Urteil des OLG Zweibrücken vom 15.08.2002

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OLG
Zweibrücken
15.08.2002
4 U 195/01
Aktenzeichen:
4 U 195/01
6 O 143/00
Landgericht Frankenthal (Pfalz)
Verkündet am: 15. August 2002
Schollmayer, Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
P... AG
- Berufungsklägerin, Anschlussberufungsbeklagte und Klägerin -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt K..., ...
gegen
K...
Sch...,
- Berufungsbeklagter, Anschlussberufungskläger und Beklagter -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt B..., ...
wegen Zahlung eines Baukostenzuschusses
hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab sowie die Richter am Oberlandesgericht
Reichling und Friemel
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2002
für Recht erkannt:
I. Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der
6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 4. Oktober 2001 geändert und die Klage
abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor
Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin erstellte für das im Außenbereich der Gemeinde gelegene Hausanwesen des Beklagten E...
(oder "I... A...") in T... einen Stromanschluss und stellte hierfür mit Datum vom 23. April 1998 einen
Baukostenzuschuss in Höhe von 2 830,-- DM sowie Hausanschlusskosten in Höhe von 2 625,-- DM
(insgesamt einschließlich Inbetriebsetzungskosten in Höhe von 69,-- DM sowie 16 % Mwst.: 6 407,84 DM)
in Rechnung.
Der Beklagte zahlte die Hausanschlusskosten und trat dem weitergehenden Zahlungsbegehren mit der
Begründung entgegengetreten, die Kostenberechnung der Klägerin entspreche nicht den seit 1. April
1980 geltenden Bestimmungen der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die
Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV).
Der Hausanschluss für den Beklagten erfolgte an eine Verteilungsanlage (Erdkabel), die im Jahre 1983
hergestellt worden war. Die Kosten für die Herstellung dieser Anlage waren damals in gesetzlich
zulässiger Höhe auf die Eigentümer dreier dem Grundstück des Beklagten benachbarter Aussiedlerhöfe
umgelegt und von diesen gezahlt worden.
Die Klägerin, die über keine Unterlagen mehr über die Herstellungskosten der Stromverteilungsanlage
verfügt, hat vorgetragen, die Gesamtkosten für die Herstellung der Stromverteilungsanlage hätten sich auf
57 582,-- DM belaufen, von denen 70 % auf die vier dort angeschlossenen Grundstücke zu verteilen
seien, so dass auf den Beklagten ein Baukostenzuschuss in Höhe von 16 698,78 DM entfalle.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 13 473,41 DM
nebst 8 % Zinsen aus 5 277,84 DM seit Rechtshängigkeit
der Klageschrift vom 26. April 1999 sowie 8 % Zinsen
aus dem Differenzbetrag zur ursprünglichen Klageschrift,
das sind 8 195,57 DM seit Rechtshängigkeit des Schriftsatzes
vom 17. Februar 2000 zu zahlen und im Übrigen festzustellen,
dass die Hauptsache erledigt sei.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, er könne zur Zahlung eines Baukostenzuschusses nicht mehr
herangezogen werden, weil die Stromverteilungsanlage in den 80er-Jahren mit den Eigentümern der
damals erschlossenen drei Grundstücke vollständig abgerechnet worden sei.
Durch Urteil vom 4. Oktober 2001 hat der Einzelrichter der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal
(Pfalz) den Beklagten zur Zahlung von 8 036,56 DM nebst 8 % Zinsen aus gestaffelten Beträgen verurteilt,
festgestellt, dass die Klage in Höhe eines Betrages von 956,63 DM in der Hauptsache erledigt ist und die
weitergehende Klage abgewiesen. Der Ermittlung des nach seiner Auffassung vom Beklagten gemäß § 9
AVBEltV zu zahlenden Baukostenvorschusses hat der Einzelrichter ein von ihm eingeholtes
Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. J... J... über geschätzte Herstellungskosten für die
Verteileranlage in Höhe von 53 800,-- DM im Jahre 1983 zugrunde gelegt.
