Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 13.09.2010

VGH Baden-Württemberg: sachliche zuständigkeit, verfügung, gebühr, daten, behandlung, informationspflicht, herausgabe, tierschutz, vollzug, verordnung

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 13.9.2010, 10 S 2/10
Sachliche Zuständigkeit für die Feststellung von Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtergesetzbuch
Leitsätze
1. Informationspflichten nach dem Verbraucherinformationsgesetz gelten grundsätzlich auch für die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter.
Die sachliche Zuständigkeit für die Feststellung von Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtergesetzbuch und die Herausgabe von
entsprechenden Verbraucherinformationen liegt jedoch bei den Vollzugsbehörden.
2. Wird bei einem Untersuchungsamt ein Antrag auf Information über solche Verstöße gestellt, so hat es den Antragsteller auf die zuständige Stelle
hinzuweisen oder den Antrag an diese Stelle weiterzuleiten.
3. Die Herausgabe von Informationen über solche Verstöße durch ein Untersuchungsamt ohne vorherige entsprechende Feststellung durch die
Vollzugsbehörde stellt eine unrichtige Sachbehandlung dar, die zur Kostenfreiheit der erteilten Information führt.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. November 2009 – 4 K 2331/09 – geändert. Die Verfügung
des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Stuttgart vom 9. Dezember 2008 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums
Stuttgart vom 20. Mai 2009 werden aufgehoben, soweit für die erteilte Verbraucherinformation eine Gebühr erhoben wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Gebührenerhebung für eine Verbraucherinformation.
2
Mit Schreiben vom 25.09.2008 beantragte der Kläger beim Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart die Übermittlung von
Informationen nach dem Verbraucherinformationsgesetz zu Räucherlachs und Graved Lachs aus den Jahren 2007 und 2008. Der Kläger erbat –
nach Maßgabe eines dem Antrag beigefügten Formblatts – Informationen zum Verhältnis von untersuchten und davon beanstandeten Proben
sowie nähere Informationen zu den hygienisch zu verbessernden Erzeugnissen, die nicht den Richt- bzw. Warnwerten der Deutschen
Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie entsprechen und zu den Proben mit Listeriennachweis sowie zu den beanstandeten
Lachserzeugnissen. In dem Antragsschreiben äußerte der Kläger die Erwartung, dass allenfalls geringe Kosten entstehen werden, da sich die
begehrten Informationen überwiegend auf beanstandete Produkte bezögen; bei anfallenden Gebühren bat der Kläger das CVUA Stuttgart „um
eine vorhergehende Begründung sowie Benachrichtigung über die Gebührenhöhe“.
3
Mit Schreiben vom 01.10.2008 teilte das CVUA Stuttgart dem Kläger mit, dass für die beantragte Verbraucherinformation eine sehr zeitintensive
Datenrecherche und Datenzusammenstellung erforderlich sei; deshalb sei von geschätzten Kosten in Höhe von etwa 160 EUR auszugehen. Mit
Schreiben vom 04.10.2008 an das CVUA Stuttgart machte der Kläger geltend, dass die begehrte Information kostenfrei erteilt werden müsse,
denn der Antrag richte sich „ausschließlich auf Beanstandungen der Lebensmittelüberwachung. Uns interessieren demnach amtlich festgestellte
Gesetzesverstöße, beispielsweise wegen Verstoßes gegen das Täuschungsverbot in § 11 LFGB“. Ergänzend wurde in dem Schreiben
hervorgehoben, es werde gebeten, „zunächst alle diejenigen Fragen zu beantworten, die sich entsprechend den Ihnen vorliegenden Daten auf
Beanstandungen infolge von Gesetzesverstößen gegen das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch beziehen“. Handschriftlich ist auf S. 2 des
Schreibens des Klägers vom 01.10.2008 von der Sachbearbeiterin des CVUA Stuttgart vermerkt (07.10.2008), nach telefonischer Rücksprache
mit dem Kläger werde der Antrag trotz eventueller Kosten aufrechterhalten; gegen eine Kostenerhebung werde vermutlich Widerspruch
eingelegt.
4
Mit Verfügung vom 09.12.2008 entschied das CVUA Stuttgart, die beantragten Informationen teilweise herauszugeben; für die
Informationserteilung wurde eine Gebühr in Höhe von 160 EUR erhoben, die unter Berücksichtigung des Verwaltungsaufwands und bei
Beachtung des Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzips erforderlich, aber auch ausreichend sei. Mit Widerspruch vom 16.12.2008 wandte sich
der Kläger gegen die Gebührenerhebung; da nur Informationen über Gesetzesverstöße beantragt worden seien, bestehe keine Kostenpflicht.
