Urteil des OLG Stuttgart vom 16.03.2017

gefahr, beweislast, mitverschulden, anhörung

OLG Stuttgart Urteil vom 16.3.2017, 13 U 165/16
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Körperverletzung
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 29. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 29.09.2016
wird
zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
3. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Streitwert für beide Instanzen: 7.633,04 EUR
Gründe
I.
1 Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen eines Vorfalls, der sich am 02.10.2014 auf dem
Cannstatter Wasen ereignete. Beide standen auf Bierbänken und stürzten herunter, woraufhin es zu einer
Auseinandersetzung kam, deren Verlauf streitig ist. Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Einzelnen
wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
2 Das Landgericht wies die Klage ab. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge
weiter.
3 Die Klägerin beantragt,
4
unter Abänderung des am 29.09.2016 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart
5
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 4.000,00
EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.10.2014 zu
bezahlen,
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2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 1.320,00 EUR sowie einen
Verdienstausfallschaden in Höhe von 1.313,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 02.10.2014 zu bezahlen,
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3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den weiteren materiellen und immateriellen
Schaden aus dem Vorfall vom 02.10.2014 im Festzelt S. zu ersetzen,
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4. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe
von 664,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
zu bezahlen.
9 Der Beklagte beantragt,
10 die Berufung zurückzuweisen.
II.
11 Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender
Begründung, auf die Bezug genommen wird, wies das Landgericht die Klage mangels Nachweises einer
Körperverletzungshandlung ab.
1.
12 Zu Recht war das Landgericht nicht davon überzeugt, dass der Beklagte die Klägerin am 02.10.2014 am
Körper oder der Gesundheit verletzte.
a)
13 Richtig hatte das Landgericht schon Zweifel an der Nachweisbarkeit der Darstellung der Klägerin, der
Beklagte sei für ihren Sturz verantwortlich.
aa)
14 Voraussetzung einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB ist das Vorliegen einer vom Schädiger begangenen
Handlung im Rechtssinne, an der es fehlt, da die Klägerin sie nicht beweisen kann.
(1)
15 Verletzungshandlung im Rechtssinn ist nur ein der Steuerung durch Bewusstsein und Willen unterliegendes
und insofern grundsätzlich beherrschbares menschliches Verhalten. Wird die zu einem Schaden führende
Kausalkette hingegen durch einen unwillkürlichen, körperlichen Reflex oder durch eine physische
Zwangslage (vis absoluta) in Gang gesetzt, hatte der Schädiger in Wahrheit gar keine Möglichkeit, sich
anders zu verhalten, als er es getan hat. Da sowohl die durch das Deliktsrecht vermittelten Anreize zu
sorgfältigem Verhalten in solchen Fällen ins Leere gehen als auch von personaler Verantwortung im
rechtsethischen Sinn keine Rede sein kann, scheidet eine Haftung aus. Dieses Ergebnis entspricht der
Wertung des § 827 S. 1 BGB, der die Verantwortlichkeit für einen im Zustand der Bewusstlosigkeit
verursachten Schaden ausschließt und damit einen Ausschnitt aus dem Kreis der hier in Betracht
kommenden Fälle regelt (Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 823 Rn. 63
m.w.N.).
(2)
16 Das Vorliegen einer Rechtshandlung in diesem Sinn bestreitet der Beklagte, der geltend macht, von der
Bank herunter gezogen worden zu sein. Die Berufungserwiderung stellt zwar auch in den Raum, dass nicht
der Beklagte die Klägerin, sondern diese den Beklagten angestoßen haben könnte, was aber nicht der
Einlassung des Beklagten anlässlich seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht
entspricht. Dort gab der Beklagte an, die Klägerin mit seinem Rücken angestoßen zu haben, nachdem er, als
die Bank, auf der er tanzte, gewackelt habe, „mehr oder weniger runtergezogen“ worden sei und das
Gleichgewicht verloren habe oder, wie er später auf Nachfrage erklärte, die Klägerin angestoßen zu haben,
nachdem er selbst, als er „irgendwie die Hände gehoben“ hatte, „wohl von der linken Seite angestoßen“
worden war, das Gleichgewicht verlor und „dann einen Schritt nach hinten zwischen die Bänke gegangen“
sei, „um nicht zu stürzen.“
(3)
17 Schwierigkeiten bereitet die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, wenn Streit um das Vorliegen einer
willkürlichen menschlichen Handlung besteht. Der BGH ist bereits zweimal mit dieser Frage konfrontiert
worden und hat danach unterschieden, ob „das äußere Erscheinungsbild eines eigenständigen Handelns des
Täters in Frage steht“ oder nicht. In der ersten Entscheidung ging es um eine Wirtshaus-Schlägerei, bei der
sich nicht aufklären ließ, ob der schadensträchtige Wurf einer Kegelkugel in das Gesicht des Klägers auf einer
willkürlichen Handlung des Beklagten oder vielmehr auf einer Reflexbewegung infolge eines Schlages in die
Magengrube beruhte. Der BGH legte dem Geschädigten die Beweislast für das Vorliegen einer willkürlichen
menschlichen Handlung auf und wies die Klage ab (BGHZ 39, 103). Genau anders herum entschied das
Gericht mit Blick auf einen schweren Verkehrsunfall, bei dem sich nicht aufklären ließ, ob der Unfallwagen
deshalb auf die Gegenfahrbahn geraten war, weil der Fahrer am Steuer einen Herzinfarkt erlitten hatte.
