Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 19.06.2008

VGH Baden-Württemberg: widerspruchsverfahren, öffentlich, anwendungsbereich, bundesbehörde, vorverfahren, rechtsgrundsatz, prozess, rechtswidrigkeit, verwaltungsakt, erkenntnis

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 19.6.2008, 2 S 1431/08
VwVfG BW gilt - auch - nicht für den Bereich des Gebühreneinzugs des Südwestfunks
Leitsätze
Die in § 2 Abs. 1 LVwVfG angeordnete Nichtgeltung dieses Gesetzes für die Tätigkeit des Südwestfunks betrifft auch den Bereich des
Gebühreneinzugs.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 23. April 2008 - 3 K 4493/07 - wird
abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 126,67 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor.
2 1. Entgegen der Ansicht des Klägers bestehen an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine ernstlichen Zweifel.
3 Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Widerspruchsbescheid habe zwar in der Sache dem Widerspruch des
Klägers entsprochen, eine Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten in dem so beendeten Vorverfahren gebe es jedoch nicht. Die einzig
in Betracht kommende Regelung in § 80 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, das § 2 Abs. 1 LVwVfG die Tätigkeit des
Südwestrundfunks vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes ausnehme. Andere Anspruchsgrundlagen seien nicht ersichtlich. Es gebe
insbesondere keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach der in einem isolierten Vorverfahren obsiegende Widerspruchsführer stets einen
Kostenerstattungsanspruch haben müsse. Das Fehlen eines solchen Anspruchs sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
4 Der Kläger wendet hiergegen erfolglos ein, dass die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) eine Bundesbehörde sei, weshalb im vorliegenden Fall
nicht das Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Baden-Württemberg, sondern das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes zur Anwendung
komme. Der Einwand geht schon deshalb fehl, weil der den Gegenstand des vorangegangenen Widerspruchsverfahrens bildende
Gebührenbescheid eindeutig nicht von der GEZ, sondern von der beklagten Landesrundfunkanstalt erlassen worden ist, die unzweifelhaft keine
Bundesbehörde ist. Das Verwaltungsgericht hat davon abgesehen zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei der GEZ um eine nicht
rechtsfähige öffentlich-rechtliche Verwaltungsgemeinschaft der Landesrundfunkanstalten der ARD, des Zweiten Deutschen Fernsehens und des
Deutschlandradios handelt. Die Tätigkeit der GEZ ist dementsprechend mit dem Verwaltungsgericht als Verwaltungshandeln für die jeweilige
Landesrundfunkanstalt zu qualifizieren. Durch den von der GEZ verwendeten Briefkopf, in dem sie sich als "Gebühreneinzugszentrale der
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland" bezeichnet und in dem die einzelnen Rundfunkanstalten namentlich
benannt werden, wird entgegen der Ansicht des Klägers kein gegenteiliger Eindruck erweckt.
5 § 80 BVwVfG ist danach nicht im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Für § 80 LVwVfG gilt das Gleiche, da § 2 Abs. 1 LVwVfG die Tätigkeit des
Südwestrundfunks vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes ausnimmt. Die vom Kläger gewünschte teleologische Reduktion dieser Vorschrift ist
nicht möglich. Die inhaltliche Tätigkeit des Rundfunks ist schon deshalb vom Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes
ausgenommen, weil sie nicht auf den Erlass eines Verwaltungsakts oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags abzielt (vgl. § 9
LVwVfG). Die in § 2 Abs. 1 LVwVfG getroffene Regelung kann daher nicht oder zumindest nicht allein mit der verfassungsrechtlich gewährleisteten
Rundfunkfreiheit erklärt werden. Ein entsprechender Zusammenhang wird auch in der Begründung des Entwurfs des
Landesverwaltungsverfahrensgesetzes nicht hergestellt. Die Nichtgeltung dieses Gesetzes auf die Tätigkeit der im Land ansässigen
Rundfunkanstalten (seinerzeit: Süddeutscher Rundfunk und Südwestfunk) wird vielmehr damit gerechtfertigt, dass die Anwendung des Gesetzes
Schwierigkeiten bereiten würde, soweit die Anstalten über die Landesgrenzen hinaus tätig werden müssten. Als weiterer Grund wird angeführt,
dass das Verfahren der Rundfunkanstalten über den Gebühreneinzug spezialgesetzlich geregelt sei (LT-Drs. 7/820, S. 69). Diese Ausführungen
lassen keinen Zweifel daran, dass mit "Tätigkeit" in § 2 Abs. 1 LVwVfG nicht nur die inhaltliche Tätigkeit des Rundfunks gemeint ist, sondern auch -
oder gerade - das Verfahren des Gebühreneinzugs.
6 Die zitierte Begründung ist allerdings insoweit fragwürdig, als die spezialgesetzliche Regelung über den Gebühreneinzug schon damals und auch
heute noch Lücken aufweist. Das Vorhandensein einer solchen Lücke rechtfertigt es jedoch nicht, das Landesverwaltungsverfahrensgesetz
unmittelbar oder entsprechend anzuwenden, um diese Lücke zu schließen. Ein Rückgriff auf das Landesverwaltungsverfahrensgesetz ist vielmehr
nur insoweit möglich, als in ihm allgemeine rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze zum Ausdruck kommen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 2
Rn. 1; Meyer in Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 2 Rn. 14; Ziekow, VwVfG, § 2 Rn. 2). Das Verwaltungsgericht hat deshalb zu Recht erwogen, ob die in §
80 LVwVfG getroffene Regelung einem allgemeinen Rechtsgrundsatz entspricht; es hat die Frage jedoch ebenfalls zutreffend verneint. Der vor
dem Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze teilweise vertretenen Ansicht, dass die außergerichtlichen Kosten eines
Widerspruchsverfahrens in entsprechender Anwendung der Kostenvorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung zu erstatten seien, wenn die
Behörde dem Widerspruch abhelfe, ist der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 1.11.1965 - GrSen 2.65 - BVerwGE 22, 281;
ebenso BVerwG, Urt. v. 30.8.1972 - VIII C 79.71 - BVerwGE 40, 313; Urt. v. 14.8.1972 - VI C 91.73 - Buchholz 448.0 § 19 WpflG Nr. 16) mit der
Begründung entgegen getreten, es bestehe zwar eine gewisse Rechtsähnlichkeit zwischen dem Fall, in dem dem Bürger die notwendigen Kosten,
die in einem Widerspruchsverfahren entstanden seien, erstattet würden, wenn die Behörde im Prozess unterliege, und dem Fall, in dem der
Verwaltungsakt bereits im Widerspruchsverfahren in Erkenntnis der Rechtswidrigkeit aufgehoben werde. Ein allgemeiner Rechtssatz über die
Pflicht zur Kostentragung bei Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts im Widerspruchsverfahren lasse sich jedoch nicht feststellen. Das
Bundesverfassungsgericht hat diese Auffassung als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt (Beschl. v. 29.10.1969 - 1 BvR 65/68 - NJW 1970, 133).
7 2. Die Rechtssache besitzt auch keine grundsätzliche Bedeutung. Die in der Begründung des Zulassungsantrags formulierte Frage, ob die in § 2
Abs. 1 LVwVfG angeordnete Nichtgeltung dieses Gesetzes für die Tätigkeit des Südwestfunks auch den Bereich des Gebühreneinzugs betrifft,
kann mit Hilfe der allgemein anerkannten Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden. Zu ihrer Klärung bedarf es daher nicht erst der
Durchführung eines Berufungsverfahrens.
8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 3 GKG.