5
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück. Zwar sei das CVUA Stuttgart nach
dem Verbraucherinformationsgesetz eine auskunftspflichtige Stelle, Gebührenfreiheit bestehe aber nur bei Informationen zu Gesetzesverstößen;
als Untersuchungseinrichtung der auftraggebenden Behörde stelle das CVUA Stuttgart lediglich Messergebnisse ohne weitere Bewertung zur
Verfügung, über einen „Verstoß“ im Rechtssinne könnten nur die zuständigen Vollzugsbehörden informieren.
6
Am 18.06.2009 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, die Verfügung des CVUA Stuttgart vom
09.12.2008 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.05.2009 insoweit aufzuheben, als darin eine Gebühr für
die Informationen über beanstandete Proben festgesetzt wird. Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt, das CVUA Stuttgart trete nicht nur
verwaltungsintern auf, sondern berichte gegenüber der Öffentlichkeit regelmäßig über die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen, also über
festgestellte Gesetzesverstöße. An der Qualifizierung einer Handlung als „Gesetzesverstoß“ ändere sich nichts dadurch, dass anstelle der
Vollzugsbehörde das CVUA Stuttgart den Verstoß feststelle und bekanntgebe. Folge man indessen der Argumentation des Beklagten, dass nur
die zuständigen Vollzugsbehörden über Gesetzesverstöße gebührenfrei informieren könnten, sei das CVUA Stuttgart verpflichtet gewesen, den
Antrag auf Informationsgewährung an die zuständige Vollzugsbehörde weiterzuleiten. - Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
7
Mit Urteil vom 26.11.2009 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Bei
den an den Kläger herausgegebenen Informationen handele es sich nicht um Daten über Gesetzesverstöße im Sinne des
Verbraucherinformationsrechts. Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften könnten nur die zuständigen Überwachungsbehörden, d. h.
in den Landkreisen die Landratsämter und in den Stadtkreisen die Gemeinden, feststellen. Das CVUA Stuttgart sei nur eine technische
Fachbehörde ohne Exekutivbefugnisse, könne also z. B. Grenzwertüberschreitungen und Belastungen mit unerwünschten Substanzen bei
Lebensmitteln feststellen, die Qualifizierung als „Verstoß“ sei dem CVUA aber versagt. Der Kläger habe die ihm gegebene Information
entgegengenommen und zu keinem Zeitpunkt beanstandet; die erhaltenen Informationen seien für den Kläger wertvoll und ausreichend
gewesen, Einwände seien nur gegen die fehlende Qualifikation als „Verstöße“ erhoben worden. Die festgesetzte Gebühr sei nicht nur dem
Grunde nach rechtmäßig, sondern auch der Höhe nach nicht zu beanstanden; sie sei nach dem Zeit- und Sachaufwand bemessen und auch
deshalb plausibel, weil das CVUA die Höhe der Gebühr dem Kläger bereits im Vorfeld mitgeteilt habe.
8
Gegen das ihm am 10.12.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.12.2009 die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt und am 13.01.2010 im Wesentlichen wie folgt begründet: Daten über Verstöße im Sinne des
Verbraucherinformationsgesetzes seien von den informationspflichtigen Stellen kostenfrei herauszugeben. Zu Unrecht werde vom
Verwaltungsgericht mit dem Erfordernis einer amtlichen Feststellung des Gesetzesverstoßes durch die zuständige Vollzugsbehörde ein
Tatbestandsmerkmal kreiert, das das Gesetz nicht kenne. Da das CVUA Stuttgart nicht gesetzeskonforme Produkte beanstande, stelle es eine
Normabweichung und damit einen Gesetzesverstoß fest; begrifflich seien „Beanstandung“ und „Verstoß“ Synonyme. Halte man demgegenüber
das CVUA Stuttgart zur Erteilung der beantragten Informationen über Gesetzesverstöße für nicht zuständig, habe das Untersuchungsamt die
Anfrage an die zuständige Verwaltungsbehörde weiterleiten müssen; diese Behörde hätte dann die erbetene Information kostenfrei erteilt. Das
CVUA Stuttgart könne nicht zu Lasten des Auskunftsberechtigten einen Gebührentatbestand dadurch schaffen, dass es, obwohl unzuständig, die
erbetene Information gebe und diese auch noch als Information über „Verstöße“ bezeichne.
