Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 28.10.2010

VGH Baden-Württemberg: bvo, versicherungspflicht, beihilfe, krankenversicherung, anspruch auf bewilligung, vorrang des gesetzes, fürsorgepflicht, nichterfüllung, kompetenz, versicherungsschutz

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 28.10.2010, 10 S 2821/09
(Zum Ausschluss von Beihilfeansprüchen wegen Nichterfüllung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht)
Leitsätze
1. Der in § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO BW für den Fall der Nichterfüllung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht aus § 193 Abs. 3 VVG geregelte
Ausschluss von Beihilfeansprüchen verstößt gegen den parlamentarischen Gesetzesvorbehalt und den Gleichheitsgrundsatz.
2. Der Bundesgesetzgeber hat bei der Normierung einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht in § 193 VVG von seiner konkurrierenden
Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG in einer Weise Gebrauch gemacht, die landesgesetzliche Erzwingungsmaßnahmen
ausschließt.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11. November 2009 - 12 K 1587/09 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Beihilfe wegen Nichterfüllung der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG.
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Die 1951 geborene Klägerin trat im Jahr 1970 als Beamtin in den Dienst des beklagten Landes. Im Jahr 1999 wurde sie wegen Dienstunfähigkeit
vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Sie ist mit einem Bemessungssatz von 70 v.H. beihilfeberechtigt. Am 08.01.2010 beantragte sie beim
Landesamt für Besoldung und Versorgung des Beklagten (im Folgenden: Landesamt) die Bewilligung von Beihilfe u.a. zu Aufwendungen in
Höhe von 32,65 EUR, die ihr für am 02.01.2009 ärztlich verordnete und erworbene Medikamente entstanden waren.
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Mit Bescheid vom 27.01.2009 lehnte das Landesamt den Antrag insoweit ab mit dem Hinweis, nach Einführung der generellen
Krankenversicherungspflicht durch § 193 Abs. 3 VVG könne Beihilfe nur gewährt werden, solange dieser Versicherungspflicht entsprochen
werde; die fragliche Beihilfegewährung sei deshalb erst nach Vorlage eines entsprechenden Versicherungsnachweises möglich. Gegen die
Versagung der Beihilfe erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, nach § 193 Abs. 3 Satz 2 VVG seien Beihilfeberechtigte von der
Versicherungspflicht ausgenommen. Sie habe daher Anspruch auf Beihilfe unabhängig von ergänzendem Krankenversicherungsschutz, den sie
nicht abgeschlossen habe.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2009 wies das Landesamt den Widerspruch als unbegründet zurück. Die von der Klägerin für
Beihilfeberechtigte geltend gemachte Freistellung von der Versicherungspflicht gelte nur im Umfang der jeweiligen Beihilfeberechtigung.
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Am 24.04.2009 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und die Verpflichtung des Beklagten beantragt, ihr unter
Aufhebung entgegenstehender Bescheide weitere 20,86 EUR Beihilfe zu gewähren. Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, der Anspruch auf
Beihilfe bestehe unabhängig von einem etwaigen ergänzenden Versicherungsschutz. Bei Abschluss einer entsprechenden privaten
Krankenversicherung für sich, ihren Ehemann und ihre Tochter entstünden Kosten von mindestens 420,-- EUR im Monat. Sie erhalte aber nur ein
Ruhegehalt von 1547,-- EUR monatlich.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zwar lägen die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung der beanspruchten Beihilfe vor.
Jedoch werde gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung für nach § 193 Abs. 3 VVG versicherungspflichtige
Personen Beihilfe nur bei Erfüllung dieser Verpflichtung gewährt. Nach der Begründung der Änderungsverordnung vom 20.08.2008 trage die
Einfügung des § 1 Abs. 5 BVO dem Umstand Rechnung, dass auf Grund des Versicherungsvertragsgesetzes ab 01.01.2009 alle Personen
verpflichtet seien, einen Krankenversicherungsschutz abzuschließen. Nach einer Auskunft der Süddeutschen Krankenversicherung a.G. betrage
der Basistarif im Falle der Klägerin rund 170,-- EUR monatlich.
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Mit Urteil vom 11.11.2009 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe Anspruch auf
die beantragte Beihilfe. Die Aufwendungen seien unstreitig notwendig und angemessen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO. Der vom Beklagten
ins Feld geführte Ausschlussgrund des § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO n.F. greife nicht ein. Zwar gehe die Ansicht der Klägerin fehl, sie sei schon nicht
versicherungspflichtig; denn § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG nehme Beihilfeberechtigte nur im Umfang der jeweiligen Berechtigung von der
Versicherungspflicht aus. Die Klägerin verstoße daher seit 01.01.2009 gegen § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG, weil sie für 30 % ihrer Aufwendungen im
Krankheitsfall keine Versicherung besitze. Der verordnungsrechtliche Anspruchsausschluss durch § 1 Abs. 5 BVO n.F. sei jedoch unwirksam. Er
sei nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 101 LBG gedeckt und verstoße deshalb gegen den Vorrang des Gesetzes. Wie sich der
Verordnungsbegründung entnehmen lasse, habe der Verordnungsgeber gar keine beihilferechtlichen Ziele verfolgt. Vielmehr habe er einem Ziel
des Versicherungsvertragsgesetzes, der möglichst lückenlosen Versicherung aller Bundesbürger gegen Krankheitskosten, zum Durchbruch
verhelfen wollen. Für diese Zielverfolgung fehle überdies selbst dem Landesgesetzgeber die Kompetenz. Denn für das privatrechtliche
Versicherungswesen besitze der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz ohne
Abweichungsbefugnisse für die Länder. Der Bundesgesetzgeber habe sich nicht auf die Einführung der Versicherungspflicht beschränkt,
sondern in § 193 Abs. 4 VVG auch eine Sanktion für einen Verstoß gegen die Versicherungspflicht normiert. Diese bestehe in einem
Prämienzuschlag, falls dann doch später eine Versicherung abgeschlossen werde. Weitere Sanktionen sehe der Bundesgesetzgeber nicht vor.
