Urteil des OLG Zweibrücken vom 03.02.2011

OLG Zweibrücken: aufsichtsrat, wichtiger grund, corporate governance, amtszeit, einstweilige verfügung, aktiengesellschaft, zukunft, abstimmung, ergänzung, abberufung

OLG
Zweibrücken
03.02.2011
4 U 76/10
Feststellung der Unwirksamkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen
Aktenzeichen:
4 U 76/10
2 HKO 89/09
LG Frankenthal (Pfalz)
Verkündet am: 3. Februar 2011
Sefrin, Justizhauptsekretärin als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
U r t e i l
In dem Rechtsstreit
F...
R....
Berufungskläger und Kläger,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ..., ..., ...,
gegen
H... B... AG
Berufungsbeklagte und Beklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ..., ..., ...,
wegen Feststellung der Unwirksamkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen,
hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Petry, den Richter am Oberlandesgericht Friemel
und die Richterin am Amtsgericht Wilhelm
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2011
für Recht erkannt:
I.
Frankenthal (Pfalz) vom 22. April 2010 geändert:
1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Auf–
sichtsrats der Beklagten vom 6. Juli 2007 über die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung des Herrn
A... K...zum Vorstand der Beklagten mit sofortiger Wirkung unter gleichzeitiger Wiederbestellung zum
Vorstand der Beklagten mit einer Amtszeit vom 7. Juli 2007 bis zum 6. Juli 2012 (AR–Nr. 14/2007) nichtig
ist.
2. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Auf–
sichtsrats der Beklagten vom 6. Juli 2007 über die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung des Herrn
G... B... zum Vorstand der Beklagten mit sofortiger Wirkung unter gleichzeitiger Wiederbestellung zum
Vorstand der Beklagten mit einer Amtszeit vom 7. Juli 2007 bis zum 6. Juli 2012 (AR–Nr. 12/2007) nichtig
ist.
II.
III
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 9.000,00 € abwenden, wenn nicht der Kläger
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
G r ü n d e :
I.
Die beklagte Aktiengesellschaft ist ein mittelständisches Bauunternehmen mit mehreren Niederlassungen
und Schwestergesellschaften in Deutschland und im Ausland. Ihre Anteile sind so verteilt, dass 90 % der
Aktien bei einer offenen Handelsgesellschaft liegen, deren alleinige Gesellschafter mit jeweils gleicher
Beteiligung die Brüder E... und B... H... sind. Weitere 5 % der Aktien liegen in den Händen der I... H..., der
Ehefrau von E... H..., die restlichen 5 % der Anteile bei den Kindern des B... H... (C... B... und S... H...).
Zwischen den Familienstämmen des B... und des E... H.... bestehen seit längerem erhebliche
Spannungen, wie dem Senat u.a. aus dem Verfahren 4 U 196/09 bekannt ist.
Der Aufsichtsrat der Beklagten besteht aus 6 Mitgliedern. In den Jahren 2005 und 2006 bestellte der
Aufsichtsrat A... K...und G... B... (Ehemann der Aktionärin C... B...) für 5 Jahre zu Mitgliedern des
Vorstandes. Durch Beschlüsse vom 6. Juli 2007 wurden die Bestellungen der beiden Vorstandsmitglieder
einvernehmlich aufgehoben; der Aufsichtsrat bestellte zugleich beide für die Dauer von 5 Jahren erneut
zu Mitgliedern des Vorstandes. In derselben Aufsichtsratssitzung legte das weitere Mitglied des
Vorstandes J... sein Amt nieder und übernahm mit Arbeitsvertrag vom selben Tag eine Tätigkeit für die
Beklagte in A... D.... Die Vorstandsmitglieder B... und K... übernahmen im Folgenden die
Tätigkeitsbereiche des ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds J.... Am 7. Juli 2007 wählte die
Hauptversammlung der Beklagten einen neuen Aufsichtsrat. Dieser stimmte am 26. Oktober 2009 über die
Abberufung der Vorstandsmitglieder K... und B... ab. Bei dieser Abstimmung kam es in dem 6–köpfigen
Aufsichtsrat zu einer Patt–Situation. Gleichwohl stellte der damalige Vorsitzende des Aufsichtsrates als
Ergebnis der Abstimmung fest, dass die Abberufung der Vorstände beschlossen sei. Die Vorstände K...
