Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 30.11.2010

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VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 30.11.2010, 10 S 1860/10
Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches
Leitsätze
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung bei Verkehrsverstößen ist im Anwendungsbereich des § 31a
Abs. 1 Satz 1 StVZO der Eintritt der Verfolgungsverjährung. Danach erfolgende Fahrerbenennungen sind insoweit grundsätzlich unbeachtlich.
2. Tatsächlich realisierbare, aber rechtlich unzulässige Ermittlungen ändern nichts an der Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung.
3. Je gravierender der hinsichtlich des verantwortlichen Fahrers unaufklärbare Verkehrsverstoß ist und je geringer die Mitwirkung des
Fahrzeughalters bei der Sachverhaltsaufklärung, desto geringere Anforderungen sind an die Darlegung der Ermessenserwägungen für die
Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches zu stellen.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. Juli 2010 - 3 K 1331/10 - wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.800,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht begründet.
2
Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts
in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Danach prüft der Verwaltungsgerichtshof nur die in einer rechtzeitig eingegangenen
Beschwerdebegründung dargelegten Gründe. Auf dieser Grundlage hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung
dargelegten Gründe führen nicht dazu, dass die vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO vorzunehmende Abwägung zu
Gunsten des Interesses der Antragstellerin ausfällt, vom Vollzug der Anordnung der Antragsgegnerin vom 29.03.2010 zur Führung eines
Fahrtenbuches bis zu einer endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben.
3
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die Verfügung
als rechtmäßig. Das über die bloße Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts hinausgehende besondere Vollzugsinteresse (vgl. VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 13.03.1997 - 13 S 1132/96 -, VBlBW 1997, 390) sieht der Senat in dem vorrangigen öffentlichen Interesse an der
Sicherheit des Straßenverkehrs. Denn eine Fahrtenbuchauflage ermöglicht nicht nur die nachträgliche Feststellung des Fahrzeugführers bei
Verkehrsverstößen, sondern beugt solchen auch vor, weil jeder Fahrer des betreffenden Kraftfahrzeugs damit rechnen muss, im Falle einer
Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften anhand des Fahrtenbuches identifiziert zu werden (vgl. Senatsbeschluss vom 15.04.2009 - 10 S
584/09 -, VBlBW 2009, 356 m.w.N.).
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Entgegen dem Beschwerdevorbringen liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO vor. Diese Vorschrift setzt voraus,
dass die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Mit einem Kraftfahrzeug
der Antragstellerin, einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (Anwaltssozietät), wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um
31 km/h überschritten. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, war die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich. Die dagegen
mit der Beschwerde erhobenen Einwände der Antragstellerin greifen ebenso wenig durch (1) wie ihre Rüge fehlerhafter Ermessensbetätigung
(2).
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1. Die Unmöglichkeit, den Fahrzeugführer festzustellen, ist gegeben, wenn die zuständige Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht
in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom
17.12.1982 – 7 C 3.80 –, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 12; Beschluss vom 25.06.1987 – 7 B 139.87 -, Buchholz a.a.O. Nr. 17; vom
01.03.1994 - 11 B 130.93 -, VRS 88, 158; Senatsurteil vom 16.04.1999 – 10 S 114/99 -, VBlBW 1999, 463; Senatsbeschluss vom 04.08.2009 – 10
S 1499/09 -, NJW 2009, 3802).
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Im vorliegenden Fall sind sämtliche bei verständiger Beurteilung nötigen und möglichen, aber auch angemessenen und zumutbaren Schritte zur
Ermittlung des Fahrzeugführers unternommen worden, jedoch bis zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Verfolgungsverjährung
nach § 26 Abs. 3 StVG ergebnislos geblieben. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend im Einzelnen unter Berücksichtigung der
einschlägigen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung dargelegt. Die dagegen erhobenen rechtlichen (a) und tatsächlichen
(b) Einwände erweisen sich als nicht stichhaltig.
