Urteil des OLG Zweibrücken vom 24.06.2004

OLG Zweibrücken: vorschlag, beschwerdebefugnis, ermessen, rente, interessenkollision, pflege, quelle, gefahr, wartung, vorrang

Betreuungsrecht
Sonstiges
OLG
Zweibrücken
24.06.2004
3 W 100/04
Aktenzeichen:
3 W 100/04
1 T 30/04
LG Kaiserslautern
XVII 557/02
AG Kaiserslautern
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In dem Verfahren
betreffend die mit den Aufgabenkreisen der Gesundheitsfürsorge, der Vermögenssorge und der
Aufenthaltsbestimmung angeordnete Betreuung für
E.....
J.....
an dem weiter beteiligt sind:
1. H.....
M.....
Tochter der Betroffenen und Beschwerdeführerin, auch hinsichtlich der weiteren Beschwerde,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte .....,
2. S.....
L.....
Tochter der Betroffenen, Betreuerin und Gegnerin der weiteren Beschwerde,
3. Rechtsanwältin .....
Verfahrenspflegerin der Betroffenen im Verfahren zweiter Instanz
wegen Betreuerauswahl,
hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dury, den Richter am Oberlandesgericht Petry und die
Richterin am Landgericht Stutz
auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 18. Mai 2004
gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 29. April 2004
ohne mündliche Verhandlung
am 24. Juni 2004
beschlossen:
I. Der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben, als die Beteiligte zu 2) auch zur
Vermögensbetreuerin der Betroffenen bestellt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren zur erneuten Sachbehandlung und
Entscheidung, auch über eine etwaige Kostenerstattung im Rechtsbeschwerdeverfahren, an das
Landgericht Kaiserslautern zurückverwiesen.
II. Der Gegenstandswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf bis zu 750,00 €
festgesetzt.
G r ü n d e:
I.
Die Beteiligte zu 1) und die Beteiligte zu 2) sind die Töchter der Betroffenen.
Im Oktober 2003 regte die Beteiligte zu 1) an, für die Betroffene eine Vermögensbetreuung zu errichten.
Die Betroffene lebt im Haushalt der Beteiligten zu 2), der sie (und ihr damals noch lebender Ehemann) mit
notariellem Vertrag das Hausgrundstück übergeben hat. Als Gegenleistung für die Übergabe ist ein
lebenslängliches Leibgeding zugunsten der Betroffenen vereinbart. Für die Pflege der Betroffenen wurde
zwischenzeitlich eine Vollzeitkraft eingestellt, deren Lohn die Beteiligte zu 2) mit der Rente der
Betroffenen begleicht.
Im Dezember 2003 wurde aus dem Vermögen der Betroffenen an die Beteiligten zu 1) und 2) jeweils ein
Betrag in Höhe von 30.000 Euro überwiesen. Nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1) soll die
Überweisung auf Veranlassung der Beteiligten zu 2) erfolgt sein.
Das Amtsgericht hat den Antrag auf Einrichtung einer Betreuung zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der
Beteiligten zu 1) hat das Landgericht Betreuung mit den Wirkungskreisen Gesundheitsfürsorge,
Vermögenssorge und Aufenthaltsbestimmung angeordnet und - dem Vorschlag der Betroffenen
entsprechend - die Beteiligte zu 2) zur Betreuerin bestellt.
Mit der weiteren Beschwerde wendet sich die Beteiligte zu 1) ausschließlich gegen die Bestellung der
Beteiligten zu 2) zur Vermögensbetreuerin.
II.
Die weitere Beschwerde ist statthaft, nicht an eine Frist gebunden und auch im Übrigen
verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 4 FGG).
Insbesondere ist die Beteiligte zu 1) beschwerdebefugt, § 69 g Abs. 1 FGG. Nach überwiegender
Rechtsprechung, der der Senat folgt, können nahe Angehörige im Sinne des § 69 g Abs. 1 FGG auch
gegen die erstmalige Bestellung eines Betreuers Beschwerde mit dem Ziel einlegen, die eigene Person
an die Stelle des ausgewählten Betreuers zu setzen. Denn hierbei handelt es sich um eine zulässige
Teilanfechtung der die Bestellung und Auswahl umfassenden Einheitsentscheidung nach § 69 Abs. 1 Nr.
