Urteil des OLG Zweibrücken vom 02.02.2011

OLG Zweibrücken: subsidiäre zuständigkeit, gemeinnützige arbeit, erstinstanzliches gericht, widerruf, akte, ratenzahlung, einwendung, antritt, verfügung, bindungswirkung

Strafrecht
OLG
Zweibrücken
02.02.2011
1 VAs 1/11
Zur Zuständigkeit beu Einwendungen gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde
Aktenzeichen:
1 VAs 1/11
1 VAs GStA 1/11
7295 Js 16231/02
StA Landau in der Pfalz
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In dem Vollstreckungsverfahren gegen
X.
wegen versuchter Nötigung
hier:
§§ 23 ff. EGGVG
hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht M., den Richter am Oberlandesgericht C. und den
Richter am Landgericht S.
am 2. Februar 2011
beschlossen:
Der Strafsenat ist für die Entscheidung in vorliegender Sache nicht zuständig und übersendet die Akten
daher an das zuständige Amtsgericht G.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht G. hat X. durch Urteil vom 2. Februar 2004 wegen versuchter Nötigung in zwei Fällen
verwarnt und dessen Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 €
vorbehalten. Mit Bewährungsbeschluss vom selben Tag hat es die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt
und die Auflage erteilt, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten.
Wegen erneuter Straffälligkeit widerrief die Strafrichterin des Amtsgerichts G. mit Beschluss vom 23. Mai
2007 – BRs 32/04 – die vorbehaltene Gesamtgeldstrafe unter Anrechnung von 20 Tagessätzen für die
Erfüllung der obengenannten Auflage.
Die Staatanwaltschaft L. forderte den Verurteilten mit Schreiben vom 30. Juli 2007 erfolglos zur Zahlung
der Geldstrafe auf. Deswegen ordnete sie mit Verfügung vom 10. Dezember 2007 die Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafe an (§ 459 e Abs. 1 StPO) und teilte dem Verurteilten zugleich den Termin zum Antritt
der Ersatzfreiheitsstrafe mit. Daraufhin beantragte der Verurteilte um Gestattung, die Ersatzfreiheitsstrafe
durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden. Diesem Antrag gab die Staatsanwaltschaft statt. Da der
Verurteilte aus verschiedenen Gründen keinerlei Arbeitsstunden abgeleistet hatte, widerrief die
Staatsanwaltschaft am 23. Dezember 2009 die Gestattung und ordnete gleichzeitig die Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafe an. Einen erneuten Antrag des Verurteilten auf Abwendung der Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit lehnte die Staatsanwaltschaft am 10. Februar 2010 ab und forderte
ihn zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe auf. Aufgrund weiterer Eingaben des Verurteilten gestattete die
Staatsanwaltschaft dem Verurteilten erneut, die Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuleisten. Wegen
unterbliebener freier Arbeitsleistung widerrief die Staatsanwaltschaft am 30. August 2010 erneut die
Gestattung, lehnte das Gesuch um Ratenzahlung betreffend die verhängte Gesamtgeldstrafe ab und
ordnete die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe an.
Hiergegen hat der Verurteilte mit Schreiben vom 3. September 2010 Einwände vorgebracht, die er mit
Schreiben vom 30. September, 4. und 11. Oktober und 8. November 2010 näher erläuterte. Mit den
Eingaben strebt er die Gewährung einer Ratenzahlung in Bezug auf die Gesamtgeldstrafe bzw. die
Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch Ableistung freier Arbeit an.
Nachdem die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 22. September 2010 die Akte dem Amtsgericht G. zur
Entscheidung über die erhobenen Einwendungen gemäß § 458 Abs. 1 StPO vorgelegt hatte, wies das
angerufene Gericht mit Beschluss vom 18. November 2010 die Einwendungen des Verurteilten als
unbegründet zurück. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 23. November 2010 zugestellt.
Mit einem beim Amtsgericht G. am 23. November 2010 eingegangenen Schreiben hat sich der Verurteilte
mit den Worten „Wieder Spruch Insgesamt“ offensichtlich gegen die ergangene Entscheidung des
Amtsgerichts gewandt.
