Urteil des OLG Zweibrücken vom 23.07.2009

OLG Zweibrücken: wohl des kindes, anhörung des kindes, elterliche sorge, haushalt, eltern, vollziehung, beeinflussung, herausgabe, trennung, loyalität

OLG
Zweibrücken
23.07.2009
6 UF 45/08
elterlichen Sorge
Beschluss vom 23. Juli 2009
Aktenzeichen:
6 UF 45/08
3 F 443/07
Amtsgericht Landau in der Pfalz
Verkündet am: 23. Juli 2009
Stark, Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In der Familiensache
betreffend die Änderung einer Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das Kind und die
Herausgabe des Kindes
E…
S…,
an der beteiligt sind:
1. die Mutter I…
S…,
Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. P… und Kollegen, …, …,
2. der Vater M…
J…
Antragsteller und Beschwerdegegner,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. und E. H…, …, …,
3. das Jugendamt des L… S… W…, …, …,
4. die Verfahrenspflegerin N… H…, …, …,
hat der 6. Zivilsenat – Familiensenat – des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Morgenroth, die Richterin am Oberlandesgericht
Euskirchen und den Richter am Oberlandesgericht Hengesbach
auf die am 14. März 2008 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 13.
März 2008
gegen den ihr am 4. März 2008 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts
– Familiengericht – Landau in der Pfalz vom 25. Februar 2008
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2009
beschlossen:
I. Der angefochtene Beschluss wird geändert:
Die Anträge des Vaters werden abgewiesen.
Es verbleibt bei der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur
Gesundheitsfürsorge gemäß dem Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Landau in der Pfalz
vom 30. Juni 2004, Az. 1 F 51/04.
II. Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 6.000,-- € festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die beteiligten Eltern lebten bis Januar 2004 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Die elterliche Sorge
für die gemeinsame Tochter E…, geboren am
… 2001, stand ihnen gemeinsam zu. Die Antragsgegnerin lebt in einer neuen Partnerschaft und hat seit
21. November 2008 aus dieser Beziehung eine weitere Tochter. Der Antragsteller ist seit Ende 2008
wieder verheiratet.
Mit Beschluss des Familiengerichts Landau in der Pfalz vom 30. Juni 2004 (Az. 1 F 51/04) sind das
Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitsfürsorge für E… auf die Antragsgegnerin
übertragen worden.
In der Folgezeit kam es im Zusammenhang mit der Durchführung des Umgangsrechts des Antragstellers
zu Streitigkeiten der Eltern. In dem von der Antragsgegnerin angestrengten Verfahren zur Regelung des
Umgangsrechts (Az. 3 F 392/05 Amtsgericht Landau in der Pfalz) ist ein schriftliches
Sachverständigengutachten vom 13. November 2007 eingeholt worden, in welchem die Sachverständige
Dipl.-Psych. P… D… eine akute Kindeswohlgefährdung durch den Aufenthalt E… im mütterlichen
Haushalt festgestellt hat, weil die Mutter infolge fehlender Bindungstoleranz das Kind E… manipuliere, um
es dem Vater zu entfremden und den Kontakt zum Vater zu unterbinden.
Gestützt auf dieses Gutachten hat der Vater mit Antrag vom 20. November 2007 die Änderung der
Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts sowie die Herausgabe des Kindes E... an sich begehrt und
weitere Anträge zur Vollziehung der Anordnungen gestellt.
Das Familiengericht hat das Kind E... und alle Beteiligten angehört sowie Beweis erhoben durch
Beiziehung der Akten des Umgangsverfahrens und mündliche Erläuterung des
Sachverständigengutachtens durch die Sachverständige Petra Dahl. Wegen des Ergebnisses wird Bezug
genommen auf die Niederschrift über die Anhörung des Kindes am 12. Februar 2008 und das Protokoll
der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2008.
Das Familiengericht hat sodann den Anträgen des Vaters stattgegeben, jedoch die Vollziehung der
Herausgabeanordnung bis zur Rechtskraft der Entscheidung ausgesetzt. Zur Begründung hat es
ausgeführt, ein triftiger, das Wohl des Kindes nachhaltig berührender Grund zur Änderung der Regelung
des Aufenthaltsbestimmungsrechts liege darin, dass bei einem Verbleib E...s im Haushalt der Mutter damit
zu rechnen sei, dass E... aufgrund der negativen Beeinflussung durch die Mutter zu den
Umgangskontakten mit dem Vater in naher Zukunft nicht mehr bereit sein werde. Dies werde zu einem
vollständigen Abbruch der Beziehungen zwischen Tochter und Vater führen, obwohl E... zu dem Vater die
verlässlichere Bindung habe, während sie zu ihrer Mutter eine unsicher ambivalente Bindung aufweise.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit ihrem Rechtsmittel, mit der sie ihr erstinstanzliches
Begehren, die Anträge des Vaters abzuweisen, weiter verfolgt.
