Urteil des OLG Zweibrücken vom 20.08.2002

OLG Zweibrücken: entziehung der elterlichen sorge, schutzwürdiges interesse, elterliche sorge, vorläufiger rechtsschutz, vollstreckbarkeit, zwangsvollstreckung, vergleich, beendigung, erwerbsfähigkeit

OLG
Zweibrücken
20.08.2002
5 UF 48/02
Aktenzeichen:
5 UF 48/02
1 F 4/01
Amtsgericht Neustadt .d.Weinstr.
Verkündet am: 10. September 2002
Schöneberger, Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Familiensache
J...
De...
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt P..., ...,
gegen
M...
D...
vertreten durch die Betreuerin K... W...-Sch..., ..., ...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin V..., ...,
wegen nachehelichen Unterhalts,
hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat
durch den Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Hoffmann, den Richter am Oberlandesgericht
Geisert und die Richterin am Amtsgericht Hense
auf die mündliche Verhandlung vom 20. August 2002
für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Neustadt
an der Weinstraße vom 30. Januar 2002 geändert:
Die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Speyer vom 21. März
1996, Az. 4 a F 186/95, wird hinsichtlich des Unterhalts für die Zeit ab 24. Juli 2001 für unzulässig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien sind geschiedene Eheleute.
In einem schriftlichen Anwaltsvergleich vom 18. Juli 1995 verpflichtete sich der Kläger zur Zahlung
nachehelichen Unterhalts an die Beklagte ab 15. März 1995 in Höhe von 800,-- DM monatlich unter
Anrechnung bereits bezahlter Beträge und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Mit
Beschluss vom 21. März 1996 – 4 a F 186/95 erklärte das Amtsgericht Speyer den Vergleich für
vollstreckbar.
Im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses betreute die Beklagte den gemeinsamen Sohn B..., geboren am
21. Oktober 1991. Durch Beschluss des Amtsgerichts Neustadt vom 24. Februar 2000 – 1 F 18/00 – wurde
der Beklagten die elterliche Sorge für B... gemäß § 1666 BGB entzogen und Vormundschaft angeordnet.
Das Kind ist spätestens seit Mitte des Jahres 2000 in einem Heim untergebracht.
Der Kläger hat geltend gemacht, infolge der Beendigung der Kindesbetreuung durch die Beklagte sei
deren Anspruch auf nachehelichen Unterhalt entfallen. Sie sei verpflichtet und in der Lage, ihren
Unterhaltsbedarf durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken. Außerdem führe sie ihrem neuen Partner W.
S... den Haushalt.
Der Kläger hat beantragt, den Anwaltsvergleich vom 18.07.1995, vollstreckbar erklärt durch Beschluss des
Amtsgerichts Speyer vom 21.03.1996 – 4 a F 168/95 –, dahingehend abzuändern, dass der Kläger nicht
mehr verpflichtet ist, an die Beklagte Nachscheidungsunterhalt zu zahlen.
Die Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten und hat vorgetragen, sie sei infolge einer schizophrenen
Psychose nicht in der Lage, erwerbstätig zu sein. Ab Beendigung der Kindesbetreuung beruhe ihr
Unterhaltsanspruch daher auf § 1572 BGB. Sie führe S... nicht den Haushalt. Notwendigste Arbeiten
verrichte die Mutter ihres Lebensgefährten.
Das Familiengericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erwerbsfähigkeit der
Beklagten die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der weiter vorträgt, das Familiengericht habe verkannt,
dass mit dem Sachverständigengutachten lediglich die Erwerbsfähigkeit zum Untersuchungszeitpunkt,
nicht aber zum maßgeblichen Einsatzzeitpunkt festgestellt worden sei. Des weiteren habe das
Familiengericht nicht eine Beschränkung des Unterhaltsanspruchs nach § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB
geprüft. Dafür habe Veranlassung bestanden, da die Parteien lediglich 3 ¼ Jahre miteinander verheiratet
gewesen seien. Er selbst sei wieder verheiratet und seine Ehefrau ohne Einkommen. Neben B... sei er
zwei weiteren Kindern, J..., geboren 11. August 1994, und F..., geboren 16. Oktober 1998,
unterhaltsverpflichtet. Er verfüge über ein monatliches Nettoeinkommen von rund 4 800,00 DM und habe
Darlehensraten von 150,00 DM, 167,00 DM, 250,00 DM, 420,00 DM und 1 014,17 DM für die
Finanzierung des ihm und seiner Ehefrau gehörenden Hausanwesens zu bedienen.
