Urteil des OLG Stuttgart vom 20.01.2017

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OLG Stuttgart Beschluß vom 20.1.2017, 17 UF 193/16
Leitsätze
Der volljährige Unterhaltsberechtigte kann den Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes gegen einen Elternteil,
gegen den ein Titel über Barunterhalt besteht, ohne ein Abänderungsverfahren eigenständig geltend machen.
Der Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes ergibt sich aus § 1601 BGB (analog).
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart-
Bad Cannstatt vom 14.7.2016, Az. 2 F 587/16, dahingehend abgeändert, dass der Antragsgegner verpflichtet
wird, an die Antragstellerin 2.076,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 1.886,00 EUR seit 1.4.2016 und aus weiteren 190 EUR seit dem 1.5.2016 zu bezahlen.
2. Im Übrigen werden der Antrag der Antragstellerin und die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt die Antragstellerin 8,4%, der Antragsgegner 91,6%.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.264 EUR festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1 Die volljährige Antragstellerin verlangt vom Antragsgegner, ihrem Vater, die Auszahlung von Kindergeld.
2 Die Antragstellerin studiert zwischenzeitlich im 9. Semester an der Fachhochschule in Aalen. Die Beteiligten
haben am 12.11.2013 vor dem Amtsgericht Aalen, Az. 6 F 357/13, einen Vergleich dahingehend
geschlossen, dass der Antragsgegner an die Antragstellerin monatlichen Unterhalt i.H.v. 700 EUR bezahlt.
Zu diesem Zeitpunkt bezog die Mutter der Antragstellerin, die mit dem Antragsgegner nicht zusammenlebt,
das Kindergeld für die Antragstellerin. Zum 1.5.2015 wurden die Kindergeldzahlungen an die Mutter der
Antragstellerin eingestellt, da die Antragstellerin bei dieser nicht mehr wohnte. Auf Hinweis der
Antragstellerin beantragte der Antragsgegner in der Folge die Auszahlung des Kindergeldes an sich, was
rückwirkend ab dem 1.5.2015 erfolgreich war. Mit Schreiben vom 16.6.2015 forderte die Antragstellerin den
Antragsgegner auf, das bezogene Kindergeld an sie auszuzahlen.
3 Die Antragstellerin hat vor dem Amtsgericht einen Betrag i.H.v. 2.264 EUR als vom Antragsgegner für den
Zeitraum Mai 2015 bis April 2016 bezogenes Kindergeld geltend gemacht.
4 Der Antragsgegner rügte die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts, da er in der Schweiz wohne. Der
Unterhalt von 700 EUR, den er monatlich bezahle, sei bedarfsdeckend. Die Antragstellerin habe
zwischenzeitlich die Regelstudienzeit überschritten. Außerdem zweifele er an einem ordnungsgemäßen
Studium in Aalen, da die Antragstellerin zwischenzeitlich in Stuttgart wohne. Die Mutter der Antragstellerin
sei bereits bei Abschluss des Vergleiches im Jahr 2013 nicht kindergeldberechtigt gewesen. Bei dem
vereinbarten Unterhaltsbetrag sei Kindergeld auf den Bedarf der Antragstellerin nicht angerechnet worden.
5 Das Amtsgericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 14.7.2016 verpflichtet, an die Antragstellerin
2.264 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Stuttgart-Bad
Cannstatt ergebe sich aus Art. 5 des Lugano-Übereinkommens. Gemäß Art. 3 des Haager
Unterhaltsprotokolls sei deutsches Recht anwendbar. Die Antragstellerin habe einen familienrechtlichen
Ausgleichsanspruch auf Auskehr des vom Antragsgegner bezogenen Kindergeldes. Zwar ergäben sich aus
dem Vergleich vom Jahr 2013 keine Berechnungsgrundlagen. Da gemäß § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB das
Kindergeld zur Deckung des Barbedarfs in voller Höhe zu verwenden sei, sei davon auszugehen, dass es mit
dem vereinbarten Unterhaltsanspruch i.H.v. 700 EUR bereits verrechnet sei. Eine hiervon abweichende
Berechnung habe der Antragsgegner nicht nachgewiesen. Auch die Umstände des Vergleichsabschlusses
würden hierfür sprechen. Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch bestünde gemäß § 1613 Abs. 1 BGB
erst ab Inverzugsetzung, d.h. ab dem Schreiben vom 16.6.2015. Damit könne für Mai 2015 kein Anspruch
geltend gemacht werden. Die zwischenzeitlich aufgelaufenen Beträge würden jedoch den beantragten
Zahlbetrag von 2.264 EUR in jedem Fall erreichen.