Hier sah sich der BGH an die Wertung des § 827 S. 1 BGB gebunden und verallgemeinerte sie auf sämtliche
Fälle, in denen das Fehlen einer willkürlichen menschlichen Handlung auf inneren Vorgängen beruht.
Folgerichtig wurde der Haftpflichtversicherung die Darlegungs- und Beweislast dafür auferlegt, dass ihr
Versicherungsnehmer im Zeitpunkt der Schädigung bewusstlos war (BGHZ 98, 135). Die Beweislast liegt
nach der Rechtsprechung des BGH also nur in den Fällen beim Schädiger, „bei denen bereits das äußere
Erscheinungsbild eines eigenständigen Handelns des Täters in Frage steht“ (Wagner a.a.O. Rn. 65 m.w.N.).
(4)
18 Geht man davon aus, dass der Beklagte ohne eigene Reaktion auf die Klägerin stürzte, als er selbst
gestoßen wurde und deswegen das Gleichgewicht verlor , trägt die Klägerin die volle Beweislast, was die
Berufung nicht in Frage stellt. Die Klägerin muss dann ausschließen, dass der Verletzungsvorgang unter
physischem Zwang erfolgt oder als unwillkürlicher Reflex durch fremde Einwirkung ausgelöst worden ist.
(a)
19 Die Berufung greift die diesbezügliche Beweiswürdigung des Landgerichts an, jedoch zu Unrecht. Zu Recht
und mit zutreffender Begründung kam es zu dem Ergebnis, dass nicht nachweisbar ist, dass der Beklagte
wegen eines eigenen Fehlverhaltens auf die Klägerin stürzte.
20 Richtig stellte das Landgericht darauf ab, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellbar
war, weshalb der Beklagte die Klägerin anstieß und die Einlassung des Beklagten nicht widerlegt werden
kann, er sei mehr oder weniger von der Bierbank herabgezogen worden, wobei er das Gleichgewicht
verloren habe. Die Klägerin und die Zeugin A. konnten nichts Sicheres dazu sagen, wie es dazu kam, dass
der Beklagte die Klägerin anstieß. Die Klägerin äußerte bei ihrer Anhörung, in den Rücken gestoßen worden
und dadurch zu Fall gekommen zu sein und nicht sagen zu können, wie es dazu gekommen sei. Auf
Nachfrage des Gerichts erklärte sie: „Der Beklagte ist heruntergefallen und hat mich hierbei mitgezogen.“
Die Zeugin R. konnte nichts dazu sagen, weshalb der Beklagte nach hinten kippte. Auch die übrigen Zeugen
konnten zur Ursache des Sturzes des Beklagten keine Angaben machen. Wenn das Landgericht bei dieser
Lage nicht mit der erforderlichen Sicherheit von der Richtigkeit der Behauptung der Klägerin überzeugt war,
der Beklagte habe verantwortlich im Rechtssinne gehandelt, ist das nicht zu beanstanden. Konkrete Zweifel
an der Vollständigkeit und Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen bestehen nicht (§ 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO).
(b)
21 soweit die Klägerin meint, dass der Sturz auf das heftige Tanzen des Beklagten auf der Bierbank
zurückzuführen gewesen sei, ließ sich ein solches Verhalten des Beklagten ebenfalls nicht nachweisen. Es
wurde von den Zeugen nicht bestätigt, weshalb es nicht zu beanstanden ist, wenn das Landgericht hiervon
nicht überzeugt war.
