Urteil des OLG Zweibrücken vom 14.03.2006

OLG Zweibrücken: kommission der europäischen gemeinschaft, eugh, anerkennung, berechtigung, sperrfrist, inhaber, sperre, geldstrafe, ausstellung, maurer

OLG
Zweibrücken
14.03.2006
1 Ss 146/05
1 Ss 146/05
5465 Js 37227/04
StA Frankenthal (Pfalz)
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken
B e s c h l u s s
In dem Strafverfahren gegen
S… S…,
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis
hier: Revision
hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer
und den Richter am Landgericht Jung
am 14. März 2006
einstimmig beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der
4. (Kleinen) Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 23. August 2005 aufgehoben. Der
4. (Kleinen) Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 23. August 2005 aufgehoben. Der
Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten aller Rechtszüge sowie die dem Angeklagten darin
entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
G r ü n d e :
Das Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Fahrens ohne
Fahrerlaubnis (Tatzeit: 17. September 2004) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt.
Seine Berufung hat das Landgericht Frankenthal (Pfalz) mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte
des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig sei, und die Tagessatzhöhe auf 25 € ermäßigt.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das zulässige Rechtsmittel führt zum Erfolg.
Es ist von folgenden Feststellungen auszugehen:
Dem Angeklagten wurde vor dem Monat März 2004 wegen Trunkenheit im Verkehr die Fahrerlaubnis
gemäß § 111 a StPO vorläufig entzogen. Am 4. oder am 11. März 2004, der genaue Zeitpunkt wurde nicht
festgestellt, wurde dem Angeklagten eine tschechische Fahrerlaubnis unter anderem für die Klassen B
und C 1 ausgestellt. Am 16. März 2004 wurde er vom Amtsgericht Ludwigshafen wegen fahrlässiger
Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt. Außerdem wurde die
Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung bis zum 15. Juli 2004 angeordnet.
Am 17. September 2004 befuhr der Angeklagte um 14.38 Uhr mit einem LKW Mercedes Kastenwagen mit
dem amtlichen Kennzeichen …. die Oggersheimer Straße in Ludwigshafen am Rhein in Richtung
Maxdorfer Straße.
Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte nicht des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21
StVG strafbar gemacht. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt Inhaber einer gültigen tschechischen
Fahrerlaubnis, die ihn zum Führen des Lastkraftwagens in der Bundesrepublik Deutschland befugt hat.
§ 28 Abs. 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) berechtigt Inhaber von EU- Führerscheinen, die ihren
ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, vorbehaltlich der Einschränkungen
nach den Abs. 2 bis 4 entsprechend ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland zu führen (OVG
Rheinland-Pfalz, zfs 2005, 521).
Die gesetzlichen Vorbehalte stehen der Anerkennung der tschechischen Fahrerlaubnis des Angeklagten
nicht entgegen. Zwar regelt § 28 IV Nr. 2 FeV, dass die Berechtigung nach Absatz 1 nicht für Inhaber einer
EU- oder EWG Fahrerlaubnis gilt, es sei denn, dass sie als Student oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2
die Berechtigung während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben (so genannte
185 Tage-Klausel, vgl. Ludovisy, DAR 2005, 8ff). Dies entspricht der Regelung des Artikels 7 der EU
Richtlinie 91/439, wonach die Ausstellung von Führerscheinen vom Vorhandensein eines ordentlichen
Wohnsitzes oder der Eigenschaft als Student während eines Mindestzeitraumes von sechs Monaten
abhängen soll. Diese Voraussetzungen hat der Angeklagte hinsichtlich des Hoheitsgebietes von
Tschechien zwar nicht erfüllt. Jedoch stellt § 28 IV Nr. 2 FeV eine Ausnahme von dem in Artikel 1 Absatz 2
der Richtlinie 91/439 enthaltenen allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den
Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine dar. Im Hinblick darauf, dass dieser Grundsatz Ausfluss des
Freizügigkeit innerhalb der europäischen Gemeinschaft ist und Bestimmungen einer Richtlinie, die von
diesem allgemeinen Grundsatz abweichen, eng auszulegen sind, insbesondere wenn dieser Grundsatz
die Ausübung von durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten wie der Freizügigkeit erleichtern soll,
hat der EUGH in der so genannten „ Kapper- Entscheidung“ (EUGH vom 29. April 2004 in NJW 2004,
1725) festgestellt:
"Artikel 1 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b und
Artikel 9 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der Fassung
der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. Juni 1997 ist so auszulegen, dass ein Mitgliedsstaat einem von
einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung nicht deshalb versagen darf,
weil nach den ihm vorliegenden Informationen der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung
des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedsstaates und nicht im
Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedsstaates gehabt hat“.
Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Führerscheinerteilung hinsichtlich der
Wohnsitzvoraussetzungen erfüllt sind, ist nach dieser einschränkenden Auslegung des Artikels 8 Abs.4
der Richtlinie 91/ 349 durch den EUGH ausschließlich Sache des ausstellenden Mitgliedstaates (OLG
Saarbrücken, NStZ-RR 2005, 50; Otte / Kühner, NZV 2004, 321; Geiger, DAR 2004,340) und wird deshalb
im vorliegenden Strafverfahren nicht überprüft.
Auch § 28 IV Nr. 3 FeV steht der Berechtigung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen im
Inland nicht entgegen. Diese Vorschrift schließt die Berechtigung für Inhaber einer EU- oder EWG-
Erlaubnis unter anderem aus, wenn die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem
Gericht entzogen worden ist.
In vorliegendem Fall ging dem Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis zwar die vorläufige Entziehung
gemäß § 111 a StPO voraus, der am 16. März 2004 die endgültige Maßregel folgte. Damit steht jedoch
zugleich fest, dass die tschechische Erlaubnis nicht innerhalb laufender Sperrfrist erteilt worden ist. In
seiner Entscheidung vom 29. April 2004 hatte der EUGH sich mit der Fallkonstellation zu befassen, dass
mit dem Entzug der Fahrerlaubnis eine Sperre für die Wiedererteilung angeordnet und diese abgelaufen
war, bevor die erneute Berechtigung von dem anderen Mitgliedsstaat ausgestellt wurde. Der EUGH
(a.a.O.) hat hierzu ausgeführt:
„Artikel 1 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/439 ist so auszulegen, dass ein
Mitgliedsstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten
Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaats auf
den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat
erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete
Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedsstaat abgelaufen war, bevor der
Führerschein von dem anderen Mitgliedsstaat ausgestellt worden ist.“
Diese Erwägungen finden auch auf vorliegenden Fall Anwendung, bei der die Fahrerlaubnis durch den
Mitgliedstaat vor Beginn der eine Neuerteilung hindernden Sperrfrist ausgestellt worden ist. Wie bereits
ausgeführt, stellt sich die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten
erteilten Berechtigung gemäß Artikel 1 der Richtlinie 91/ 439 als Ausfluss des Freizügigkeitsgrundsatzes
innerhalb der EU dar (EUGH a.a.O., Nr. 71), so dass Bestimmungen, die davon abweichen und
Grundfreiheiten einschränken, richtlinienkonform restriktiv auszulegen sind (EUGH a.a.O. Nr. 72). Der auf
diese Weise reduzierte tatbestandliche Anwendungsbereich der Vorschrift (OLG Saarbrücken, a.a.O.) ist
nicht lediglich darauf beschränkt, nur solche Fahrberechtigungen anzuerkennen, die nach Ablauf der
Sperrfrist erteilt worden sind.