9
Der Kläger beantragt,
10
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26.11.2009 – 4 K 2331/09 – zu ändern und die Verfügung des Chemischen und
Veterinäramts Stuttgart vom 09.12.2008 sowie den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.05.2009
aufzuheben, soweit für die erteilte Verbraucherinformation eine Gebühr erhoben wird.
11 Der Beklagte beantragt,
12
die Berufung zurückzuweisen.
13 Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt noch aus, das CVUA Stuttgart habe Informationen über von ihm festgestellte „Beanstandungen“
herausgegeben und dafür rechtmäßig Gebühren erhoben. Ob eine Beanstandung einen Verstoß gegen eine Rechtsnorm darstelle, bedürfe einer
weiteren Bewertung, die allein der unteren Lebensmittelbehörde obliege. Aus den Beanstandungen des CVUA zu einem Produkt könne sich der
Verstoß eines Normadressaten gegen das Lebensmittelrecht ergeben; zu entscheiden habe darüber die untere Lebensmittelbehörde.
14 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die dem Senat
vorliegenden Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
15 Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
16 Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch sonst zulässige Berufung ist begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Unrecht abgewiesen. Die angefochtene Gebührenerhebung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs.1 Satz 1
VwGO).
17 Der Kläger hat ausdrücklich Informationen zu Gesetzesverstößen, insbesondere gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, begehrt.
Zur Herausgabe derartiger Informationen in Vollzug des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) vom 5.11.2007 (erlassen als Art. 1 des Gesetzes
zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation, BGBl I S. 2558) fehlt dem Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA)
Stuttgart die sachliche Zuständigkeit. Kosten, die – hier für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit einer Landesbehörde in Ausführung von
Bundesrecht (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 VwKostG) – bei richtiger Behandlung der Sache durch die Behörde nicht entstanden wären, dürfen nicht erhoben
werden (§ 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG). Mangels sachlicher Zuständigkeit zur Auskunftserteilung über „Verstöße“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 VIG musste das CVUA Stuttgart bei richtiger Behandlung der Sache nach § 5 Abs. 2 VIG verfahren; dies hat es zu Unrecht nicht getan.
I.
18 Das Verbraucherinformationsgesetz ist auf das CVUA Stuttgart anwendbar. Denn die Informationspflicht, die zugleich den sachlichen
Geltungsbereich dieses Gesetzes markiert, besteht unzweifelhaft auch für die im Rahmen der Lebensmittelkontrolle als
„Untersuchungseinrichtungen“ fungierenden Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (vgl. § 21 Abs. 1 AGLMBG BW). Der Umstand, dass
ein Untersuchungsamt lediglich verwaltungsintern im Auftrag einer Vollzugsbehörde gutachterlich tätig wird und fachwissenschaftliche
Hilfsdienste für die Vollzugsbehörde erbringt, entbindet nicht von der Informationspflicht nach dem Verbraucherinformationsgesetz (so aber
Hartwig/Memmler, ZLR 2009, 51, 59 f.; Grube/Weyland, VIG, Kommentar, 2008, § 1 RdNr. 13). Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VIG i. V. m. § 2 Abs. 1
Satz 2 AGVIG BW sind Untersuchungseinrichtungen ausdrücklich zu informationspflichtigen Stellen erklärt, soweit sie für die amtliche
Lebensmittelüberwachung tätig sind. Das trifft auf die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter zu (§ 21 Abs. 2 AGLMBG BW). Der
Landesgesetzgeber hat die Einbeziehung der Untersuchungseinrichtungen in den Kreis der informationspflichtigen Stellen ausdrücklich gewollt
(vgl. LT-Drucks. 14/2596, S. 11). Folglich ist das CVUA Stuttgart an sich eine „zuständige Stelle“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VIG, so dass
das Verbraucherinformationsgesetz anwendbar ist.
II.
19 Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das CVUA Stuttgart die sachliche Zuständigkeit zur Information gerade über „Verstöße“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 VIG) hat; diese Frage ist unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten zu beantworten und zu verneinen.
