Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 23.03.2009
VGH Baden-Württemberg: täuschung, prüfungsordnung, wiederholung, chancengleichheit, staatsprüfung, gesamtprüfung, rücknahme, gleichbehandlung, musik, rechtssicherheit
VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 23.3.2009, 4 S 3354/08
Prüfungswiederholung bei nachträglich festgestelltem Täuschungsversuch
Leitsätze
Bei einem nachträglich festgestellten Täuschungsversuch, der nach § 20 Abs. 4 Satz 1 KPO das Nichtbestehen der Prüfung zur Folge hat, ergibt sich
aus § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO kein eigenständiger Anspruch auf eine Prüfungswiederholung, wenn dem Kandidaten nach den sonstigen
Bestimmungen der Künstlerischen Prüfungsordnung keine Wiederholungsmöglichkeit mehr zusteht.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 08. Dezember 2008 - 7 K 2495/08 - wird
zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.750,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beschwerde ist zulässig, da sie innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 VwGO beim Verwaltungsgericht eingelegt und innerhalb der Frist des §
146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden ist und sich unter Darlegung der Beschwerdegründe entsprechend den Anforderungen des § 146
Abs. 4 Satz 3 VwGO hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt.
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Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig einer Wiederholung der Wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen der Prüfung in Musik als
Teil der Künstlerischen Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien zu ermöglichen, hilfsweise den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig eine Wiederholung der Prüfung in Musik als Teilgebiet der Künstlerischen Staatsprüfung für das
Lehramt an Gymnasien zu ermöglichen, hilfsweise den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig eine
Wiederholung der Künstlerischen Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien zu ermöglichen, zu Recht abgelehnt. Denn der Antragsteller hat
einen entsprechenden Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die
mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf die die Prüfung durch das Beschwerdegericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellen
die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht in Frage.
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Das Verwaltungsgericht hat entschieden, es dürfte sich nicht feststellen lassen, dass der Bescheid des Landeslehrerprüfungsamts - Außenstelle
beim Regierungspräsidium Karlsruhe - vom 18.02.2008, der die Wissenschaftliche Arbeit des Antragstellers - der insoweit Unregelmäßigkeiten
zugegeben hat - mit der Note „ungenügend“ (6,0) bewertet und feststellt, dass der Antragsteller damit nach § 13 Abs. 7 der Verordnung des
Kultusministeriums über die Künstlerische Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien (Künstlerische Prüfungsordnung - KPO -) vom
13.03.2001 (GBl. S. 284) - mit hier unerheblichen Änderungen vom 22.07.2002 (GBl. S. 342) und vom 21.04.2004 (GBl. S. 281) - die
Künstlerische Prüfung für das Lehramt an Gymnasien endgültig nicht bestanden habe, rechtswidrig sei, weil er keine Prüfungswiederholung
vorsehe. Der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch auf erneute Wiederholung ergebe sich aller Voraussicht nach insbesondere nicht
aus § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO. Hiergegen wendet sich der Antragsteller ohne Erfolg.
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Der Antragsteller rügt zunächst, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die rückwirkende Bewertung der Wissenschaftlichen Arbeit mit der
(nur) nach § 20 Abs. 1 Satz 1 KPO vorgesehenen Note „ungenügend“ (6,0) dürfte nicht zu beanstanden sein, sei nicht haltbar, da der in seinem
Fall der nachträglich festgestellten Täuschung einschlägige und abschließende § 20 Abs. 4 Satz 1 KPO dies nicht vorsehe; darin sei ausdrücklich
(nur) geregelt, dass die ergangene Prüfungsentscheidung zurückgenommen und die Prüfung für nicht bestanden erklärt werden könne; ein
Rückgriff auf § 20 Abs. 1 Satz 1 KPO sei weder erforderlich noch zulässig. Das Verwaltungsgericht hat insoweit angenommen, das
Landeslehrerprüfungsamt habe mit der „Zeugnis-Rückforderung“ vom 18.02.2008 durch die Bewertung der zweiten Arbeit mit „ungenügend“
(6,0) bei einer sachgerechten Interpretation als im Vorfeld erforderliche Maßnahmen die ergangene Prüfungsentscheidung - in Form der bekannt
gegebenen Note „ausreichend“ (4,0) für die Wissenschaftliche Arbeit - zurückgenommen und die Wissenschaftliche Arbeit in der Wiederholung
für nicht bestanden erklärt; es sei nicht nachvollziehbar, dass die in § 20 Abs. 4 Satz 1 KPO vorgesehene Rechtsfolge hinter derjenigen nach §
20 Abs. 1 Satz 1 KPO zurückbleiben solle. Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die die nachträglich festgestellte
Täuschung betreffende Regelung des § 20 Abs. 4 KPO aus Vertrauensschutzgründen weniger gravierende Rechtsfolgen vorsehe. Einen im
vorliegenden Zusammenhang relevanten Unterschied zwischen nicht bestanden im Sinne von § 20 Abs. 4 Satz 1 KPO und mit „ungenügend“
(6,0) bewertet im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 KPO hat der Antragsteller nicht aufgezeigt; er ist auch nicht ersichtlich.
