Urteil des OLG Stuttgart vom 17.03.2017

eltern, beschleunigungsgebot, gemeinsame elterliche sorge, sorgerecht

OLG Stuttgart Beschluß vom 17.3.2017, 17 WF 31/17
Leitsätze
1. Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren nicht beschleunigt durchgeführt worden ist, ist nicht
möglich; es ist jeweils eine einzelfallbezogene Betrachtung anzustellen.
2. Das Kindeswohl prägt und begrenzt den Beschleunigungsgrundsatz; Beschleunigung ist kein Selbstzweck.
3. Der Beschleunigungsgrundsatz soll vor allem verhindern, dass sich während des Verfahrens
Beziehungsverhältnisse verfestigen, dass eine Entscheidung in der Sache alleine durch Zeitablauf präjudiziert
wird.
4. Wegen des dem Amtsgericht bei seiner Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums ist
Gegenstand einer Beschleunigungsbeschwerde gemäß § 155 c FamFG nicht die Überprüfung der Richtigkeit der
Verfahrensführung des Amtsgerichts, sondern die Beachtung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots des §
155 Abs. 1 FamFG durch eine daran ausgerichtete Verfahrensförderung.
5. Hält das Amtsgericht ein Verfahren nicht für entscheidungsreif und liegen aus Sicht des Amtsgerichts
Sachgründe dafür vor, weiter - etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - Amtsaufklärung zu
betreiben, ist eine Überprüfung der Entscheidungsreife dem Beschwerdegericht entzogen.
Tenor
1. Die Beschleunigungsbeschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht
- Freudenstadt vom 10.01.2017, Az. 2 F 567/15, wird
zurückgewiesen
.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner
.
3. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1.
1 Der Kindesvater rügt sowohl in dem hiesigen Verfahren 17 WF 31/17 (Az. des Amtsgerichts 2 F 567/15 -
Verfahrensgegenstand: Sorgerecht/Aufenthaltsbestimmungsrecht) als auch in dem mit dem hiesigen
Verfahren in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Verfahren 17 WF 30/17 (Az. des Amtsgerichts 2 F
537/15 - Verfahrensgegenstand: Umgangsrecht), dass die bisherige Verfahrensdauer nicht dem Vorrang- und
Beschleunigungsgebot gemäß § 155 Abs. 1 FamFG entspreche (Beschleunigungsrüge).
2.
a)
2 Der Kindesvater und die Kindesmutter sind die miteinander verheirateten Eltern der Kinder …, geb. am …
01.2012, und …, geboren am …12.2012. Die Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht für die beiden
Kinder. Die Kinder leben seit der Trennung im Jahr 2015 bei der Kindesmutter.
3 Der Kindesvater und die Kindesmutter haben nach ihrer Trennung eine Vielzahl hochstreitiger
vermögensrechtlicher und nicht vermögensrechtlicher Verfahren vor dem Amtsgericht Freudenstadt geführt.
4 In dem - abgeschlossenen - Verfahren 2 F 425/15 schlossen die Eltern in der mündlichen Verhandlung vom
15.09.2015 eine Vereinbarung zu einem Umgang des Kindesvaters mit den beiden Kindern … und … wie
folgt:
5
- an jedem Mittwoch nach dem Vormittagskindergarten bis 19:00 Uhr,
- 14tägig sowohl am Samstag als auch am Sonntag jeweils von 10:00 Uhr bis 19:00 Uhr (d.h. ohne
Übernachtung).
6 Mit Beschluss vom 26.11.2015 genehmigte das Amtsgericht Freudenstadt in dem Verfahren 2 F 425/15 die
Vereinbarung der Eltern mit gewissen Modifikationen, wodurch bestimmte Örtlichkeiten, an denen das
Umgangsrecht ausgeübt werden kann, ausgeschlossen wurden, um einen Kontakt der beiden Kinder mit den
Eltern und den Schwestern des Kindesvaters auszuschließen, nachdem seitens der Kindesmutter Vorwürfe
des sexuellen Missbrauchs gegenüber den Eltern des Kindesvaters und dessen Schwestern erhoben worden
waren, weshalb auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war.
b)
7 Noch parallel zu dem Verfahren 2 F 425/15 hatte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 14.10.2015 einen
Antrag auf Ausschluss des Umgangs des Kindesvaters mit den beiden Kindern beim Amtsgericht
Freudenstadt eingereicht. Das Amtsgericht leitete hierauf das neue Umgangsverfahren 2 F 537/15 ein.
8 Aufgrund des mit Schriftsatz vom 20.10.2015 gestellten „Widerantrags“ des Kindesvaters auf Übertragung
des Aufenthaltsbestimmungsrechts für beide Kinder legte das Amtsgericht das neue sorgerechtliche
Verfahren 2 F 567/15 an.
9 Am 22.10.2015 führte das Amtsgericht in dem Umgangsverfahren 2 F 537/15 eine mündliche Verhandlung
mit einer Anhörung der Eltern und des Jugendamts Freudenstadt durch, am 23.11.2015 eine (gemeinsame)
Verhandlung in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 mit einer Anhörung des Sachverständigen Prof.
em. Dr. … .
10 Am 23.12.2015 stellte die Kindesmutter in dem sorgerechtlichen Verfahren 2 F 567/15 einen „Widerantrag“,
wonach ihr das Sorgerecht, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder … und …
übertragen werden solle.