und B... haben deshalb zunächst in dem Verfahren
1 HK 0 47/09 (Landgericht Frankenthal) beantragt, der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu
untersagen, den Widerruf ihrer Bestellung festzustellen oder zu vollziehen. Durch Urteil vom 1. Dezember
2009 hat das Landgericht auf den Widerspruch der Beklagten eine von ihm am 6. November 2009
entsprechend den Anträgen der Vorstände erlassene einstweilige Verfügung bestätigt. Die dagegen
gerichtete Berufung der Beklagten ist durch Beschluss des Senats vom 23. Juni 2010 (Az. 4 U 196/09,
veröffentlicht in MDR 2010, 1406) als unzulässig verworfen worden. In dem Hauptsacheverfahren (Az. 1
HKO 50/09 Landgericht Frankenthal/Pfalz) hat das Landgericht durch Urteil vom 11. Mai 2010 festgestellt,
dass der in der Aufsichtsratssitzung vom 26. Oktober 2009 ergangene Beschluss nicht wirksam ist. Die
dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat der Senat durch Beschluss vom 4, Januar 2011 (Az. 4 U
94/10) als unzulässig verworfen.
Der Kläger ist seit 21. August 2008 Mitglied des Aufsichtsrats. Er wurde von dem Familienstamm E... H...
vorgeschlagen.
Er begehrt mit seiner im Juli 2009 beim Landgericht eingegangenen Klage die Feststellung, dass die am
6. Juli 2007 gefassten Beschlüsse des Aufsichtsrats über die einvernehmliche Aufhebung der
Organstellung und Neubestellung der Vorstandsmitglieder K... und B.... nichtig sind.
Durch das angefochtene Urteil (veröffentlicht in BB 2010, 1626), auf welches zur Ergänzung der
Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat die 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Frankenthal (Pfalz) die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen.
Mit seiner Berufung bekämpft der Kläger das Urteil in vollem Umfang. Er rügt die Rechtsauffassung und
die Beweiswürdigung des Landgerichts. Zur Begründung wiederholt und vertieft er im Wesentlichen
seinen erstinstanzlichen Vortrag.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und
a) festzustellen, dass der Beschluss des Aufsichtsrats
der Beklagten vom 6. Juli 2007 über die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung des Herrn A... K...
zum Vorstand der Beklagten mit sofortiger Wirkung unter gleichzeitiger Wiederbestellung zum Vorstand
der Beklagten mit einer Amtszeit vom 7. Juli 2007 bis zum 6. Juli 2010 (AR–Nr. 14/2007) nichtig ist.
b) dass der Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten
vom 6. Juli 2007 über die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung des Herrn G... B... zum Vorstand der
Beklagten mit sofortiger Wirkung unter gleichzeitiger Wiederbestellung zum Vorstand der Beklagten mit
einer Amtszeit vom 7. Juli 2007 bis zum 6. Juli 2012 (AR–Nr. 12/2007) nichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung unter Vertiefung ihres dortigen Vorbringens.
Auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden wird zur Ergänzung
des Tatbestands Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers führt zum Erfolg. Die Beschlüsse des Aufsichtsrats der Beklagten vom
6. Juli 2007 über die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung der Vorstandsmitglieder K... und B... bei
gleichzeitiger Neubestellung als Vorstände für 5 Jahre sind wegen Umgehung des Verbots in § 84 Abs. 1
AktG gemäß § 134 BGB nichtig.