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Der Antragsteller dringt weiter nicht mit seinem Einwand durch, aus dem klaren Wortlaut von § 20 KPO, der Systematik und auch aus
teleologischen Erwägungen ergebe sich, dass im Fall einer lediglich nachträglich festgestellten Täuschung andere Rechtsfolgen gewollt seien,
als wenn die Täuschung aktuell festgestellt werde; durch § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO werde das „Ob“ der Wiederholungsmöglichkeit geregelt und nur
die Frage des „Wie“ - also des Umfangs - in das Ermessen der Behörde gestellt; daher sei es rechtlich nicht haltbar, wenn bereits das „Ob“ vom
Antragsgegner verneint werde. Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, zwar sei in § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO geregelt, dass das Prüfungsamt
unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes bestimme, ob die Gesamtprüfung (§ 4 Abs. 1 KPO) oder das entsprechende Teilgebiet oder
die - hier allein in Betracht zu ziehende - Wissenschaftliche Arbeit zu wiederholen sei. Dies dürfte aber nicht zur Folge haben, dass eine solche
Bestimmung auch dann zu treffen sei, wenn - wie hier - eine Wiederholungsmöglichkeit nicht mehr bestehe. Zunächst regele § 20 KPO nur, wie
nach einer Täuschung bzw. einem Ordnungsverstoß zu verfahren sei. Die Vorschrift habe nicht die jeweilige prüfungsrechtliche Gesamtsituation
des Kandidaten im Blick und differenziere nicht danach, ob es zu der fehlerhaft erbrachten Prüfungsleistung im ersten Prüfungsversuch oder in
der Wiederholungsprüfung gekommen sei. Zur in § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO vorgesehenen Bestimmung der Wiederholungsmöglichkeit dürfte das
Prüfungsamt nur berechtigt und verpflichtet sein, wenn ein weiterer regulärer Prüfungsversuch nach der Prüfungsordnung noch bestehe. Falls
demgegenüber - wie hier - der Ordnungsverstoß der Wiederholungsprüfung anhafte, gehe diese Regelung ins Leere. Die für nicht bestanden
erklärte Wiederholungsprüfung dürfte dazu führen, dass die Künstlerische Prüfung insgesamt und endgültig nicht bestanden sei. Jede andere
Interpretation des § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO würde zu einer mit dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit
schlechterdings unvereinbaren Bevorzugung desjenigen Kandidaten führen, der sich in der Wiederholungsprüfung prüfungsordnungswidrig
verhalten habe. Der Senat teilt diese Auffassung, die der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen nicht erschüttert hat. Ein anderes
Verständnis ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik noch aus Sinn und Zweck der Regelung. Der insoweit offene Wortlaut
von § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO schließt nicht aus, dass sich die grundsätzliche Wiederholungsmöglichkeit wie bei der die frühzeitig festgestellte
Täuschung betreffenden Regelung des Absatzes 1, an dessen Wortlaut („unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes“) sich § 20 Abs. 4
Satz 2 KPO orientiert, nach den sonstigen Bestimmungen der Künstlerischen Prüfungsordnung richtet. Der Antragsteller kann sich für seine
gegenteilige Auslegung weiter nicht mit Erfolg auf die (systematische) Aufspaltung der Regelung bei unmittelbar entdeckten
Täuschungshandlungen in § 20 Abs. 1 KPO einerseits und bei erst nachträglich entdeckten Täuschungshandlungen in Absatz 4 andererseits
berufen. Insoweit nimmt der Antragsteller nicht hinreichend in den Blick, dass eine separate Regelung bereits deshalb geboten ist, weil die erst
nachträglich festgestellte Täuschung Auswirkungen auf die bereits ergangene Prüfungsentscheidung hat. Dem trägt § 20 Abs. 4 Satz 1 KPO
Rechnung, indem für diesen Fall die Möglichkeit der Rücknahme der Prüfungsentscheidung geregelt wird. Nach § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO
bestimmt das Prüfungsamt dann unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes, ob die Gesamtprüfung (§ 4 Abs. 1 KPO) oder das
entsprechende Teilgebiet oder die Künstlerische oder Wissenschaftliche Arbeit zu wiederholen ist. Zum einen ist Sinn und Zweck dieser
Vorschrift, dem Prüfungsamt zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - ebenso wie bei Absatz 1 - einen Ermessensspielraum zu
eröffnen, um unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes den Umfang einer Prüfungswiederholung bestimmen zu können. Ferner ist der
das Prüfungsrecht beherrschende Grundsatz der Chancengleichheit zu beachten. § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO lehnt sich entsprechend nicht nur - wie
erwähnt - im Wortlaut an Absatz 1 an, sondern trifft auch inhaltlich eine gleiche Regelung hinsichtlich der Möglichkeiten einer Differenzierung
zwischen der Gesamtprüfung, dem entsprechenden Teilgebiet oder der Künstlerischen oder Wissenschaftlichen Arbeit. Wie § 20 Abs. 1 KPO
setzt Absatz 4 Satz 2 die grundsätzliche Möglichkeit voraus, die Prüfung nach den sonstigen Regelungen der Künstlerischen Prüfungsordnung
zu wiederholen. Demgegenüber ist die vom Antragsteller vertretene Auffassung objektiv - nicht im Sinne einer (subjektiven) Vorwerfbarkeit - mit
dem Grundsatz der Chancengleichheit unvereinbar, da den Kandidaten, die von § 20 Abs. 4 KPO erfasst werden, allein deshalb uneingeschränkt
eine (weitere) Wiederholungsmöglichkeit eingeräumt würde, weil ihre Täuschungshandlung erst nachträglich entdeckt wurde. Auch der Verweis
auf die zeitliche Begrenzung (zwei Jahre) einer Rücknahme der ergangenen Prüfungsentscheidung in § 20 Abs. 4 Satz 3 KPO vermag dieses
Verständnis/Ergebnis nicht zu rechtfertigen. Vielmehr hat der Normgeber umgekehrt nur insoweit dem vom Antragsteller in den Vordergrund
gerückten Grundsatz des Vertrauensschutzes (und der Rechtssicherheit) Rechnung tragen wollen. Weshalb sich daraus - vor Ablauf dieser Frist -
ein Anspruch auf einen weiteren Prüfungsversuch (anders als bei einer frühzeitig entdeckten Täuschung) ergeben sollte, ist nicht ersichtlich.
