Urteil des OLG Zweibrücken vom 05.11.2010
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Bürgerliches Recht
OLG
Zweibrücken
05.11.2010
6 UF 47/090
Zur Anwendung des ab 1. September 2009 geltenden Verfahrensrechts auf Verfahren über den
Versorgungsausgleich.
Aktenzeichen:
Beschluss vom 5. November
2010
6 UF 47/09
2 F 362/05
Amtsgericht Germersheim
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
in der Familiensache
der Physiotherapeutin und Heilpraktikerin U... S..., geboren am ..., ...,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte M... und S...,
gegen
den Metzger und Koch R... L..., geboren am ..., ...,
Antragsgegner und Beschwerdegegner,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte W... und Kolleginnen, ...,
wegen Ehescheidung und Folgesachen
hier: abgetrennter Versorgungsausgleich,
an der weiter beteiligt sind:
1. die Deutsche Rentenversicherung Bund, ...,
2. die Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz, ...,
3. die Bayern-Versicherung Lebensversicherung AG, ...,
hat der 6. Zivilsenat – Familiensenat – des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Burger, die Richterin am Oberlandesgericht
Euskirchen und den Richter am Oberlandesgericht Hengesbach
auf die am 16. März 2009 bei Gericht eingegangene befristete Beschwerde der Antragstellerin vom selben
Tag
gegen den ihr am 2. März 2009 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht –
Germersheim vom 19. Februar 2009
nach Anhörung der Beteiligten
am 5. November 2010
beschlossen:
I. Der angefochtene Beschluss wird geändert:
1. Der Ausgleich des ehezeitlichen Anrechts der Antragstellerin bei der Deutschen
Rentenversicherung Bund in Höhe von 0,6468 Entgeltpunkten unterbleibt.
2. Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragstellerin bei ... ein
Anrecht für den Antragsgegner in Höhe von 15.588,87 € auf einen neu zu errichtenden Vertrag bei
demselben Versorgungsträger übertragen, bezogen auf den 31. Dezember 2005.
II. Die weiter gehende Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
IV. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.200,00 € festgesetzt.
V. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
Die noch vor dem 1. September 2009 eingelegte befristete Beschwerde der Antragstellerin ist nach dem
bis dahin geltenden Recht statthaft und auch sonst in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
Das Rechtsmittel führt in der Sache nicht zu dem erstrebten Erfolg des Ausschlusses des
Versorgungsausgleichs, allerdings zu einer anderweitigen Regelung des Versorgungsausgleichs mit dem
aus Ziffer I. des Entscheidungssatzes ersichtlichen Inhalt.
I.
Auf das weitere Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 4 FGG-RG das seit 1. September 2009 geltende neue
Verfahrensrecht anzuwenden. Denn das Amtsgericht – Familiengericht – hat mit Beschluss vom 29.
Januar 2008 die Folgesache Versorgungsausgleich gemäß § 628 ZPO abgetrennt. Der Status als
abgetrenntes Versorgungsausgleichsverfahren ist nicht dadurch entfallen, dass das Familiengericht die
Sache vor dem 1. September 2009 wieder aufgenommen und erstinstanzlich entschieden hat.
Ob auf ein solches Verfahren „neues“ oder „altes“ Recht anzuwenden ist, ist streitig. Während Borth
(FamRZ 2009, 1965 ff) und Schürmann (FamRZ 2009, 1800) im Hinblick auf den klaren Wortlaut des
Gesetzes allein auf den Status „am 1. September 2009 abgetrennt“ als einziges Kriterium abstellen und
die Anwendung neuen Rechts postulieren, stellt das OLG Oldenburg (FamRZ 2010, 983 mit abl. Anm.
Borth), unterstützt durch Rehbein (jurisPR-FamR 8/2010, Anm. 6), darauf ab, ob die Sache – wie
vorliegend – vor dem 1. September 2009 wieder aufgenommen und erstinstanzlich (nach altem Recht)
entschieden worden ist. Dann soll im Beschwerdeverfahren auch nach dem 1. September 2009 noch altes
Recht anwendbar sein.