Die Staatsanwaltschaft hat dieses Schreiben als Beschwerde des Verurteilten gegen den gerichtlichen
Beschluss angesehen, die Akte dem Landgericht L. als Beschwerdegericht vorgelegt und beantragt, das
Rechtsmittel aus den zutreffenden Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung zu verwerfen.
Ohne Anhörung der Verfahrensbeteiligten hat die 3. Strafkammer des Landgerichts L. mit Entscheidung
vom 4. Januar 2011 den Beschluss des Amtsgerichts G. vom 18. November 2010 aufgehoben und die
Beschwerde an das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken zur Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG
verwiesen. Dies wurde damit begründet, dass das Amtsgericht G. zur Entscheidung über das
„Rechtsmittel“ des Verurteilten nicht zuständig gewesen sei. Der Verurteilte wende sich mit seinem
„Rechtsmittel“ gegen den Widerruf der Bewilligung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch
freie Arbeit. Zur Entscheidung über die Einwendungen des Verurteilten in diesem Bereich der
Vollstreckung der Staatsanwaltschaft, die landesverordnungsrechtlich geregelt ist, sei der Rechtsweg zum
Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken gem. §§ 23 ff EGGVG gegeben.
II.
Entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts ist der angerufene Strafsenat für die Entscheidung über die
Einwendungen des Verurteilten betreffend den Widerruf der Gestattung, die Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden, und der Ablehnung einer
Ratenzahlungsvereinbarung für die verhängte Gesamtgeldstrafe nicht zuständig. Bei den Entscheidungen
der Vollstreckungsbehörde handelt es sich zwar jeweils um eine Maßnahme zur Regelung einer
Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege im Sinne von § 23 EGGVG, doch können diese durch
einen anderen Rechtsbehelf angegriffen werden.
Über Einwendungen gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde nach den §§ 459a, 459c, 459e
und 459g entscheidet gemäß § 459h Abs. 1 StPO das Gericht; dies ist in der Regel das Gericht des ersten
Rechtszugs (§ 462a Abs. 2 StPO). Über Einwendungen gegen eine Maßnahme des Rechtspflegers, dem
die Geschäfte der Vollstreckungsbehörde nach den §§ 459 ff. übertragen sind (§ 31 Abs. 2 Satz 1 RpflG)
entscheidet ebenfalls das Gericht (§ 31 Abs. 6 Satz 1 RpflG). Damit entfällt gemäß § 23 Abs. 3 EGGVG die
nur subsidiäre Zuständigkeit des Oberlandesgerichts. § 459 h schließt somit in seinem
Anwendungsbereich den Rechtsweg nach §§ 23 ff EGGVG aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., §
459h Rdnr. 1).
1.
Die nachträgliche Gewährung von Zahlungserleichterungen durch die Vollstreckungsbehörde ist in §
459a StPO geregelt. Über Einwendungen des Verurteilten gegen die Ablehnung von
Zahlungserleichterungen durch den Rechtspfleger entscheidet gemäß § 31 Abs. 6 RPflG nach § 459h das
Gericht des ersten Rechtszugs; hier das Amtsgericht G.. Damit entfällt bereits für diesen Teil der
Entscheidung des Rechtspflegers die nur subsidiäre Zuständigkeit des Senat (§ 23 Abs. 3 EGGVG).
2.
Für die Einwendungen des Verurteilten gegen den Widerruf der Gestattung, die Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden, ist ebenfalls das Gericht des ersten Rechtszugs
gemäß § 459 h StPO zuständig.
Dem steht nicht entgegen, dass die auf der Ermächtigungsbestimmung von Art. 293 EGStGB ergangene
rheinland-pfälzische Landesverordnung über die Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe
durch freie Arbeit (GVBl. 1988,110) nicht ausdrücklich in § 459h StPO erwähnt ist. Denn die Entscheidung
der Vollstreckungsbehörde, die Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit
zu widerrufen (§ 6 Landesverordnung über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen
durch freie Arbeit), ist zugleich eine Anordnung über die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Sinne
von § 459e Abs. 1 StPO, der in § 459h StPO zitiert ist.
