Urteil des OLG Zweibrücken vom 18.12.2003

OLG Zweibrücken: grunddienstbarkeit, grundstück, grundbuch, eigentümer, garage, bauwerk, beschränkung, urkunde, erlöschen, mauer

Bürgerliches Recht
OLG
Zweibrücken
18.12.2003
4 U 36/03
Aktenzeichen:
4 U 36/03
2 O 714/02
Landgericht Kaiserslautern
Verkündet am: 18. Dezember 2003
Schollmayer, Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
1. G...
S...
2. Dr. U...
B...
3. K...
Sch...-S...
4. J...
S...
5. S...
S...
- Berufungskläger und Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin Z..., ..., ...,
gegen
J... H...
v... d... H...
- Berufungsbeklagte und Beklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H..., ..., ...,
wegen Löschung einer Grunddienstbarkeit
hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab sowie die Richter
am Oberlandesgericht Reichling und Friemel
auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2003
für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des
Landgerichts Kaiserslautern vom 19. Februar 2003 geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, ihre Zustimmung zur Löschung der zugunsten ihres
Grundstücks (Grundbuch von K..., Blatt ..., Flurstücknummer ...) auf dem Grundstück der Kläger im
Grundbuch von K..., Blatt ..., Flurstücknummer ... eingetragenen Grunddienstbarkeit zu erteilen, Zug um
Zug gegen Löschung der zu Lasten des Grundstücks der Beklagten (Grundbuch von K..., Blatt ...,
Flurstücknummer ...) zu Gunsten des Grundstücks der Kläger (Bl. ..., Flurstücknummer ...) eingetragenen
Grunddienstbarkeit.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 6 000,00 Euro abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Die Kläger sind Eigentümer des unbebauten Grundstücks E...,
K... (eingetragen im Grundbuch von K..., Blatt ..., Flurstücknummer ...). Die Beklagte ist Eigentümerin des
benachbarten Anwesens W... (eingetragen im Grundbuch von K... Blatt ..., Flurstücksnummer ...), einer
Nebenstrasse der E.... Ihre Grundstücke gehörten ursprünglich dem Eigentümer H..., der 1920 das
Grundstück der jetzigen Kläger veräußerte. Im notariellen Kaufvertrag vom 23. April 1920 wurden
zugunsten beider Grundstücke Grunddienstbarkeiten eingetragen, die die Bebaubarkeit im Grenzbereich
der beiden, damals in einer Villengegend gelegenen Grundstücke beschränken sollten. Nachdem das
Stadtgebiet von K..., darunter auch die damals auf beiden Grundstücken stehenden Gebäude im zweiten
Weltkrieg zerstört worden waren, wurde der Bereich der E... als Geschäftsstraße in geschlossener
Bauweise wieder aufgebaut. Auf dem Grundstück der Beklagten wurden nach und nach eine Garage, eine
Druckerei und ein Wohnhaus errichtet. Die Kläger wollen ihr Grundstück mit einem mehrgeschossigen
Geschäftshaus bebauen und sehen sich hierbei durch die zugunsten des Beklagtengrundstücks
eingetragene Grunddienstbarkeit beeinträchtigt. Sie begehren deren Löschung.
Durch das angefochtene Urteil, auf das zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen wird, hat der
Einzelrichter der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Berufung rügen die Kläger, die ihr erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgen, die
Rechtsauffassung des Landgerichts.
Sie beantragen,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihre Zustimmung zur Löschung der
Grunddienstbarkeit zu erteilen, die im Grundbuch von K..., Blatt ..., Flurstücknummer ..., zu Lasten des
Grundstücks, Flurstücknummer ..., eingetragen im Grundbuch von K..., Blatt ..., eingetragen ist, Zug um Zug
gegen Löschung der im Grundbuch von K..., Blatt ..., Flurstücknummer ..., zu Lasten des Grundstücks,
Flurstücknummer ..., eingetragen im Grundbuch von K..., Blatt ..., eingetragenen Grunddienstbarkeit.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil, wobei sie im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen
wiederholt.