Solche könnten daher auch nicht landesrechtlich eingeführt werden. Selbst wenn dies aber anders gesehen würde, läge in der Anwendung des
§ 1 Abs. 5 BVO n.F. gegenüber der Klägerin wegen der Umstände des Einzelfalls ein Verstoß gegen die Fürsorge- und Alimentationspflicht des
Dienstherrn. Jedenfalls bei Beamten, die wie die Klägerin während der aktiven Dienstzeit und auch zu Beginn ihrer Pensionierung ungeachtet
des Fehlens einer zusätzlichen privaten Krankenversicherung Beihilfeansprüche gehabt hätten, deren Versorgungsansprüche etwa 1550,-- EUR
monatlich betrügen und von denen auch ein Ehegatte und ein Kind lebten, sei ein solcher Verstoß anzunehmen. Die Klägerin müsste nämlich
einen nicht unerheblichen monatlichen Betrag von ihrer Pension für die Versicherung aufwenden, um nicht jeglichen Beihilfeanspruch zu
verlieren. Der Basistarif in einer privaten Krankenversicherung für eine Beamtin mit einem Beihilfebemessungssatz von 70 % betrage zwar nur
170,-- EUR. Der von der Klägerin genannte Betrag von 420,-- EUR ergebe sich aber bei einer Mitabsicherung von Ehemann und Tochter.
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Gegen dieses dem Beklagten am 02.12.2009 zugestellte Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene, vom Beklagten am
18.12.2009 eingelegte und am 20.01.2010 unter Stellung eines Antrags begründete Berufung. Entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts sei § 1 Abs. 5 BVO n.F. wirksam, insbesondere von der Verordnungsermächtigung in § 101 LBG gedeckt. Nach § 101 Satz 3
Nr. 3 LBG sei insbesondere auch zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Beihilfe zu gewähren sei oder gewährt werden könne sowie
das Verfahren. § 1 Abs. 5 BVO n.F. stehe auch im Einklang mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, auf welcher die Gewährung von Beihilfe
beruhe. Es entspreche dieser Fürsorgepflicht, dem bedeutsamen sozialpolitischen Ziel des umfassenden Krankenversicherungsschutzes aller
Bürger durch „Aufschub“ der Beihilfegewährung Nachdruck zu verleihen. § 1 Abs. 5 BVO n.F. halte als Ausfluss der Fürsorgepflicht die
Beihilfeberechtigten dazu an, sich gegen das andernfalls bestehende hohe Kostenrisiko zu versichern. Die Sicherstellung eines
amtsangemessenen Lebensunterhalts bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Pflege-, Geburts- oder Todesfälle sei
nicht allein auf die Gewährung finanzieller Leistungen beschränkt. Der Dienstherr könne bzw. müsse auch durch weitere Maßnahmen darauf
hinwirken, dass Bedienstete und Versorgungsempfänger sich und ihre Familien nicht finanziellen Risiken in Krankheitsfällen aussetzten, die sie
nicht überschauen könnten. Die Beihilfevorschriften dürften kein gesetzwidriges Verhalten von Beihilfeberechtigten tolerieren oder unterstützen.
Aufgrund des Versicherungsvertragsgesetzes sei den Beamten und Versorgungsempfängern, wie allen anderen Bürgern mit Wohnsitz in der
Bundesrepublik Deutschland, auferlegt, die erforderliche Vorsorge für krankheitsbedingte Aufwendungen sicherzustellen. Ferner sei es nach
dem auch im Beihilferecht zu beachtenden Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel geboten,
Beihilfeberechtigte zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen anzuhalten. Soweit wegen Nichtbefolgung der Versicherungspflicht finanzielle
Belastungen auf Beihilfeberechtigte zukämen, die sie auch unter Nutzung ihrer eigener Rücklagen nicht tragen könnten, müsste gegebenenfalls
der Dienstherr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht für diese Aufwendungen einstehen. Im Hinblick darauf, dass diese Aufwendungen nur
entstünden, weil sich der Beihilfeberechtigte nicht gesetzeskonform verhalte und durch nicht zweckentsprechende Verwendung von
Bezügebestandteilen Beiträge zur Krankenversicherung einspare, sei dies nicht hinnehmbar. Insoweit korrespondiere mit der Fürsorgepflicht des
Dienstherrn die Treuepflicht des Beamten; aus dieser sei die Pflicht zur Gesunderhaltung abzuleiten, welcher nicht ohne eine
Krankenversicherung genügt werden könne. Im Übrigen wäre es den Bürgern auch nicht zu vermitteln, dass sich der Gesetzgeber zwar für die
Einführung einer umfassenden Krankenversicherungspflicht einsetze, aber gleichzeitig rechtswidriges Verhalten von Beihilfeberechtigten durch
die Gewährung von Beihilfen aus öffentlichen Mitteln fördere. Das Verwaltungsgericht weise zwar zu Recht darauf hin, dass der Dienstherr im
Rahmen seiner Fürsorgepflicht gewährleisten müsse, dass der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibe, die er auch über
eine ihm zumutbare Eigenvorsorge nicht absichern könne. Genau in diesem Zusammenhang sei aber die Regelung des § 1 Abs. 5 BVO n.F.