Der Vater verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat angesichts des im Ergebnis eindeutigen Gutachtens der Sachverständigen P… D… mit
Beschluss vom 24. April 2008 die Vollziehbarkeit des angefochtenen Beschlusses wiederhergestellt.
Seither befindet sich E... im Haushalt des Vaters und seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau.
Der Senat hat sodann die Beteiligten und das Kind angehört und nach Maßgabe des Beweisbeschlusses
vom 14. August 2008 Beweis erhoben durch Einholung eines Obergutachtens des Sachverständigen
Dipl.-Psych. Dr. P… S… und dessen mündliche Erläuterung nebst mündlicher Anhörung der
Sachverständigen Dipl.- Psych. P… D…. Auf die Niederschriften vom 26. Juni 2008 und vom
18. Juni 2009 sowie den Inhalt des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. P… S… vom 16.
Dezember 2008 wird Bezug genommen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der im Beschwerderechtszug
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist statthaft und in zulässiger Weise erhoben (§§ 621 e Abs. 1 und 3,
621 Abs. 1 Nr. 1, 517, 520 ZPO, 19, 20 FGG). Sie führt auch in der Sache zum Erfolg.
Gemäß § 1696 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht Anordnungen – hier die Regelung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts, welches einen Kernbereich der elterlichen Sorge betrifft – zu ändern,
wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Die
Änderung muss aus Gründen des Wohls des Kindes geboten sein, dabei müssen die Gründe, die für eine
Änderung sprechen, die damit verbundenen Nachteile deutlich überwiegen.
Der Senat ist nach Anhörung des Kindes E... und der beteiligten Eltern aufgrund des Ergebnisses der
durchgeführten Beweisaufnahme entgegen der Ansicht des Familiengerichts zu der Überzeugung
gelangt, dass Gründe für eine Abänderung der bestehenden Regelung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht gegeben sind, vielmehr im Interesse des Kindeswohls die Aufhebung
der erstinstanzlichen Entscheidung und die Rückführung des Kindes in den Haushalt der Mutter geboten
ist.
Dabei stützt sich der Senat insbesondere auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr. S…. Dieser hat
beide Eltern und ihre Lebenspartner ausführlich exploriert und das Kind E... sowohl im Haushalt der
Mutter als auch im Haushalt des Vaters psychologisch untersucht und beobachtet. Er schildert E... als
altersgemäß entwickelt, kontaktfähig, offen und in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse unabhängig
von den Vorstellungen der Eltern zu artikulieren. Er sieht die Bindungen des Kindes primär im
mütterlichen Umfeld, wobei die Mutter von zentraler emotionaler Bedeutung ist. E... befand sich zum
Zeitpunkt der psychologischen Untersuchung seit etwa sechs Monaten im Haushalt des Vaters. Sie hat
auch gegenüber der Verfahrenspflegerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 18.
Juni 2009 den schon bei ihrer ersten Anhörung im Juni 2008 geäußerten Wunsch, wieder auf Dauer zur
Mutter zurückkehren zu können, wiederholt. Sie hat andererseits dem Sachverständigen gegenüber zu
erkennen gegeben, dass es ihr beim Vater nicht schlecht geht und dass sie auch den Vater und dessen
neue Ehefrau liebt. Daraus schließt der Sachverständige, dass E... sich ihre Meinung unabhängig von den
äußeren Verhältnissen gebildet hat. Den Äußerungen des Kindes ist nach Ansicht des Sachverständigen
zu entnehmen, dass E... unter der Trennung von der Mutter, ihrer Hauptbezugsperson, phasenweise sehr
leidet. Nach den Ergebnissen der verschiedenen Tests, die im Rahmen der psychologischen
Untersuchung mit E... gemacht wurden, kommt der Sachverständige zu dem Schluss, dass die
Willensäußerung des Kindes nicht als das Resultat einer Beeinflussung seitens der Mutter anzusehen,
sondern in der besonderen Verbundenheit mit der Mutter begründet ist. Dabei lässt er auch nicht außer
Acht, dass jeder Kindeswille beeinflusst ist von Erziehung und dem Wunsch nach Loyalität gegenüber
beiden Elternteilen. Dennoch hält er die Willensäußerung von E... für echt und hält es für notwendig, sie zu
respektieren. Er empfiehlt deshalb, im Interesse des Kindeswohls das Kind wieder in den Haushalt der
Mutter zu übergeben.