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a) Soweit die Antragstellerin erneut unter Hinweis auf einen Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts München (vom 08.10.1997 - M 6 K
97.5849 -, juris) geltend macht, die im angefochtenen Beschluss vertretene Auffassung, dass die Aufklärung von Verkehrsordnungswidrigkeiten
nur in offener Verjährungsfrist sinnvoll und rechtlich von Belang sei, verstoße gegen den Wortlaut des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, ist ihr
Folgendes entgegenzuhalten:
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Die Antragstellerin geht, wie auch das Verwaltungsgericht München in dem genannten Gerichtsbescheid, von der rechtlich unzutreffenden
Annahme aus, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in Bezug auf eine Fahrtenbuchauflage sei derjenige des
Erlasses des Widerspruchsbescheids. Die maßgebliche Sach- und Rechtslage bestimmt sich grundsätzlich nach dem jeweils einschlägigen
materiellen Recht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 113 RdNrn. 41 ff. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts). Insoweit ist im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung, dass eine Fahrtenbuchauflage einen Verwaltungsakt
mit Dauerwirkung darstellt. Bei der rechtlichen Beurteilung eines solchen Verwaltungsakts sind die nach seinem Erlass eintretenden Änderungen
der Sach- oder Rechtslage grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen (vgl. nur BVerwG,
Beschluss vom 03.02.1989 - 7 B 18/89 -, NJW 1989, 1624 m.w.N.). Das materielle Recht kann allerdings davon abweichende zeitliche
Anknüpfungspunkte für die Prüfung des Vorliegens bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen vorsehen, welche die Berücksichtigung von
Veränderungen der Sach- oder Rechtslage, z. B. nach bestimmten Stichtagen, ausschließen. So entspricht es der vom Senat geteilten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum sog. Tattagprinzip im Rahmen des Punktsystems nach § 4 StVG, dass nach „Erreichen“
einer bestimmten Punktzahl infolge der Begehung von Verkehrszuwiderhandlungen eine spätere Tilgung von Punkten rechtlich unerheblich ist
unabhängig davon, ob die Tilgung vor oder nach einer der erreichten Punktzahl entsprechenden Verwaltungsentscheidung eintritt und welcher
Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Übrigen maßgeblich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.2008 - 3 C 3/07 -, BVerwGE
132, 48; Senatsbeschluss vom 27.08.2010 - 10 S 1645/10 -).
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In ähnlicher Weise ist § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eine Begrenzung der Berücksichtigungsfähigkeit von Täterfeststellungen bis zum Eintritt der
Verfolgungsverjährung gemäß § 26 Abs. 3 StVG zu entnehmen. Der Antragstellerin mag zuzugeben sein, dass diese Begrenzung im Wortlaut der
Vorschrift deutlicher hätte zum Ausdruck gebracht werden können. Der Wortlaut steht indessen diesem an Sinn und Zweck der Regelung,
insbesondere ihrer präventivpolizeilichen Funktion, orientierten Auslegung entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht entgegen.
Zumindest lässt er zugunsten einer teleologischen Auslegung offen, auf welchen Zeitpunkt für die Annahme der Nichtfeststellbarkeit eines
Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung abzustellen ist. Bereits die tatbestandliche Verknüpfung von Zuwiderhandlung und Feststellung
eines Fahrzeugführers legt aber die Deutung nahe, dass die Rechtsfolge der Ermächtigung zu einer Fahrtenbuchauflage gerade dadurch
ausgelöst werden soll, dass der Fahrer nicht zur Verantwortung gezogen, die einschlägige Ordnungswidrigkeitsvorschrift also mit ihrer auch
generalpräventiven Zielrichtung nicht angewendet werden konnte.
10 Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin macht es für die Abwendung von zukünftigen Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des
Straßenverkehrs auch durchaus einen Unterschied, ob ein Bußgeldbescheid gegen einen Fahrer verhängt werden kann bzw. konnte oder nicht.
