober 2009) davon aus, dass nach eigenen Angaben von
Organisationen der Ahmadiyya in Rabwah gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen Verstößen gegen die Religionsgesetze Strafverfahren
eingeleitet worden seien, darunter in 18 Fällen wegen Blasphemievorwürfen und in 68 Fällen wegen Verstoßes gegen die sog. „Ahmadi-
Gesetze“. Zu ähnlichen Zahlen gelangte das Home Office in seinem Country of Origin Report Pakistan vom 18.01.2010. Dort wird unter Berufung
auf Ahmadi-Quellen davon ausgegangen, dass von Juni 2008 bis April 2009 gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen religiöser Gründe
Strafverfahren eingeleitet worden seien, wobei eine genaue Unterscheidung der Vorwürfe und der Verfahrensstadien nicht erfolgt (vgl. Ziffer
19.63 des Reports). Ferner wird darin auch auf den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführten Vorfall vom 8. Juni 2008 verwiesen,
wonach ein FIR (First Information Report) gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah erstellt worden sei; dieser Vorfall wird vom U.S.
Department of State in seinem Human Rights Report Pakistan 2009 (11. März 2010) bestätigt (S. 15). Entgegen der Meinung des Klägers kann
aus letztgenanntem Vorfall jedoch nicht geschlossen werden, dass die vom Auswärtigen Amt wiedergegebenen Zahlen nicht mehr zutreffend
sind. Wie sich insbesondere dem Human Rights Report Pakistan des U.S. Departement of State (S. 15) entnehmen lässt, hat das mit dem
genannten FIR eingeleitete Verfahren bis zum dort genannten Zeitpunkt noch keinen Fortgang genommen. Es kann deshalb nicht davon
ausgegangen werden, dass dieser pauschale Vorwurf gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah Anlass für weitergehende
strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Ahmadis bietet. Für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung können deshalb nur die
Fälle berücksichtigt werden, in denen es tatsächlich zu individuellen Ermittlungsverfahren oder gar Anklagen gekommen ist. Neueres oder
umfassenderes Zahlenmaterial, das eine abweichende Gefährdungsprognose ermöglichen könnte, liegt dem Senat nicht vor.
85 3.3. Dafür, dass generell jeder pakistanische Staatsangehörige allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft
Verfolgung zu gegenwärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden
Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die
vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der
Ahmadis in Pakistan zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen
betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn sich dieser
Personenkreis in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen,
vor allem was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies in
der Vergangenheit der Fall war (vgl. zu weiteren Nachweisen aus der auch älteren Rechtsprechung Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S
3032/07 -, a.a.O.). Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa
4 Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. Lagebericht des Antragsteller vom 17.03.2010, S.
13), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen
könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
86 Dies gilt selbst dann, wenn in der Betrachtung allein die Zahl der aktiv ihren Glauben ausübenden Ahmadis, also die oben genannten 500.000
bis 600.000 Mitglieder, zugrunde gelegt wird. Auch bei dieser Untergruppe ergibt sich nicht die hinreichende Verfolgungsdichte, die eine
Gruppenverfolgung nach dem oben Gesagten voraussetzt. Diese Betrachtung wird, soweit ersichtlich, im Übrigen von der sonstigen
oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 13.11.2008 - A 1 B 550/07 -, juris; OVG Mecklenburg-
Vorpommern, Beschluss vom 29.06.2005 - 2 L 208/01 -, juris).
87 4. Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, nicht
die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie
gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und
insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre.