11 An 20.01.2016 erstellte der Sachverständige Prof. em. Dr. … in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15
ein ausführliches schriftliches Gutachten zum Sorgerecht bzw. Aufenthaltsbestimmungsrecht und zum
Umgang des Kindesvaters mit den beiden Kindern. Der Sachverständige empfahl, dass die Kinder weiter
ihren Aufenthalt bei der Kindesmutter haben sollten und dass weiter ein gemeinsames Sorgerecht bestehen
solle. Der Sachverständige empfahl weiter, einen Umgang alle 14 Tage am Freitag nach dem Kindergarten
bis zum Sonntagabend mit Übernachtung der Kinder beim Kindesvater in einer eigenen Wohnung, allerdings
getrennt von dessen Eltern. Der Sachverständige führte hierzu aus, dass es nicht seine Aufgabe gewesen
sei, ein Glaubhaftigkeitsgutachten durchzuführen, dass er es aber für sehr unwahrscheinlich halte, dass die
Kinder von Seiten der Großeltern und Tanten missbraucht worden sein könnten. Sollte die
Staatsanwaltschaft keine Anklage gegen die Großeltern väterlicherseits und die Tanten erheben, sollten
keine Einschränkungen bezogen auf diese Personen mehr gelten. Würde die Kindesmutter dann immer noch
den Umgang der Kinder mit der väterlichen Familie und dem Kindesvater einschränken wollen, müsste ihr
das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und auf den Kindesvater übertragen werden.
12 Nachdem am 21.01.2016 ein Befangenheitsantrag der Kindesmutter gegen den Sachverständigen Prof. em.
Dr. … eingegangen war, nahmen die Beteiligten in beiden Verfahren in der Folgezeit in wechselseitigen
Schriftsätzen hierzu als auch zu dem Sachverständigengutachten selbst Stellung.
13 Das Jugendamt Freudenstadt hatte mit Schreiben vom 05.02.2016 zwischenzeitlich mitgeteilt, dass der
Kindesvater mit beiden Kindern Umgang nur in begleiteter Form haben solle, da eine Kontaktaufnahme des
Vaters mit den Kindern zu den Großeltern nicht auszuschließen sei, was angesichts des Verdachts des
sexuellen Missbrauchs vor Abschluss der polizeilichen Ermittlungen dem Kindeswohl widerspreche.
14 Der Kindesvater beantragte mit Schriftsatz vom 14.03.2016, den in dem abgeschlossenen Verfahren 2 F
425/15 erlassenen Beschluss des Familiengerichts Freudenstadt vom 26.11.2015 zu ändern und die am
15.09.2015 geschlossene Umgangsvereinbarung der Beteiligten ohne Modifikationen familiengerichtlich zu
genehmigen.
15 Mit Beschluss vom 02.06.2016 wies das Amtsgericht Freudenstadt das Ablehnungsgesuch der Kindesmutter
gegen den Sachverständigen zurück. Mit Verfügung ebenfalls vom 02.06.2016 bestimmte das Amtsgericht
Freudenstadt Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 23.06.2016, zu dem es den Sachverständigen
Prof. em. Dr. … zur Erläuterung seines Gutachtens lud. Darüber hinaus fragte das Amtsgericht bei den
Beteiligten wegen des Stands des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens an.
16 Mit Schriftsatz vom 20.06.2016 konkretisierte der Kindesvater seinen Abänderungsantrag zum
Umgangsrecht dahingehend, dass er mit beiden Kindern Umgang 14-tägig von Samstag 10:00 Uhr bis
Sonntag 19:00 Uhr, d.h. mit Übernachtung, und an jedem Mittwoch nach dem Vormittagskindergarten bis
19:00 Uhr hat.
17 In dem Verhandlungstermin vom 23.06.2016 wurde sowohl das Verfahren 2 F 537/15 als auch das
Verfahren 2 F 567/15 mit Anhörung des Sachverständigen ausführlich erörtert. Anträge zum
Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. Sorgerecht als auch zum Umgangsrecht wurden von den Beteiligten
gestellt. Das Amtsgericht Freudenstadt bestimmte Termin zur Verkündung einer Entscheidung in beiden
Verfahren auf den 21.07.2016.
18 In dem zwischen den Eheleuten im Mai 2016 eingeleiteten Scheidungsverfahren 2 F 320/16 hatte mit
Schriftsatz vom 06.07.2016 die Kindesmutter vortragen lassen, dass es am 28.05.2016 zu einem sexuellen
Kontakt zwischen ihr und dem Kindesvater gekommen und sie hiervon schwanger geworden sei. Mit
Beschluss vom 21.07.2016 hob das Amtsgericht Freudenstadt daraufhin die Verkündungstermine in den
Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 auf und bestimmte jeweils neuen Termin zur Verkündung einer
Entscheidung auf den 25.08.2016. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass es aufgrund der obigen
überraschenden Entwicklung die Anhörung der Beteiligten in dem auf den 11.08.2016 terminierten
Scheidungsverfahren abwarten wolle.
19 Mit Beschluss vom 25.08.2016 verlegte das Amtsgericht in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 die
Verkündungstermine vom 25.8.2016 auf den 13.09.2016, nachdem der Verhandlungstermin in dem
Scheidungsverfahren nicht am 11.08.2016, sondern aufgrund von Verlegungsanträgen erst am 08.09.2016
stattfinden könne.
20 Die Kindesvater wies in dem Verfahren 2 F 537/15 mit Schriftsatz vom 29.08.2015 darauf hin, dass nicht
nachzuvollziehen sei, welche Bedeutung der einmalige intime Kontakt auf sein Umgangsrecht mit seinen
Kindern haben könne.