Gegen das dem Beklagten am 11. Oktober 2001, der Klägerin am 12. Oktober 2001 zugestellte Urteil
haben beide Parteien mit am Montag, dem 12. November 2001 eingegangenem Schriftsatz Berufung
eingelegt. Nur der Beklagte hat sein Rechtsmittel mit innerhalb gewährter Fristverlängerung am
14. Januar 2002 eingegangenem Schriftsatz begründet. Die Klägerin hat ihr Rechtsmittel in der
mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen J... seien nicht
geeignet, die Herstellungskosten der Stromverteilungsanlage im Jahre 1983 zuverlässig zu begründen.
Da die übrigen drei Aussiedler die möglichen Baukostenzuschüsse bereits in voller Höhe von 72 242,--
DM gezahlt hätten, komme allenfalls noch mit diesen ein interner Ausgleich entsprechend § 426 BGB in
Betracht. Im Übrigen hätten die Nachbarn ihm ihre bei einer Neuverteilung der Herstellungskosten
erwachsenden Rückerstattungsansprüche abgetreten, mit denen außergerichtlich bereits hilfsweise die
Aufrechnung erklärt worden sei.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt noch vor, die übrigen Anschlussnehmer hätten keine 72 242,-- DM Baukostenzuschuss
gezahlt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils und die im zweiten
Rechtszug noch gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden und hat auch in der Sache
Erfolg.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch nach § 9 Abs. 1 AVBEltV auf Zahlung eines
Baukostenzuschusses für den im Jahre 1998 eingerichteten Anschluss seines Hausanwesens an die
bereits im Jahre 1983 für drei Aussiedlerhöfe hergestellte Stromverteilungsanlage im Außenbereich der
Gemeinde T....
Nach der gesetzlichen Regelung ist das Elektrizitätsversorgungsunternehmen berechtigt, von den
Anschlussnehmern einen angemessenen Baukostenzuschuss zur teilweisen Abdeckung der bei
wirtschaftlicher Betriebsführung notwendigen Kosten für die Erstellung oder Verstärkung von
Verteilungsanlagen bis höchstens 30 kV zu verlangen, soweit sie sich ausschließlich dem
Versorgungsbereich zuordnen lassen, in dem der Anschluss erfolgt; Baukostenzuschüsse dürfen
höchstens 70 v. H. dieser Kosten abdecken.
Der Beklagte kann nach dieser Bestimmung zur Zahlung eines Baukostenzuschusses für die im Jahre
1983 hergestellte Stromverteilungsanlage nicht mehr herangezogen werden. Er ist zwar infolge seines
Antrags, sein Grundstück an die Anlage anzuschließen und über die in der Straße verlegte Hauptleitung
mit Strom zu versorgen, "Anschlussnehmer" im Sinne von § 9 Abs. 1 AVBEltV geworden (vgl. z. B.
BGHZ 100, 299 f; BGH WM 90, 1164; BGH NJW-RR 91, 408 ff). Eine Zahlungspflicht ist für ihn hieraus
aber nicht erwachsen, weil sein Anschluss an die öffentliche Stromversorgung keinerlei über die von ihm
bezahlten Hausanschlusskosten hinausgehende Kosten verursacht hat; insbesondere war, wie der
Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2002 eingeräumt hat, eine
Verstärkung der im Jahre 1983 hergestellten Stromverteilungsanlage nicht erforderlich gewesen.
Zu einer Beteiligung an den damals für die Errichtung der Anlage aufgewendeten Kosten kann der
Beklagte nicht mehr herangezogen werden. Unstreitig hat die Klägerin damals den nach § 9 Abs. 1 S. 2
AVBEltV möglichen Kostenanteil von 70 % der Baukosten in voller Höhe auf die drei Anschlussnehmer
umgelegt, für die die Anlage errichtet worden war, so dass ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der
Geltendmachung eines Baukostenzuschusses gegen den Beklagten nicht mehr gegeben ist.
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich insoweit auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin
sich damals gegenüber den drei Anschlussnehmern zu einer Neuverteilung und teilweisen
Rückerstattung verpflichtet haben sollte, wenn künftig weitere Anschlussnehmer in diesem
Stromversorgungsgebiet hinzukommen sollten, weil die Berechnungsgrundlagen nach § 9 AVBEltV
verbindlich sind und hiervon auch durch vertragliche Vereinbarungen nicht abgewichen werden darf (vgl.
