Urteil des OLG Zweibrücken vom 02.02.2009

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Sonstiges
OLG
Zweibrücken
02.02.2009
3 W 195/08
Aktenzeichen:
3 W 195/08
6 0 340/08
Landgericht Frankenthal (Pfalz)
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In dem Verfahren
Fa. L.... (Österreich), .........................,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...................,
gegen
............. AG, ..........................
Antragsgegnerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Caspers u. Koll., Rudolf–
Virchow–Str. 11, 56073 Koblenz,
wegen Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG,
hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dury, den Richter am Oberlandesgericht Kratz und den
Richter am Landgericht Gietzen
auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 16. Oktober 2008 gegen den den
Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 2. Oktober 2008 zugestellten Beschluss der 6.
Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 26. September 2008
ohne mündliche Verhandlung
am 2. Februar 2009
beschlossen:
I.
Frankenthal vom 26. September 2008 aufgehoben und festgestellt, dass die Verwendung von
Verkehrsdaten der Antragsgegnerin zur Auskunft über die Namen und Adressen derjenigen
Anschlussinhaber, denen die aus der Anlage A 1 zur Antragsschrift vom 15. September 2008 ersichtlichen
IP–Adressen zu den darin genannten Zeitpunkten zugeordnet waren, zulässig ist.
II.
4 000,00 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin ist ein in Österreich ansässiges Unternehmen. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich
um einen Internet–Provider.
Die Antragstellerin macht geltend, die Verwertungsrechte an dem seit Jahren auf dem Markt erhältlichen
Computerprogramm „......“ vom Hersteller, einer A......... GmbH & Co.KG, erworben zu haben bzw. von
diesem Hersteller zur Geltendmachung von Unterlassungs- und Auskunftsansprüchen ermächtigt worden
zu sein. Das Unternehmen E....., F..... und K..... GbR hat im Auftrag der Antragstellerin festgestellt, dass am
12. September 2008 verschiedene Internetnutzer unter im Einzelnen in einem vorgelegten Protokoll
dieser GbR vom 15. September 2008 (Bl. 16 d.A.) angeführten, über die Antragsgegnerin als Provider zur
Verfügung gestellten IP–Adressen eine als „A..................“ bezeichnete Datei über eine sogenannte
Tauschbörse anderen Nutzern zum Herunterladen angeboten und damit öffentlich zugänglich gemacht zu
haben. Die angebotene Software ist seit 2002 auf dem Markt erhältlich und hat in der aktuellen
Verkaufsversion einen Marktwert von über 400,- Euro. Die herunter geladene Version stammt aus dem
Jahr 2004.
Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass die Verwendung von Verkehrsdaten
der Antragsgegnerin zur Auskunft über die Namen und Adressen derjenigen Anschlussinhaber, den die
aus der Anlage A 1 ersichtlichen IP–Adressen zu den darin genannten Zeitpunkten zugeordnet waren,
zulässig ist.
Das Landgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 26. September 2008 als unbegründet
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es lägen keine Anhaltspunkte für
eine urheberrechtliche Verletzung in „gewerblichem Ausmaß“ vor.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin „sofortige Beschwerde“ eingelegt, mit der sie begehrt, den
angefochtenen Beschluss aufzuheben und entsprechend ihrem erstinstanzlichen Antrag zu entscheiden.
II.
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden
(§ 101 Abs. 9 Satz 6 UrhG, § 22 FGG).
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG, 546 ZPO).
Zutreffend ist das Landgericht von der Statthaftigkeit des Antrags nach § 101 Abs. 9 UrhG ausgegangen.
Bei den zur Ermittlung von Namen und Anschriften der jeweiligen Internetnutzer notwendigen
dynamischen IP–Adressen handelt es sich um Verkehrsdaten im Sinne des § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG.
Nach § 3 Nr. 30 TKG sind Verkehrsdaten solche Daten, die bei der Erbringung eines
Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Der Name des Nutzers und seine
Anschrift sowie die Tarifoption sind daher Bestandsdaten. Die dynamischen IP-Adressen werden bei der
Erbringung der Telekommunikationsleistungen genutzt und sind damit Verkehrsdaten. Diese
Verkehrsdaten dürfen nur mit richterlicher Anordnung erhoben werden. Durch die Namensauskunft
werden die IP-Adresse mit einer Person und diese somit mit einem konkreten Nutzungsvorgang und -
zeitpunkt verknüpft. Die Zuordnung zur dynamischen IP-Adresse ist eine Verwendung der IP-Adresse,
durch die Umstände eines Telekommunikationsvorgangs berührt und offenbart werden (vgl. Senat,
GRUR-RR 2009, 12 f = MMR 2009, 43 ff = ZUM-RD 2008, 605 ff; Begr. z. RegE, BT-Drs. 16/5048, S. 59 zu
§ 101 Abs. 2 UrhG; Kitz, NJW 2008, 2374, 2376; Hoeren, NJW 2008, 3099, 3100; LG Darmstadt, K&R
2006, 290 ff = MMR 2006, 330 ff = GRUR-RR 2006, 173, 174; a.A. LG Offenburg, Beschluss vom 17. April
2008 – 3 Qs 83/07).