Im Einzelnen gilt dazu Folgendes:
1. Die Feststellungsklage des Klägers als Mitglied des Aufsichtsrates der Beklagten ist zulässig.
Eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses des Aufsichtsrates ist möglich. § 241 AktG
findet insoweit keine Anwendung. Die Klage ist gegen die Gesellschaft und nicht gegen den Aufsichtsrat
zu richten (BGH Urteil vom 17. Mai 1993 – II ZR 89/92 – m.w.N.; 25. Februar 1982 – II ZR 102/81 – m.w.N.
bei juris).Das Feststellungsinteresse des Aufsichtsratsmitglieds folgt aus seiner Organstellung und der
sich daraus ergebenden gemeinsamen Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der von den Aufsichtsräten
gefassten Beschlüsse. Den einzelnen Aufsichtsrat trifft nicht nur das Recht – und die Pflicht – die ihm im
Rahmen seiner Organtätigkeit zugewiesenen Aufgaben in Übereinstimmung mit den Anforderungen, die
Gesetz und Satzung an die Erfüllung stellen, wahrzunehmen; aus seiner organschaftlichen Stellung ergibt
sich zumindest auch das Recht, darauf hinzuwirken, dass das Organ, dem er angehört, seine
Entscheidung nicht in Widerspruch zu Gesetzes– und Satzungsrecht trifft. Kann das Aufsichtsratsmitglied
dieses Ziel im Rahmen der Diskussion und Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat nicht erreichen, ist es
berechtigt, eine Klärung auf dem Klagewege anzustreben. Deshalb folgt das rechtliche Interesse eines
Aufsichtsrates an der Feststellung der Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses aus seiner Stellung als
Mitglied des Aufsichtsrats (BGH Urteil vom 21. April 1997 – II ZR 175/95 –; 25. Februar 1982 aaO).
Vorliegend handelt es sich allerdings nicht um einen Beschluss, an welchem der Kläger mitgewirkt hat
und in welchem er überstimmt wurde, sondern um eine Entscheidung, die der Aufsichtsrat vor der
Bestellung des Klägers getroffen hat und für welche er keine Verantwortung trägt. Da der Kläger keine
Möglichkeit hatte, auf die Beschlussfassung einzuwirken, hat er insbesondere keine Regressansprüche
(§ 117 AktG) wegen seiner Mitwirkung an rechtswidrigem Organhandeln zu befürchten. Auch ist zu
beachten, dass ein berechtigtes Interesse daran bestehen kann, dass die Fehlerhaftigkeit von
Aufsichtsratsbeschlüssen nicht von einem zu großen Personenkreis (zeitlich unbeschränkt) geltend
gemacht werden kann (BGH Urteil vom 17. Mai 1993 aaO; OLG Düsseldorf NJW–RR 1995, 1371).
Dennoch liegt ein rechtliches Interesse des Klägers vor, dass die Nichtigkeit der streitgegenständlichen
Beschlüsse festgestellt wird, die vor seiner Zugehörigkeit zu dem Organ gefasst wurden. Zu den Aufgaben
des Aufsichtsrats gehört es, die Gesellschaftsinteressen umfassend wahrzunehmen. Dazu gehört auch,
die Nichtigkeit solcher Beschlüsse feststellen zu lassen, die für die Zukunft die Verhältnisse der
Gesellschaft prägen. Ebenso wie der neu in den Aufsichtsrat eingetretene Kläger bei Nichtigkeit zuvor
gefasster Beschlüsse im Aufsichtsrat darauf hätte hinwirken können, dass diese neu in gesetzes– und
satzungskonformer Weise gefasst werden (vgl. hierzu Hopt/Roth GK–AktG 4. Aufl. § 108 Rdnr. 71 m.w.N.),
muss ihm auch ein rechtliches Interesse an der Feststellung zugebilligt werden, dass die Nichtigkeit eines
die Verhältnisse der Gesellschaft maßgeblich beeinflussenden Beschlusses – wie hier die
Zusammensetzung ihres Vorstandes -, der vor seiner Amtszeit gefasst wurde, aber in die Zukunft hinein
fortwirkt, festgestellt wird. Denn ihm ist nicht zuzumuten, sich nichtigen Aufsichtsratsbeschlüssen zu
unterwerfen, welche negative Auswirkungen für die Gesellschaft haben können (vgl. OLG Düsseldorf
aaO).