erlassen worden. Denn dem nichtversicherten Beamten drohten bei einem verspäteten Versicherungsabschluss nicht nur ungedeckte
krankheitsbedingte Aufwendungen, sondern zudem auch die Nachentrichtung der Beiträge rückwirkend zum Beginn der Versicherungspflicht
zuzüglich nicht unerheblicher Säumniszuschläge. Das mit § 1 Abs. 5 BVO n.F. verfolgte Ziel sei mithin insgesamt ein beihilferechtliches. Im
Übrigen werde die Beihilfeberechtigung abstrakt nicht berührt. Es werde lediglich die Bewilligung von Beihilfe davon abhängig gemacht, dass
der gesetzlichen Verpflichtung entsprochen werde, eine Krankenversicherung abzuschließen und beizubehalten.
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Auch im konkreten Fall der Klägerin führe die Anwendung des § 1 Abs. 5 BVO n.F. nicht zu einem Verstoß gegen die Fürsorge- und
Alimentationspflicht des Dienstherrn. In den Bezügen der Beamten und Versorgungsempfänger seien Mittel zum Abschluss einer Versicherung
für krankheitsbedingte Aufwendungen enthalten. Die gebotene Alimentation sei erst dann als nicht mehr ausreichend zu betrachten, wenn die
zur Abwendung von krankheitsbedingten und nicht von der Beihilfe ausgeglichenen Belastungen erforderlichen Krankenversicherungsprämien
einen solchen Umfang erreichten, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten oder Versorgungsempfängers nicht mehr
gewährleistet wäre. So liege es im Fall der Klägerin insbesondere im Hinblick auf die Einführung des sogenannten Basistarifs nicht. Es sei nicht
ersichtlich, dass ihr der Abschluss einer Krankenversicherung im Basistarif bei einem Beitrag von etwa 170,-- EUR im Monat unzumutbar sei.
10 Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11. November 2009 - 12 K 1587/09 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
14 Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Sie weist darauf hin, dass sie von ihren Versorgungsansprüchen in Höhe von ca. 1.550,-- EUR monatlich,
von denen auch ihr Ehemann und ihre Tochter lebten, einen monatlichen Betrag in Höhe von 455,71 EUR (Stand November 2009) für ihre
eigene Versicherung sowie für die Versicherung ihres Ehemannes und ihrer Tochter aufwenden müsste. Dies übersteige die zumutbare
Eigenvorsorge. Der Beklagte habe im Übrigen sowohl eine Erhöhung der Beihilfe auf 100 % als auch eine Erhöhung der Versorgungsbezüge
zum Zwecke und im Umfang der Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen im Basistarif abgelehnt.
15 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die dem Senat
vorliegenden Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO.
17 Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu
Recht stattgegeben. Es hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin Anspruch auf Bewilligung der begehrten Beihilfe hat und der angefochtene
Ablehnungsbescheid sowie der Widerspruchsbescheid deshalb rechtswidrig sind (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
18 Rechtsgrundlage des Beihilfeanspruchs für die im Januar 2009 entstandenen streitbefangenen Aufwendungen ist § 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 5 Abs.
1 und 2 der auf der gesetzlichen Grundlage des § 101 LBG erlassenen Beihilfeverordnung in der Fassung vom 28.07.1995 (GBl. S. 571), zuletzt
geändert durch die am 01.01.2009 in Kraft getretene Verordnung vom 30.10.2008 (GBl. S. 407), - BVO -. Anzuwenden ist nach ständiger
verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung das im Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen geltende Recht, wofür insbesondere auch § 5
Abs. 2 Satz 1 BVO spricht (Senatsurteil vom 26.07.2010 - 10 S 3384/08 -, juris m.w.N.).
19 Die in § 5 Abs. 1 BVO normierten Anspruchsvoraussetzungen der Notwendigkeit und Angemessenheit der Aufwendungen liegen unzweifelhaft
und unstreitig vor. Auch die Anforderung des § 5 Abs. 2 Satz 1 BVO ist erfüllt, dass im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen
Beihilfeberechtigung besteht. Die abstrakte (statusbezogene) Beihilfeberechtigung der Klägerin als Ruhestandsbeamtin folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 2
BVO. Der Beihilfeanspruch der Klägerin wird nicht durch den vom Beklagten herangezogenen § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO ausgeschlossen. Nach
dieser Vorschrift wird für Personen, die nach § 193 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes – VVG – oder anderen Rechtsvorschriften
verpflichtet sind, einen Versicherungsschutz für sich und ihre berücksichtigungsfähigen Angehörigen für ambulante und stationäre Krankheits-
und Pflegefälle abzuschließen und aufrechtzuerhalten, Beihilfe nur gewährt, solange dieser Verpflichtung entsprochen wird. Die Klägerin
unterliegt zwar der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG (I). § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO ist aber wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht
rechtswidrig und daher im vorliegenden Verfahren – als Ergebnis einer durchzuführenden inzidenten Normenkontrolle der im Range einer
Rechtsverordnung stehenden landesrechtlichen Vorschrift – als unwirksam zu behandeln (II).