II.
Die zulässige Berufung führt zum Erfolg.
Die Kläger haben gegen die Beklagte gemäß § 894 BGB einen Anspruch auf Löschung der zu Gunsten
des Beklagtengrundstücks auf ihrem Grundstück eingetragenen Grunddienstbarkeit. Die dadurch bewirkte
Beschränkung des Eigentumsrechts der Kläger an ihrem Grundstück steht mit der wirklichen Rechtslage
nicht mehr im Einklang. Der Senat vermag der Auffassung des Einzelrichters, dass die Dienstbarkeit der
Beklagten auch heute noch nützlich sei, nicht beizutreten.
Eine Grunddienstbarkeit kann erlöschen, wenn infolge Veränderungen eines der betreffenden
Grundstücke die Ausübung dauernd ausgeschlossen ist oder wenn der Vorteil für das herrschende
Grundstück (§ 1019 BGB) infolge grundlegender Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der
rechtlichen Grundlage objektiv und endgültig weggefallen ist (BGH NJW 1984, 2157). Denn zum Wesen
der Grunddienstbarkeit gehört, dass das ihren Inhalt bildende Recht für die Benutzung des herrschenden
Grundstücks nach dessen Natur und Zweckbestimmung, wenn auch nur mittelbar, einen wirtschaftlichen
Vorteil bietet oder bieten kann (BGH NJW 1967, 582). Ein solcher Vorteil kann für das herrschende
Grundstück schon darin bestehen, dass die Grunddienstbarkeit für seinen Eigentümer Annehmlichkeiten
des Wohnens in seinem Hause begründet, ästhetische Interessen wahrt u. Ä. (vgl. BGH NJW 1967, aaO;
BNotZ 1966, 28; KG OLGE 31, 336).
Maßgebend für den Inhalt der Grunddienstbarkeit ist der Grundbucheintrag, den der Senat selbst
auslegen kann (vgl. BGH NJW 1967, aaO). Der Grundbucheintrag im Grundbuch der Kläger lautet:
„Grunddienstbarkeit (Baubeschränkung) für den jeweiligen Eigentümer von Grundstück Flurstück ...;
gemäß Bewilligung vom 7.2.1920, eingetragen am 28.4.1920“. Die deshalb gemäß § 874 BGB mit
heranzuziehende Bewilligung lautet, dass „der jeweilige Eigentümer (des Klägergrundstücks) ... die heute
vorhandene Garage niemals höher bauen (darf), auch darf er den Raum zwischen der heute
vorhandenen Garage und dem heute vorhandenen Bürogebäude immerwährend nur mit einem Bauwerk
bis zur heutigen Größe der besagten Garage verbauen“.
Diese Formulierung ist nach ihrem Wortlaut und Sinn so auszulegen, wie ihn jeder unbefangene Dritte
versteht. Inhalt des Grundbuchs ist, was sich aus dem Grundbucheintrag unmissverständlich und für
jedermann zweifelsfrei erkennbar ergibt (BGH NJW 1967, aaO).
Eine Auslegung des Grundbuchinhalts ergibt, dass die Bestellung der Grunddienstbarkeit im Jahre 1920
dem früheren Eigentümer H..., der das (spätere) Wohngrundstück (der Beklagten) behielt, die Vorteile der
damals guten Wohnlage erhalten sollte. Unstreitig lagen die Grundstücke in jener Zeit in einer
„Villengegend“, was auf eine ruhige und großzügig bebaute Lage hindeutet. Das erklärt, weshalb in Nr. 18
des notariellen Kaufvetrages vom 7. Februar 1920 bestimmt wurde, dass auf dem Klägergrundstück auf
der Fläche der Dienstbarkeit kein höheres Bauwerk als die damals schon vorhandene Garage gebaut
werden durfte, und sich die Vertragsparteien in Nr. 17 der Urkunde (als gegenseitige Dienstbarkeiten)
verpflichteten, auf der Grenze „niemals“ eine Mauer, sondern allenfalls einen „lebenden Zaun oder einen
Drahtzaun“ zu errichten. Diese Vereinbarungen konnten nur den Sinn haben, das dem Eigentümer H...
verbleibende Grundstück (jetzt der Beklagten) vor einer künftigen, übermäßigen Bebauung des
Grenzbereichs des veräußerten Grundstücks zu schützen.