Aufgrund der Glaubhaftmachung der Antragstellerin durch Vorlage des Vertragszusatzes vom 23. März
2008 (Anlage K 5, Bl. 14 d.A.) ist auch davon auszugehen, dass diese Inhaberin der Urheberrechte an der
in Rede stehenden Software ist.
Der Anordnung steht nicht entgegen, dass die IP–Adressen möglicherweise Internet–Anschlüssen
zugeordnet waren, deren Inhaber nicht Selbststörer im Sinne des Urheberrechts sind.
Diese Möglichkeit besteht zunächst im Hinblick auf öffentlich zugängliche Internetanschlüsse. Das Gesetz
setzt allerdings lediglich voraus, dass eine offensichtliche Rechtsverletzung vorliegt, und nicht auch, dass
diese Rechtsverletzung offensichtlich von einer bestimmten Person begangen worden ist. Das Anliegen
des Gesetzgebers würde leerlaufen, wenn die Gestattung der Auskunft aufgrund dieser Möglichkeit, die
nie auszuschließen ist, solange die Auskunft nicht erteilt ist, abzulehnen wäre. Schließlich ergeben sich
hieraus auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das informationelle
Selbstbestimmungsrecht der Person, der diese IP–Adresse zugeordnet war. Denn zum einen ist der
Eingriff in die geschützten Rechte durch die Mitteilung der IP–Adresse, die zu einem bestimmten Zeitpunkt
einem Anschlussinhaber zugewiesen war, gering. Weil diese Adresse dem Anschlussinhaber dynamisch
zugewiesen worden ist, sind die Verwendungsmöglichkeiten für diese Information beschränkt. Zum
anderen macht derjenige, der seinen Anschluss der Öffentlichkeit zugänglich macht, auch die ihm für
diesen Zeitraum zugewiesene IP–Adresse öffentlich, so dass sein Schutzbedürfnis ohnehin nicht
erheblich ist (vgl. hierzu OLG Köln, Beschluss vom 21. Oktober 2008, Az. 6 Wx 2/08).
Auch die Möglichkeit der unbefugten Benutzung eines (nicht öffentlich zugänglichen) Internetanschlusses
durch den Rechtsverletzer steht der Anordnung nicht entgegen. Auch in diesem Fall ist der
Anschlussinhaber zwar möglicherweise nicht Störer im Sinne des Urheberrechts. Auch hier gilt, dass der
gesetzliche Zweck, die Verfolgung von Rechtsverletzungen zu ermöglichen, nicht erreicht würde, wenn
bereits in diesem Verfahrensstadium geprüft werden müsste, ob der bislang unbekannte
Anschlussinhaber selbst für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Dieses Anliegen des Gesetzgebers,
das dem Bedürfnis nach einer effektiven Verfolgung der massenhaft begangenen, auch strafrechtlich
relevanten Rechtsverletzungen Rechnung trägt, die durch die hierzu zuförderst berufenen
Strafverfolgungsbehörden nicht mehr gewährleistet werden kann, rechtfertigt es, dass in Ausnahmefällen
ein Anschlussinhaber in Anspruch genommen wird, der nicht Störer im Sinne des Urheberrechts ist. Auch
insofern ist zu bedenken, dass für die von der Antragstellerin begehrten Daten i.V.m. der zugeteilten IP–
Adresse, nur wenige Verwendungsmöglichkeiten bestehen und diese Adresse keinen Einblick in die
persönlichen Verhältnisse des Anschlussinhabers erlaubt. Dass der Anschlussinhaber sich in einem
solchen Fall gegen eine unberechtigte Inanspruchnahme wegen einer Rechtsverletzung zur Wehr setzen
muss, ist seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen. Es ist daher gerechtfertigt, dass sein Interesse,
gegen diese Inanspruchnahme geschützt zu werden, hinter das Interesse des Rechtsinhabers an einer
effektiven Rechtsverfolgung zurücktreten muss.
Die Rechtsverletzung ist in einem "gewerblichen Ausmaß" erfolgt.
Auch der Drittauskunftsanspruch setzt neben der Erbringung der Dienstleistung in „gewerblichem
Ausmaß“ durch den Dritten voraus, dass die Rechtsverletzung selbst in „gewerblichem Ausmaß“
begangen worden ist. Dies belegen die Gesetzgebungsmaterialien. Bereits im Erwägungsgrund (14) der
Richtlinie 2004/48/EG vom 29. April 2004 wird auf dieses Erfordernis hingewiesen. Auch wenn der
Wortlaut des § 101 Abs. 2 UrhG grundsätzlich beide Auslegungen zulässt, wurde in dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung vom 20. April 2007 (BT–Drucksache 16, 5048; S. 49) ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass der Drittauskunftsanspruch seine Verletzungshandlung in „gewerblichem Ausmaß“
voraussetze (so auch Senat, a.a.O.; Landgericht Frankfurt, Beschluss vom 18. September 2008, Az. 2–
060534/06).