2. Der geltend gemachte Anspruch auf Nichtigkeitsfeststellung ist auch nicht verwirkt.
Da – wie ausgeführt – §§ 241 ff. AktG nicht anwendbar sind, stellt sich die Frage, ob eine Nichtigkeitsklage
unter Verwirkungsgesichtspunkten zu begrenzen ist. Das wird bei minderschweren Fällen, insbesondere
solchen, die nicht zu einer Nichtigkeit, sondern nur einer Anfechtbarkeit des gefassten Beschlusses
führen, angenommen. Eine dahinlautende Klage muss mit der unter den gegebenen Verhältnissen
zumutbaren Beschleunigung geltend gemacht werden (BGH Urteil vom 17. Mai 1993 aaO). Das gilt aber
nicht ebenso für einen Aufsichtsratbeschluss, der in der Form seines Zustandekommens oder in seinem
Inhalt gegen Gesetz oder Satzung verstößt und deshalb nichtig ist (OLG Düsseldorf, aaO; Habersack in
MüKo. AktG 3. Aufl. § 108 Rdnrn. 78, 81, Oetker in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 10. Aufl. § 108
Rdnr. 13; vgl. auch BGH Urteil vom 17. Mai 1993 aaO). Hier geht es um einen Gesetzesverstoß, nämlich
um einen Verstoß gegen § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG.
um einen Verstoß gegen § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG.
3. Die vom Aufsichtsrat der Beklagten am 6. Juli 2007 gefassten Beschlüsse, durch welche im Ergebnis
die Bestellungszeit der Vorstandsmitglieder K... und B... vorzeitig verlängert wurde, sind wegen
Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG nichtig. Die Vorschrift des § 84 Abs. 1 AktG stellt ein gesetzliches
Verbot im Sinne von § 134 BGB dar.
Nach dieser Vorschrift können Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft höchstens auf 5 Jahre
bestellt werden; eine Verlängerung bedarf eines erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens 1 Jahr
vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden kann (§ 84 Abs. 1 Satz 3 AktG). Vorliegend erfolgte die
(einvernehmliche) Aufhebung und Neubestellung der erst im Januar 2005 (B...) und April 2006 (K...)
bestellten Vorstandsmitglieder am 6. Juli 2009 deutlich außerhalb der in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG
genannten Jahresfrist vor Ablauf ihrer Amtszeit.
Umstritten ist, ob eine solche Aufhebung der bisherigen Bestellung und die erneute Bestellung eines
Vorstandsmitglieds außerhalb dieser Jahresfrist rechtlich möglich ist, oder ob ein solcher Beschluss eine
unzulässige Umgehung des Sinns und Zwecks der Verbotsnorm des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG darstellt.
Teilweise wird eine Zulässigkeit unter Hinweis auf den von der vom Bundesjustizministerium im
September 2001 eingesetzten Regierungskommission am 26. Februar 2002 verabschiedeten deutschen
Corporate Governance Kodex (im Folgenden DCDK genannt) bejaht. Nach Ziffer 5.1.2 Abs. 2 des DCDK
soll eine Wiederbestellung eines Vorstandsmitgliedes vor Ablauf eines Jahres vor dem Ende der
Bestelldauer bei gleichzeitiger Aufhebung der laufenden Bestellung bei Vorliegen besonderer Umstände
möglich sein (vgl. zum Meinungsstand der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme vgl. Kort GK–AktG aaO §
84 Rdnr. 113 ff.; Spindler in MüKo. aaO 3. Aufl. § 84 Rdnr. 44; Hüffer AktG 9. Aufl. § 84 Rdnr. 7;
Mertens/Cahn KK–AktG 3. Aufl. § 84 Rdnr. 23; Bastian BB 2010, 1628 jew. m.w.N.; Rasmussen-Bonne
GWR 2010, 181).