Der Senat schließt sich der erstgenannten Ansicht an. Nach dem Willen des Gesetzgebers liegt den
Übergangsbestimmungen zum VersAusglG in erster Linie der Gedanke zugrunde, den Übergang in das
neue formelle (und materielle) Recht möglichst weitgehend und möglichst schnell zu vollziehen (BT-
Drucks. 16/10144 S. 85). In diesem Bestreben hat es der Gesetzgeber sogar in Kauf genommen, in
laufende Verfahren einzugreifen, indem er für die Zeit ab 1. September 2010 für die erste Instanz die
Anwendung des neuen Rechts in allen noch nicht abgeschlossenen Verfahren anordnet. Auch
abgeschlossene Verfahren werden nicht ausgenommen, wie die Regelung des § 51 Abs. 1 und 3
VersAusglG zeigt, wonach eine nach altem Recht getroffene Regelung bei einer wesentlichen
Wertänderung oder im Falle einer Abweichung des nach der BarwertVO ermittelten vom tatsächlichen
Wert auf Antrag nach neuem Recht abzuändern ist. Erwägungen des Vertrauensschutzes stehen dieser
möglichst weitgehenden Anwendung des neuen Rechts nicht entgegen. Denn auch nach dem
reformierten Recht ist es wie bisher das Ziel des Versorgungsausgleichs, beiden Eheleuten die von ihnen
in der Ehezeit erworbenen Anrechte wirtschaftlich jeweils zur Hälfte zuzuordnen. Auch wiegt der
Vertrauensschutz deswegen nicht schwer, weil die ausgeglichenen Anrechte noch nicht zum
Leistungsrecht erstarkt sind (BT-Drucks. a.a.O.). Angesichts dieser eindeutigen und vorrangigen
gesetzgeberischen Zielsetzung ist es nach Ansicht des Senats geboten, diejenige Auslegung des § 111
Abs. 4 FGG-RG (wie auch bei der Parallel-Vorschrift des § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG für das materielle
Recht, s.u.) zu wählen, die dieser Zielsetzung am ehesten dient. Eine Reduzierung des eindeutigen, alle
abgetrennten Verfahren umfassenden reinen Wortlauts auf die noch nicht in erster Instanz
abgeschlossenen Verfahren (so OLG Oldenburg a.a.O.) läuft dieser Zielsetzung entgegen.
II.
Auf die Beschwerde ist deshalb der Versorgungsausgleich nach neuem materiellem Recht zu regeln.
Im Ausgangspunkt gilt hierbei zunächst, dass – als Folge des vom Gesetzgeber gewünschten Gleichlaufs
von formellem und materiellem Recht (BT-Drucks. 16/10144 S. 86) – auch in materieller Hinsicht die
Vorschriften des
VersAusglG anzuwenden sind, da das Verfahren am 1. September 2009 abgetrennt war, § 48 Abs. 2 Nr. 1
VersAusglG. Somit sind die Anrechte der beteiligten Eheleute – abweichend von der erstinstanzlichen
Entscheidung – jeweils im Wege der internen Teilung gemäß § 10 ff VersAusglG auszugleichen.
1.
Antragstellerin während der vom 1. November 2001 bis zum 31. Dezember 2005 dauernden Ehezeit
Versorgungsanrechte der gesetzlichen Rentenversicherung im Wert von 0,6468 Entgeltpunkten erworben.
Der hälftige Ausgleichswert beträgt 0,3234 Entgeltpunkte mit einem korrespondierenden Kapitalwert von
1.864,71 €.
Der Kapitalwert übersteigt nicht die am Ende der Ehezeit (2005) geltende Geringfügigkeitsgrenze von
2.898,00 € (vgl. nur MK/Gräper, BGB 5. Aufl. § 18 VersAusglG, Rn. 14) , so dass gemäß § 18 Abs. 2
VersAusglG vom Ausgleich abgesehen wird.
2.
Ehezeitanteil des Anrechts der Antragstellerin aus der privaten Rentenversicherung auf einen
Rückkaufswert von 31.427,74 €, der um Teilungskosten in Höhe von 250,00 € auf 31.177,74 € zu kürzen
ist. Die Hälfte hiervon, das sind 15.588,87 €, sind nach der Teilungsordnung im Wege der internen Teilung
gemäß § 10 Abs. 1 VersAusglG auf einen Vertrag zugunsten des Antragsgegners zu übertragen.
III.
Soweit das Rechtsmittel der Antragstellerin auf den Ausschluss des Versorgungsausgleichs gerichtet ist,
bleibt es ohne Erfolg.
Nach § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, wenn er grob unbillig
wäre, weil die gesamten Umstände des Einzelfalles es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen.