I.
20 Nach § 193 Abs. 3 VVG (in der hier maßgeblichen Fassung vom 23.11.2007, BGBl. I S. 2631) ist jede Person mit Wohnsitz im Inland verpflichtet,
bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen für sich und für die von ihr gesetzlich vertretenen
Personen, soweit diese nicht selbst Verträge abschließen können, eine Krankheitskostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für
ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst und bei der die für tariflich vorgesehene Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen
Selbstbehalte für ambulante und stationäre Heilbehandlung für jede zu versichernde Person auf eine betragsmäßige Auswirkung von
kalenderjährlich 5000 Euro begrenzt ist, abzuschließen und aufrechtzuerhalten; für Beihilfeberechtigte ergeben sich die möglichen Selbstbehalte
durch eine sinngemäße Anwendung des durch den Beihilfesatz nicht gedeckten Vom-Hundert-Anteils auf den Höchstbetrag von 5000 Euro. Die
Pflicht nach S. 1 besteht u.a. nicht für Personen, die beihilfeberechtigt sind oder vergleichbare Ansprüche haben im Umfang der jeweiligen
Berechtigung (Satz 2 Nr. 2).
21 Mit dem Beklagten ist davon auszugehen, dass die Klägerin hiernach entgegen Ihrer Ansicht nicht vollständig von der Versicherungspflicht
ausgenommen ist, sondern nach § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG nur im Umfang ihrer Beihilfeberechtigung, d.h. zu 70 v.H.. Dies hat bereits das
Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt und ist von der Klägerin im Berufungsverfahren auch nicht mehr in Zweifel gezogen worden. Für die
restlichen 30 v.H. ist die Klägerin somit seit 01.01.2009 versicherungspflichtig.
II.
22 Die Klägerin wird folglich an sich vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO erfasst. Diese Vorschrift ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck
sowie gesetzessystematischem Zusammenhang keiner anderen Interpretation zugänglich als der eines (vollständigen) Ausschlusses von
Beihilfeansprüchen, solange der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG – unbeschadet der möglichen Vereinbarung von Selbstbehalten im
nach Satz 1 der Vorschrift zulässigen Umfang - nicht oder nicht mehr genügt wird. Von einem vom Beklagten so genannten bloßen „Aufschub“
von Beihilfeansprüchen für Aufwendungen, die nach dem Inkrafttreten des § 193 Abs. 3 VVG (01.01.2009), aber vor dem Abschluss eines
entsprechenden Krankenversicherungsvertrages angefallen sind, kann nicht ausgegangen werden. Selbst wenn die Klägerin in der
Zwischenzeit eine ausreichende Krankenversicherung abgeschlossen hätte, änderte dies nichts daran, dass ihr nach § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO kein
Beihilfeanspruch für die streitigen Aufwendungen aus dem Januar 2010 zustünde. Denn ein nachträglicher Abschluss einer
Krankenversicherung hat grundsätzlich keinen rückwirkenden Versicherungsschutz zur Folge (vgl. §§ 10, 2 Abs. 2 VVG). Das in § 203 Abs. 1
Satz 2 VVG für den Basistarif normierte Verbot von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen bewirkt lediglich, dass Versicherungsschutz
nicht wegen Vorerkrankungen verweigert werden darf (vgl. Marlow/Spuhl, Die Neuregelungen der privaten Krankenversicherung durch das VVG,
VersR 2009, 593 ff., 599; sogar insoweit zweifelnd Marko in Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt, 3. Aufl., S. 313).
23 § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO kann der Klägerin jedoch deshalb nicht entgegengehalten werden, weil er rechtswidrig und deshalb als ungültig zu
behandeln ist. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass die Vorschrift nicht von der allein in Betracht kommenden - erforderlichen -
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 101 LBG gedeckt ist (1) und auch gegen die bundesstaatliche Kompetenzordnung des
Grundgesetzes verstößt (2). Sie ist ferner materiellrechtlichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (3).
24 1. Wegen der außergewöhnlichen Bedeutung der Beihilfevorschriften für die Wahrung eines verfassungsgemäßen Alimentationsniveaus gilt der
Vorbehalt des Parlamentsgesetzes nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch für das Beihilferecht
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.07.2010 – 2 B 92/09 -, juris – Kostendämpfungspauschale; Urteile vom 20.03.2008 – 2 C 49/07 -, BVerwGE 131,
20; vom 17.06.2004 - 2 C 50/02 -, BVerwGE 121, 103). Für das Beihilfeniveau wesentliche Weichenstellungen, insbesondere durch das
Besoldungsrecht nicht kompensierte gravierende Einschnitte, müssen vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst verantwortet werden und
dürfen nur unter zusätzlicher Beachtung der Bestimmtheitsanforderungen des Art. 61 LV hinsichtlich Inhalt, Zweck und Ausmaß einer
Rechtsverordnungsermächtigung einem Verordnungsgeber überlassen werden. Nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts bedarf etwa die Einführung von Kostendämpfungspauschalen der ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung
(Beschluss vom 14.07.2010, Urteil vom 20.03.2008, jeweils a.a.O.). Letzteres muss umso eher gelten, wenn es sich nicht nur um eine Kürzung
von Beihilfeansprüchen handelt, sondern wie hier um deren vollständigen Ausschluss trotz Erfüllung der sonstigen persönlichen
Voraussetzungen der Beihilfeberechtigung nach Maßgabe von § 101 Satz 1 LBG i.V.m. § 2 BVO.