Der Senat ist hierzu der Auffassung, dass es sich bei der in Rede stehenden rechtlichen Gestaltung um
eine unzulässige Umgehung des eindeutigen Gesetzeszwecks handelt (ebenso: AG Duisburg NZI 2008,
621). Der Normzweck des § 84 Abs. 1 AktG über die zeitliche Begrenzung der Bestellung eines
Vorstandes einer Aktiengesellschaft besteht darin, dass damit die Personalkompetenz des Aufsichtsrates
gesichert werden soll; die Gesellschaft soll die Möglichkeit habe, alle fünf Jahre den Posten eines
Vorstandes zu überprüfen und sich ohne Gefahr rechtlicher Auseinandersetzungen oder wirtschaftlicher
Zwänge von einem Vorstandsmitglied zu trennen (Rasmussen-Bonne aaO). Bei vorzeitigem Ausscheiden
eines Vorstandsmitglieds sind regelmäßig hohe Abfindungen zur Abgeltung der Restlaufzeit zu bezahlen;
dieses Risiko steigt mit zunehmender Bestelldauer (Spindler in MüKo. aaO Rdnr. 35). Die
Wiederbestellung eines Vorstandsmitgliedes ist deshalb für den Aufsichtsrat keine bloße Pflichtübung,
sondern setzt wie bei der erstmaligen Bestellung eine konkrete Auseinandersetzung u.a. mit der Person
des wieder zu Bestellenden, insbesondere, ob er bisher den gestellten Anforderungen gerecht wurde,
voraus (Spindler aaO Rdnr. 45). Vom Aufsichtsrat wird eine verantwortliche Beratung über die
Weiterbeschäftigung eines Vorstandsmitgliedes gefordert (Mertens/Cahn aaO § 84 Rdnr. 13). Eine
verantwortungsbewusste Prüfung in diesem Sinne setzt deshalb einen gewissen Zeitraum voraus, in
welchem sich das erneut zu bestellende Vorstandsmitglied bewährt hat. Damit wäre es nicht in Einklang
zu bringen, wenn es im Belieben des Aufsichtsrats stünde, vor dem in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG bestimmten
Zeitpunkt über dessen Weiterbestellung zu entscheiden. Auch wäre zu befürchten, dass die Entscheidung
nicht mit dem geforderten Ernst getroffen wird (Kort GK aaO § 84 Rdnr. 114; Mertens/Cahn aaO Rdnr. 23).
Mit Recht hat deshalb auch das Bundesarbeitsgericht eine gegen § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG verstoßende
Verlängerungsklausel des Anstellungsvertrages eines Vorstandsmitglieds als wegen Umgehung einer
zwingenden Rechtsnorm nach § 134 BGB nichtig erachtet (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. August
2009 – 5 AZR 522/08 – bei juris, insbesondere Rdnrn. 27 ff.). Dahinstehen kann, ob bei langjährig
bewährten Vorstandskräften Umstände vorliegen können, die eine andere Beurteilung rechtfertigen. Im
vorliegenden Fall, in dem die Vorstände erst seit einem bzw. zwei Jahren, also relativ kurze Zeit im Amt
waren, verbietet sich ein Abweichen von der gesetzlichen Regelung. Die Verlängerungsbeschlüsse
beruhten offenkundig nicht auf sachlichen Erwägungen, sondern wurden vor dem Hintergrund der
Streitigkeiten zwischen den Familienstämmen gefasst, um für den am nächsten Tag von der
Hauptversammlung zu wählenden neuen Aufsichtsrat „vollendete Tatsachen“ zu schaffen.