Die Antragstellerin macht insoweit geltend, der Antragsgegner habe die Versorgungszusage seines
Arbeitgebers ohne Not aufgegeben und den dafür empfangenen Ausgleichsbetrag in Höhe von 24.504,10
€ für sich verwendet. Allerdings sind Einwirkungen auf das Versorgungsvermögen, welche die
Versorgungssituation verschlechtern, nur dann illoyal und damit im Rahmen des § 27 VersAusglG zu
berücksichtigen, wenn sie in Erwartung der Scheidung mit dem subjektiven Ziel, die Versorgungsbilanz zu
manipulieren, vorgenommen worden sind. Erforderlich ist ein bewusster Zusammenhang mit der
Scheidung in dem Sinn, dass die zu erwartende Entscheidung über den Versorgungsausgleich das
bestimmende Motiv des Verhaltens des Ausgleichsberechtigten gewesen ist (Palandt/Brudermüller,
§ 27 VersAusglG, Rdn. 34). Wenn hingegen andere billigenswerte Gründe, die nicht im Zusammenhang
mit der Scheidung stehen, das Verhalten zumindest auch wesentlich mitbestimmt haben, wird der
Ausgleichsanspruch nicht berührt. Nicht unbillig sind auch Entscheidungen, die von beiden Ehegatten in
Kenntnis der negativen Folgen gemeinsam getragen werden oder die der andere Ehegatte letztlich
akzeptiert. So liegt der Fall hier.
Die Antragstellerin hat selbst auf ihrem Konto am 6. Januar 2004 den Abfindungsbetrag für die Auflösung
der Pensionszusage entgegengenommen, nachdem die Auflösung dieser Alterssicherung des
Antragsgegners bereits spätestens im September 2003 beschlossen war, wie die Gehaltsabrechnung vom
29. September 2003, in der der Auflösungsbetrag im Verhältnis zur Arbeitgeberin des Antragsgegners mit
23.411,50 € abgerechnet wird, ausweist. Die Antragstellerin konnte dem Text des Kontoauszugs
entnehmen, dass der Betrag in Höhe von 24.504,10 € aus der aufgelösten betrieblichen
Rentenversicherung stammte. Daraus folgt, dass sie spätestens bei Erhalt des Geldes über die
Transaktion zumindest informiert war. Zu diesem Zeitpunkt haben die Eheleute noch zusammen gelebt,
die Trennung erfolgte erst im Juni 2004. Ein Zusammenhang zwischen der Auflösung der
Altersversorgung und der später erfolgten Trennung und Scheidung kann ausgeschlossen werden. Auch
hat die Antragstellerin dem Antragsgegner zwei Tage später den Betrag ohne Vorbehalte zur eigenen
Verfügung ausgehändigt, obwohl sie wusste, dass zwar der Zugewinnausgleich durch notariellen
Ehevertrag vom 12. November 2001 ausgeschlossen war, nicht jedoch der Versorgungsausgleich. Es
kann deshalb dahinstehen, ob der Antragsgegner den empfangenen Betrag für betriebliche oder private
Zwecke verwendet hat.
Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin die Verschlechterung der
Versorgungssituation des Antragsgegners mit getragen oder zumindest in Kauf genommen hat. Dann
muss sie diese nunmehr auch gegen sich gelten lassen. Eine Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz ist
aus Billigkeitsgründen nicht geboten. Dem steht die unstreitige Motivation der Beteiligten bei Eingehung
der Ehe, ihre beiderseitigen Vermögensbereiche getrennt halten zu wollen, nicht entgegen. Die zugleich
mit dem Ausschluss des Zugewinnausgleichs getroffene gegenseitige erbvertragliche Erbeinsetzung lässt
nämlich darauf schließen, dass die beabsichtigte Vermögenstrennung jedenfalls nicht den Bereich der
Versorgung erfassen sollte, zumal auch ein Unterhaltsausschluss für den Fall der Scheidung nicht
vereinbart wurde. Es erscheint deshalb auch vor dem Hintergrund des Ehevertrages nicht unbillig, den
Versorgungsausgleich nach den gesetzlichen Vorschriften zu regeln.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 81 Abs. 1, 84 FamFG.
Den Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren setzt der Senat gemäß § 50 Abs. 1 FamGKG fest.
Hierbei ist jedes verfahrensrechtliche Anrecht zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn insoweit ein
Ausgleich nicht stattfindet (ThürOLG, Beschluss vom 29. Juli 2010, 1 UF 179/10, zitiert nach juris). Die
Nettoeinkommen der beteiligten Eheleute werden entsprechend der Streitwertfestsetzung des
Familiengerichts für die Ehescheidung zugrunde gelegt.
Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG im Hinblick auf die Abweichung der
Entscheidung vom Beschluss des OLG Oldenburg (FamRZ 2010, 983) zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung zugelassen.
Burger Euskirchen Hengesbach