BGH NJW-RR 88, 1427/1428). Eine künftige Neuverteilung der umlegungsfähigen Baukosten nach
bereits erfolgter Abrechnung ist nach dieser Vorschrift nicht vorgesehen. Die Regelung geht vielmehr
davon aus, dass sich Größe und Dimension einer neu zu errichtenden Stromverteilungsanlage an dem
akuten Bedarf der in Betracht kommenden Anschlussnehmer auszurichten hat, für die die Anlage errichtet
wird. Der Baukostenzuschuss stellt anders als die Kosten für den Hausanschluss nach § 10 AVBEltV kein
Entgelt für die Ausführung von Arbeiten zugunsten des Anschlussnehmers, sondern, vergleichbar einem
verlorenen Baukostenzuschuss, eine Umlage zur teilweisen Abdeckung der bei wirtschaftlicher
Betriebsführung notwendigen Kosten für die Erstellung oder Verstärkung von Verteilungsanlagen dar (vgl.
z. B. OLG Nürnberg, NJW-RR 88, 1525). Das bedeutet, dass für den Stromlieferanten bereits bei
Errichtung der Anlage feststehen muss, für wie viele Anschlussnehmer sie vorgesehen ist oder
vorgehalten werden muss. Innerhalb einer bebauten Ortslage, insbesondere wenn ein Bebauungsplan
vorliegt, ist dies unproblematisch, weil bei der Berechnung des Baukostenzuschusses für den einzelnen
Anschlussnehmer auch unbebaute Grundstücke (z. B. Baulücken) miteinbezogen werden können. Da die
Ansprüche des Stromlieferanten auf Zahlung von Baukostenzuschüssen erst in 30 Jahren verjähren
(allgemeine Meinung vgl. z. B. OLG Nürnberg, aaO), können hier ohne weiteres bis zu 70 % der
Baukosten auf die Grundstücke innerhalb des Versorgungsgebietes sofort verteilt und auch noch nach
Jahren von einem neuen "Anschlussnehmer" in der feststehenden Höhe angefordert werden.
Anders ist die Situation aber im Außenbereich, wenn der Stromlieferant aus konkretem Anlass gehalten
ist, bestimmte Grundstücke (hier drei Aussiedlerhöfe) mit Strom zu versorgen und zu diesem Zweck eine
neue Stromverteilungsanlage herstellen muss. Hier lässt sich eine Kostenverteilung auf weitere
Grundstücke nur dann rechtfertigen, wenn die Notwendigkeit einer künftigen Stromversorgung bei der
Errichtung der Verteilungsanlage bereits berücksichtigt werden konnte. Dies war vorliegend im Jahre
1983 unstreitig nicht der Fall und ist von der Klägerin bei der damaligen Festsetzung des
Baukostenzuschusses in Höhe des umlegungsfähigen Teils der Gesamtkosten unstreitig auch nicht
berücksichtigt worden. Die damalige Festsetzung war daher einmalig und endgültig (vgl. BGH NJW 87,
1828/1829).
Eine spätere Neuaufteilung wie dies gemäß § 10 Abs. 6 AVBEltV auf fünf Jahre befristet bei der Verteilung
der Kosten für die Herstellung eines Hausanschlusses möglich ist, sieht die Regelung in § 9 AVBEltV für
den Baukostenzuschuss nicht vor (vgl. Landgericht Münster, Urteil vom 18. März 1987; Az.: 2 O 41/87;
zitiert aus Datenbank "Beweis"). Es wäre unter Beachtung einer "wirtschaftlichen Betriebsführung" (vgl. § 9
Abs. 1 S. 1 AVBEltV) für das Stromversorgungsunternehmen auch unwirtschaftlich, auf die Dauer von bis
zu 30 Jahren bei jedem neu hinzukommenden Anschlussnehmer erneut eine Verteilung bereits
abgerechneter Kosten mit entsprechenden Rückerstattungen für die früheren Anschlussnehmer
vornehmen zu müssen.
Auf die Berufung des Beklagten ist das angefochtene Urteil daher antragsgemäß zu ändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtsfrage der Neufestsetzung eines Baukostenzuschusses einer
gemäß §§ 9 Abs. 1 AVBEltV vollständig abgerechneten Stromverteilungsanlage bei Hinzutreten weiterer
Anschlussnehmer soweit ersichtlich bisher höchstrichterlich nicht entschieden ist, die Rechtssache daher
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Staab Reichling Friemel