20 1. Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen von einem „Verstoß“ im Sinne des
Verbraucherinformationsrechts gesprochen werden kann. Da § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG auf Gesetzes- und sonstige Rechtsverstöße abstellt,
muss jedenfalls eine Abweichung von rechtsnormativen Vorgaben vorliegen (Normabweichung). Das Gesetzesmerkmal „gegen“ legt eine
Wortlautinterpretation nahe, die als „Verstoß“ jedes menschliche Verhalten erfasst, das mit lebensmittelrechtlichen Vorschriften, insbesondere
Geboten und Verboten, nicht in Einklang steht (BayVGH, Beschl. v. 22.12.2009 – G 09.1 – ZLR 2010, 219, 225; Beyerlein/Borchert, VIG,
Kommentar, 2010, § 1 RdNr. 30; Flaig, ZLR 2010, 179, 182 f.). Nach dem Gesetzeswortlaut ist jede Abweichung von lebensmittelrechtlichen
Anforderungen als „Verstoß“ zu qualifizieren; für die Auffassung, dass ein Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht sein muss (so
Grube/Weyland, a.a.O., § 1 RdNr. 5), bietet der Gesetzeswortlaut keinen Anhaltspunkt (Wustmann, in: Informationsfreiheit und Informationsrecht,
Jahrbuch 2009, S. 205, 218).
21 Die Wortlautinterpretation wird durch die systematische Gesetzesauslegung gestützt. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG bezieht in die Fälle der
Normabweichung (zur Ermittlung von „Verstößen“) unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft ein. Zu diesen Rechtsakten
zählen vor allem Verordnungen (Art. 249 Abs. 2 EGV = Art. 288 Abs. 2 AEUV). Für das Lebensmittelrecht kann im vorliegenden Zusammenhang
auf die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung
der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. L 191 vom
28.05.2004, S. 1) zurückgegriffen werden. Nach der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 10 VO 882/2004/EG ist unter „Verstoß“ jede „Nichteinhaltung
des Futtermittel- oder Lebensmittelrechts und der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz“ zu verstehen. Auf diese
Begriffsbestimmung kann zwecks Erfassung von „Verstößen“ gegen das Lebensmittelrecht zurückgegriffen werden (BayVGH, a.a.O., S. 225;
Wustmann, a.a.O., S. 218). In diesem Sinne ist der Antrag des Klägers auf Auskunft zu verstehen.
22 2. Die sachliche Zuständigkeit und damit die rechtliche Befugnis zur Information über „Verstöße“ im Rechtssinne steht nach der geltenden
Zuständigkeitsordnung den Vollzugsbehörden zu; Untersuchungsämter verfügen demgegenüber insoweit nur über begrenzte Zuständigkeiten
und Informationsbefugnisse.
23 a) Den Untersuchungsämtern ist auf der Grundlage des § 38 Abs. 1 Satz 1 LFGB eine die Lebensmittelüberwachungsbehörden
(Vollzugsbehörden) unterstützende Aufgabe, vornehmlich in Gestalt von Lebensmittelproben und der Auswertung der Analysen, überantwortet
(Wehlau, LFGB, Kommentar, 2010, § 38 RdNr. 10; vgl. auch Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB/BasisVO, Kommentar, 2007, § 38 RdNr. 8).
Gesetzlich ist den Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern eine mitwirkende Funktion im Rahmen der Lebensmittelüberwachung
zugewiesen; eigenverantwortlich haben die Ämter die von den zuständigen Behörden entnommenen Proben zu untersuchen und unabhängig zu
begutachten (§ 21 Abs. 2 AGLMBG BW). Indem die Informationspflicht der Untersuchungseinrichtungen angeordnet ist, soweit diese für die
amtliche Lebensmittelüberwachung tätig sind (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AGVIG BW), muss der gesetzlich normierte Zuständigkeitsbereich beachtet
werden (LT-Drucks. 14/2596, S. 11). Das Verdikt des „Rechtsverstoßes“ setzt eine juristische Bewertung der Untersuchungsergebnisse voraus;
dafür haben die Untersuchungsämter keine Kompetenz, diese kommt vielmehr den Vollzugsbehörden zu (Wustmann, a.a.O., S. 219). In nahezu
wörtlicher Übereinstimmung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG bestimmt § 39 Abs. 1 Satz 1 LFGB, dass die Überwachung der Einhaltung der
Vorschriften dieses Gesetzes, der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen und der unmittelbar geltenden Rechtsakte der
Europäischen Gemeinschaft zum Lebensmittelrecht Aufgabe der zuständigen Behörden ist. Dies sind allein die
Lebensmittelüberwachungsbehörden (§ 38 Abs. 1 Satz 1 LFGB i. V. m. § 18 AGLMBG BW) und nicht (auch) die Untersuchungsämter, wobei die
sachliche Zuständigkeit grundsätzlich bei den unteren Lebensmittelüberwachungsbehörden liegt (§ 19 Abs. 1 AGLMBG BW). Diese klare
Zuständigkeitsregelung zur „Überwachung der Einhaltung der Vorschriften“ des Lebensmittelrechts (§ 39 Abs. 1 Satz 1 LFGB) weist die
Entscheidungskompetenz zur Feststellung von Normabweichungen und damit von „Verstößen“ gegen das Lebensmittelrecht den
Vollzugsbehörden zu.