Die Erwähnung einer vorzeitigen Wiederbestellung in Ziff. 5.1.2 des DCGK rechtfertigt keine vom
eindeutigen Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung. Es handelt sich dabei lediglich um eine
unverbindliche Empfehlung einer unabhängigen Expertengruppe, die weder unmittelbare noch mittelbare
Gesetzeskraft hat und noch nicht einmal einen Handelsbrauch darstellt (OLG Schleswig ZIP 2004, 1143;
AG Duisburg NZI 2008, 621, 622; Semler in MüKo. aaO 2. Aufl. § 161 Rdnr. 29 m.w.N.; Hüffer aaO § 161
Rdnrn. 3, 4 m.w.N.).
4. Wollte man gleichwohl anderer Auffassung sein und mit dem Landgericht davon ausgehen, dass Ziff.
5.1.2 des DCGK zu einer einschränkenden Auslegung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG führt, würde sich
dennoch daraus nichts zugunsten der Beklagten ergeben.
Denn es ist anerkannt, dass die in Ziff. 5.1.2 Abs. 2 des DCGK genannten „besonderen Umstände“, wollte
man sie anerkennen jedenfalls auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt werden müssen und davon
nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden darf (vgl. Semler aaO Rdnr. 405).Besondere
Gründe in diesem Sinne werden z.B. darin gesehen, dass im Vorstand eine Änderung der
Sachbereichszuständigkeit eintritt, dass das betroffene Vorstandsmitglied zum Vorstandsvorsitzenden
berufen wird oder ein Angebot von dritter Seite erhält (vgl. Spindler aaO § 84 Rdnr. 44). Nach Auffassung
von Hüffer (aaO § 84 Rdnr. 7) soll eine vorzeitige Wiederbestellung in Betracht kommen, wenn ein
regulärer Ablauf der 5–Jahresfrist nicht zu erwarten steht.
Ein besonderer Grund in diesem Sinne hätte am 6. Juli 2007 nicht nachgewiesenermaßen vorgelegen.
a) Der Umstand, dass das (weitere) Vorstandsmitglied J... in der Aufsichtsratssitzung vom 6. Juli 2007 sein
Vorstandsamt niedergelegt hat und sein Zuständigkeitsbereich (vorübergehend) von den
Vorstandsmitgliedern B... und K.. mit übernommen wurden, wäre kein ungewöhnlicher Umstand. Es stand
der Beklagten frei, die Stelle des Vorstandsmitglieds J... neu zu besetzen. Ein Erfordernis, die Amtszeit der
übrigen Vorstandsmitglieder zu verlängern, ergab sich daraus nicht.
b) Die Beklagte hat nicht bewiesen, dass eine Abwanderung der Vorstandsmitglieder B... und K... damals
konkret zu befürchten war.
Ihr Vorbringen dazu ist – worauf der Kläger mit Recht hingewiesen hat – vage. Nachdem die Beklagte
zunächst behauptet hat, das Vorstandsmitglied K... habe Angebote zum Erwerb einer Steuerberaterpraxis
„S...T... GmbH“ in S..., sowie Angebote des TÜV S.. (für den Bereich O...) und einer Fa. M... B...
(Geschäftsführer für den Bereich O...), sowie – gemeinsam mit dem Vorstandsmitglied B... – ein Angebot
einer Fa. Z... gehabt, der Kläger diesen Vortrag bestritten und darauf hingewiesen hat, dass die „S... T...
GmbH“ bereits im Jahre 2007 anderweitig veräußert worden sei, hat die Beklagte sich darauf
zurückgezogen, das Vorstandsmitglied B... habe lediglich seinen Marktwert durch Gespräche mit
„Headhuntern“ getestet; bezüglich der Steuerberaterpraxis sei eine Rückgängigmachung des Verkaufs in
Erwägung gezogen worden; falls das Vorstandsmitglied K... bereit sei, die Praxis zu übernehmen. Zu den
weiteren (angeblichen) Angeboten hat die Beklagte keine Ausführungen mehr gemacht.