21 Mit Schriftsatz vom 28.09.2016 wies der Kindesvater in beiden Verfahren darauf hin, dass sein
familiengerichtlich genehmigter Umgang mit den beiden Kindern zwar grundsätzlich stattfinde, dass es aber
deshalb zu Ausfallzeiten komme, da die Kindesmutter u.a. an seinen Umgangsterminen mit den Kindern in
Urlaub fahre und ihm hierfür keine Ersatztermine anbiete.
22 Wegen Verstoßes gegen ihre Verpflichtungen aus der in dem Verfahren 2 F 425/15 gerichtlich genehmigten
Umgangsvereinbarung hatte das Amtsgericht Freudenstadt zwischenzeitlich in dem Verfahren 2 F 4/16
gegen die Kindesmutter ein Ordnungsgeld von insgesamt 1.100,00 EUR festgesetzt. Die gegen diesen
Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde der Kindesmutter wurde durch Beschluss des Senats vom
05.08.2016, Az. 2 F 4/16, 17 UF 139/16, zurückgewiesen.
23 Mit Schriftsatz vom 10.09.2016 wies der Kindesvater in dem Verfahren 2 F 567/15 darauf hin, dass die
Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten sich dadurch verschärft habe, dass die Kindesmutter vor einem
Umgangstermin einem der Kinder einen Spionage-Stick in der Hose platziert habe, woraus ersichtlich sei,
dass der Mutter die Erziehungseignung fehle. Darüber hinaus teilte der Kindesvater mit, dass die
Staatsanwaltschaft nunmehr die Ermittlungsverfahren gegen die Großeltern und die Tanten wegen des
Missbrauchsvorwurfs eingestellt habe.
24 Mit Beschluss vom 13.09.2016 hob das Amtsgericht Freudenstadt aufgrund dieses Schriftsatzes des
Kindesvaters den Verkündungstermin vom 13.09.2016 auf und bestimmte neuen Termin zur mündlichen
Verhandlung auf den 04.10.2016, wozu es auch den Sachverständigen lud.
25 In dem Termin vom 04.10.2016 bestimmte das Amtsgericht für das Verfahren 2 F 537/15 Termin zur
Verkündung einer Entscheidung auf den 13.10.2016. In dem Termin vom 04.10.2016 hatte sich für die
Kindesmutter ein neuer Verfahrensbevollmächtigter legitimiert, der um Akteneinsicht und eine
Stellungnahmefrist von drei Wochen bat. Das Amtsgericht gab der Kindesmutter auf, binnen drei Wochen
nochmals Stellung zu nehmen. Der Kindesvater teilte zum Stand der strafrechtlichen Verfahren mit, dass
das Oberlandesgericht Stuttgart die Beschwerde der Kindesmutter gegen die Einstellung des
Ermittlungsverfahrens aus formalen Gründen abgewiesen habe. Mit Schriftsatz vom 10.10.2016 übersandte
der Kindesvater als Anlagen die in dem Ermittlungsverfahren ergangenen Verfügungen und Beschlüsse .
26 Mit Beschluss vom 19.10.2016 wies das Amtsgericht in dem Verfahren 2 F 537/15 darauf hin, dass in dem
auf den 13.10.2016 anberaumten Verkündungstermin u.a. wegen der zu gewährenden dreiwöchigen Frist
zur Stellungnahme für den neuen Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter keine Entscheidung habe
ergehen können. Neuer Termin zur Verkündung einer Entscheidung wurde in dem Verfahren 2 F 537/15 auf
den 15.11.2016 bestimmt.
27 Mit am 21.10.2016 eingegangenem Schriftsatz nahm die Kindesmutter in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F
567/15 nochmals ausführlich Stellung. Zum Beweis dafür, dass die Kinder durch sexuelles Verhalten der
Großeltern belästigt worden seien, beantragte sie die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens.
Diesem Beweisantrag trat der Kindesvater in beiden Verfahren mit Schriftsatz vom 07.11.2016 entgegen. Er
wies darauf hin, dass durch das Amtsgericht bereits ein Sachverständigengutachten eingeholt worden sei.
28 In dem Verfahren 2 F 567/15 hatte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 27.10.2016 zwischenzeitlich den
Antrag gestellt, ihr im Wege einer einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge übertragen. Aufgrund dieses
Antrags leitete das Amtsgericht Freudenstadt das einstweilige Anordnungsverfahren 2 F 718/16 ein. Der
Kindesvater beantragte mit Schriftsatz vom 20.12.2016 die Abweisung dieses Antrags.
c)
29 Mit am 23.12.2016 beim Amtsgericht Freudenstadt eingegangenem Schriftsatz erhob der Kindesvater in den
beiden Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 jeweils eine Beschleunigungsrüge gemäß § 155 b FamFG.
30 Er verwies auf den bisherigen Verfahrensverlauf, aus dem ersichtlich sei, dass beide Verfahren längst
entscheidungsreif seien. Insbesondere stelle die Tatsache, dass die Beteiligten am 28.05.2016 intim gewesen
seien und dass die Ehefrau schwanger sei, keinen Grund dar, eine längst überfällige Entscheidung zu
verweigern. Es lägen keine Gründe für die mehrfache Aufhebung der Verkündungstermine vor. Dass neue
Ereignisse stattfinden, dürfe im Ergebnis nicht dazu führen, dass ein Gericht keine Entscheidung treffe.