88 a) Der Senat vermochte dabei die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Ausübung seiner Religion in Pakistan und die von
ihm in der Heimatgemeinde angeblich wahrgenommenen Funktionen weitgehend nicht zu glauben. Seine Angaben hierzu wichen nicht nur in
teils erheblichem Maße von seinen Schilderungen im Asylerstverfahren ab, sie waren vor allem auch mit der vom Verwaltungsgericht
eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2005 nicht in Einklang zu bringen. So gab der Kläger etwa in der mündlichen
Verhandlung an, er habe in seiner Heimatgemeinde die Funktion eines „Saik“ inne gehabt, neben ihm habe nur noch eine weitere Person dieses
Amt ausgeübt. Seine Aufgabe habe darin bestanden, sämtliche Mitglieder der Ahmadyyia-Gemeinde im Heimatdorf fünf Mal täglich von den
Gebetszeiten zu unterrichten und dazu zu bewegen, in die Moschee zu kommen. Dabei ist es für den Senat bereits schwer nachzuvollziehen, wie
der Kläger angesichts der Größe seines Heimatortes mit ca. 30.000 Einwohnern fünf Mal am Tag im Stadtgebiet verstreut wohnende 70 bis 80
Familien aufgesucht haben will. Entscheidend für die fehlende Glaubhaftigkeit ist jedoch, dass diese Angaben nicht mit der in sich stimmigen, auf
den Erklärungen zahlreicher Vertrauenspersonen beruhenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2006 in Einklag stehen, an deren
Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat. Zwar bestätigte das Auswärtige Amt die Angaben des Klägers, wonach er die Funktion eines Saiks in
seinem Heimatdorf Chak Nr. 18 inne hatte; er sei jedoch lediglich einer von acht bis zehn Saiks gewesen. Auch ist die Funktion eines Saik nach
Auskunft des Auswärtigen Amtes eher mit der eines freiwilligen Gemeindehelfers zu vergleichen, der die Jugendlichen näher an die Religion
heranbringen und sie auf ihre Pflichten aufmerksam machen soll. Dieser Widerspruch konnte auch durch entsprechende Vorhalte an den Kläger
nicht aufgeklärt werden. Vielmehr relativierte der Kläger seine Angaben dann teilweise dahingehend, dass das Amt eines Saik durchaus
erzieherische Elemente habe, nämlich durch die Motivation der Jugendlichen zur Teilnahme am Gebet. Ferner blieben die Einlassungen des
Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung erheblich hinter den Schilderungen seiner in der Heimatgemeinde wahrgenommenen Ämter
im Asylerstverfahren zurück, etwa was die angebliche stellvertretende Leitungsfunktion betrifft.
89 b) Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angeht, so waren diese zumindest überwiegend glaubhaft. Der
Senat glaubt dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2001 in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis in
Balingen betätigt, regelmäßig zum Gebet in die dortige Moschee geht und verschiedene Funktionen ausübt. So schilderte der Kläger etwa
überzeugend und glaubhaft, wie er für die Gemeinde Fahrdienste leistet, an Informationsveranstaltungen mitwirkt und sich in sonstiger Weise
vielfältig sozial und kulturell für seine Gemeinde engagiert. Auffällig war in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Kläger spontan von sich aus
vor allem kulturelle und soziale Aktivitäten schilderte, die mit dem Kernbereich der Glaubensausübung nur wenig zu tun haben. Vor allem
entfaltete der Kläger nach seinen eigenen Angaben keine nennenswerten missionarischen Aktivitäten, obwohl es eine zentrale Intention seiner
Glaubensgemeinschaft ist, eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Erst auf Nachfrage gab der Kläger in diesem Zusammenhang an, er
unterhalte sich mit anderen Moslems in seiner Unterkunft bzw. am Arbeitsplatz genauso wie mit Christen über Glaubensinhalte. Diese Gespräche
waren nach seinen eigenen Angaben jedoch von dem Bemühen geprägt, sich für Verständigung und ein gutes Zusammenleben zwischen
verschiedenen Religionsgemeinschaften einzusetzen bzw. bestehende Missverständnisse und Animositäten zwischen den
Glaubensgemeinschaften auszuräumen. Aktive Missionierungsbemühungen, also Versuche, Andersgläubige von der Richtigkeit des eigenen
Glaubens zu überzeugen, wurden von dem Kläger auch auf Nachfrage nicht geschildert. Dies wurde im Übrigen auch durch die informatorische
Befragung der Lebensgefährtin des Klägers verdeutlicht, wonach er ihr gegenüber ebenfalls keinerlei Missionierungsbemühungen entfalte.
90 Schließlich waren die Angaben des Klägers zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben relativ undifferenziert,
wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zu dem Glauben der Mehrheit der Muslime lediglich ausführen konnte, dass
die Ahmadis glaubten, der Messias sei schon gekommen und die anderen dies nicht glauben würden. Auch auf Nachfrage konnte er lediglich
angeben, dass die Ahmadis an ihre Kalifen, die anderen jedoch nicht daran glaubten. Ebenso vage blieben die Angaben des Klägers, wie er
seinen Glauben bei einer unterstellten Rückkehr nach Pakistan auszuüben gedenke.
91 Nach alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung
zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich
einzutreten.
92 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
93 Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.