25 § 101 LBG lässt sich keine diesen Anforderungen genügende gesetzgeberische Entscheidung bzw. Rechtsverordnungsermächtigung für den
durch § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO normierten Anspruchsausschluss entnehmen. Insbesondere ist die vom Beklagten insoweit ins Feld geführte
Bestimmung des § 101 S. 3 Nr. 3 Halbs. 1 LBG unergiebig. Nach dieser Vorschrift ist in der vom Finanzministerium im Einvernehmen mit dem
Innenministerium zu erlassenden Rechtsverordnung insbesondere zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Beihilfe zu gewähren ist oder
gewährt werden kann sowie das Verfahren. In dieser pauschalen, im Wesentlichen auf die Konkretisierung beihilfefähiger Leistungen und deren
Geltendmachung abzielenden Formulierung kann keine dem Parlamentsvorbehalt Rechnung tragende - hinreichend bestimmte, für den
Betroffenen erkennbare und voraussehbare, vom Gesetzgeber selbst verantwortete - Ausschließung des Beihilfeanspruchs für den Fall der
Unterlassung einer ergänzenden Eigenvorsorge durch Abschluss einer Krankenversicherung erblickt werden, mag bundesrechtlich auch eine
Verpflichtung zum Abschluss einer entsprechenden Versicherung bestehen. Ein gegenteiliges Verständnis der Vorschrift liefe darauf hinaus,
ohne konkreten Anhalt im Gesetzeswortlaut die in § 101 Satz 1 LBG dem Grunde nach normierte Anspruchsposition u.a. von
Ruhestandsbeamten sowie die näheren Vorschriften zur zumutbaren Eigenvorsorge in § 101 Satz 3 Nr. 4 LBG (in der Regel maximal 50 v.H., bei
Versorgungsempfängern 30 v.H.) für den Fall der Nichtversicherung zu konterkarieren, d.h. letztlich leer laufen zu lassen. Dies stellte eine
Widersprüchlichkeit dar, die dem Landesgesetzgeber zu unterstellen kein Anlass besteht. Bezeichnenderweise hat es der Landesgesetzgeber
für erforderlich gehalten, für Beihilfen zu Wahlleistungen in Krankenhäusern den Einbehalt eines vergleichsweise geringen monatlichen
Betrages von 13 Euro ausdrücklich gesetzlich zu regeln (§ 101 Satz 3 Nr. 3 Halbs. 2 LBG). Vor diesem Hintergrund liegt es fern, Satz 1 der zuletzt
genannten Vorschrift als - hinreichend bestimmte - (Verordnungs-) Ermächtigung auch zu viel weiterreichenden künftigen Beschränkungen oder
Ausschlüssen von Beihilfeansprüchen zu qualifizieren. Treten bei Inkrafttreten des § 101 LBG noch nicht absehbare Umstände ein, die Anlass zu
einer erheblichen Beschränkung oder Umgestaltung von Beihilfeansprüchen geben, so ist es Sache des Gesetzgebers, darauf zu reagieren.
Dieser seiner Verantwortung hat er sich mit der pauschalen Rechtsverordnungsermächtigung in § 101 Satz 3 Nr. 3 Halbs. 1 LBG nicht vorab
entledigen können.
26 2. Gegen ein vom Beklagten vertretenes weiter reichendes Verständnis dieser Vorschrift im Sinne einer Ermächtigungsgrundlage für § 1 Abs. 5
Satz 1 BVO spricht sodann, dass dem Landesgesetzgeber bereits die Gesetzgebungskompetenz für eine solche Regelung eines
Anspruchsausschlusses fehlt, wie auch das Verwaltungsgericht zu Recht herausgestellt hat.