31 In dem Verfahren 2 F 567/15 habe das Gericht immer noch nicht entschieden, wie weiter zu verfahren sei.
In dem Verfahren 2 F 537/15 sei am 15.11.2016 keine Entscheidung verkündet worden.
32 Mit Beschluss vom 10.01.2017 wies das Amtsgericht Freudenstadt in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F
567/15 darauf hin, dass es erst heute dazu gekommen sei, die „Sachen …“ weiter zu betreiben. Das Gericht
habe hierbei allerdings auch die Bitte der Kindesmutter im Scheidungsverfahren, sie wolle ihr weiteres Kind
in Ruhe zur Welt bringen können, im Kopf gehabt. Das Amtsgericht wies auf die zuletzt gewonnenen
Erkenntnisse und die sich hieraus ergebenden Problemstellungen in den beiden Verfahren hin. Weiter
bestellte das Gericht den beiden Kindern in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 sowie in dem
einstweiligen Anordnungsverfahren 2 F 718/16 einen Verfahrensbeistand.
33 Der Beschluss vom 10.01.2017 wurde dem Kindesvater am 18.01.2017 zugestellt.
d)
34 Mit jeweils am 01.02.2017 beim Amtsgericht Freudenstadt eingegangenem Schriftsatz erhob der
Kindesvater daraufhin sowohl in dem Verfahren 2 F 537/15 als auch in dem Verfahren 2 F 567/15
Beschleunigungsbeschwerde gemäß § 155 c FamFG.
35 Er
beantragt
die Feststellung,
36 dass die bisherige Dauer des Verfahrens dem Vorrang-und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG
nicht entspricht.
37 Zur Begründung wies der Kindesvater auf seine Beschleunigungsrüge vom 20.12.2016, insbesondere auf die
Dauer der beiden Verfahren und deren Entscheidungsreife hin.
38 Auf die Beschleunigungsbeschwerde hin bestimmte das Amtsgericht Freudenstadt zunächst mit Verfügung
vom 06.02.2017 in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 jeweils Termin zur mündlichen Verhandlung
auf den 07.03.2017.
39 Auf den am 14.02.2017 eingegangenen Antrag des Kindesvaters, den Verhandlungstermin aufzuheben und
die Verfahren dem Oberlandesgericht Stuttgart vorzulegen, hob das Amtsgericht Freudenstadt mit Beschluss
vom 20.02.2017 den Verhandlungstermin vom 07.03.2017 auf und ordnete an, dass beide Akten dem
Oberlandesgericht Stuttgart vorgelegt werden. Das Amtsgericht hob die Komplexität der beiden Verfahren
hervor, die sich fortlaufend ergebenden neuen Umstände und die fortgeschrittene Schwangerschaft der
Kindesmutter, worauf das Amtsgericht Rücksicht genommen habe. Das Amtsgericht betonte, dass es in den
Verfahren 2 F 5375 und 2 F 567/15 keinen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz zu erkennen
vermöge. Das Amtsgericht führte noch aus, dass es erwäge, ein weiteres Sachverständigengutachten, das
sich speziell mit Fragen des sexuellen Missbrauchs beschäftigen solle, anzuordnen.
40 Ebenfalls am 14.02.2017 führte das Amtsgericht in dem einstweiligen Anordnungsverfahren 2 F 718/16 eine
mündliche Verhandlung durch, in der der Verfahrensbeistand einen ausführlichen Bericht erstattete. Er habe
die Kinder nicht belastet erlebt. Der Verfahrensbeistand plädierte angesichts der nach wie vor erhobenen
Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs durch die Kindesmutter dafür, nochmals ein Sachverständigengutachten
einzuholen. Für eine gemeinsame elterliche Sorge sehe er keine Grundlage. Bezüglich des Umgangs sprach
er sich für einen Umgang mit Übernachtungen aus. Auch das Jugendamt Freudenstadt befürwortete eine
nochmalige Überprüfung des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs.
41 Mit Beschluss vom 16.02.2007 wies das Amtsgericht Freudenstadt im einstweiligen Anordnungsverfahren 2
F 718/16 die Anträge der Kindesmutter zurück.
42 Die Akten 2 F 537/15 und 2 F 567/15 gingen mit den Beschleunigungsbeschwerden am 27.02.2017 beim
Oberlandesgericht Stuttgart ein.
43 Zuletzt hat der Kindesvater selbst im Beschwerdeverfahren mit am 07.03.2017 beim Senat eingegangenem
Schriftsatz eine gutachterliche Überprüfung der Erziehungseignung der Kindesmutter für geboten gehalten,
da diese aufgrund ihres zwanghaften Festhaltens an der Überzeugung, ein sexueller Missbrauch habe
stattgefunden, das Wohl der beiden Kinder beeinträchtige.
44 Die Kindesmutter gab im Beschwerdeverfahren die Erklärung ab, sie halte die Ausführungen des
Amtsgerichts zum Beschleunigungsgrundsatz für richtig.
II.
1.
45 Die Beschleunigungsbeschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freudenstadt vom
10.01.2017, dem durch Auslegung zu entnehmen ist, dass das Amtsgericht die Beschleunigungsrüge nicht
für begründet hält, ist statthaft gemäß § 155 c Abs. 1 S. 1 FamFG; sie ist in zulässiger Weise, insbesondere
form- und fristgerecht eingelegt (§ 155 c Abs. 1 S. 1, S. 2 FamFG).
46 Die Beschleunigungsbeschwerde ist unbegründet. Eine Verletzung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots
gemäß § 155 Abs. 1 FamFG kann nicht festgestellt werden.
2.