Dem steht das Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen Dahl nicht entgegen. Dieses Gutachten
basiert im Wesentlichen darauf, dass es vom Vorliegen einer psychischen Erkrankung der Mutter ausgeht,
die es ihr unmöglich mache, E... altersentsprechend zu fördern und sie aus ihrem eigenen persönlichen
Konflikt mit dem Vater herauszuhalten. Hierzu hat der Sachverständige Dr. S… festgestellt, dass bei der
Mutter keine Anzeichen für eine psychische Erkrankung oder eine fehlende Bindungstoleranz gegenüber
dem Vater zu erkennen sind. Auch hinsichtlich der Fähigkeit der Mutter, sich dem Kind gegenüber
einfühlsam zu verhalten, ergeben sich nach den Angaben des Sachverständigen keine Einschränkungen,
ebenso wenig Hinweise auf eine eingeschränkte Impulskontrolle. Die Sachverständige Dahl hat auf
Vorhalt zwar eingeräumt, dass sich die Mutter seit ihrer damaligen Begutachtung geändert haben könnte,
beharrt jedoch darauf, dass die Mutter keine Fähigkeit zur Selbstreflexion besitze, sondern Tatsachen
beschönige und zur Unwahrheit neige. Dem ist entgegenzuhalten, dass dem Gutachten Dr. S… auch
Beschönigungstendenzen des Vaters zu entnehmen sind. Insoweit lässt jedoch das Gutachten der
Sachverständigen D… jegliche kritische Auseinandersetzung vermissen. Der Senat hat den Vater in der
mündlichen Verhandlung als selbstgerecht und besser wissend erlebt. Gegenüber der Mutter ließ er
Verachtung erkennen, die Willensbekundungen des Kindes E... hat er nicht ernst genommen. Sowohl die
Verfahrenspflegerin als auch der Sachverständige Dr. S… haben zutreffend darauf hingewiesen, dass der
Vater in gleicher Weise wie die Mutter Umgangskontakte erschwert und damit mangelnde
Bindungstoleranz beweist, so zum Beispiel indem er es E... nicht erlaubt hat, ihre Mutter und das
neugeborene Baby im Krankenhaus zu besuchen.
Die Einwendungen des Vaters gegenüber den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr.
S… sind nicht geeignet, den Wert des Gutachtens infrage zu stellen. Die Vorgehensweise des
Sachverständigen Dr. S... wie auch die Hinzuziehung einer fachlich ausgebildeten Kollegin bei der
Exploration entspricht nach den Erfahrungen des Senats den üblichen Vorgaben für Gutachten dieser Art.
Im Gegensatz zur Vorgehensweise der Sachverständigen Dahl, welche mit diversen Hausbesuchen und
Telefongesprächen mit beiden Parteien über mehrere Monate hinweg eher therapeutisch als
sachverständig tätig geworden ist, hat der Sachverständige Dr. S... die notwendige Distanz zu den
Beteiligten gewahrt und sich damit seine Objektivität erhalten. Es kommt auch für die Frage, ob triftige
Kindeswohlgründe eine Änderung der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts erfordern, nicht
entscheidend darauf an, was in der Vergangenheit bei Umgangskontakten geschehen ist und ob die
Schilderung der Antragsgegnerin oder diejenige des Antragstellers der Wahrheit entspricht. Differenzen
solcher Art zeigen lediglich, dass beide Eltern Probleme mit der Bindungstoleranz haben. Der
Sachverständige musste sich deshalb mit dieser Thematik nicht auseinander setzen. Im Übrigen bleibt es
nach Ansicht des Senats dem sachkundigen Sachverständigen überlassen, Zeit, Ort und Umstände seiner
jeweiligen Befragungen selbst zu bestimmen. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Sachverständige
im Rahmen seiner gutachterlichen Beurteilung auch die Auswirkungen der zeitlichen und örtlichen
Umstände, unter denen die Befragungen des Kindes E... stattfanden, hinreichend gewürdigt hat. Was der
Antragsteller in Bezug auf die dem Gutachten beigefügte kleine Bilddokumentation rügt, vermag der Senat
nicht nachzuvollziehen. Hier liegt eine Überinterpretation des Antragstellers vor, die einmal mehr deutlich
macht, dass seine persönliche subjektive Wahrnehmung nicht den objektiven Gegebenheiten entspricht.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass angesichts der überzeugenden Ausführungen des vom Senat
beauftragten Sachverständigen Dr. S... das Gutachten der Sachverständigen D…, auf welches das
Familiengericht seine Entscheidung gestützt hat, nicht geeignet ist, triftige, das Wohl des Kindes E...
nachhaltig berührende Gründe darzulegen, die eine Änderung der bestehenden Regelung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts für E... bei der Mutter rechtfertigen könnten. Nach allem hat es deshalb bei
der bisherigen Regelung zu verbleiben.
Damit ist auch der Herausgabeanordnung des Familiengerichts der Boden entzogen und es bedarf keiner
die Vollziehung regelnden Bestimmungen. Der erstinstanzliche Beschluss ist insgesamt aufzuheben.
III.
Das Beschwerdeverfahren ist gemäß § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei.
Die Entscheidung über gerichtliche Auslagen und außergerichtliche Kosten der Beteiligten beruht auf den
§§ 94 Abs. 3 S. 2 KostO, 13 a Abs. 1 FGG.
Den Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren setzt der Senat gemäß den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 3
S. 1, Abs. 2 KostO fest.
Gründe, die Rechtsbeschwerde nach den §§ 621 e Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, sind nicht
gegeben.
Morgenroth Euskirchen Hengesbach