Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 30.10.2008

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VGH Baden-Württemberg Urteil vom 30.10.2008, 2 S 984/08
Rundfunkgebühren für Autoradios in Vorführwagen
Leitsätze
1. Der Begriff des Vorführens im Sinn des § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV setzt nicht voraus, dass dabei mehrere Geräte miteinander verglichen werden. Es
reicht vielmehr aus, wenn sich die Vorführung auf ein Gerät beschränkt, um damit dessen Eigenschaften und besondere Vorzüge zu demonstrieren
(Aufgabe der Rechtsprechung im Urteil des Senats vom 16.12.1982 - 2 S 262/82 - ESVGH 33, 17).
2. Das Händlerprivileg des § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV findet auch auf Rundfunkempfangsgeräte Anwendung, die in Vorführwagen gewerbsmäßiger
Autohändler eingebaut sind.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2008 - 3 K 4218/06 - wird zurück gewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin betreibt in L. ein Autohaus, in dem sie u. a. Neufahrzeuge der Firma Peugeot zum Verkauf anbietet. Der Betrieb der Klägerin ist seit
Januar 1976 bei der Gebühreneinzugszentrale als Rundfunkteilnehmerin erfasst. Seit Oktober 2002 ist die Klägerin mit drei Radios am Standort
und sechs Radios in Kraftfahrzeugen gemeldet.
2
Am 4.5.2005 suchte ein Beauftragter des Beklagten die Geschäftsräume der Klägerin in L. auf. Dabei wurde ihm von einem Mitarbeiter der
Beklagten mitgeteilt, dass die Klägerin zwei "rote Kennzeichen" (LB 06247 und LB 06429) vorhalte. Mit Bescheid vom 4.8.2006 setzte der
Beklagte daraufhin (zusätzliche) Rundfunkgebühren in Höhe von 1.279,99 EUR zuzüglich eines Säumniszuschlags von 12,79 EUR "für zwei
Hörfunkgeräte im Kfz (rote Kennzeichen)" im Zeitraum vom Juli 1980 bis Juni 2005 bzw. Januar 2003 bis Juni 2005 gegen die Klägerin fest.
3
Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid am 18.8.2006 Widerspruch ein und brachte zur Begründung vor, die von ihr bereit gehaltenen
Neuwagen seien grundsätzlich Grundmodelle, in die keine Rundfunkempfangsgeräte eingebaut seien. Ein Gebührenanspruch entfalle daher
bereits aus tatsächlichen Gründen. Davon abgesehen müsse ein Kfz-Händler nur eine Händlergebühr bezahlen und nicht zusätzliche Gebühren
für Vorführwagen oder "rote Kennzeichen". Nach der Verjährungsregelung in § 4 Abs. 4 RGebStV könnten außerdem Gebührenansprüche
allenfalls bis zum Jahr 2003 geltend gemacht werden. Die Klägerin bezog sich ferner auf ein an den Intendanten des Beklagten gerichtetes
Schreiben des Verbands des Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg e.V. vom 15.3.2006, mit dem sich der Verband zu verschiedenen im
Kfz-Gewerbe auftretenden Fallgruppen einer etwaigen Gebührenpflicht für Autoradios äußerte und sich insbesondere gegen eine
Gebührenpflicht anhand von "roten Kennzeichen" aussprach.
4
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2006, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 30.10.2006 zuging, wies der Beklagte den
Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe mit der Unterschrift unter den Anmeldebeleg die Richtigkeit ihrer Angaben
bestätigt. Eine solche Urkunde müsse nach ihrem objektiven Inhalt behandelt werden. Die Berufung der Klägerin auf Verjährung sei eine
unzulässige Rechtsausübung, da sie die Geltendmachung des Gebührenanspruchs durch vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung der
Anmeldepflicht vereitelt habe. Rundfunkgeräte in Vorführwagen würden nicht zu Prüf- und Vorführzwecken bereitgehalten, da nicht die
Autoradios, sondern die Kraftfahrzeuge zur Vorführung dienten. Diese Geräte seien daher einzeln gebührenpflichtig. Mit dem Anbringen eines
"roten Nummernschilds" werde das Kraftfahrzeug zum Vorführwagen. Dem Wortlaut des Gesetzes folgend wäre jedes Radio in einem Fahrzeug,
das mindestens einmal im Monat mit einem "roten Nummernschild" ausgestattet und somit zugelassen werde, gebührenpflichtig. Im Interesse
einer Verwaltungsvereinfachung und einer Kostenentlastung der Kraftfahrzeughändler werde jedoch in diesen Fällen nur eine Gebühr je "rotem
Kennzeichen" erhoben.