6 Gegen den am 26.7.2016 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 26.8.2016 Beschwerde
eingelegt. Innerhalb der verlängerten Beschwerdebegründungsfrist bringt der Antragsgegner vor, der vom
Amtsgericht angenommene familienrechtliche Ausgleichsanspruch finde im Gesetz keine Grundlage. Auch §
1612 b BGB sei keine Anspruchsgrundlage. Ein Anspruch könne sich nur aus § 1601 ff. BGB ergeben. Ein
Abänderungsantrag sei von der Antragstellerin jedoch nicht gestellt worden. Es sei zu berücksichtigen, dass
die Regelstudienzeit überschritten sei. Substantiierte Darlegungen, dass sie ihr Studium zielstrebig und mit
Fleiß betreibe, seien nicht erfolgt. Der Wohnort in Stuttgart spreche dagegen. Zudem habe die
Antragstellerin nicht dargelegt, ob sich aufgrund der aktuellen Einkommensverhältnisse eine anteilige
Haftung der Mutter am Unterhalt ergebe.
7 Der Antragsgegner beantragt:
8
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts-Familiengerichts-Stuttgart Bad
Cannstatt vom 14.7.2016 dahingehend abgeändert, dass der Antrag der Antragstellerin abgewiesen wird.
9 Die Antragstellerin beantragt,
10 die Beschwerde zurückzuweisen.
11 Sie verteidigt den angegriffenen Beschluss. Auf den Bedarf der Antragstellerin sei beim Vergleichsabschluss
das Kindergeld bereits angerechnet gewesen. Die Mutter habe das Kindergeld, solange sie es bezogen habe,
an die Antragstellerin ausgekehrt. Das Amtsgericht sei zu Recht von einem familienrechtlichen
Ausgleichsanspruch ausgegangen.
12 Der Senat hat den Beteiligten mit Beschluss vom 28.11.2016 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet und
zugleich angekündigt, im Falle des Nichtzustandekommens des Vergleichs ohne mündliche Verhandlung
gemäß §§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 S. 2 FamFG zu entscheiden. Dem Vergleichsvorschlag hat keiner der
Beteiligten zugestimmt.
13 Der Antragsgegner bringt ergänzend zum Hinweisbeschluss vor, dem Bundeskindergeldgesetz sei der klare
Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dass das Kindergeld nicht an das volljährige Kind ausbezahlt werde,
was zur Folge habe, dass es auch nicht an dieses ausgekehrt werden solle. Wenn ausschließlich der
tatsächliche Bezug des Kindergeldes durch einen Elternteil für den Anspruch auf Auskehr maßgeblich sei,
könne der Elternteil bei unrechtmäßigem Bezug aufgrund falscher Informationen durch das Kind einem
Rückforderungsanspruch ausgesetzt sein. Im Rahmen der Kostenentscheidung sei zu berücksichtigen, dass
die Antragstellerin erst in der mündlichen Verhandlung konkrete Angaben zu ihrem Studienverlauf gemacht
habe. Aufgrund der aus seiner Sicht grundlegenden rechtlichen Fragestellungen beantragt der
Antragsgegner die Zulassung der Rechtsbeschwerde.
II.
14 Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nur zu
einem geringen Teil begründet.
15 1. Das Amtsgericht hat zu Recht dem Grunde nach einen Anspruch der Antragstellerin auf Auszahlung des
vom Antragsgegner bezogenen Kindergeldes angenommen. Es handelt sich zwar nicht um einen
familienrechtlichen Ausgleichsanspruch, der nur den Ausgleich zwischen mehreren Unterhaltspflichtigen
regeln soll. Vielmehr ist der Anspruch auf Auskehr des von einem Elternteil bezogenen Kindergeldes
ebenfalls ein unterhaltsrechtlicher Anspruch (siehe Göppinger/Wax/Keske, Unterhaltsrecht, 9. Aufl., Rn.
804). Damit gelten für den Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes die Regeln der §§ 1601 ff. BGB zumindest
entsprechend. Anspruchsgrundlage ist somit § 1601 BGB (analog).
16 Der Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes ist nicht im Wege eines Abänderungsverfahrens durchzusetzen.
Vielmehr kann dieser Anspruch eigenständig neben dem weiteren Unterhaltsanspruch auf Barbedarf des
Kindes geltend gemacht werden. Denn beim Bedarf des Kindes wird das Kindergeld gemäß § 1612 b Abs. 1
BGB gerade angerechnet. Nur wenn sich bei dieser Bedarfsberechnung Änderungen ergeben, ist dies im
Wege der Abänderung vorzunehmen (vergleiche Göppinger/Wax, a.a.O., Rn. 803). Bei der Ermittlung des
Barbedarfs des Kindes wird das Kindergeld deshalb jeweils vorab abgezogen (vergleiche z.B. BGH, FamRZ
2007, 542, Rn. 14). Diese Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhaltsbedarf geht einher mit einem
Anspruch des Kindes auf Auskehr des Kindergeldes (BGH, FamRZ 2007, 542, Rn. 29; FamRZ 2006, 99, Rn.
26).