27 a) Die Zweckbestimmung und der zentrale Gehalt dieser Regelung liegen entgegen der Argumentation des Beklagten nicht in einer
Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Landes als Dienstherrn und Beihilfeträger, sondern in einer – auf den Kreis der abstrakt gegenüber dem
Beklagten Beihilfeberechtigten beschränkten – zusätzlichen Sanktionierung der Nichterfüllung der bundesrechtlich normierten
Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG zur Erzwingung der Befolgung dieser Vorschrift. Diese instrumentelle, einen funktionalen inneren
Zusammenhang mit der Versicherungspflicht aus § 193 Abs. 3 VVG aufweisende Bedeutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO wird durch die –
bemerkenswert knappe – Begründung zum Verordnungsentwurf bestätigt („Mit dem neuen Absatz 5 wird dem Umstand Rechnung getragen,
dass aufgrund des Versicherungsvertragsgesetzes ab 01.01.2009 alle Personen verpflichtet sind, einen Krankenversicherungsschutz
abzuschließen“). Die Einsetzung einer vollständigen Vorenthaltung von Beihilfe als Instrument zur Erreichung eines bundesrechtlich
vorgegebenen, alle Bürger verpflichtenden Zieles kann aber schwerlich als Fürsorgemaßnahme verstanden werden, führt sie doch dazu, dass
der betreffende Beamte bis zum Abschluss einer die Deckungslücke schließenden Krankenversicherung nicht nur im Umfang dieser
Deckungslücke, sondern vollständig schutzlos gestellt wird. Daran ändert es nichts, dass der Abschluss einer entsprechenden
Krankenversicherung als solcher nicht nur einer gesetzlichen Pflicht entspricht, sondern auch im wohlverstandenen Interesse des Beamten, des
Dienstherrn und der Allgemeinheit liegt, weil das Ausmaß von Kostenbelastungen in künftigen Krankheitsfällen nicht überschaubar ist (zur hohen
sozialpolitischen Bedeutung der mit der Gesundheitsreform 2007 u.a. eingeführten allgemeinen Krankenversicherungspflicht und des mit ihr
korrespondierenden Kontrahierungszwangs für Krankenversicherungsunternehmen im Basistarif vgl. BVerfG, Urteil vom 10.06.2009 – 1 BvR
706/08 u.a. -, BVerfGE 123, 186, 244; Bericht des Bundestagsausschusses für Gesundheit vom 01.02.2007, BT-Drs. 16/4247, S. 66 f.).
28 Ist somit ein untrennbarer Sinn- und Zweckzusammenhang der Regelung in § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO mit der bundesrechtlichen
Versicherungspflicht zu konstatieren, so sprechen durchschlagende Gründe dafür, dass die schwerpunktmäßig der Durchsetzung der
Versicherungspflicht dienende, für sich genommen nur einen unselbständigen Regelungsgehalt aufweisende Bestimmung auch
kompetenzrechtlich eine von der grundlegenden bundesrechtlichen Vorschrift ausgehende Beurteilung erfährt (zur Bedeutung des inhaltlichen
Schwerpunkts und des stärkeren Sachzusammenhangs einer Regelung für die gebotene eindeutige kompetenzrechtliche Zuordnung im
Überschneidungsbereich von Bundes- und Landeskompetenzen vgl. BVerfG, Urteile vom 17.02.1998 – 1 BvF 1/91 -, BVerfGE 97, 228, 251 f.;
vom 27.10.1998 – 1 BvR 2306/96 u.a. – BVerfGE 98, 265, 299; vom 24.10.2002 – 2 BvF 1/01 -, BVerfGE 106, 62, 114 f.; Jarass/Pieroth, GG, 9.
Aufl., Art 70 RdNrn. 6 ff. m.w.N.).
29 b) Die Normierung der Versicherungspflicht in § 193 Abs. 3 VVG, der Folgen eines Verstoßes gegen die Versicherungspflicht in § 193 Abs. 4
VVG und des korrespondierenden Kontrahierungszwangs für die Versicherungsunternehmen im Basistarif nach § 193 Abs. 5 VVG ist Bestandteil
der umfassenden Gesundheitsreform 2007, die durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetz, GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378) und das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (VVG-
ReformG) vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) umgesetzt wurde. Für die genannten Regelungen in § 193 VVG besteht eine konkurrierende
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Art. 72 Abs. 1 bis 3 GG (Recht der Wirtschaft, insbesondere
privatrechtliches Versicherungswesen, vgl. BVerfG, Urteil vom 10.06.2009, a.a.O., S. 235 f., 243; ebenso zur privaten Pflegeversicherung BVerfG,
Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 2014/95 -, BVerfGE 103, 197, 218 f.). Von dieser Kompetenz hat der Bund mit den genannten Vorschriften in einer
Weise Gebrauch gemacht, die keinen Raum für abweichende oder ergänzende landesrechtliche Vorschriften zur Erzwingung der Erfüllung der
Versicherungspflicht lässt.
30 Ein Gebrauchmachen im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur dann vor, wenn
der Bund explizit eine Regelung getroffen hat. Auch in dem absichtsvollen Unterlassen einer Regelung kann ein Gebrauchmachen von einer
Bundeszuständigkeit liegen, das dann insoweit Sperrwirkung für die Länder erzeugt. Zu einem erkennbar gewordenen Willen des
Bundesgesetzgebers, zusätzliche Regelungen auszuschließen, darf sich ein Landesgesetzgeber nicht in Widerspruch setzen, selbst wenn er
das Bundesgesetz – etwa gemessen an höherrangigen Grundrechtsverbürgungen – wegen des Fehlens der Regelung für unzureichend hält.
Die Frage, ob und inwieweit der Bund von einer Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, kann im Einzelnen schwer zu entscheiden sein. Die
Antwort ergibt sich in erster Linie aus dem Bundesgesetz selbst, in zweiter Linie aus dem hinter dem Gesetz stehenden Regelungszweck, ferner
aus der Gesetzgebungsgeschichte und den Gesetzgebungsmaterialien. Das gilt auch bei einem absichtsvollen Regelungsverzicht, der in dem
Gesetzestext selbst keinen unmittelbaren Ausdruck finden kann. Ob der Gebrauch, den der Bund von einer Kompetenz gemacht hat,
abschließend ist, muss aufgrund einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes festgestellt werden. In jedem Fall setzt die
Sperrwirkung für die Länder voraus, dass der Gebrauch der Kompetenz durch den Bund hinreichend erkennbar ist.