24 b) Diese gesetzliche Zuweisung von Kompetenzen und Befugnissen entspricht auch Sinn und Zweck des Verbraucherinformationsrechts und
trägt den Besonderheiten des Faktors „Information“ Rechnung. Nur bei einer Konzentration der Informationsbefugnis zu „Verstößen“ gegen das
Lebensmittelrecht bei den Vollzugsbehörden kann es einen „einheitlichen Vollzug der Verbraucherinformationen“, wie von § 1 Abs. 1 AGVIG BW
verlangt, in Bezug auf Normabweichungen geben. Allein diese Zuständigkeitsbündelung stellt im Verhältnis zwischen Überwachungsbehörden
und Untersuchungseinrichtungen die Kongruenz von aktiver und passiver Verbraucherinformation (näher dazu Schoch, ZLR 2010, 121, 125 f.)
sicher; denn die von Amts wegen erfolgende öffentliche Information zu Verstößen gegen das Lebensmittelrecht ist den zuständigen
Vollzugsbehörden – und nicht (auch) den Untersuchungsämtern – zugewiesen (§ 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 9 i. V. m. § 40 LFGB).
25 Verwaltungshandeln durch „Information“ ist irreversibel; daran ändern bei Fehlinformationen auch – spätere – Gegendarstellungen,
Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts, da die faktischen Wirkungen von Information regelmäßig nicht (mehr) eingefangen und
umfassend beseitigt werden können (Käß, WiVerw 2002, 197, 208). Eine Verbraucherinformation zu – angeblichen – Rechtsverstößen eines
Unternehmens kann für dieses existenzgefährdend oder sogar existenzvernichtend wirken (Pache: in: Meyer/Streinz, a.a.O., § 40 RdNr. 4, mit
Praxisbeispiel). Die Zugänglichmachung von Verbraucherinformationen verdrängt außerdem, soweit es um personenbezogene Informationen
geht, die datenschutzrechtliche Zweckbindung (§ 18 Abs. 4 LDSG) und ermöglicht dem Empfänger der Information deren Verwendung für
beliebige Zwecke (Albers/Ortler, GewArch 2009, 225, 228). Angesichts dieser weitreichenden Konsequenzen des Informationszugangs im
Verbraucherinformationsrecht macht es Sinn, dass das Verdikt des „Rechtsverstoßes“, mit dem der Informationsempfänger anschließend an die
Öffentlichkeit gehen kann, nicht von irgendeiner beliebigen staatlichen Stelle festgestellt werden kann, sondern die Auskunft über „Verstöße“ im
Sinne des Verbraucherinformationsrechts den zuständigen Vollzugsbehörden obliegt. Dem trägt die bundes- und landesgesetzlich geprägte
Kompetenzordnung in Bezug auf die sachliche Behördenzuständigkeit für Auskünfte zu „Verstößen“ gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG
Rechnung.
26 c) Das CVUA Stuttgart verfügte auf Grund seiner Rechtsstellung im Rechtssinne nicht über die vom Kläger beantragten Informationen zu
„Verstößen“ gegen das Lebensmittelrecht in Bezug auf Räucherlachs und Graved Lachs für die Jahre 2007 und 2008. Dies musste das CVUA
Stuttgart dem Kläger mitteilen und ihn entweder, soweit bekannt, auf die zuständige Stelle hinweisen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 VIG) oder die Anfrage an
diese Stelle weiterleiten (§ 5 Abs. 2 Satz 2 VIG). Welche dieser beiden Varianten ergriffen wird, steht im behördlichen Ermessen (Grube/Weyland,
a.a.O., § 5 RdNr. 5; Beck, VIG, Kommentar, 2009, § 5 Anm. 2). Nicht im Gesetz vorgesehen ist, dass ein Untersuchungsamt Kompetenzen und
Befugnisse der Vollzugsbehörde an sich zieht, den Antragsteller über lebensmittelrechtliche „Verstöße“ informiert und daraufhin Gebühren
erhebt.