47 Handelt es sich - wie hier - um eine Kindschaftssache gemäß § 155 Abs. 1 FamFG, kann ein Beteiligter im
Wege der Beschleunigungsrüge gemäß § 155b Abs. 1 FamFG geltend machen, dass die bisherige
Verfahrensdauer nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot nach der genannten Vorschrift entspricht.
48 Hält das Amtsgericht die Beschleunigungsrüge für unbegründet, kann gegen dessen Beschluss
Beschleunigungsbeschwerde eingelegt werden, über die das Oberlandesgericht nach Aktenlage - spätestens
innerhalb eines Monats - zu entscheiden hat (§ 155 c Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 FamFG).
49 Das Beschwerdegericht hat gemäß § 155c Abs. 3 S. 3 FamFG festzustellen, ob die bisherige Dauer des
Verfahrens dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG entspricht.
3.
a)
50 Das Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG dient der Verkürzung der Verfahrensdauer in den
aufgeführten, das Kindeswohl besonders berührenden Streitigkeiten. Das Beschleunigungsgebot verpflichtet
das Gericht in erster Linie Verfahrensverzögerungen zu vermeiden (Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 3.
Aufl. 2014, § 155 Rn. 15). Es enthält weiter die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren zu einem zügigen
Abschluss zu bringen (Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 155 Rn. 17).
b)
51 Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren nicht beschleunigt durchgeführt wurde, ist dabei nach
Auffassung des Gesetzgebers nicht möglich (BT-Drs. 18/9092, S. 19). Maßgebend ist die Orientierung am
Kindeswohl, welches das Beschleunigungsgebot sowohl prägt als auch begrenzt, da Beschleunigung kein
Selbstzweck ist, sondern dazu dient, dass die Entscheidung in der Sache nicht durch bloßen Zeitablauf
faktisch präjudiziert wird (BT-Drs. 18/9092, S. 19; Keuter, FamRZ 2016, 1817, 1821).
52 Allgemeine Zeitvorgaben existieren nicht. Ob ein Verfahren unter Beachtung des
Beschleunigungsgrundsatzes durchgeführt worden ist, lässt sich immer nur auf den konkreten Einzelfall
bezogen feststellen (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 19. Aufl., § 155c Rn. 8).
4.
53 Hiernach begründet die bisherige Verfahrensdauer als solche - wie vom Kindesvater gerügt - keinen Verstoß
des Amtsgerichts gegen den Beschleunigungsgrundsatz.
54 Ungeachtet dessen, dass es keine generellen zeitlichen Vorgaben für den Abschluss von Kindschaftssachen
i.S.d. § 155 Abs. 1 FamFG geben kann, sind zur Einordnung die Ausführungen und Feststellungen des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Verfahrensdauer in seinem Beschluss vom
21.04.2011 (FamRZ 2011, 1823), der Auslöser für die Einrichtung einer Beschleunigungsbeschwerde durch
den deutschen Gesetzgeber war, von Interesse. Der EGMR bejahte - auch bei Vorliegen eines sehr
schwierigen Verfahrens - einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in einem Umgangsverfahren, das
vier Jahre und zehn Monate dauerte, und das den Umgang eines bei Einleitung des Verfahrens 1 ½ Jahre
alten Kindes, das zu diesem Zeitpunkt keinen Umgang zu seinem Vater hatte, zum Gegenstand hatte.
55 Das Bundesverfassungsgericht sah den Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz wegen einer
unangemessenen Verfahrensdauer in einem Fall verletzt, in dem das Amtsgericht 17 Monate lang nicht über
einen Eilantrag und auch in der Hauptsache zwei Jahre nach Antragseingang und drei Monate nach
Vorliegen des Sachverständigengutachtens keine Entscheidung getroffen hatte (BVerfG, FamRZ 2008,
2258).
56 Soweit der Kindesvater seine Beschleunigungsrüge mit dem Hinweis auf die Einleitung der Verfahren Ende
2015 und mit der bis zur Einlegung der Beschleunigungsrüge am 20.12.2016 abgelaufenen Verfahrensdauer
als solcher begründet hat, vermag diese alleine - auch im Kontext der obigen Entscheidungen - einen
Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz nicht zu begründen.
5.
a)
57 Bei einer Prüfung des Einzelfalls ist es allerdings auch bei der hier vorliegenden Verfahrensdauer von etwas
über einem Jahr nicht ausgeschlossen, zu einem Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz zu gelangen,
allerdings nicht wegen der Verfahrensdauer als solcher, sondern wegen nicht zu rechtfertigender
Verzögerungen relevanten Ausmaßes im konkreten Fall.
b)
58 Der Gesetzesbegründung zu § 155 c FamFG ist zu entnehmen, dass verhindert werden soll, dass sich
während des Verfahrens Bindungs- und Beziehungsverhältnisse - einschließlich eines etwaigen
Kontaktabbruchs - verfestigen oder verändern können und eine zu späte gerichtliche Entscheidung sich den
geänderten tatsächlichen Bindungen und Beziehungen nur noch beschreibend anpassen, diese aber nicht
mehr im Sinne des ursprünglichen Kindeswohls gestalten kann (BT-Drs. 18/9092, S. 19; Keuter, FamRZ
2016, 1817, 1821). Eine Entscheidung in der Sache soll demnach nicht durch bloßen Zeitablauf präjudiziert
werden (so auch EGMR, FamRZ 2011, 1283).