5
Die Klägerin hat am 24.11.2006 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben mit dem Antrag, den Gebührenbescheid des Beklagten vom
4.8.2006 sowie den Widerspruchsbescheid vom 10.10.2006 aufzuheben, und zur Begründung ihren Standpunkt bekräftigt, dass auch für
Autoradios in Vorführwagen die Rundfunkgebührenpflicht durch die Zahlung einer Händlergebühr erfüllt sei.
6
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und sich auf die im Schreiben seines Verwaltungsdirektors vom 12.6.2006 an den Verband des
Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg dargelegte Rechtsauffassung bezogen.
7
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20.2.2008 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei
nicht zur Zahlung der mit dem angefochtenen Bescheid verlangten zusätzlichen Rundfunkgebühren für Autoradios in mit „roten Kennzeichen“
betriebenen Fahrzeugen verpflichtet. Die Klägerin sei ein Unternehmen, das sich gewerbsmäßig mit der Herstellung, dem Einbau oder der
Reparatur von Rundfunkempfangsgeräten befasse. Der Umstand, dass der Handel mit Autoradios, Audioanlagen und Navigationsgeräten mit
Rundfunkempfangsteil nur Teil des Handels mit Autos sei, ändere daran nichts. Die Klägerin dürfe somit nach § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV am
Standort weitere Rundfunkempfangsgeräte für Prüf- und Vorführzwecke gebührenfrei bereit halten. Auch ein Radiogerät in einem Fahrzeug, das
zum Verkauf dem Kunden vorgeführt oder von diesem Probe gefahren werde, bleibe demnach gebührenfrei. § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV werde
allerdings vom überwiegenden Teil der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung auf den Kfz-Handel nicht oder jedenfalls nicht auf
Vorführwagen angewandt. Die dafür angeführten Argumente seien jedoch nicht überzeugend. Aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV
ergebe sich nicht, dass die Vorschrift sich nur auf den reinen Rundfunkfachhandel beziehe. Die Berufung auf den Sinn und Zweck der Vorschrift
gehe ebenfalls fehl. Das Händlerprivileg komme nicht nur den Unternehmen zu gute, sondern entlaste auch die Rundfunkanstalten von dem mit
häufigen An- und Abmeldungen verbundenen Verwaltungsaufwand. Dass dieser doppelte Entlastungszweck im Kfz-Handel nicht genauso wie
im klassischen Rundfunkeinzelhandel einschlägig sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Das gelte um so mehr, als die ARD sich entschieden
gegen den Verwaltungsaufwand einer Einzelerhebung der Radiogebühren bei Autohändlern wehre und mit der "Pauschalierung" anhand der
roten Kennzeichen nach einem Ausweg suche.
8
Gegen das am 15.3.2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 8.4.2008 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung
eingelegt. Der an den Verwaltungsgerichtshof adressierte Schriftsatz ist dort am 10.4.2008 eingegangen. In der Eingangsbestätigung hat der
Senat dem Beklagten fälschlicherweise mitgeteilt, die Berufung sei am 10.4.2008 "beim Verwaltungsgericht" eingegangen. Der Beklagte hat mit
Schriftsatz vom 8.5.2008 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und mit einem weiteren, an das Verwaltungsgericht
adressierten Schreiben vom gleichen Tag erneut Berufung eingelegt.