Vor diesem Hintergrund erscheint eine zeitlich begrenzte Nichtanerkennung nur für den Lauf der in Art. 8
II der Richtlinie 91/439 genannten Maßnahmen möglich (im Ergebnis OLG Saarbrücken, a.a.O.), so dass
ein Mitgliedsstaat es nur solange ablehnen kann, die Gültigkeit der Erlaubnis anzuerkennen, wie in
seinem Hoheitsgebiet eine der in Artikel 8 Abs. 2 genannten Maßnahmen wirksam ist ( AG Günzburg,
Urteil vom 14.3.2005, 1 Ds 24 Js 13858/00, zweifelnd Otte / Kühner a.a.O. 327). Dies gilt auch, wenn zwar
die vorläufige Sicherungsmaßnahme, jedoch noch keine Sperrfrist angeordnet wurde.
Entscheidend ist deshalb im vorliegenden Fall, dass der Angeklagte von der tschechischen Fahrerlaubnis
erst nach Ablauf der angeordneten Sperre Gebrauch gemacht hat. Wollte man lediglich darauf abstellen,
dass die tschechische Fahrerlaubnis nicht erst nach Ablauf der Sperre ausgestellt wurde, liefe eine solche
Auslegung den Grundsätzen der Entscheidung des EUGH zuwider und würde dazu führen, diese
Fahrerlaubnis auf Dauer nicht anzuerkennen (so im Ergebnis LG Landshut Urteil vom 19. 12. 2005, 21 Js
35871/04; Ludovisy DAR 2006, 9 (12). Eine Nichtanerkennung auf Dauer wäre jedoch mit dem Grundsatz
der gegenseitigen Anerkennung gemäß Artikel 1 der Richtlinie 91/439 nicht vereinbar (EuGH aaO Nr. 76).
Auch die Vorschrift des § 28 V FeV vermag vorliegend zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Zwar hat es
der Angeklagte versäumt, die Anerkennung der ausländischen Fahrerlaubnis für den Hoheitsbereich der
Bundesrepublik zu beantragen. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die erworbene tschechische
Erlaubnis im Inland ungültig wäre und er sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar gemacht hätte.
Wollte man die Anerkennung der von einem Mitgliedsstaat ausgestellten Fahrerlaubnis von einem Antrag
oder einer Registrierung abhängig machen, würde dies erneut einen Verstoß gegen den Grundsatz der
gegenseitigen Anerkennung gemäß Artikel 1 der Richtlinie 91/493 bedeuten (OLG Saarbrücken a.a.O.).
Dem entspricht auch die Entscheidung des EUGH vom 15. September 2005 in der Rechtssache C-
372/03. (Vertragsverletzungsverfahren der Kommission der Europäischen Gemeinschaft gegen die
Bundesrepublik Deutschland). In diesem Verfahren war mit der fünften Rüge beanstandet worden, dass
es einen Verstoß gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen darstelle,
wenn eine in anderen Mitgliedsstaaten erteilte Fahrerlaubnis nach § 29 I FeV innerhalb von 185 Tagen
nach Wohnsitzbegründung in der Bundesrepublik registriert werden müsste. Die Bundesrepublik hat in
jenem Verfahren den Verstoß eingeräumt. Entsprechendes muss für die Regelung des § 28 V FeV gelten,
deren Nichtbeachtung sich deshalb allenfalls als Ordnungsverstoß darstellt (Ludovisy, DAR 2006, 9 ff
(11)), nicht jedoch als Fahren ohne Fahrerlaubnis im Sinne des § 21 StVG.
Zwar sind die Entscheidungen des EUGH zur Auslegung von Richtlinien nur in der Sache, in der sie
ergangen sind, bindend. Eine erneute Anrufung des EUGH kann jedoch unterbleiben, wenn die
Auslegungsfrage in einem anderen Verfahren schon beantwortet worden, der Sachverhalt gleich gelagert
ist und das Gericht von der Entscheidung des EUGH nicht abweichen will (BGH NJW 1985, 2904). Dies ist
vorliegend der Fall.
Da es weiterer Feststellungen nicht bedarf, entscheidet der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache
selbst und spricht den Angeklagten frei.
Dr. Ohler Maurer Jung