27 aa) In seinem Schreiben vom 4.10.2008 hat der Kläger sein Informationsinteresse ausdrücklich auf „amtlich festgestellte Gesetzesverstöße“
konkretisiert und als Beispiel „wegen Verstoßes gegen das Täuschungsverbot in § 11 LFGB“ angefügt. Dieser Antrag war unmissverständlich,
also hinreichend bestimmt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VIG). Ergänzend spricht der Kläger in jenem Schreiben von „Gesetzesverstößen gegen das
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch“. Demgegenüber kommt dem handschriftlichen Vermerk der Sachbearbeiterin des CVUA Stuttgart
rechtlich keine Bedeutung zu; die Notiz, der Antrag auf Verbraucherinformation werde trotz eventueller Kosten aufrechterhalten und gegen eine
Gebührenerhebung Widerspruch eingelegt, gibt nur die unterschiedlichen Auffassungen des Klägers und des CVUA Stuttgart zur
Gebührenfreiheit wieder, besagt aber nichts zu der Kompetenz des Untersuchungsamts, de iure über „Rechtsverstöße“ befinden zu können.
28 Im Schrifttum wird zutreffend betont, falls den Untersuchungsämtern keine – von anderen Behörden so eingestufte – „Verstoß-Daten“ zu
Verfügung stünden, bleibe ihnen nichts anderes übrig, als die Auskunftsberechtigten an die (zuständigen) örtlichen Behörden zu verweisen
(Beyerlein/Borchert, a.a.O., § 1 RdNr. 36). Das dazu nach § 5 Abs. 2 VIG vorgeschriebene Verfahren setzt keinen Antrag voraus; das
Untersuchungsamt muss einen der beiden gesetzlich aufgezeigten Wege von Amts wegen beschreiten.
29 bb) Tatsächlich hat das CVUA Stuttgart mit Bescheid vom 9.12.2008 dem Kläger einen Teil der beantragten Verbraucherinformationen übermittelt
und dabei mehrfach in Bezug auf bestimmte Produkte z. B. von „Verstoß gegen LMKV“ gesprochen. Lag im Rechtssinne – objektiv – wirklich ein
materieller „Verstoß“ gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften vor, war das CVUA Stuttgart aus den genannten Kompetenzgründen nicht befugt,
dies festzustellen; es hätte die Anfrage des Klägers an die zuständige Vollzugsbehörde weiterleiten können, deren Auskunft zu „amtlich
festgestellten Gesetzesverstößen“ allerdings kostenfrei geblieben wäre (§ 6 Abs. 1 Satz 2 VIG). Was nicht angeht, ist die gesetzeswidrige
Inanspruchnahme von Kompetenzen durch ein Untersuchungsamt zum autoritativ verbindlichen Ausspruch des Verdikts „Rechtsverstoß“ mit der
anschließenden Einforderung der Gebühren für die erteilte Verbraucherinformation. Dies stellt im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG keine
„richtige Behandlung der Sache“ dar, so dass Kosten für eine derartige Amtshandlung nicht erhoben werden dürfen.
30 d) Ergänzend gibt der Senat folgenden Hinweis: Ein Untersuchungsamt kann Informationen zu „Verstößen“ gegen das Lebensmittelrecht geben,
wenn derartige Verstöße zuvor von den zuständigen Vollzugsbehörden festgestellt worden sind und dies dem Untersuchungsamt übermittelt
worden ist (Beyerlein/Borchert, a.a.O., § 1 RdNr. 36). Dann sind derartige Informationen im Rechtssinne bei einem Untersuchungsamt
„vorhanden“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VIG), so dass es darüber als zuständige Stelle nach § 3 Abs. 2 VIG Auskunft geben kann. Für eine derartige
Fallkonstellation ist hier nichts vorgetragen und anhand der Akten nichts ersichtlich. Im Rechtssinne hätte das CVUA Stuttgart
Verbraucherinformationen zu „Beanstandungen“ oder „Bemängelungen“ etc. geben können, wie es dies teilweise auch getan hat. Derartiges hat
der Kläger jedoch nicht beantragt. Einer nicht beantragten Verbraucherinformation fehlt indessen die Grundlage für eine Gebührenerhebung.
Denn der individuelle Informationszugang wird nur auf Antrag gewährt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VIG).
31 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
32 Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
33
Beschluss vom 13. September 2010
34 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 47, 52 Abs. 3 GKG auf 160,00 EUR festgesetzt.
35 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.