9
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags macht der Beklagte geltend: Die fehlerhafte Übersendung des Berufungsschriftsatzes an den
Verwaltungsgerichtshof sei für die Versäumung der Berufungsfrist nicht kausal, da die Fristversäumung durch die sofortige Weiterleitung des
Schriftsatzes an das Verwaltungsgericht hätte vermieden werden können. Die Pflicht zur Weiterleitung des Schriftsatzes ergebe sich aus dem
Gebot des fairen Verfahrens und der Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber den Beteiligten. Davon, dass der Schriftsatz vom 8.4.2008 nicht an
das Verwaltungsgericht weiter geleitet worden und entgegen der Eingangsbestätigung vom 11.4.2008 dort nicht am 10.4.2008 eingegangen sei,
habe er erst mit der Übersendung des Schriftsatzes der Klägerin vom 25.4.2008 erfahren.
10 In der Sache selbst wird vorgetragen: Die Klägerin halte in ihrem Autohaus seit Juli 1980 ein rotes Kennzeichen und seit Januar 2003 ein zweites
solches Kennzeichen vor. Die roten Kennzeichen würden an einzelnen auf den Ausstellungsflächen zum Verkauf angebotenen Fahrzeugen
angebracht, um mit den Fahrzeugen Probe- oder Überführungsfahrten durchführen zu können. Durch das Anbringen des Kennzeichens werde
das Fahrzeug zu einem Vorführwagen, weshalb die Klägerin gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 RGebStV für das in dem Fahrzeug zum Empfang bereit
gehaltene Rundfunkempfangsgerät rundfunkgebührenpflichtig sei. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei die Gebühr nicht mit der
Gebühr nach § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV abgegolten, da diese Vorschrift nur für den Radio- und Fernsehhandel und nicht für den gewerblichen
Autohandel gelte. Bei einer strengen Handhabung der Vorschrift sei deshalb nicht nur jedes in einen Vorführwagen eingebaute Autoradio,
sondern auch jedes Autoradio, das sich in einem von dem Autohändler auf seinem Gelände zum Verkauf angebotenen Kraftfahrzeug befinde,
rundfunkgebührenpflichtig. Ein Autohändler müsse somit an sich seine mit einem Rundfunkempfangsgerät ausgestatteten Fahrzeuge, die nicht
als Vorführwagen zugelassen und daher gesondert gebührenpflichtig seien, an- und nach einem Verkauf wieder abmelden. Was die Fahrzeuge
betreffe, die sich auf dem Geschäftsgrundstück befänden, werde allerdings § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV entsprechend angewendet. Dies gelte
jedoch nicht in den Fällen, in denen Rundfunkempfangsgeräte außerhalb des Geschäftsgrundstücks zum Empfang bereit gehalten würden.
11 Der Beklagte beantragt,
12
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2008 - 3 K 4218/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 Die Klägerin beantragt,
14
die Berufung zurückzuweisen.
15 Sie erwidert: Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unbegründet, da sich ein durch einen Rechtsanwalt vertretener
Beteiligter nicht darauf verlassen dürfe, dass ein bei dem falschen Gericht eingelegter Berufungsschriftsatz rechtzeitig vor Ablauf der
Berufungsfrist an das richtige Gericht weitergeleitet werde. Die Berufung sei daher unzulässig. Sie könne jedoch auch in der Sache keinen Erfolg
haben, da das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid zu Recht aufgehoben habe. Die vom Beklagten angeführten Gründe
rechtfertigten keine andere Entscheidung.
16 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten des Beklagten sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten
verwiesen.
Entscheidungsgründe
17 Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
18 Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Berufungsfrist versäumt hat, da ihm wegen der Versäumung dieser
Frist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
19 1. Nach § 124 a Abs. 2 VwGO ist die Berufung, wenn sie - wie hier - vom Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach
Zustellung des vollständigen Urteils beim Verwaltungsgericht einzulegen. Mit dem an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
gerichteten und dort am 9.4.2008 eingegangenen Berufungsschriftsatz des Beklagten vom 8.4.2008 wurde diese Frist somit nicht gewahrt. Für
den ordnungsgemäß an das Verwaltungsgericht Stuttgart adressierten Schriftsatz vom 8.5.2008, mit dem der Beklagte erneut Berufung eingelegt
hat, gilt im Ergebnis das Gleiche, da dieser Schriftsatz erst nach Ablauf der Frist beim Verwaltungsgericht eingegangen ist.