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Ebenso fehl geht der Verweis auf die Regelung in § 24 JAPrO. Insoweit führt der Antragsteller - zutreffend - selbst aus, dass dort (ebenfalls) eine
Gleichbehandlung in Hinblick auf die Möglichkeit der Prüfungswiederholung bei einem sofort und einem erst nachträglich festgestellten
Täuschungsversuch erfolgt. Der andere Regelungsaufbau in der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung lässt nicht den Schluss zu, in der
Künstlerischen Prüfungsordnung sei Gegenteiliges gewollt und normiert. Soweit der Antragsteller seine gegenteilige Ansicht (erneut) aus
Vertrauensschutzgründen herleiten will, verkennt er, dass bei einem bewusst täuschenden oder einen Ordnungsverstoß begehenden
Kandidaten ein schutzwürdiges Vertrauen - über die Ausschlussfrist des § 20 Abs. 4 Satz 3 KPO hinaus - selbst dann nicht gegeben ist, wenn er
nach Abschluss der Prüfung (berufliche) Dispositionen trifft.
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Der vom Antragsteller in Bezug genommene Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 03.05.1999 (- 1 BvR 1315/97 -, NVwZ
1999, 1102), der sich mit der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG durch die überlange Dauer eines Prüfungsverfahrens befasst,
verhält sich zur hier streitgegenständlichen Frage einer Prüfungswiederholung bei einem - nachträglich festgestellten - Täuschungsversuch nicht.
Auch im Übrigen kann der Antragsteller allein aus der langen Dauer bis zur Benotung seiner Wissenschaftlichen Arbeit nicht den begehrten
Anspruch auf Prüfungswiederholung ableiten.
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Ohne Erfolg bleibt schließlich der Vortrag des Antragstellers, es sei unrealistisch, dass sich ein Prüfling - im Hinblick auf die von ihm postulierte
Auslegung von § 20 Abs. 4 KPO - durch einen bewussten Täuschungsversuch eine weitere (Prüfungs-)Chance verschaffe, denn im Falle einer
Täuschung müsse der Prüfling davon ausgehen, dass diese im Rahmen des Prüfungsverfahrens - und nicht erst wie in seinem Fall mehr als 1 ½
Jahre später und zu Beginn des Referendariats - aufgedeckt werde; mithin müsse der Prüfling mit der Anwendung des § 20 Abs. 1 KPO rechnen,
der gerade nicht die Möglichkeit einer weiteren (Prüfungs-)Chance vorsehe. Auf derartige (subjektive) Erwägungen hat das Verwaltungsgericht
seine Entscheidung nicht gestützt. Sie sind im vorliegenden Zusammenhang für die Frage eines Verstoßes gegen den Grundsatz der
Chancengleichheit auch irrelevant. Im Übrigen zeigt der Fall des Antragstellers, dass es oft durch den Zufall bedingt ist, ob eine
Täuschungshandlung sogleich oder erst nachträglich entdeckt wird. Auch aus diesem Grund gebietet § 20 Abs. 4 Satz 2 KPO ein Verständnis,
das hinsichtlich der Prüfungsversuche zu einer Gleichbehandlung beider Fälle führt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
10 Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG (vgl. die Empfehlung für
das Studium abschließende Staatsprüfungen in Nr. 36.1 und für die Halbierung des Streitwerts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in
Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./8. Juli 2004 in Leipzig beschlossenen
Änderungen, DVBl. 2004, 1525). Der Senat sieht keine Veranlassung, von der Halbierung des Streitwerts wegen einer etwaigen Vorwegnahme
der Hauptsache abzusehen, da vorliegend die endgültige Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf eine Prüfungswiederholung
dem - bereits anhängigen - Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt.
11 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).