2 FGG (vgl. BGH FamRZ 1996, 607; Senat FGPrax 1997, 104 und 1999, 146, Beschluss vom 20. Februar
2003 - 3 W 245/02 –; KG FamRZ 1995, 1442; OLG Hamm NJW-RR 1997, 70, 71;
Keidel/Kuntze/Winkler/Kayser, FGG, 15. Aufl., § 69 g Rdnr. 13). Das Gleiche gilt für den Fall, dass Ziel des
Rechtsmittels – wie hier – nicht die eigene Bestellung des Angehörigen, sondern vielmehr die Bestellung
eines Dritten ist (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 20. Februar 2003 – 3 W 245/02 –; OLG Schleswig
FamRZ 1995, 432; Keidel/Kuntze/Winkler/Kayser aaO). Denn für die in § 69 g Abs. 1 FGG geregelte
Beschwerdebefugnis kommt es nicht darauf an, ob der Rechtsmittelführer selbst bereit und in der Lage ist,
die Betreuung zu übernehmen. Die Vorschrift räumt dem in ihr genannten Personenkreis und der
zuständigen Behörde unabhängig von der Beeinträchtigung eigener Rechte eine Beschwerdebefugnis
ein.
III.
In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem jedenfalls vorläufigen Erfolg.
Der Beschluss, mit dem das Landgericht für die Betroffene Betreuung angeordnet und die Beteiligte zu 2)
zur Betreuerin für sämtliche Wirkungskreise bestellt hat, beruht insoweit auf einer Verletzung des Rechts,
als die Auswahl der Beteiligten zu 2) als Betreuerin auch für den Aufgabenbereich der Vermögenssorge
verfahrensfehlerhaft erfolgt ist (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Dies nötigt zur Aufhebung des Beschlusses
und zur Zurückverweisung in diesem Umfang.
Rechtlich zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass bei der Auswahl des Betreuers der
Vorschlag des Betroffenen, eine bestimmte Person zu seinem Betreuer zu bestellen, unabhängig von der
Geschäftsfähigkeit des Betroffenen einen Vorrang dieser Person vor allen anderen in Betracht
kommenden Personen begründet. Diesem Vorschlag, dessen Rechtswirksamkeit lediglich voraussetzt,
dass der Betroffene im Betreuungsverfahren oder zu einem früheren Zeitpunkt einen ernsthaften, von
seinem natürlichen Willen getragenen Wunsch geäußert hat, hat das Gericht grundsätzlich zu
entsprechen (§ 1897 Abs. 4 BGB; BayObLG BtPrax 2000, 36; Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1897
BGB, Rdnr. 47).
Diese Bindung entfällt, wenn die Bestellung des Vorgeschlagenen dem Wohl des Betroffenen zuwiderläuft
(§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB). Dies erfordert eine umfassende Abwägung aller Umstände (BayObLG aaO).
Um dem im Betreuungsrecht im Vordergrund stehenden Willen des Betreuten ausreichend Geltung zu
verschaffen, setzt die Nichtberücksichtigung seines Vorschlages allerdings voraus, dass das Ergebnis der
Abwägung deutlich gegen die vorgeschlagene Person spricht. Es muss die konkrete Gefahr bestehen,
dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will.
Interessenkonflikte von geringerem Gewicht genügen hierzu nicht (BayObLG FamRZ 2004, 734).
Die Auswahlentscheidung des Tatrichters bzw. des an seine Stelle tretenden Erstbeschwerdegerichts, die
pflichtgemäßem Ermessen obliegt, kann das Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüfen,
d.h. dahin, ob der Tatrichter von seinem Ermessen keinen oder einen rechtlich fehlerhaften, dem Sinn und
Zweck des Gesetzes zuwiderlaufenden Gebrauch gemacht hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig
zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist oder wesentliche Umstände unberücksichtigt
gelassen hat (vgl. BayObLG FamRZ 2002, 1589 m.w.N.). Danach ist insbesondere zu prüfen, ob der
Tatrichter alle im Einzelfall wesentlichen Auswahlkriterien herangezogen und bei der Abwägung die im
Gesetz vorgesehenen Regeln für ihre Gewichtung und ihr Verhältnis zueinander beachtet hat. Ein Sinn
und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufender Ermessensgebrauch liegt auch dann vor, wenn der Richter
einen relevanten Umstand unvertretbar über- oder unterbewertet hat (BayObLG, Beschluss vom 18.
Februar 2004 – 3Z BR 256/03 –, zitiert nach juris).
Vorliegend hat das Landgericht bei der Auswahl der Beteiligten zu 2) als Betreuerin für den Bereich der
Vermögenssorge den Umstand nicht ausreichend berücksichtigt, dass diese der Betroffenen einerseits
aus dem notariellen Übertragungsvertrag vom 13. September 1983 zur „Wartung und Pflege“ verpflichtet
ist, andererseits aber die hierfür eingestellte Vollzeitpflegekraft mit der Rente der Betroffenen finanziert
(hierfür spricht die Angabe von Pflegekosten i.H.v. 1.100 Euro unter IV. 6 (laufende Ausgaben) in dem von
der Beteiligten zu 2) erstellten Vermögensverzeichnis vom 15. Mai 2004). Das Landgericht hat hierzu die
Auffassung vertreten, bei der Frage der Kostentragung handele es sich um ein zivilrechtliches Problem,
das im Betreuungsverfahren nicht geklärt werden könne.
