Urteil des OLG Zweibrücken vom 13.12.2010

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Bürgerliches Recht
OLG
Zweibrücken
13.12.2010
5 WF 159/10
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung von Rechtsmittelfristen
Aktenzeichen:
5 WF 159/10
1 F 42/10
Amtsgericht Grünstadt
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In der Familiensache
H…
K…,
Antragsgegner und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtanwälte …, …, …
gegen
U…
K…,
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte …, …, …
wegen Beschwerde gegen die Nichtfeststellung des Außerkraftretens einer einstweiligen Anordnung über
die Zahlung von Kindesunterhalts,
hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als
Familiensenat
durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Hoffmann, den Richter am Oberlandesgericht Geisert
und die Richterin am Oberlandesgericht Bastian–Holler
auf die am selben Tag bei Gericht eingegangene Beschwerde des Antragsgegners vom 22. September
2010 gegen den ihm am 23. August 2010 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht –
Grünstadt vom 27. Juli 2010 und
auf den am selben Tag beim Beschwerdegericht eingegangenen Antrag des Antragsgegners vom 11.
November 2010 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist
nach Anhörung der Antragstellerin
ohne mündliche Verhandlung am 13. Dezember 2010
beschlossen:
I. Das Wiedereinsetzungsgesuch des Antragsgegners vom 11. November 2010 wegen der
Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beschwerde des Antragsgegners vom 22. September 2010 gegen den Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengericht – Grünstadt vom 27. Juli 2010 wird als unzulässig verworfen.
III. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
IV. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf
4.008,00 €
41 FamGKG).
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin hat mit Antragsschrift vom 5. Februar 2010 beim Familiengericht beantragt, im Wege
der einstweiligen Anordnung den Mindestunterhalt für die ehegemeinsamen Kinder C… und M… K…,
beide geboren am … … 1997, gegen den Antragsgegner festzusetzen.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25. März 2010 hat das Familiengericht am 1. April
2010 eine einstweilige Anordnung verkündet, durch die der Antragsgegner verpflichtet wurde, an die
Antragstellerin für seine ehelichen Kinder C… und M… K… ab dem 1. Februar 2010 einen monatlichen
Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe, derzeit
jeweils 334,00 €, zu zahlen.
Am 5. Februar 2010 hat die Antragstellerin zeitgleich unter dem Az.: 1 F 43/10 in der Hauptsache beim
Amtsgericht Grünstadt eine Stufenklage auf Auskunft und Zahlung von Kindesunterhalt für die
ehegemeinsamen Kinder M... und C... K... gegen den Antragsgegner erhoben.
Nachdem der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 9. März 2010 diverse Unterlagen vorgelegt hat, hat die
Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit Schriftsatz vom 12. April 2010 den geltend gemachten
Auskunftsanspruch mit der Begründung für erledigt erklärt, dass der Antragsgegner inzwischen die
begehrten Auskünfte erteilt habe.
Im Übrigen hat die Antragstellerin im gleichen Schriftsatz den Rechtsstreit insgesamt mit der Begründung
für erledigt erklärt, dass im einstweiligen Anordnungsverfahren der von dem Antragsgegner gegenüber
seinen Kindern zu zahlende Mindestunterhalt tituliert worden sei und sich aus der erteilten Auskunft
ergebe, dass der Antragsgegner nur den Mindestunterhalt an seine Kinder zu zahlen habe.
Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2010 hat sich der Antragsgegner der Erledigungserklärung der Antragstellerin
angeschlossen und gemäß § 56 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 FamFG beantragt, durch Beschluss
auszusprechen, dass die einstweilige Anordnung des Familiengerichts vom 1. April 2010 außer Kraft tritt.
Mit Beschluss vom 27. Juli 2010 hat das Familiengericht den Antrag des Antragsgegners, durch Beschluss
auszusprechen, dass die einstweilige Anordnung außer Kraft tritt, zurückgewiesen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die prozessuale Willenserklärung des Vertreters
der Antragstellerin anhand der gegebenen Begründung hierfür dahingehend auszulegen sei, dass dieser
die einstweilige Anordnung als solche in ihrer Wirkung gerade nicht beseitigen wollte.
Dieser, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung mit einer Beschwerdefrist von einem Monat versehene
Beschluss wurde dem Antragsgegner am 23. August 2010 zugestellt.
Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 22. September 2010 hat der
Antragsgegner Beschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 27. Juli 2010 eingelegt, mit
dem Ziel, das Außerkrafttreten der einstweiligen Anordnung feststellen zu lassen.
Mit Verfügung vom 27. Oktober 2010, die dem Antragsgegner am 5. November 2010 zugegangen ist,
wurde dieser vom Senat darauf hingewiesen, dass seine am selben Tag bei Gericht eingegangene
Beschwerde vom 22. September 2010 gegen den ihm am 23. August 2010 zugestellten Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengericht – Grünstadt vom 27. Juli 2010 als unzulässig zu verwerfen ist, da sie nicht
innerhalb der Zweiwochenfrist des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG eingelegt wurde.