20 2. Dem Beklagten ist jedoch auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Versäumung der Berufungsfrist unter
den gegebenen Umständen als unverschuldet anzusehen ist.
21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 20.6.1995 - 1 BvR 166/93 - BVerfGE 93, 99) ist ein Gericht, bei dem das
Verfahren anhängig gewesen ist, aufgrund des Gebots eines fairen Verfahrens verpflichtet, fristgebundene Schriftsätze für das
Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Ist ein solcher Schriftsatz so zeitig
eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet
werden kann, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig an das
Rechtsmittelgericht gelangt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich allerdings auf das zivilgerichtliche Verfahren und
ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die ZPO keine Verpflichtung enthält, gerichtliche Entscheidungen mit einer Rechtsmittelbelehrung zu
versehen. Auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist diese Rechtsprechung deshalb nicht übertragbar, da Urteile im Verwaltungsprozess
gemäß § 117 Abs. 2 Nr. 6 VwGO eine Rechtsmittelbelehrung enthalten müssen. Die Berufung ist ferner, anders als im Zivilprozess (§ 519 Abs. 1
ZPO), nicht beim Berufungsgericht, sondern beim Verwaltungsgericht einzureichen. Für das bisher mit der Sache nicht befasste Berufungsgericht
gibt es daher keine "nachwirkende" Fürsorgepflicht. Nach der Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 28.7.2006 - 9 BV 05.1863
- Juris) besteht gleichwohl auch im Verwaltungsprozess für das Berufungsgericht eine aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Pflicht des Inhalts,
dass eine unter Verstoß gegen § 124 a Abs. 2 S. 1 VwGO beim Berufungsgericht eingereichte Berufungsschrift im ordentlichen Geschäftsgang an
das Verwaltungsgericht weiterzuleiten ist, da die in dieser Vorschrift getroffene Regelung über den Einlegungsort der Berufung von allgemeinen
Prinzipien des Prozessrechts abweiche, ohne dass für diese Abweichung ein sachlicher Grund zu erkennen sei, und die Regelung deshalb
selbst für prozesserfahrene Rechtsanwälte "überraschend" wirke.
22 Ob dieser Auffassung zu folgen ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Der Beklagte macht zu Recht geltend, dass durch das
Schreiben des Senats vom 11.4.2008 der Eindruck hervor gerufen werden konnte, der Berufungsschriftsatz vom 8.4.2008 sei tatsächlich an das
Verwaltungsgericht Stuttgart innerhalb der noch offenen Berufungsfrist weitergeleitet worden, da dem Beklagten darin (fälschlich) mitgeteilt
wurde, die Berufung sei am 10.4.2008 "beim Verwaltungsgericht" eingegangen. Zu dem von der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu
vertretenden Fehler ist damit ein zusätzlicher Fehler des Gerichts getreten, von dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass auf ihm letztlich die
Versäumnis der Berufungsfrist beruht. Die Fristversäumnis ist auch in einem solchen Fall als unverschuldet anzusehen (vgl. BVerwG, Urt. v.
25.7.2007 - WDB 1.07 - NJW 2007, 3797; BGH, Urt. v. 13.5.2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217).
II.
23 Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der Kläger nicht verpflichtet, für diejenigen
Radioempfangsgeräte zusätzliche Rundfunkgebühren zu bezahlen, die sich in den mit "roten Kennzeichen" versehenen Vorführwagen befinden.
Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Gebührenbescheid daher zu Recht aufgehoben.
24 1. Die Klage richtet sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 4.8.2006, mit dem - außer einem Säumniszuschlag von 12,79 EUR -
Rundfunkgebühren in Höhe von 1.279,99 EUR für zwei im Zeitraum vom Juli 1980 bis Juni 2005 bzw. Januar 2003 bis Juni 2005 zum Empfang
gehaltene Hörfunkgeräte in den Fahrzeugen mit den "roten Nummern" LB 06427 und LB 06429 erhoben wurden. Materiell-rechtliche Grundlage
der Gebührenpflicht ist danach der Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) in seinen vom Juli 1980 bis Juni 2005 geltenden früheren
Fassungen, die sich, was die hier interessierenden Bestimmungen angeht, nicht von der derzeit gültigen Fassung dieses Vertrags durch den
Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 14.2.2007 unterscheiden. Die früheren Fassungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrags
enthielten insbesondere bereits mit § 5 Abs. 4 RGebStV 2007 übereinstimmende Regelungen.