31 Überdies verpflichtet die bundesstaatliche Kompetenzordnung alle rechtsetzenden Organe, ihre Regelungen so aufeinander abzustimmen, dass
die Rechtsordnung nicht aufgrund unterschiedlicher Anordnungen widersprüchlich wird. Die Verpflichtungen einerseits zur Beachtung der
bundesstaatlichen Kompetenzgrenzen und andererseits zur Ausübung der Kompetenz in wechselseitiger bundesstaatlicher Rücksichtnahme
werden durch das Rechtsstaatsprinzip in ihrem Inhalt verdeutlicht und in ihrem Anwendungsbereich erweitert. Beide setzen damit zugleich der
Kompetenzausübung Schranken. Konzeptionelle Entscheidungen eines zuständigen Bundesgesetzgebers dürfen auch durch auf
Spezialzuständigkeiten gründende Einzelentscheidungen eines Landesgesetzgebers nicht verfälscht werden. Insbesondere dürfen den
Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen (BVerfG, Urteil vom 27.10.1998,
a.a.O. S. 300 f., m.w.N.).
32 Nach diesen Grundsätzen scheidet die Annahme des Verbleibens einer ergänzenden Landeskompetenz im vorliegenden Zusammenhang aus.
Der Bundesgesetzgeber hat sich im Rahmen des § 193 VVG nicht auf die Regelungen der Versicherungspflicht einerseits und des
Kontrahierungszwangs andererseits beschränkt. Vielmehr hat er in § 193 Abs. 4 VVG auch Regelungen für den Fall getroffen, dass der
Versicherungspflicht nicht termingerecht, sondern erst mit unter Umständen langer Verzögerung genügt wird; insoweit finden sich detaillierte
Regelungen über Prämienzuschläge im Falle verspäteten Abschlusses von Versicherungsverträgen. Ferner hat er in § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG
Vorkehrungen gegen eine tendenzielle Umgehung der Versicherungspflicht durch Vereinbarung von hohen Selbstbehalten getroffen, indem er
die zulässigen Selbstbehalte betragsmäßig begrenzt hat. Der Bundesgesetzgeber hat somit die Möglichkeiten einer gesetzwidrigen
Nichtversicherung bzw. einer tendenziellen Umgehung der Versicherungspflicht durchaus gesehen und zu deren Eindämmung die genannten
Regelungen getroffen (vgl. dazu Bericht des Bundestagsausschusses für Gesundheit vom 01.02.2007, a.a.O. S.66 ff. sowie Marlow/Spuhl, a.a.O.
S. 599). Angesichts dessen kann aus dem Umstand, dass er weitere Sanktionen - anders als im Recht der Pflegeversicherung durch Schaffung
eines Ordnungswidrigkeitstatbestandes (vgl. §§ 23 Abs. 3, 121 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 SGB XI) - nicht vorgesehen hat, kein Schluss auf die
bewusste oder unbewusste Belassung eines ergänzenden Sanktionsspielraums für die Landesgesetzgebung abgeleitet werden. Die Materialien
sind in diesem wie in anderen Punkten freilich eher kursorisch (vgl. Bericht des Bundestagsausschusses für Gesundheit vom 01.02.2007, a.a.O.
S. 66 f.; dazu Marlow/Spuhl, a.a.O., S. 596; zum Gesetzgebungsverfahren kritisch ferner Sodan, Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, NJW
2007, 1313). Die vorerst geübte Zurückhaltung hinsichtlich weitergehender Sanktionen kann im Lichte des seinerseits Verfassungsrang
genießenden Grundsatzes der Erforderlichkeit aber unschwer damit erklärt werden, dass der Bundesgesetzgeber zunächst auf die Einsicht der
Versicherungspflichtigen sowie darauf gesetzt hat, dass die ergriffenen niederschwelligeren Begleitmaßnahmen ihre Wirkung nicht verfehlen.
Damit hat er sich nicht der Möglichkeit begeben, im Bedarfsfall mit weitergehenden Sanktionen nachzusteuern. Schließlich kann dem
Bundesgesetzgeber auch nicht unterstellt werden, dass er durch eine Freigabe von ergänzenden Sanktionsmöglichkeiten für die
Landesgesetzgeber den Boden für je nach Bundesland unterschiedliche zusätzliche Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs.
1 GG in einem Rechtsbereich bereitet, der durch eine bundesrechtliche und damit bundesweit an den Gleichheitsgrundsatz gebundene
Pflichtenauferlegung gekennzeichnet ist. Dies würde die vom Bundesverfassungsgericht für die Kompetenzausübung angemahnte
Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung jedenfalls tangieren (vgl. BVerfG, Urteil vom 27.10.1998, a.a.O. S. 301; zur Rechtfertigung einer
bundeseinheitlichen Regelung im Rahmen des Art. 72 Abs. 2 GG mit Blick auf die Versicherungswirtschaft vgl. auch die Begründung zum (mit
dem Regierungsentwurf identischen) Entwurf des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vom
24.10.2006, BT-Drs. 16/3100, S. 93).