59 Das Amtsgericht Freudenstadt hat in dem abgeschlossenen Verfahren 2 F 425/15 durch das Hinwirken auf
die im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.09.2015 nur einen Monat nach Einleitung des dortigen
Verfahrens, geschlossene Vereinbarung der Eltern gesichert, dass bereits unmittelbar nach der Trennung der
Eltern, die nach deren Schilderungen zwischen Juli und September 2015 erfolgt ist, der Kontakt zwischen
Vater und Kindern über einen Umgang an jedem Mittwoch und 14-tägig sowohl am Samstag als auch am
Sonntag aufrecht erhalten blieb und dadurch gerade keine Entfremdung auftrat, die mit zunehmendem
Zeitablauf Fakten schafft.
60 Geht es nunmehr - wie im Verfahren 2 F 537/35 - „lediglich“ um eine - ungeachtet der Bedeutung des
Übernachtungsumgangs für den Kindesvater - vergleichsweise geringfügigere Abänderung einer
bestehenden Umgangsregelung, ist eine Beschleunigung des Verfahrens weniger dringend als in Verfahren,
in denen es um die Wiederanbahnung eines nicht stattfindenden Umgangs oder um den Ausschluss eines
Umgangs wegen einer Kindeswohlgefährdung geht (Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 155
Rn. 17).
61 Dass bei einer derartigen Konstellation keine Gefahr besteht, dass sich durch eine kürzere Verzögerung
während eines Verfahrens Bindungs- und Beziehungsverhältnisse derart verfestigen oder verändern
können, dass eine zu späte gerichtliche Entscheidung sich den geänderten tatsächlichen Bindungen und
Beziehungen nur noch beschreibend anpassen, diese aber nicht mehr im Sinne des ursprünglichen
Kindeswohls gestalten kann, hat auch das Oberlandesgericht Bremen (Beschluss vom 02.02.2017, 4 UF
13/17 - in juris) in einer der ersten veröffentlichten Entscheidungen zu der Beschleunigungsbeschwerde
gemäß § 155 c FamFG betont.
62 Das Amtsgericht durfte aufgrund der Mitteilung des Kindesvaters im Verfahren davon ausgehen, dass der
vereinbarte und durch Beschluss genehmigte Umgang weitestgehend auch tatsächlich umgesetzt wird.
Soweit der Kindesvater vorgetragen hat, dass die Kindesmutter diesen Umgang zeitweise durch Urlaube
unterläuft, hat dies keinen Einfluss auf eine etwaige Abänderung dieses Umgangs, sondern betrifft vielmehr
eine Sanktionierung etwaiger Verstöße gegen die bestehende Umgangsregelung. Auch diesbezüglich hat das
Amtsgericht durch seinen Ordnungsgeldbeschluss vom 24.05.2016, Az. 2 F 4/16, die erforderlichen
Maßnahmen veranlasst, um eine den vereinbarten Umgang des Kindesvaters mit den Kindern
einschränkende Vorgehensweise der Kindesmutter zu unterbinden.
63 Auch für das Verfahren über das Aufenthaltsbestimmungsrecht/Sorgerecht hatte die Aufrechterhaltung eines
engen Kontakts des Kindesvaters zu beiden Kindern zur Konsequenz, dass - hier unter sorgerechtlichen
Gesichtspunkten - keine Entfremdung der Kinder von ihrem Vater einer Ausübung des Sorgerechts bzw.
auch einem etwaigen Aufenthaltswechsel, verbunden mit der Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts, entgegenstehen kann.
c)
64 Neben dem Vorstehenden ist bei dem anzulegenden Maßstab für die Prüfung eines etwaigen Verstoßes
gegen das Beschleunigungsgebot maßgeblich Folgendes mit einzubeziehen:
65 Bei den am Amtsgericht Freudenstadt geführten Verfahren 2 F 567/15 und 2 F 537/15 handelt es sich um
Kindschaftsverfahren unter der Beteiligung von Eltern, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, die ihre
Auseinandersetzungen hoch konflikthaft untereinander austragen und die ihr Verhalten, wenn es um ihren
Streit geht, ganz offensichtlich nicht am Wohl ihrer Kinder orientieren. Allein die Anzahl von bereits über
zehn innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums zwischen den Eltern zu allen denkbaren Fallgestaltungen bis
zu einem Namensbestimmungsrecht geführten Verfahren lässt nur den Rückschluss zu, dass es den Eltern
an jeglicher Fähigkeit fehlt, gemeinsam und zeitnah am Wohl ihrer Kinder orientierte Lösungen für einzelne
Problemkreise zu finden.
66 Es handelt sich hier um zwei Kindschaftsverfahren, denen komplexe Fragestellungen sowohl zum
Umgangsrecht als auch zum Sorgerecht zu Grunde liegen. Beide Eltern haben sowohl zum Umgangs- als
auch zum Sorgerecht jeweils Anträge und Wideranträge gestellt. Die Anträge wurden zum Teil während der
Verfahren geändert bzw. modifiziert. Zu nennen sind hier insbesondere der neue Umgangsantrag des
Kindesvaters vom 23.06.2016 im Verfahren 2 F 537/15 und der Antrag der Kindesmutter vom 27.10.2016
auf Übertragung der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung.
d)
67 Für die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz festzustellen ist, ist im
Ausgangspunkt weiter von Bedeutung, dass dem Amtsgericht bei der Verfahrensgestaltung ein
Gestaltungsspielraum zukommt. Auf einer richterlichen Sachprüfung beruhende Maßnahmen, wie etwa eine
für erforderlich gehaltene Sachverhaltsaufklärung (§ 26 FamFG), stellen Rechtsanwendung dar und sind der
Beurteilung des Beschwerdegerichts grundsätzlich entzogen. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist
nicht die Überprüfung der Richtigkeit der Verfahrensführung, sondern die Beachtung des Vorrang- und
Beschleunigungsgebots des § 155 Abs. 1 FamFG durch eine daran ausgerichtete Verfahrensförderung. Etwas
anderes kann hier nur gelten, wenn das richterliche Verhalten unter Berücksichtigung der Belange einer
funktionstüchtigen Rechtspflege nicht mehr verständlich ist (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 19. Aufl., § 155c Rn.