In der Beweisaufnahme vor dem Landgericht hat der Zeuge H... dazu ausgesagt, er habe von dem
weiteren Aufsichtsratsmitglied Dr. D... gehört, dass „zumindest Herr B...“ anderweitige Angebote gehabt
habe; es habe gewährleistet werden sollen, dass das Vorstandsmitglied B... der Firma erhalten bleibe,
weil dieser „auch selbst eine entsprechende Aussage für seine Zukunft gewünscht habe“. Der Zeuge Dr.
B... hat bekundet, er habe nur vom Hörensagen davon gewusst, dass eine Abwanderung „der Vorstände
… im Raum“ stehe; er habe gewusst, dass Herr K... Chancen gehabt habe, in ein Wirtschaftsunternehmen
zu wechseln.
Aus alldem ergibt sich nicht, dass tatsächlich konkret eine Abwanderung der Vorstandsmitglieder B... und
K... zu befürchten war, als der Aufsichtsrat am 6. Juli 2007 über deren vorzeitige Neubestellung beschloss.
Aus dem Vortrag der Beklagten und den Zeugenaussagen ergibt sich allenfalls, dass den beiden
Vorstandsmitgliedern – was nicht unüblich ist – möglicherweise Anfragen anderer Unternehmen über
einen etwaigen Eintritt bei ihnen vorlagen, diese aber nur allgemeiner Art waren, so dass ein Weggang
der Vorstandsmitglieder ernstlich nicht zu befürchten war. Ebensowenig hätte allein der Wunsch des
Vorstandsmitglieds B... nach einer Verlängerung die Neubestellung gerechtfertigt.
c) Gleiches gilt auch für den Umstand, dass bei regulärem Ablauf der Bestellungszeit der
Vorstandsmitglieder die Bestellungen der verbliebenen Vorstandsmitglieder (B..., K...und B... H...) nahezu
gleichzeitig endeten. Dieser Umstand war – worauf der Kläger zu Recht hinweist – bereits bei der
Bestellung der Vorstandsmitglieder B... und K... im Aufsichtsrat der Beklagten bekannt. Er hätte deshalb
keinen Grund geboten, alsbald nach ihrer Bestellung diese wieder (einvernehmlich) aufzuheben und eine
Neubestellung zu beschließen. Insbesondere ist nicht erkennbar, weshalb es dem Aufsichtsrat der
Beklagten nicht zuzumuten war, mit der Entscheidung über die Neubestellung der Vorstände bis zum
Beginn der in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG genannten Jahresfrist zu warten.
d) Auch eine Gesamtschau all dieser Umstände würde nicht die Annahme rechtfertigen, dass ein wichtiger
Grund für eine Neubestellung der Vorstandsmitglieder vorlag. Die eher abstrakten Befürchtungen, dass es
wegen der im Aufsichtsrat bekannten Streitigkeiten zwischen den Familienstämmen E... und B... H..., die
sich auch auf den Aufsichtsrat der Beklagten auswirkten, insbesondere einer möglichen Pattsituation zu
Schwierigkeiten bei der Besetzung der Vorstandsämter nach Ablauf der Bestellungszeit der berufenen
Vorstände kommen könnte oder die Vorstandsmitglieder B... und K... aus Verärgerung darüber vorzeitig
abwandern könnten, wären kein besonderer Umstand i.S.v. Nr. 5.1.2 Abs. 2 des DCGK, der
ausnahmsweise eine vorzeitige Neubestellung der Vorstandsmitglieder gerechtfertigt hätte.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf
§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
6. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der aktienrechtlichen Zulässigkeit einer
einvernehmlichen Aufhebung der Vorstandsbestellung bei gleichzeitiger vorzeitiger Neubestellung lässt
der Senat die Revision zu.
Petry Friemel Wilhelm