25 2. Nach § 2 Abs. 2 S. 1 RGebStV hat jeder Rundfunkteilnehmer vorbehaltlich der Regelung des § 5 RGebStV für jedes von ihm zum Empfang
bereitgehaltene Rundfunkempfangsgerät Rundfunkgebühren zu entrichten. Die in ein Kraftfahrzeug eingebauten Rundfunkempfangsgeräte
machen davon keine Ausnahme. Nach § 1 Abs. 3 RGebStV gilt für ein in ein Kraftfahrzeug eingebautes Rundfunkempfangsgerät derjenige als
Rundfunkteilnehmer, auf den das Kraftfahrzeug zugelassen ist, für nicht zugelassene Kraftfahrzeuge ist Rundfunkteilnehmer der Halter des
Kraftfahrzeugs. Eine Einschränkung des in § 2 Abs. 2 RGebStV nieder gelegten Grundsatzes ergibt sich jedoch u. a. aus § 5 Abs. 1 RGebStV,
wonach eine Rundfunkgebühr nicht zu leisten ist für weitere Rundfunkempfangsgeräte (Zweitgeräte), die von einer natürlichen Person oder
Ehegatten in ihrer Wohnung oder in ihrem Kraftfahrzeug zum Empfang bereitgehalten werden. Dies gilt allerdings nicht für Zweitgeräte in solchen
Räumen oder Kraftfahrzeugen, die zu anderen als privaten Zwecken genutzt werden (§ 5 Abs. 2 S. 1 RGebStV). Für gewerblich genutzte Geräte
bleibt es somit bei der Regelung in § 2 Abs. 2 S. 1 RGebStV. Die Klägerin muss danach im Grundsatz für alle geschäftlich genutzten
Kraftfahrzeuge, die auf sie zugelassen sind oder deren Halter sie ist, eine Grundgebühr (Radiogebühr) für die Zeiträume entrichten, in denen sie
ein Autoradio in den betreffenden Fahrzeugen zum Empfang bereitgehalten hat.
26 3. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, greift jedoch zu Gunsten der Klägerin die Regelung in § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV ein,
wonach Unternehmen, die sich gewerbsmäßig mit der Herstellung, dem Verkauf, dem Einbau oder der Reparatur von
Rundfunkempfangsgeräten befassen, berechtigt sind, bei Zahlung der Rundfunkgebühren für ein Rundfunkempfangsgerät weitere
entsprechende Geräte für Prüf- und Vorführzwecke auf ein und demselben Grundstück oder zusammenhängenden Grundstücken gebührenfrei
zum Empfang bereitzuhalten.
27 a) Die Klägerin ist ein Unternehmen, das sich gewerbsmäßig mit dem Verkauf von Rundfunkempfangsgeräten befasst, auch wenn der Handel mit
Autoradios nicht den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit darstellt. Ein Rundfunkempfangsgerät wird auch dann im Sinne des § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV
verkauft, wenn der eigentliche Kaufgegenstand ein Auto ist und das Rundfunkempfangsgerät nur zusammen mit dem Auto als Teil der
Ausstattung oder als Zubehör verkauft wird (Urt. des Senats v. 16.12.1982 - 2 S 261/82 - ESVGH 33, 17 f.; OVG Hamburg, Beschl. v. 14.4.2004 - 4
Bf 286/99 - NJW 2005, 379; Göhmann/Naujock/Siekmann in Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl., § 5 RGebStV, Rn. 56; Grupp,
Grundfragen des Rundfunkgebührenrechts, S. 200). Der Umstand, dass der Verkauf des Radios im Verhältnis zum Wert des Kraftfahrzeugs
regelmäßig nur vor untergeordneter Bedeutung ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung (a. A. BayVGH, Urt. v. 28.9.1982 - 8 B 82 A.968 -).