Mit einer Fahrtenbuchauflage soll in Ergänzung der Kennzeichnungspflicht dafür Sorge getragen werden, dass anders als in dem Fall, der
Anlass zur Auferlegung eines Fahrtenbuches gegebenen hat, künftig die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen
Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich ist. Die Anordnung zum Führen des Fahrtenbuches richtet sich an den Fahrzeughalter, weil
dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitzt. Gefährdet er die Sicherheit und Ordnung des
Straßenverkehrs dadurch, dass er unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nicht dartun kann oder will, wer im Zusammenhang mit
einer Verkehrszuwiderhandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Fahrzeug gefahren hat, darf er durch das Führen eines Fahrtenbuches zu
einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden (BVerwG, Beschluss vom 03.02.1989, a.a.O.). Ansonsten würde
gerade bei der Benutzung eines Fahrzeugs durch verschiedene Personen - wie im vorliegenden Fall - eine theoretisch unbegrenzte Zahl von
nicht zu ahndenden Verkehrsverstößen ermöglicht, wenn der Fahrzeughalter sich jeweils durch Benennung des Fahrzeugführers nach Eintritt
der Verfolgungsverjährung von seiner Verantwortung befreien könnte. Es gilt deshalb der vom Bundesverwaltungsgericht für die Anwendung des
§ 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO formulierte Grundsatz, dass Maßnahmen zur Aufklärung von Verkehrsordnungswidrigkeiten nur dann einen Sinn
haben, wenn der Täter vor Ablauf der Verjährungsfrist so rechtzeitig bekannt ist, dass die Verkehrsordnungswidrigkeit mit Aussicht auf Erfolg
geahndet werden kann und die daran anknüpfenden verkehrspolizeilichen Maßnahmen eingeleitet werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom
17.12.1982, a.a.O.; Beschluss vom 01.03.1977 - 7 B 31.77 -, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 4). Jede andere Betrachtung würde auf ein in der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung klar verneintes „doppeltes Recht“ hinauslaufen, nach einem Verkehrsverstoß aus eigennützigen
Gründen oder auch in Wahrnehmung eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts die Täterfeststellung zu vereiteln und zugleich eine
Fahrtenbuchauflage abwehren zu dürfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.08.1999 - 3 B 96/99 -, BayVBl. 2000, 380; vom 22.06.1995 - 11 B 7.95
-, DAR 1995, 459; vgl. auch Senatsbeschluss vom 15.04.2009 - 10 S 584/09 -, VBlBW 2009, 356; BayVGH, Beschluss vom 30.08.2010 - 11 CS
10.1464 -, juris). Hiernach kann es der Antragstellerin nicht zugute kommen, dass sie den ihr offensichtlich von Anfang an bekannten
verantwortlichen Fahrzeugführer nach Ablauf der Verjährungsfrist benannt hat.
11 b) Die Antragstellerin rügt sodann zu Unrecht, das Verwaltungsgericht habe seine Entscheidung auf unzutreffende tatsächliche Erwägungen
gestützt, indem es weitere als die von den tätig gewordenen Behörden angestellten Ermittlungen zur Fahrerfeststellung als nicht Erfolg
versprechend bzw. unzumutbar angesehen habe. Dieser Kritik vermag der Senat nicht zu folgen.
12 Auszugehen ist davon, dass es von Seiten der Antragstellerin ausschließlich Signale fehlender Mitwirkungsbereitschaft zur Täterfeststellung gab.
So ist der der Antragstellerin übersandte Anhörungsbogen unbeantwortet geblieben, eine angekündigte Äußerung nicht erfolgt und eine Ladung
der beiden Gesellschafter der Antragstellerin zur Vorsprache bei der Antragsgegnerin nicht wahrgenommen worden; die Antragsgegnerin
musste die diesbezügliche - durchsichtige - Erklärung der Gesellschafter zur terminlichen Möglichkeit einer Vorsprache erst nach Ablauf der
Verjährungsfrist als Bestätigung der Verweigerung einer Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung werten. Vor diesem Hintergrund genügt das
in einem Vermerk des Polizeipostens K. festgehaltene mehrmalige Aufsuchen der Halteranschrift und die Befragung eines Kanzleimitarbeiters,
ob er den auf dem Fahrerfoto abgebildeten Fahrzeugführer kenne, den zu stellenden Ermittlungsanforderungen.