Der Wohnvorteil „Villengegend“ war jedoch mit den Zerstörungen des zweiten Weltkrieges und dem
anschließenden Wiederaufbau entfallen. Das Stadtgebiet von K... veränderte im Bereich der E..., in dem
die Grundstücke der Parteien liegen, seinen Charakter völlig. Die E... wurde zu einer belebten
Geschäftsstrasse. Wie sich aus der dem Verkehrswertgutachten des Gutachterausschusses der Stadt K...
vom 7. Dezember 1999 beigefügten Planskizze ergibt, wurde die Gegend um die Eisenbahnstrasse und
ihre Nebenstrassen einschließlich des Bereichs E.../W... in geschlossener Bauweise bebaut. Der Senat
vermag deshalb nicht zu erkennen, dass der Beklagten durch die Dienstbarkeit über den
vorbeschriebenen, früheren Wohnvorteil hinaus heute noch anderer Vorteile gesundheitlicher,
ästhetischer oder wirtschaftlicher Art zufließen. Ihre Erklärung, der Vorzug für ihr Grundstück liege noch
immer darin, dass keine „erdrückende Bebauung“ stattfinden könne, wird dadurch widerlegt, dass die
umstrittene Grunddienstbarkeit nicht die Bebauung des Klägergrundstücks schlechthin verbietet. Sie
untersagt lediglich, einen Bereich von 55 qm an der an ihr Grundstück angrenzenden Nord-West-Ecke
des insgesamt 1 455 qm großen Klägergrundstücks höher als die damals vorhandene Garage zu
bebauen. Unter Berücksichtigung der im Bebauungsplan als unverbaubar vorgesehenen
Grundstückstiefe von drei Metern erstreckt sich die Grunddienstbarkeit sogar lediglich auf eine Fläche von
32 qm, was die Beklagte selbst als nur „geringfügige Beschränkung“ bezeichnet hat und was ihr deshalb
heute keinen nennenswerten Vorteil mehr bietet.
Wollte man anderer Meinung sein und in dem durch die Grunddienstbarkeit noch geschützten
Grundstückseck einen zugunsten der Beklagten fortbestehenden Vorteil sehen, wäre es
rechtsmissbräuchlich, wenn die Beklagte die Dienstbarkeit weiterhin in Anspruch nehmen würde. Denn
die aufgrund der eingetretenen Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse entstandenen, erheblichen
Nachteile, die das Grundstück der Kläger durch die Ausübung der Dienstbarkeit erleidet, stehen in keinem
Verhältnis mehr zu dem dann allenfalls geringen Nutzen, den sie für die Beklagte noch hat (vgl. hierzu
OLG Koblenz, DNotZ 1999, 1511). Die Klägerin zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
nachvollziehbar und von der Beklagten unwidersprochen geschildert, dass es mit erheblichen
architektonischen Mehraufwand und nicht unerheblich höheren Kosten verbunden wäre, wenn bei der
Bebauung ihres Grundstückes die mit der Grunddienstbarkeit belastete Nord-West-Ecke ausgespart und
umbaut werden müsste.
Die Kläger können deshalb Löschung der auf ihrem Grundstück zugunsten des Grundstücks der
Beklagten eingetragenen Grunddienstbarkeit verlangen (§ 894 BGB). Die Zug-um-Zug-Verurteilung
entspricht dem Antrag der Kläger.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708
Nr. 10, 709 Abs. 1, 711 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat noch die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Staab Reichling Friemel
B e s c h l u s s
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf
23 600,00 Euro
festgesetzt.
Staab Reichling Friemel