Die Beklagte lebe nun seit nahezu zwei Jahren mit einem anderen Mann zusammen. Ihre im Termin vom
26. September 2001 erklärte Heiratsabsicht habe sie lediglich im Hinblick auf ihren Unterhaltsanspruch
gegen den Kläger nicht verwirklicht. Damit habe die Beklagte ihren Anspruch verwirkt.
Der Kläger, der zunächst einen Abänderungsantrag angekündigt hat, beantragt nunmehr,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Zwangsvollstreckung aus dem Anwaltsvergleich vom
18.07.1995, vollstreckbar erklärt durch den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Speyer vom
21.03.1996 – 4 a F 168/95 –ab Rechtshängigkeit für unzulässig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht noch geltend, aus dem Betreuungsverfahren für die Beklagte ergebe sich, dass ihre Erkrankung
bereits bei Beendigung der Kindererziehung vorgelegen haben. Die Entziehung der elterlichen Sorge sei
gerade wegen der Erkrankung der Beklagten erfolgt.
Die Voraussetzungen des § 1578 BGB seien wegen der Kindesbetreuung nicht gegeben. Zudem werde
der Lebensbedarf durch den gezahlten Unterhalt ohnehin nicht gedeckt.
Die finanziellen Verhältnisse des Klägers seien mit Nichtwissen zu bestreiten. Der Vortrag sei infolge
Nachlässigkeit des Klägers nicht bereits in erster Instanz erfolgt und somit verspätet.
Sie lebe mit ihrem neuen Partner erst 1 ¼ Jahre zusammen. Die Beklagte sei infolge ihrer Krankheit nicht
in der Lage, einen Zusammenhang zwischen den Unterhaltszahlungen und deren möglichen Wegfall bei
einer Heirat zu realisieren, so dass eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nicht in Betracht zu ziehen
sei.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers erzielt den – nach der in der Berufungsinstanz erfolgten
Klageänderung – nunmehr erstrebten Erfolg.
Der Übergang des Klägers von der Abänderungsklage nach § 323 ZPO zur Vollstreckungsabwehrklage
nach § 767 ZPO in der mündlichen Verhandlung des Senats ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht
bedenkenfrei. Die Klageänderung ist sachdienlich, da der zugrunde liegende Vollstreckungstitel – der
Beschluss des Amtsgerichts
– Familiengericht – Speyer vom 21. März 1996 – keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, eine
Abänderungsklage mithin von vornherein unzulässig ist (vgl. etwa Senat in FamRZ 2000, 681;
Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess, 2. Aufl., Rdnr. 4334 m.w.N.).
Der Kläger hat ein schutzwürdiges Interesse daran, die fehlende Vollstreckungsfähigkeit des
Unterhaltstitels feststellen zu lassen. Hierfür steht ihm als prozessuale Gestaltungsklage die
Vollstreckungsgegenklage analog § 767 ZPO zur Verfügung (BGH NJW 1994, 460; OLG Köln, NJW-RR
1999, 431).
Der Kläger verpflichtete sich in dem für vollstreckbar erklärten Anwaltsvergleich zu Unterhaltszahlungen
an die Beklagte für die Zeit ab 15. März 1995 „unter Anrechnung bereits gezahlter Beträge“. Dem
Vollstreckungstitel lässt sich nicht entnehmen, in welcher Höhe und für welchen Zeitraum Zahlungen
geleistet wurden, so dass die zu vollstreckenden Forderungen nicht hinreichend bestimmt sind.