28 Entgegen einer verschiedentlich vertretenen Auffassung lässt sich § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV auch nicht einschränkend in der Weise auslegen,
dass er nur auf solche Unternehmen Anwendung findet, die sich typischerweise mit dem Verkauf von Rundfunkgeräten befassen (so OVG
Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 14.5.2004 - 12 B 10630/04 - NVwZ-RR 2005, 42; OVG Hamburg, Beschl. v. 14.4.2004, aaO). Begründet wird diese
Auffassung damit, dass § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV dem Zweck diene, den herkömmlichen Rundfunkfachhandel, der typischerweise eine große
Zahl von Rundfunkgeräten ausschließlich für Vorführzwecke zum Empfang bereit halte, von einer ansonsten unverhältnismäßig hohen
Rundfunkgebührenpflicht zu befreien. Da im Rundfunkfachhandel regelmäßig zahlreiche Rundfunkgeräte verschiedenster Art zur Vorführung
zum Empfang bereit gehalten würden, die zudem oftmals nach kurzer Zeit durch neue Modelle ersetzt würden, würde die Heranziehung zu einer
Rundfunkgebühr für jedes einzelne Gerät zu einer finanziell kaum tragbaren Belastung des Rundfunkfachhandels führen und - wegen des häufig
erforderlichen An- und Abmeldens der Geräte - zu einem unzumutbaren Verwaltungsaufwand für die Rundfunkanstalten führen. Auf Autoradios
in Vorführwagen von Kraftfahrzeughändlern treffe dies nicht oder jedenfalls nicht im vergleichbaren Maße zu (OVG Hamburg, Beschl. v.
14.4.2004, aaO).
29 Das überzeugt nicht. Richtig ist zwar, dass die in Regelung in § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV mit einem Bedürfnis des "Radiohandels" begründet wird
(LT-Drs. 10/5930, S. 115). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend bemerkt, kann dem jedoch nicht entnommen werden, dass die für erforderlich
gehaltene Gebührenbefreiung nur solchen Unternehmen gewährt werden soll, die hauptsächlich und nicht nur nebenbei mit Radios handeln.
Nicht zu bestreiten ist zwar, dass die Heranziehung zu einer Rundfunkgebühr für jedes zu Vorführzwecken bereit gehaltene Gerät für
Unternehmen, die hauptsächlich mit Radios handeln, eine größere finanzielle Belastung bedeutet als für Unternehmen, die dies nur nebenbei
tun. Dieser Unterschied ist jedoch nur gradueller Natur. Das Gleiche gilt unter dem Aspekt, dass § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV auch dem Interesse der
Rundfunkanstalten dient, den mit der Erhebung von Rundfunkgebühren verbundenen Verwaltungsaufwand in Grenzen zu halten. Bei einer
Beschränkung des § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV auf den "klassischen Rundfunkeinzelhandel" wären die Rundfunkanstalten gehalten, von jedem
Autohändler für jedes einzelne in einem zum Verkauf angebotenen Kraftfahrzeug eingebaute Rundfunkempfangsgerät Gebühren zu erheben,
sofern das Fahrzeug auf den Händler zugelassen oder - bei nicht zugelassenen Fahrzeugen - der Händler Halter des Fahrzeugs ist. Wegen des
dadurch in raschem Wechsel erforderlichen An- und Abmeldens der Geräte würde dies ebenfalls einen immensen Verwaltungsaufwand
bedeuten. Das Verwaltungsgericht weist dementsprechend zu Recht darauf hin, dass sich die ARD entschieden gegen den Verwaltungsaufwand
einer Einzelerhebung der Radiogebühren bei Autohändlern wehrt und mit der "Pauschalierung" anhand der roten Kennzeichen einen Ausweg
sucht. Dies kommt auch in dem an den Verband des Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg gerichteten Schreiben des Beklagten vom
15.3.2006 deutlich zum Ausdruck. In dem Schreiben wird als Beispiel ein Kraftfahrzeug-Betrieb genannt, der über fünf "rote Nummernschilder"
verfügt und diese innerhalb eines Monats an 20 verschiedenen Tagen an Kraftfahrzeugen zu Vorführzwecken anbringt. Nach der Ansicht des
Beklagten entstünden dadurch 20 Hörfunkgebühren. Im Interesse einer Verwaltungsvereinfachung und im Sinne einer Kostenentlastung der
Kraftfahrzeughändler beschränke er sich jedoch in diesen Fällen auf die Erhebung nur einer Gebühr je "rotem Kennzeichen".