17 Die Einwendungen des Antragsgegners gegen das Fortbestehen des Unterhaltsanspruchs bzw. die Höhe des
Unterhaltsanspruchs der Antragstellerin sind vorliegend nicht zu prüfen. Zum einen kann dies nur im
Rahmen eines Abänderungsverfahrens geschehen, zum anderen hängt der Anspruch auf Auskehr des
Kindergeldes nur davon ab, dass der Antragsgegner dieses bezieht. Selbst wenn er im Übrigen keinen
Barunterhalt mehr schulden sollte, kann er gegenüber der Antragstellerin nicht beanspruchen, dass das
Kindergeld bei ihm verbleibt. Der Antragsgegner bringt weiterhin nicht vor, woraus er entnimmt, dass er
ohne eine Abänderung des Unterhaltstitels der Antragstellerin seit dem 1.5.2015 finanziell besser gestellt
werden soll, indem er das Kindergeld behalten dürfte. Diese Einschätzung ist schon denklogisch nicht
nachvollziehbar.
18 Ob der Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes aus § 1601 BGB (analog) auch besteht, wenn die
Bezugsberechtigung des Elternteils fraglich ist, worauf der Antragsgegner in seiner Stellungnahme zum
Hinweisbeschluss abhebt, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn der Antragsgegner bringt nicht vor,
dass er eine Rückforderung befürchten müsse. Im Falle einer insoweit ungeklärten Rechtslage könnte sich
gegebenenfalls eine Aussetzung nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 148 ZPO anbieten.
19 2. Der Senat geht wie das Amtsgericht davon aus, dass bei Abschluss des Vergleichs vor dem Amtsgericht
Aalen im November 2013 entsprechend der Regelung des § 1612 b Abs. 1 BGB auf den Bedarf der
Antragstellerin das Kindergeld bereits angerechnet wurde. Dies ergibt sich zum einen aus dem Vorbringen
beider Beteiligter in der beigezogenen Akte 6 F 357/13 des Amtsgerichts Aalen. Auch wenn im Vergleich
nicht mehr ausdrücklich aufgeführt, haben beide Beteiligte ihre in den Schriftsätzen dargelegten
Berechnungen und die sich daraus ergebenden Unterhaltsansprüche der Antragstellerin unter
Berücksichtigung des Kindergeldes dargestellt. Auch die Kostenentscheidung von 3/4 zu Lasten des
Antragsgegners bestätigt dies. Wäre bei dem vereinbarten Unterhaltsbedarf der Antragstellerin das
Kindergeld nicht bereits abgezogen gewesen, wäre rechnerisch eine Kostenaufhebung ermittelt worden.
20 Die weiteren Umstände sprechen ebenfalls hierfür. Die Mutter der Antragstellerin bezog zu diesem
Zeitpunkt das Kindergeld. Es war nicht absehbar und im Übrigen vom Antragsgegner auch nicht angestoßen,
dass er 1,5 Jahre später das Kindergeld ausbezahlt erhalten wird.
21 3. Ausweislich ihrer Anspruchsbegründung hat die Antragstellerin zum Gegenstand dieses Verfahrens
lediglich die Ansprüche auf Auskehr des Kindergeldes für den Zeitraum Mai 2015 bis April 2016 gemacht. Nur
über diese Ansprüche durfte das Amtsgericht als dem von der Antragstellerin vorgegebenen
Verfahrensgegenstand entscheiden. Dabei kann die Antragstellerin, wie vom Amtsgericht zutreffend
ausgeführt, gemäß § 1613 Abs. 1 BGB mangels Inverzugsetzung für den Monat Mai 2015 keine Ansprüche
geltend machen. Der Antragsgegner hat damit für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum insgesamt
2.076 EUR erhalten (7 × 188 EUR in 2015 und 4 × 190 EUR in 2016). Diesen Betrag kann die
Antragstellerin vom Antragsgegner verlangen. Die vom Amtsgericht zugesprochenen Zinsen kann die
Antragstellerin aus Verzug (§§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB) beanspruchen.
III.
22 Eine erneute mündliche Verhandlung lässt angesichts der geklärten Sachlage keine neuen Erkenntnisse
erwarten, weswegen der Senat wie angekündigt auf deren Durchführung verzichtet (§§ 117 Abs. 3, 68 Abs.
3 S. 2 FamFG). Angesichts der Reaktionen beider Beteiligter auf den Vergleichsvorschlag des Senats ist eine
einvernehmliche Lösung in einer mündlichen Verhandlung fernliegend.
23 Die Kostenentscheidung hat der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach dem Verhältnis
von Obsiegen und Unterliegen getroffen (§ 243 S. 1, 2 Nr. 1 FamFG). Dass die Antragstellerin nach Ansicht
des Antragsgegners vor Einleitung des Verfahrens keine konkreten Angaben zum Studienverlauf gemacht
hat, ist für die Kostenentscheidung irrelevant, da der Antragsgegner jedenfalls auf das Vorbringen der
Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung hierzu nicht durch verfahrensrechtliche Erklärungen reagiert
hat.
24 Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich (§ 70 Abs. 2 FamFG). Den Anspruch
auf Auskehr des Kindergeldes hat der Bundesgerichtshof mehrfach in den zitierten Entscheidungen genannt,
so dass weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gegeben ist noch eine Fortbildung des Rechts
oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.