33 Besitzt mithin der Landesgesetzgeber keine Zuständigkeit zur Gesetzgebung über Sanktionen bei Nichterfüllung der Versicherungspflicht nach §
193 Abs. 3 VVG, so kann bei verfassungskonformer Auslegung auch die Verordnungsermächtigung in § 101 LBG nicht weiter reichen als die
Gesetzgebungskompetenz erlaubt. Das Fehlen einer Gesetzgebungskompetenz des Landes stellt eine verfassungsrechtliche Sperre für eine
weitergehende Interpretation der in Betracht kommenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung dar (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom
31.08.2009 – 1 BvR 3275/07 -, NVwZ 2009, 1486; Senatsurteil vom 15.12.2009 – 10 S 3348/08 -, VBlBW 2010, 161). Der Landesgesetzgeber
war und ist verfassungsrechtlich gehindert, dem nachgeordneten Verordnungsgeber eine diesbezügliche Verordnungsermächtigung zu erteilen.
34 3. Die Versicherungspflicht und flankierende Regelungen zu ihrer Durchsetzung bedeuten Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art.
2 Abs. 1 GG. In dieses (wie in andere Grundrechte) eingreifende gesetzliche Regelungen müssen aber nicht nur durch hinreichende, der
Intensität des Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
entsprechen, sondern ihrerseits kompetenzgemäß erlassen worden sein (BVerfG, Kammerbeschluss vom 31.08.2009, a.a.O.). Daran leidet nach
den obigen Ausführungen § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO.
35 Darüber hinaus begegnet die Vorschrift auch bei Unterstellung einer landesrechtlichen Regelungskompetenz verfassungsrechtlichen Bedenken
unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG (a). Ob sie auch mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn kollidiert, bedarf keiner abschließenden
Entscheidung mehr (b).
36 a) Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Gleichheitssatz nur gegenüber dem jeweils zuständigen Träger öffentlicher Gewalt gilt, ist bei
Unterstellung einer landesrechtlichen Regelungskompetenz für § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO als Vergleichspaar in den Blick zu nehmen die von der
Vorschrift betroffene Gruppe der abstrakt nach der Beihilfeverordnung Beihilfeberechtigten einerseits und die Gruppe der anderen der
Landesgesetzgebung in Baden-Württemberg unterliegenden Bürger andererseits. Nur für die erstgenannte Gruppe trifft § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO
eine auf die Befolgung der Versicherungspflicht abzielende zusätzliche belastende Regelung, während die zweite Gruppe sich ausschließlich
den in § 193 VVG bundesrechtlich vorgesehenen Sanktionen gegenüber sieht. Für eine solche einseitige Zusatzbelastung der
Beihilfeberechtigten ist ein sachlicher Differenzierungsgrund nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass nur die Beihilfeberechtigten dem Regime
des öffentlichen Dienstrechts unterliegen und dem Landesgesetz- bzw. Verordnungsgeber eine gleichartige Handhabe des Ausschlusses von an
sich bestehenden Ansprüchen gegen die zweite Gruppe der nicht Beihilfeberechtigten fehlt, kann es nicht rechtfertigen, die Beihilfeberechtigten
des Landes mit der genannten schärferen Sanktion zu konfrontieren. Die Argumentation des Beklagten, die Beihilfestelle dürfe nicht
rechtswidriges Verhalten der Beihilfeberechtigten in Bezug auf die Erfüllung der Versicherungspflicht unterstützen, führt nicht auf ein tragfähiges
Differenzierungskriterium. Sie verkennt das Fehlen eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen Nichtbefolgung der Versicherungspflicht,
d.h. Nichtabsicherung der trotz Beihilfeberechtigung verbleibenden Deckungslücke, und weiterem Erhalt der normalen Beihilfeleistungen. Die
Fortgewährung der normalen Beihilfeleistungen als aus der Fürsorgepflicht geschuldete Grundabsicherung gegen Krankheitsrisiken steht
entgegen der Auffassung der Beklagten auch schwerlich in der Gefahr, von den nicht beihilfeberechtigten Bürgern als ungerechtfertigte
Privilegierung missverstanden zu werden. Umgekehrt ist bei objektiver Betrachtung zu erwarten, dass die Regelung in § 1 Abs. 5 Satz 1 BVO als
einseitige Benachteiligung der Beihilfeberechtigten gewertet wird.
37 b) Ob in der Anwendung des § 1 Abs. 5 BVO im Falle der Klägerin zusätzlich auch ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn
gesehen werden kann, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, bedarf nach dem Vorstehenden keiner abschließenden Beurteilung mehr.
Insoweit merkt der Senat nur relativierend an, dass in § 12 Abs. 1c Sätze 4 bis 6 VAG Vorkehrungen für den Fall getroffen sind, dass durch die
Belastung mit den Versicherungsbeiträgen Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch entsteht.
Gegebenenfalls vermindert sich der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit auf die Hälfte. Besteht auch dann noch Hilfebedürftigkeit, so
beteiligt sich der zuständige Sozialleistungsträger im erforderlichen Umfang an der Beitragszahlung, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden
wird.
38 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
39 Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
40
Beschluss vom 28. Oktober 2010
41 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 63 Abs. 2 und § 52 Abs. 3 GKG auf 20,86 EUR festgesetzt.
42 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.