13 Der Einwand der Antragstellerin, eine Beiziehung der Bußgeldakte mit dem Originalfahrerfoto hätte der Antragsgegnerin die Identifizierung des
Fahrers ermöglicht, ist nicht stichhaltig. Zwar dürfte es generell anzustreben sein, zur Fahrerfeststellung die qualitativ besten verfügbaren
Fahrerfotos - gegebenenfalls durch Beiziehung der einschlägigen Verfahrensakten der Bußgeldbehörde - heranzuziehen. Dies ist aber nur dann
zielführend und deshalb geboten, wenn der übrige Ermittlungsstand hinreichende Ansätze für eine Fahrerfeststellung in Verbindung mit einem
Fahrerfoto enthält, etwa durch Hinweise auf einen begrenzten und namhaft gemachten Benutzerkreis oder bei einem sich gegen den Halter
richtenden Tatverdacht durch Abgleich mit einem bei der Behörde vorhandenen Lichtbild (z.B. aus Personalausweisunterlagen). An solchen
Anhaltspunkten fehlte es hier. Weder war der der Antragsgegnerin erkennbare Personenkreis überschaubar noch gar namentlich seitens der
Antragstellerin eingegrenzt worden. Vielmehr kamen, wie die Antragsgegnerin zu Recht bemerkt hat, sowohl die Mitarbeiter der Anwaltskanzlei
selbst als auch deren Angehörige, Freunde, Bekannte oder auch Kunden der Anwaltskanzlei als Benutzer des Fahrzeugs in Betracht. Deshalb
hätte, selbst wenn das Originalfahrerfoto deutlicher als die bei den Akten der Antragsgegnerin befindliche Kopie sein sollte und eine
Identifizierung leichter ermöglicht hätte, die Antragsgegnerin nur um den Preis einer Ausforschung des gesamten genannten Umfelds der
Antragstellerin einer Täterermittlung näher kommen können. Dies zu fordern überspannt die hier zu stellenden Anforderungen an
Ermittlungsbemühungen - letztlich ins Blaue hinein.
14 Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang die Nutzung moderner elektronischer Instrumente zur Personenfeststellung einfordert,
verkennt sie im Übrigen deren rechtliche Grenzen. Bei einer - wie im vorliegenden Fall - nicht überschaubaren Zahl von potentiellen Tätern dürfte
der breit gestreute, geradezu in die Nähe einer Rasterfahndung geratende Einsatz solcher Instrumente datenschutzrechtlich bedenkliche
Eingriffe in Rechte Dritter beinhalten, die zudem in keiner vertretbaren Relation mehr zur vergleichsweise geringen Belastung des infolge
Nichterfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheit von einer Fahrtenbuchauflage betroffenen Fahrzeughalters stünden. Dass eine
Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Fahrzeugführers im Rechtssinne auch dann gegeben ist, wenn weitere Ermittlungen zwar tatsächlich
möglich, aber rechtlich unzulässig sind, steht außer Frage (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 30.08.2010 - 11 CS 10.1464 -, juris - zur
Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung, wenn die getroffenen Feststellungen rechtlich nicht verwertbar sind und die Tat deshalb nicht geahndet
werden kann).
15 Ergänzend merkt der Senat an, dass die Antragstellerin sich wohl auch auf die für die Nutzung von Firmenfahrzeugen entwickelte
Rechtsprechung zum grundsätzlichen Bestehen einer Obliegenheit zur Dokumentation der Fahrzeugnutzung verweisen lassen muss mit der
Folge, dass weitere Ermittlungen um so weniger angezeigt waren. Wenn mit einem Firmenfahrzeug ein Verkehrsverstoß begangen worden ist,
kann es nicht Aufgabe der im Ordnungswidrigkeitenverfahren ermittelnden Behörden sein, innerbetriebliche Vorgänge aufzuspüren, denen die
Geschäftsleitung weitaus näher steht. Es fällt vielmehr in die Sphäre der Geschäftsleitung, entweder von vornherein organisatorische
Vorkehrungen dafür zu treffen, dass festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug
benutzt hat, oder jedenfalls dem ermittelnden Beamten den Firmenangehörigen oder gegebenenfalls auch mehrere Firmenangehörige zu
nennen, denen das betreffende Fahrzeug betriebsintern zugeordnet ist. Nur wenn solche Personen benannt werden, sind dem
Polizeivollzugsdienst weitere Ermittlungen innerhalb der Belegschaft zumutbar (vgl. Beschlüsse des Senats vom 16.04.1999 - 10 S 114/99 -
VBlBW 1999, 463 sowie vom 21.12.2009 - 10 S 2384/09 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 26.05.2008 - 1 L 103/08 - juris). Bei
einer gemischten betrieblichen und privaten Nutzung von Firmenfahrzeugen – wie hier - gelten diese Grundsätze wegen der dadurch bewirkten
Ausweitung des Fahrerkreises bzw. der Nutzungsintensität jedenfalls entsprechend.