Ist die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe gegen einen Verurteilten angeordnet, kann ihm die
Vollstreckungsbehörde auf seinen Antrag gestatten, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch
Arbeit abzuwenden (§ 1 Landesverordnung über die Abwendung der Vollstreckung von
Ersatzfreiheitsstrafen durch freie Arbeit). Wird dem Antrag stattgegeben, darf die Ersatzfreiheitsstrafe nicht
vollstreckt werden, weil ein Vollstreckungshindernis besteht. Hat der Verurteilte die erforderliche
Arbeitsleistung vollständig erbracht, ist die Ersatzfreiheitsstrafe erledigt. Lehnt die Vollstreckungsbehörde
aber den Antrag ab oder widerruft sie die Gestattung, so verbleibt es – unbeschadet der immer
bestehenden Abwendungsmöglichkeit durch Zahlung der Geldstrafe gemäß § 459 e Abs. 4 StPO – bei der
Anordnung, dass die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wird.
Somit ist die Gestattung gemeinnütziger Arbeit eng mit § 459e StPO verbunden. Mit dem Entschluss, die
Bewilligung gemeinnütziger Arbeit abzulehnen oder die ursprünglich erteilte Gestattung zu widerrufen,
wird mittelbar immer auch eine Entscheidung über das „ob“ der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe
getroffen. Die gegen die Versagung oder den Widerruf der Gestattung gerichteten Einwendungen des
Verurteilten zielen deshalb rechtspraktisch zugleich gegen die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe.
(Vgl. hierzu OLG Koblenz NStZ–RR 2010, 190; BGHSt 54, 25 ff.; OLG Karlsruhe NStZ–RR 2009, 220).
Der Begriff der „Entscheidungen“, die unter die Regelung des § 459h StPO fallen, ist weit zu fassen. Er
umfasst alle Maßnahmen und Anordnungen, unabhängig davon, ob ein Ermessensspielraum besteht
oder nicht. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die
StPO oder, wie hier, auf Art. 293 EGStGB gestützte landesrechtliche Rechtsverordnung zur Grundlage
haben. Die Bedeutung des im Jahr 1974 eingeführten § 459h StPO besteht nämlich darin, dass er die
richterliche Zuständigkeit bei Einwendungen gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde
zusammenfassend regelt und den Rechtsweg gemäß § 23 EGGVG gerade ausschließen soll. Damit soll
eine Zweigleisigkeit der Rechtsbehelfe vermieden werden (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2009, 220).
Dieser Intention des Gesetzgebers läuft die vom Landgericht vertretene Rechtsauffassung zuwider. Denn
dies würde für die vorliegende Fallkonstellation bedeuten, dass über die Einwendung gegen die
Versagung einer Ratenzahlung das Amtsgericht G. als erstinstanzliches Gericht befinden müsste und über
die Einwendung gegen den Widerruf der Gestattung, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie
Arbeit abzuwenden, der Strafsenat beim Pfälzischen Oberlandesgericht. Dies widerspricht einer zügigen
Vollstreckung der verhängten Strafe.
3.
Aufgrund dessen ist dem Amtsgericht G. als zuständigem Gericht erneut die Akte zur Entscheidung
vorzulegen.
4.
Der erneuten Vorlage der Akte an das Amtsgericht G. steht nicht entgegen, dass ein
Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des
Rechtsweges grundsätzlich bindend ist, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Eine solche Bindungswirkung besteht
nicht, wenn das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten verletzt wurde (Kissel/Mayer, GVG, 6. Aufl., §
17 Rdnr. 39.
So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat weder die Staatsanwaltschaft noch den Verurteilten gemäß §
17a Abs. 2 Satz 1 GVG angehört. Gegen eine Bindungswirkung spricht auch, dass das Amtsgericht G.
bereits mit seinem Beschluss vom 18. November 2010 eine bindende Entscheidung über die Zulässigkeit
des Rechtsweges getroffen hatte. Weder die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte noch das zur
Entscheidung berufene Amtsgericht G. hatten Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtswegs. Daher
hatte das Amtsgericht in der Sache entschieden und damit konkludent die Zulässigkeit des Rechtswegs
verbindlich bejaht und einem weiteren Streit entzogen (vgl. Zöller-Lückemann, ZPO, 28. Aufl., § 17a Rdnr.
5).
M. C. S.