8).
e)
68 Unter Berücksichtigung der maßgebenden Grundlagen und Gesamtumstände kann kein Verstoß gegen das
Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 Abs. 1 FamFG durch die Verfahrensführung des Amtsgerichts
festgestellt werden.
69 Dies ergibt sich aus der nachfolgenden Betrachtung.
70 Das Amtsgericht Freudenstadt hat sehr schnell einen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt,
danach einen zweiten Termin mit Anhörung eines Sachverständigen. Nach insgesamt ca. drei Monaten
Verfahrensdauer lag u.a. aufgrund der beschleunigten Behandlung durch das Amtsgericht bereits das
ausführliche schriftliche Sachverständigengutachten vom 20.01.2016 vor.
71 Erste eingetretene Verzögerungen gehen nicht auf das Amtsgericht, sondern auf die Eltern selbst, konkret
auf den am 21.01.2016 eingegangenen Befangenheitsantrag der Kindesmutter, zurück. Sowohl zu diesem
Antrag als auch zu dem Inhalt des Sachverständigengutachtens selbst hatte das Amtsgericht in der Folgezeit
zur Wahrung rechtlichen Gehörs ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren.
72 Eine besondere Schwierigkeit für beide Verfahren liegt nach Auffassung auch der professionellen Beteiligten
wie dem Sachverständigen, dem Jugendamt und dem Verfahrensbeistand zweifelsohne in dem von der
Kindesmutter vermuteten sexuellen Missbrauch der Kinder durch enge Verwandte des Vaters. Wenn das
Amtsgericht hier, wie von ihm betont, aufgrund seiner besonderen Verantwortung für das Wohl der Kinder
Erkenntnisse aus den laufenden Ermittlungsverfahren in seine Beurteilung einfließen lassen wollte und
hierzu bei den Beteiligten wegen des Gangs und des Abschlusses der Ermittlungsverfahren nachgefragt hat,
ist dies sachgerecht. Die vom Kindesvater zeitnah mitgeteilten Ergebnisse aus den Ermittlungsverfahren
einschließlich dem Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart lagen erst Anfang
Oktober 2016 vor.
73 Originär auf das konkrete Verhalten beider Beteiligter ging ein weiteres - in Verfahren dieser Art durchaus
nicht alltägliches - Ereignis, die Eingehung eines erneuten sexuellen Kontakts zwischen den Eltern mit einer
nachfolgenden Schwangerschaft der Kindesmutter, zurück. Wenn das Amtsgericht angesichts dieser
wahrhaft überraschenden Entwicklung - gerade auch zum Wohl der Kinder … und … - prüft, ob sich die
Haltung der beiden Eltern zueinander geändert hat, ist auch dies nicht zu beanstanden. Dass das
Amtsgericht zur diesbezüglichen Abklärung den bereits festgelegten, kurzfristig anstehenden
Anhörungstermin im Scheidungsverfahren nutzen wollte, der aufgrund eines Terminsverlegungsantrags der
Beteiligten dann verlegt werden musste, begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen das
Beschleunigungsgebot.
74 Am 10.09.2016 galt es für das Amtsgericht eine neue Entwicklung, den Vorgang mit dem den Kindern durch
die Kindesmutter heimlich mitgegebenen Spionagestick, zu würdigen und in die Prüfung der weiteren
Vorgehensweise einfließen zu lassen, nachdem hierdurch die Erziehungseignung der Kindesmutter, gerade
auch unter dem Gesichtspunkt der Bindungstoleranz, in Frage gestellt sein konnte. Insofern ist auch die
Anberaumung eines weiteren Verhandlungstermins auf den 04.10.2016 nicht zu beanstanden.
75 Schließlich sah sich das Amtsgericht in diesem Termin mit einem Wechsel des Verfahrensbevollmächtigten
der Kindesmutter konfrontiert. Um keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör zu begehen, musste das
Amtsgericht diesem Umstand durch Gewährung von Akteneinsicht und einer angemessenen
Stellungnahmefrist Rechnung tragen, womit u. a. einherging, dass der Verkündungstermin vom 13.10.2016
aufgehoben werden musste.
76 Schließlich ging am 21.10.2016 zunächst ein Beweisantrag der Kindesmutter auf Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens zur Abklärung eines etwaigen sexuellen Missbrauchs der Kinder sowie - wie
bereits ausgeführt - mit Schriftsatz vom 27.10.2016 deren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
zum Sorgerecht ein.
77 Wenn es zuletzt in den Monaten November und Dezember 2016 - bei einer isolierten Betrachtung - zu
kleineren Verzögerungen in der Verfahrensgestaltung des Amtsgerichts in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F
567/15 gekommen ist, sind diese noch vertretbar und führen bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung
noch nicht zu einem relevanten Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG und damit auch
nicht zu einer Begründetheit einer Beschleunigungsrüge bzw. -beschwerde.