30 b) Die Anwendung des § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV auf die Klägerin wird ferner nicht dadurch gehindert, dass nach dieser Vorschrift nur
Rundfunkgeräte gebührenbefreit sind, die "zu Prüf- und Vorführzwecken" zum Empfang bereit gehalten werden. Im Hinblick auf diese
Einschränkung sollen zwar nach dem Urteil des Senats vom 16.12.1982 (aaO) in Vorführwagen eingebaute Autoradios nur dann unter diese
Vorschrift fallen, wenn sie typischerweise und ausschließlich für Vorführzwecke in objektiv erkennbarer Weise zum Empfang bereitgehalten
werden. Bei den in Vorführwagen vorhandenen Autoradios sei dies in der Regel nicht der Fall. Zwar sei nicht zu verkennen, dass in Einzelfällen
das in den Vorführwagen eingebaute Gerät dazu geeignet sei, den Kunden zum Erwerb eines Autoradios überhaupt oder des zufällig im
Vorführwagen vorhandenen Modells zu bewegen. Das Auswählen unter verschiedenen Modellen werde jedoch nur durch die Verkaufsraum
unter gleichen Bedingungen zum Empfang bereit gehaltenen Geräten ermöglicht. Anders könne es sich nur dann verhalten, wenn in einen
Vorführwagen eine Schnellwechselvorrichtung zum raschen Austausch verschiedener Radiomodelle eingebaut sei (ähnlich OVG
Niedersachsen, Urt. v. 19.12.2006 - 10 LC 73/05 - Juris).
31 An dieser Auffassung hält der Senat nicht fest. Ein Autoradio wird auch dann im Sinn des § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV vorgeführt, wenn das Interesse
des Kunden zunächst dem Auto und erst in zweiter Linie dem in das Auto eingebauten Radiogerät gilt. Auch setzt der Begriff des Vorführens nicht
voraus, dass dabei mehrere Geräte miteinander verglichen werden. Es reicht vielmehr aus, wenn sich die Vorführung auf ein Gerät beschränkt,
um damit dessen Eigenschaften und besondere Vorzüge zu demonstrieren (Grupp, Grundfragen des Rundfunkgebührenrechts, aaO). Der
Umstand, dass ein sich für ein Auto mit Radio interessierender Kunde seine Wahl, was das Radio betrifft, vielfach erst an Hand der im
Verkaufsraum zum Empfang bereit gehaltenen Geräte treffen wird, ist daher in dem hier gegebenen Zusammenhang nicht von Bedeutung.
Davon abgesehen ist ohne weiteres denkbar, dass bereits die Vorführung des in einen Vorführwagen eingebauten Geräts einen Kunden dazu
veranlasst, sich für eben dieses Gerät zu entscheiden, was insbesondere dann naheliegt, wenn es sich dabei um das Grundmodell des
betreffenden Herstellers handelt und der Interessent aus Kosten- oder anderen Gründen keinen Wert auf ein aufwändigeres Gerät mit
zusätzlichen Funktionen legt. Genauso möglich ist, dass ein Kunde nach Vorführung des in einen Vorführwagen eingebauten Geräts beschließt,
vom Kauf eines Autoradios des von dem betreffenden Händler angebotenen Typs generell Abstand zu nehmen, oder er sich dazu entschließt,
ein weniger leistungsfähiges und dafür billigeres oder umgekehrt ein besser ausgestattetes und dementsprechend teueres Gerät zu erwerben.
Für das in einen Vorführwagen eingebaute Radio gilt insoweit nichts anderes als bspw. für den Motor, mit dem dieser Wagen ausgestattet ist.
Auch hier kann es sein, dass der Kunde nach einer mit dem Wagen unternommenen Probefahrt entscheidet, dasselbe Fahrzeugmodell mit
einem schwächeren oder stärkeren Motor zu erwerben, was aber nichts daran ändert, dass nicht nur das Fahrzeug, sondern auch der in das
Fahrzeug eingebaute Motor zu Vorführzwecken bereit gehalten wird.