Mit am selben Tag bei Gericht eingegangen Schriftsatz vom 11. November 2010 hat der Antragsgegner
dargelegt, dass nach seiner Rechtsauffassung von einer Beschwerdefrist von einem Monat gemäß § 63
Abs. 1 FamFG auszugehen sei und hilfsweise beantragt, ihm gegen die Versäumung der Beschwerdefrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
II.
1. Der gemäß §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233, 234 Abs. 1 ZPO statthafte Antrag des Antragsgegners auf
Wiedereinsetzung in die versäumte Zweiwochenfrist zur Einlegung der Beschwerde gemäß § 63 Abs. 2
Nr. 1 FamFG ist zurückzuweisen, da der Antragsgegner diese Frist nicht schuldlos versäumt hat.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung von Rechtsmittelfristen kommt gemäß
§ 233 ZPO nur dann in Betracht, wenn der Beteiligte die Frist ohne sein Verschulden versäumt hat.
Auch wenn die Fristversäumung auf einem Rechtsirrtum beruht, kann Wiedereinsetzung nur bewilligt
werden, wenn der Irrtum unverschuldet ist. Das gilt auch für einen Irrtum über die Frist eines zulässigen
Rechtsbehelfs (BGH NJW-RR 2010, S. 1297 – 1299).
Ist ein Beteiligter anwaltlich vertreten, ist der Rechtsirrtum regelmäßig verschuldet und verhindert eine
Wiedereinsetzung. Daraus folgt, dass eine Wiedereinsetzung in denjenigen Fällen ausgeschlossen ist, in
denen der Beteiligte wegen vorhandener Kenntnis über seine Rechtsmittel keiner Unterstützung durch
eine Rechtsmittelbelehrung bedarf (BGH, a.a.O).
Zwar muss die nach § 39 FamFG zwingend vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung neben der
Bezeichnung des statthaften Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs auch die bei der Einlegung einzuhaltende
Form und Frist angeben, wobei der angegriffene Beschluss des Familiengerichts die unzutreffende
Belehrung über eine Beschwerdefrist von einem Monat ausweist.
Da der Antragsgegner aber anwaltlich vertreten ist, wird die Vermutung widerlegt, dass dieser
Belehrungsmangel kausal für den Rechtsirrtum geworden ist.
Zwar ist derzeit in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten, ob auf den Fall des § 56 Abs. 3 FamFG
die allgemeine Beschwerdefrist von einem Monat des § 63 Abs. 1 FamFG oder die zweiwöchige
Beschwerdefrist des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG Anwendung findet (für eine Frist von zwei Wochen: Soyka,
Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Auflage 2010, § 56 FamFG Rn 10; Bumiller/Harders FamFG/FGG, 9.
Aufl., § 58 Rn 8; Schwonberg in Schulte-Bunert/Weinreich FamFG, 2009, § 56 Rn 25; Musielak/Borth
Familiengerichtliche Verfahren, 2009, § 56 Rn 14 ; a.A.: Stößer in Prütting/Helms FamFG, 2009, § 56 Rn
11 und Giers in Keidel FamFG, 16. Auflage, § 56 Rn 11 unter Verweis auf Schürmann FamRB 2009, S.
375, 382; vgl. auch Beschluss des 6. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 8.
Oktober 2010, Az.: 6 WF 196/10, wonach bei einem Rechtsmittel gegen eine ablehnende Entscheidung im
einstweiligen Anordnungsverfahren die Zweiwochenfrist des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG gilt).
Ein Rechtsanwalt muss die einschlägigen neuen Gesetze kennen, den Mandanten rechtzeitig über die
mögliche Einlegung von Rechtsmitteln informieren und hat bei einer umstrittenen Rechtsfrage,
insbesondere bei neu in Kraft getretenen Gesetzen, den sichersten Weg zu wählen.
Für den anwaltlichen Vertreter des Antragsgegners war anhand der oben zitierten Kommentarliteratur
erkennbar, dass zur Länge der im Fall des § 58 Abs. 3 FamFG einzuhaltenden Beschwerdefrist
verschiedene Rechtsmeinungen vertreten werden, so dass keine unverschuldete Fristversäumnis vorliegt.
2. Gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 FamFG findet gegen den Beschluss, in dem über das Außerkrafttreten einer
einstweiligen Anordnung entschieden wurde, die Beschwerde statt.
Nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist die Beschwerde binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen, wenn
sie sich gegen eine einstweilige Anordnung richtet.
Nach der überwiegenden Meinung im Schrifttum findet im Hinblick auf den Charakter des einstweiligen
Anordnungsverfahrens als Eilverfahren auch im Fall des § 56 FamFG die allgemeine Beschwerdefrist des
§ 63 Abs. 1 FamFG von einem Monat keine Anwendung, sondern es gilt die Zweiwochenfrist des § 63
Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
Der Senat schießt sich dieser überwiegenden Rechtsauffassung an.
3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG zur höchstrichterlichen Klärung
dieser umstrittenen Rechtsfrage ist nicht möglich, da gemäß § 70 Abs. 4 FamFG gegen einen Beschluss
im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung die
Rechtsbeschwerde nicht stattfindet.
Hoffmann Geisert Bastian-Holler