78 Von Bedeutung ist hierbei, dass bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Vorrang- und
Beschleunigungsgebot - wie in der Gesetzesbegründung ausdrücklich betont - nicht von dem Maßstab eines
„idealen Richters“ auszugehen ist, sondern vielmehr anhand des konkreten Einzelfalles ein objektiver
Maßstab anzulegen ist (BT-Drs. 18/9092, S. 19 Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 19. Aufl., § 155c Rn. 8).
79 Nicht aus dem Blick geraten darf hierbei Folgendes:
80 Auch ohne Berücksichtigung des Umstands, dass aufgrund des Zuschnitts jeden familiengerichtlichen
Referats immer eine Reihe von Kindschaftssachen gleichzeitig gemäß § 155 Abs. 1 FamFG beschleunigt
betrieben werden müssen, ist bei einer konkreten Betrachtung festzustellen, dass das Amtsgericht die
beiden komplexen Kindschaftssachen 2 F 537/15 und 2 F 567/15 gleichzeitig jeweils unter Berücksichtigung
des Vorranggebots betreiben musste. Hinzu kam am 27.10.2016 noch das neue Verfahren 2 F 718/16, das
als (einziges) Verfahren der einstweiligen Anordnung - neben den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 -
besonders beschleunigt zu betreiben war, was das Amtsgericht auch getan hat.
81 In diesem Zusammenhang ist der Kindesvater darauf hinzuweisen, dass das Amtsgericht durch die
Beschleunigungsrügen in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 keineswegs gehindert war, das
einstweilige Anordnungsverfahren 2 F 718/16 weiter zu betreiben. Nach der Begründung des Gesetzgebers
ist das Amtsgericht selbst in den Verfahren, in denen eine Beschleunigungsbeschwerde erhoben worden ist,
nicht gehindert - soweit möglich - das Ausgangsverfahren fortzuführen und insbesondere bereits begonnene
Maßnahmen durchzuführen (BT-Drs. 18/9092, S. 18). Die Verpflichtung des Amtsgerichts, gemäß § 155 c
Abs. 1 S. 3 FamFG die Akten nach Eingang der Beschleunigungsbeschwerde dem Beschwerdegericht
unverzüglich vorzulegen, bleibt unberührt.
6.
82 Soweit der Kindesvater einen Schwerpunkt seiner Beschleunigungsrüge darauf gelegt hat, dass das
Amtsgericht trotz Entscheidungsreife weder im Umgangsverfahren 2 F 537/15 noch im
Sorgerechtsverfahren 2 F 567/15 verfahrensbeendende Beschlüsse erlassen hat, gilt Folgendes.
83 Ob ein Verfahren entscheidungsreif und zu beenden oder ob noch weitere Sachaufklärung zu betreiben ist,
obliegt allein dem Amtsgericht. Es ist seine Entscheidung, auf welcher Grundlage es eine Endentscheidung
treffen will. Hierzu könnte das Beschwerdegericht das Amtsgericht auch nicht anweisen (KG Berlin,
Beschluss vom 31.01.2017, 13 WF 12/17 - in juris).
84 So stellt insbesondere der Umstand, dass das Amtsgericht nach seinen Ausführungen in seinem
Vorlagebeschluss vom 14.02.2017 in den Verfahren 2 F 567/15 und 2 F 537/15 weiteren Aufklärungsbedarf
sieht, weshalb es (wohl) beabsichtigt, ein weiteres Gutachten einzuholen, um in dem hiesigen,
hocheskalierten Elternkonflikt eine Entscheidung treffen zu können, die dem Kindeswohl entspricht, keine
Verletzung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots dar, sondern eine Verfahrensweise im Wege der
Amtsaufklärung, die grundsätzlich keiner Überprüfung unterliegt. Ausreichend ist, dass es hier aus Sicht des
Amtsgerichts hinreichende Sachgründe für die Einholung eines neuen Gutachtens gibt (KG Berlin, Beschluss
vom 31.01.2017, 13 WF 12/17 - in juris), zumal auch der Verfahrensbeistand und das Jugendamt
Freudenstadt sich ebenfalls für die Einholung eines solchen Gutachtens ausgesprochen haben und zuletzt im
Beschwerdeverfahren auch der Kindesvater - für das sorgerechtliche Verfahren - eine weitere
Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens für geboten hielt.
85 Der Senat geht davon aus, dass das Amtsgericht bei seiner weiteren Verfahrensführung das
Beschleunigungsgebot gemäß § 155 Abs. 1 FamFG, das bei zunehmender Verfahrensdauer noch mehr an
Bedeutung gewinnt, im Auge behält und damit vermeidet, dass, auch wenn keine „übermäßigen“ Phasen
gerichtlicher Untätigkeit festzustellen sind, die Gesamtdauer eines Kindschaftsverfahrens eine
„angemessene Verfahrensdauer“ überschreitet (EGMR, FamRZ 2011, 1283).
III.
86 Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
1/3 des regulären Hauptsachewerts (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG) festgesetzt (so auch KG Berlin, Beschluss
vom 31.01.2017, 13 WF 12/17 - in juris). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass der Wert für eine
Beschleunigungsbeschwerde sich regelmäßig nach dem Interesse des Beschwerdeführers an der vorrangigen
und beschleunigten Verfahrensbearbeitung richtet. Der Wert ist gemäß § 42 Abs. 2 FamGKG nach billigem
Ermessen zu bestimmen, wobei sich ein Bruchteil des in § 45 FamGKG für die Kindschaftssache bestimmten
Werts anbietet (Schneider, FamRB 2016, 479).