32 c) Die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 4 S. 1 RGebStV auf in Vorführwagen eingebaute Rundfunkempfangsgeräte ist schließlich auch nicht deshalb
zu verneinen, weil diese Vorschrift es nur gestattet, dass Unternehmen, die sich gewerbsmäßig mit dem Verkauf von Rundfunkempfangsgeräten
befassen, bei Zahlung der Rundfunkgebühren für ein Rundfunkempfangsgerät weitere entsprechende Geräte für Prüf- und Vorführzwecke "auf
ein und demselben Grundstück oder zusammenhängenden Grundstücken" gebührenfrei zum Empfang bereit halten. Von den Kraftfahrzeugen,
die von einem Autohändler ausschließlich zum Verkauf angeboten werden, unterscheidet sich ein Vorführwagen dadurch, dass er auch zu
Fahrten außerhalb des Betriebsgeländes genutzt wird. Das ändert allerdings nichts daran, dass auch ein solcher Wagen sich die meiste Zeit über
auf dem Betriebsgelände befindet. Jedenfalls im Hinblick auf die in § 5 Abs. 4 S. 2 RGebStV getroffene Regelung ist danach auch in Bezug auf
das in einen solchen Wagen eingebaute Radio von einem auf demselben Grundstück zum Empfang bereit gehaltenen Gerät auszugehen. Nach
§ 5 Abs. 4 S. 2 RGebStV können von den in Satz 1 genannten Unternehmen Rundfunkempfangsgeräte außerhalb der Geschäftsräume
gebührenfrei nur bis zur Dauer einer Woche zu Vorführzwecken bei Dritten zum Empfang bereit gehalten werden. Die Vorschrift stellt damit klar,
dass die zu Prüf- und Vorführzwecke zum Empfang bereit gehaltenen Geräte sich nicht durchweg auf dem Betriebsgrundstück befinden müssen,
sondern auch vorübergehend von diesem Grundstück entfernt werden dürfen, sofern dies ebenfalls zu Vorführzwecken geschieht.
33 4. Die Klägerin ist auch nicht deshalb zur Bezahlung der von ihr verlangten Rundfunkgebühren verpflichtet, weil einer ihrer Angestellten bei dem
Besuch des Rundfunkgebührenbeauftragten des Beklagten am 4.5.2005 ein Anmeldeformular unterzeichnet hat. Wie das Verwaltungsgericht
zutreffend ausgeführt hat, bestätigt die Unterzeichnung des Formulars lediglich die ohnehin unbestrittene Tatsache, dass die Klägerin in dem
betreffenden Zeitraum zwei "rote Kennzeichen" vorgehalten hat. Die Klägerin hat damit jedoch nicht anerkannt, wegen dieses Sachverhalts zur
Zahlung weiterer Rundfunkgebühren verpflichtet zu sein.
34 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
35 Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die zwischen den Beteiligten
umstrittene Auslegung der in § 5 Abs. 4 RGebStV getroffenen Regelung bezieht sich im vorliegenden Fall (noch) auf das irrevisible baden-
württembergische Landesrecht, da die Bestimmungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrags erst durch § 10 RGebStV in der Fassung des
Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrages für revisibel erklärt worden sind, der zum 1.3.2007 in Kraft getreten ist (s. Gesetz vom 14.2.2007,
GBl. S. 108). Unter den in § 10 RGebStV nunmehr als revisibel bezeichneten "Bestimmungen dieses Staatsvertrags" sind die Bestimmungen des
Rundfunkgebührenstaatsvertrags in der Fassung zu verstehen, die dieser durch Art. 7 des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrags erhalten
hat, nicht hingegen das - hier noch maßgebliche - bisherige Gebührenstaatsvertragsrecht (BVerwG, Beschl. v. 5.4.2007 - 6 B 15.07 - Buchholz
422.2 Rundfunkrecht Nr. 42).
36
Beschluss
37 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.292,78 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
38 Der Beschluss ist unanfechtbar.