16 2. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht zu Recht auch keinen Ermessensfehler der Antragsgegnerin
angenommen, der im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
rechtfertigen könnte. Fraglich kann insoweit allein sein, ob Ermessenserwägungen in der Begründung der Verfügung hinreichend zum Ausdruck
kommen und insbesondere einen von der Antragstellerin geltend gemachten Ermessensausfall ausschließen. Gegen einen Ermessensausfall
spricht ungeachtet des in der Tat bausteinhaft wirkenden Hinweises („Ihre Angaben im Vorverfahren haben wir berücksichtigt“), dass in der
Begründung der Verfügung auf die Nichtbenennung des verantwortlichen Fahrzeugführers, die Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h
sowie deren Qualifizierung als wesentlichen Verkehrsverstoß, der die Fahrtenbuchauflage rechtfertige, abgehoben wurde. Dies sind
Feststellungen und Erwägungen, die jedenfalls auch der Ebene der Ermessungsbetätigung zugeordnet werden können. Je gewichtiger ein
unaufgeklärter Verkehrsverstoß ist und je geringer die im Verfahren gezeigte Bereitschaft des Fahrzeughalters zur Mitwirkung an der
Sachverhaltsaufklärung, um so eher kann die Behörde dies auf der Ermessensebene ohne ausgreifende Erläuterung berücksichtigen.
17 Davon abgesehen bezieht der Senat im Rahmen der die Erfolgsaussichten in der Hauptsache berücksichtigenden Interessenabwägung auch
die mutmaßliche weitere Verfahrensentwicklung ein. Dabei ist auch die Befugnis der Widerspruchsbehörde zu bedenken, eigene
Ermessenserwägungen anzustellen und etwaige als unzureichend oder fehlerhaft angesehene Erwägungen der Erstbehörde zu ergänzen bzw.
zu korrigieren. Davon, dass die Widerspruchsbehörde bei Erkennen von Erwägungs- oder Begründungsdefiziten von dieser Befugnis Gebrauch
macht, ist regelmäßig, so auch im vorliegenden Fall, auszugehen. Darüber hinaus besteht gemäß § 114 Satz 2 VwGO selbst im Laufe eines
gerichtlichen Hauptsacheverfahrens noch die rechtliche Möglichkeit, Ermessenserwägungen zu ergänzen.
18 Dass die Fahrtenbuchauflage für ein Jahr wegen ihrer Dauer unverhältnismäßig wäre, hat die Antragstellerin selbst nicht substantiiert geltend
gemacht. Hierfür ist angesichts der mit einem Bußgeld von 120 Euro sowie 3 Punkten im Verkehrszentralregister zu ahndenden
Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h und der zielgerichteten Aufklärungsabstinenz der Antragstellerin auch nichts ersichtlich.
19 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
20 Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (VBlBW 2004, 467). Nach Nr. 46.13 des Streitwertkatalogs beträgt der Streitwert der
Anfechtungsklagen gegen eine Fahrtenbuchauflage 400,-- EUR pro Monat. Nach der neueren Praxis des Senats kommt eine Halbierung dieses
Betrags im Eilverfahren nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 09.02.2009 - 10 S 3350/08 -, DAR 2009, 286).
21 Der Beschluss ist unanfechtbar.