Der Grundsatz, dass ein Titel nicht vollstreckungsfähig ist, wenn die darin zu vollstreckende Forderung
nicht hinreichend bestimmt genug bezeichnet wurde, ist in Literatur und Rechtsprechung an sich unstreitig
(BGHZ 22, 54 = NJW 1957, 23; BGH WM 1971, 165; OLG Köln, aaO; Schuschke/Walker, Vollstreckung
und vorläufiger Rechtsschutz, 2. Aufl., vor §§ 704 – 707, Rdnr. 6; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 704
Rdnrn. 4 ff m.w.N.). Nicht einheitlich – auch nicht bei den Familiensenaten des Pfälzischen
Oberlandesgerichts Zweibrücken - ist hingegen die Auffassung zu der vorliegend
entscheidungserheblichen Frage, ob eine Anrechnungsklausel der Vollstreckungsfähigkeit eines Titels
entgegensteht.
Der 6. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts hat die Vollstreckungsfähigkeit eines Titels mit
unbestimmter Anrechnungsklausel verneint (MDR 2002, 541 = OLG-Report 2002, 307).
Der 2. Zivilsenat hat sich in einem Beschluss vom 1. März 2002 – 2 UF 35/02 – mit dieser Frage
auseinandergesetzt und bei einer Titulierung durch gerichtlichen Vergleich die Vollstreckungsfähigkeit
bejaht, solange die Beweislast für die anzurechnenden Beträge beim Schuldner liege. Zur Begründung
wird ausgeführt, die Anrechnungsklausel stelle in Fällen dieser Art lediglich klar, dass die Parteien bei der
Festlegung der Leistungen mögliche Zahlungen des Schuldners, die schon vor Vergleichsabschluss
geflossen sein könnten, noch nicht berücksichtigt hätten. Der mögliche Streit um solche Zahlungen bleibe
damit dem Verfahren der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 vorbehalten. Dies gebe nur die
bestehende allgemeine Rechtslage wieder, nach welcher die Ausschlussvorschrift des § 767 Abs. 2 ZPO
auf Prozessvergleiche ohnehin nicht anwendbar sei.
Der Senat vermag dieser letzteren Auffassung nur eingeschränkt zu folgen.
Für den Fall, dass der Vereinbarung der Parteien mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen ist, dass
die Anrechnungsklausel lediglich eine materiell-rechtliche Vereinbarung außerhalb des
Vollstreckungstitels bildet, ist bereits höchstrichterlich entschieden, dass sich Bedenken gegen die
Vollstreckbarkeit hieraus nicht ergeben (vgl. BGH NJW 1996, 2165, 2166). Entgegen der vom 2. Zivilsenat
in dem angeführten Beschluss vertretenen Auffassung kann es einem Vollstreckungsorgan aber nicht
überlassen bleiben, durch Auslegung des Vollstreckungstitels zu ermitteln, ob eine Anrechnungsklausel
lediglich materiell-rechtliche Wirkung entfalten oder auch die Vollstreckbarkeit des titulierten Anspruchs
beschränken soll. Das Vollstreckungsverfahren ist von Auslegungsfragen dieser Art freizuhalten, zumal
wenn hierfür außerhalb des Vollstreckungstitels liegende Umstände und Unterlagen zu berücksichtigen
wären.
Den Bedürfnissen der Praxis, an denen die Entscheidung des 2. Zivilsenats orientiert ist, lässt sich ohne
weiteres dadurch Rechnung tragen, dass eine Anrechnungsvereinbarung mit lediglich materiell-
rechtlicher Wirkung und eine für vollstreckbar zu erklärende Vereinbarung eindeutig getrennt werden.
Im vorliegenden Fall beseitigt die unbestimmte Anrechnungsklausel im Vollstreckungstitel dessen
Vollstreckbarkeit. Dem für vollstreckbar erklärten Vergleich ist auch nicht zu entnehmen, dass eine
Anrechnung nur auf einen Teil der titulierten Ansprüche, etwa die bei Vergleichsschluss bereits fällig
gewordenen Unterhaltsansprüche, erfolgen solle. Die Anrechnungsklausel steht einer
Vollstreckungsfähigkeit daher insgesamt entgegen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 ZPO (Kostenentscheidung) und §§ 708 Nr. 10,
713 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit).
Im Hinblick auf die abweichende Entscheidung des 2. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts
Zweibrücken ist die Revision gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO (grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) zuzulassen.
Hoffmann Geisert Hense
B e s c h l u s s
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf
4 908,40 €
(800,00 DM x 12 = 9 600,00 DM) festgesetzt, § 17 Abs. 1 GKG.
Hoffmann Geisert Hense