Das Merkmal „gewerbliches Ausmaß“ unterscheidet sich vom bisher nach
§ 101 a UrhG a. F. erforderlichen Handeln im geschäftlichen Verkehr (vgl. hierzu Kitz aaO, S. 2375
m.w.N.). Der Gesetzgeber hat diesen Begriff wortwörtlich aus Art. 8 Abs. 1 lit. c) der Richtlinie 2004/48/EG
entnommen. Der Begriff findet weder in der Richtlinie noch in der Gesetzesbegründung eine nähere
Präzisierung, obwohl das Problem im Gesetzgebungsverfahren bekannt und heftig umstritten war (vgl.
hierzu Braun, juris PR-ITR 17/2008). Im Erwägungsgrund (14) der Richtlinie wird der Begriff im
Zusammenhang mit den vorgenommenen Rechtsverletzungen durch den unmittelbaren Verletzer näher
erläutert. Demnach zeichnen sich in "gewerblichem Ausmaß" vorgenommene Rechtsverletzungen
dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder
kommerziellen Vorteils vorgenommen werden. In Anlehnung an den Erwägungsgrund (14) der Richtlinie
2004/48/EG geht die Begründung davon aus, dass Handlungen, die in gutem Glauben von
Endverbrauchern vorgenommen werden, hiernach in der Regel nicht erfasst werden. Der Begriff des
"gewerblichen Ausmaßes" ist deshalb einschränkend dahin auszulegen, dass eine Rechtsverletzung von
erheblicher Qualität vorliegen muss. Durch diese Einschränkung ist zumindest klargestellt, dass bei
illegalen Kopien und Verbreitungen im Internet (z.B. über Tauschbörsen) ein Umfang erreicht werden
muss, der über das hinausgeht, was einer Nutzung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch
entsprechen würde. Entgegen der Empfehlung des Bundesrates (BT-Drs. 16/5048, S. 59/60) hat der
Gesetzgeber deshalb gerade nicht auf das einschränkende Merkmal verzichtet. Angesichts der häufig
unklaren Urheberrechtslage im Internet, in dem sich auch eine Vielzahl nicht geschützter Werke (z.B.
Computerspiele, Musikstücke und andere Software) befinden, wäre sonst zu befürchten, dass gutgläubige
Nutzer sich dem Generalverdacht einer strafbaren Handlung ausgesetzt sähen oder zu Unrecht mit
erheblichen finanziellen Schadenersatzforderungen von Rechtsinhabern bedroht würden.
Für den Fall der Rechtsverletzung stellt § 101 Abs. 1 S. 2 UrhG klar, dass für das Merkmal des
"gewerblichen Ausmaßes" nicht nur die Anzahl der Rechtsverletzungen entscheidend sein soll, sondern
auch die Schwere der Rechtsverletzungen das Vorliegen eines „gewerblichen Ausmaßes“ begründen
kann. Letzteres könne nach der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages vom 9.
April 2008 (BT-Drs. 16, 8783, S. 50) insbesondere dann der Fall sein, wenn etwa ein vollständiges
Musikalbum vor oder unmittelbar nach der Veröffentlichung in Deutschland dem Internet zugänglich
gemacht würde.
Das Landgericht hat unter Beachtung dieser Grundsätze zu Unrecht das Merkmal des „gewerblichen
Ausmaßes“ verneint. Zwar hat die Antragstellerin keine große Anzahl der „Down“– und „Uploads“
behauptet. Ein einmaliges Herunter– und/oder Hochladen von Dateien kann für sich alleine kein
„gewerbliches Ausmaß“ begründen, und zwar auch dann nicht, wenn dies in einer Internettauschbörse
geschieht (vgl. Senat, a.a.O.). Vorliegend reicht aber die Schwere der Rechtsverletzung aus, um ein
„gewerbliches Ausmaß“ anzunehmen. Die Software hat nach dem unstreitigen Vortrag der Beteiligten
jedenfalls in der aktuellen Verkaufsversion einen erheblichen Marktwert in Höhe von über 400,00 € und
wird, was ebenfalls unstreitig ist, durch die Antragstellerin massenhaft vertrieben. Daraus ist zu schließen,
dass es sich um ein am Markt gut positioniertes Produkt handelt, was die Annahme eines „gewerblichen
Ausmaßes“ ohne weiteres rechtfertigt. Der Senat geht unter Berücksichtigung des Wertes der aktuellen
Verkaufsversion davon aus, dass der Wert der herunter geladenen Software immer noch deutlich über
dem Wert des in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages angegebenen
Beispiels liegt. Denn es handelt sich um eine besonders umfangreiche Datei, die in der aktuellen Version
den vielfachen Wert eines als Anhaltspunkt in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des
Bundestages angegebenen Musikalbums hat, weshalb die Tatsachen, dass die Software bereits seit 2002
erhältlich ist und die herunter geladene Version aus dem Jahr 2004 stammt, der Annahme einer schweren
Rechtsverletzung hier nicht entgegen stehen.
2. Für die Auferlegung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auf die Antragsgegnerin liegen
die Voraussetzungen gem. § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG nicht vor.
3. Den Gegenstandswert hat der Senat auf der Grundlage des § 23 Abs. 3 RVG bestimmt.
Dury Kratz Gietzen