Bei der Beurteilung der Eignung einer Person als Vermögensbetreuer kann es aber nicht unberücksichtigt
bleiben, wenn die vorgeschlagene Person die Mittel zur Finanzierung einer Pflegekraft dem Vermögen
der Betroffenen entnimmt, obgleich sie selbst möglicherweise zur Tragung dieser Kosten verpflichtet ist.
Bereits die Prüfung der Frage, wer zur Tragung der Pflegekosten verpflichtet ist, wird dem
Vermögensbetreuer obliegen, sodass die Annahme eines Interessenkonfliktes in der Person der
Beteiligten zu 2) nahe liegt.
Zwar hat die Kammer eine Interessenkollision, die eine andere Betreuerauswahl rechtfertigen könne,
auch für den Fall verneint, dass die Beteiligte zu 2) zur Tragung der Pflegekosten verpflichtet sein sollte.
Die hierfür gegebene Begründung, die Beteiligte zu 2) erfülle ihre Verpflichtungen hinsichtlich des
vereinbarten „Altenteils“ geradezu vorbildlich, trägt diese Schlussfolgerung jedenfalls für den Bereich der
Vermögenssorge nicht.
Ganz außer Acht gelassen bei der Prüfung der Eignung der Beteiligten zu 2) als Vermögensbetreuerin hat
das Landgericht im Übrigen den Vortrag der Beteiligten zu 1) in den Schriftsätzen vom 27. Januar und 27.
März 2004, die der Beteiligten zu 2) nach Aktenlage wohl nicht zur Kenntnis gebracht wurden. Danach
sollen von dem Konto der Betroffenen, für das die Beteiligte zu 2) eine Kontovollmacht hat, erhebliche
Beträge abgebucht worden sein und unter anderem Anliegerbeiträge gezahlt worden sein, die die
Beteiligte zu 2) zu tragen habe. Diese habe auch im Dezember 2003 aus dem Vermögen der Betroffenen
die Überweisung eines Betrages in Höhe von jeweils 30.000 Euro an sich selbst und die Beteiligte zu 1)
veranlasst (dem entspricht die Angabe der Beteiligten zu 2) im Vermögensverzeichnis).
Ob diese „Schenkungen“ möglicherweise wegen eines unwirksamen Insichgeschäftes der
Bevollmächtigten oder wegen der zu diesem Zeitpunkt möglicherweise bereits bestehenden
Geschäftsunfähigkeit der Betreuten unwirksam sein könnten, kann dahingestellt bleiben. Unabhängig
davon besteht nämlich – sollte der Vortrag der Beteiligten zu 1) zutreffen – bereits jetzt ein Konflikt
zwischen den Anforderungen an eine Führung der Betreuung zum Wohl der Betroffenen und dem
Interesse der Beteiligten zu 2) an der Sicherung der eigenen finanziellen Verhältnisse, der bei der
Betreuerauswahl ins Gewicht fallen dürfte.
Denn es wird jedenfalls auch Aufgabe des Vermögensbetreuers sein, der Wirksamkeit der erfolgten
Schenkungen nachzugehen und eventuelle Rückforderungen geltend zu machen, was ebenfalls bei der
Prüfung des Vorliegens einer Interessenkollision zu berücksichtigen sein wird.
Die aufgezeigten Verfahrensfehler nötigen zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache, denn es
kann nicht ausgeschlossen werden, dass die angefochtene Entscheidung darauf beruht und das
Landgericht bei Beachtung der dargelegten Umstände eine andere - gegebenenfalls neutrale - Person als
Betreuer für den Bereich der Vermögenssorge bestellt hätte. Der Senat als Rechtsbeschwerdegericht
kann die erforderliche Ermessensentscheidung nicht nachholen, zumal die Beteiligte zu 2) nach
Aktenlage noch keine Gelegenheit hatte, sich zu der Frage der „Schenkungen“ zu äußern. Hierzu wird ihr
im weiteren Verfahren Gelegenheit gegeben werden müssen.
IV.
Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers hat der Senat im Hinblick auf die Aufhebung und
Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz abgesehen (Keidel/Kuntze/Winkler/Kayser, aaO, § 67
Rdnr. 4).
V.
Die Entscheidung des Senates ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO). Die Frage einer
etwaigen Kostenerstattung für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist im Hinblick auf den vorläufigen Erfolg
des Rechtsmittels dem Landgericht vorbehalten.
Den Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde hat der Senat gemäß §§ 131 Abs. 2, 30
Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 KostO festgesetzt.
Dury Petry Stutz