(5)
22 Allerdings könnte man die Erklärung des Beklagten, die er auf Nachfrage abgab, einen Schritt nach hinten
gegangen zu sein, um nicht zu stürzen, auch dahin interpretieren, dass der Beklagte eine willentlich
gesteuerte Reaktion dahin zeigte und nicht nur reflexartig nach hinten ging. Dann läge eine Handlung im
Sinne von § 823 BGB vor und die übrigen Voraussetzungen von § 823 BGB wären zu prüfen, was am
Ergebnis jedoch nichts ändern würde (unten cc).
bb)
23 Die Entlastung des Schädigers im Falle eines nicht willensgesteuerten Vorfalls setzt voraus, dass der
Schädiger sich nicht schuldhaft in eine Lage manövriert hat, in der ihm eine Steuerung des eigenen
Verhaltens nicht mehr möglich war. Folgerichtig kann sich nicht entlasten, wer am Steuer eines
Kraftfahrzeuges einschläft, auf die Gegenfahrbahn gerät und dort mit einem entgegenkommenden Fahrzeug
frontal zusammenstößt (Wagner a.a.O. Rn. 64 m.w.N.).
24 Zu Recht kam das Landgericht zu dem Ergebnis, dass das Tanzen des Beklagten auf der Bierbank eine solche
Annahme nicht rechtfertigt. Es ist nicht als vorwerfbar anzusehen, dass der Beklagte zum Tanzen auf die
Bierbank stieg. Dieses Verhalten birgt zwar die Gefahr, angestoßen zu werden und dadurch andere
herabzustoßen und zu Fall zu bringen, in sich. Richtig sah das Landgericht dieses Verhalten aber als im
Festzelt üblich und daher als zulässig und nicht zu beanstanden an.
25 Richtig führte das Landgericht aus, es sei bei Besuchern eines Festzeltes, wie dem vorliegenden, durchaus
üblich, dass diese kollektiv auf die Bierbänke steigen und dort zur Musik tanzen (VG Stuttgart, Urteil vom
31.01.2014 -1 K 173/13, juris Rn. 23). Das Verhalten des Beklagten wie auch der Klägerin entspreche dem
einer Vielzahl der übrigen Gäste im Zelt, so auch dem aller Zeugen und Begleiter der Beteiligten. Daher
könne im Besteigen der Bierbank zum Tanzen keine Pflichtwidrigkeit gesehen werden. Die Gefahr, dass die
Bierbank, wenn Personen sie besteigen und auf ihr tanzen, wackelt und hierdurch Personen das
Gleichgewicht verlieren und stürzen können, habe von Anfang an bestanden und sei für alle Personen - die
Klägerin eingeschlossen - erkennbar gewesen (OLG Hamm, Beschluss vom 20.10.2015 - 9 U 142/14, juris
Rn. 4 a.E.). Durch den Beklagten sei keine über diese allgemeine Gefahr hinausgehende Gefährdung
geschaffen worden.
26 Die allgemeine Gefahr kannte die Klägerin und nahm sie in Kauf. Daher liegt mangels nachweisbaren
weitergehenden Fehlverhaltens des Beklagten wie bei Sport oder Spiel, wenn die Regeln eingehalten
werden, ein nach früherer Dogmatik die Rechtswidrigkeit und nach heute vorherrschender Ansicht die
Pflichtwidrigkeit des Tuns des Beklagten ausschließendes Handeln der Klägerin auf eigene Gefahr vor
/Wagner a.a.O. Rn. 79 f., 691 ff. m.w.N.).
cc)
27 Interpretiert man die weitere, auf Nachfrage abgegebene Erklärung des Beklagten, einen Schritt nach
hinten gegangen zu sein, um nicht zu stürzen, dahin, dass der Beklagte den Schritt nach hinten aufgrund
einer willentlich gesteuerten Reaktion tat und nicht nur reflexartig nach hinten ging, läge darin wie oben
erwähnt eine Handlung im Sinne von § 823 BGB. Die Prüfung der übrigen Voraussetzungen von § 823 BGB
führt jedoch ebenfalls zu einer Verneinung der Haftung.
28 Der Schritt nach hinten ist nicht als Pflichtwidrigkeit anzusehen, sondern als ein Verhalten des Beklagten im
Rahmen der an ihn zu stellenden Sorgfaltsanforderungen. Nachdem er angestoßen worden war und das
Gleichgewicht verloren hatte, war er berechtigt, um einen Sturz zu verhindern, den Schritt nach hinten zu
machen.
(1)
29 Die Kriterien, nach denen sich der Umfang deliktischer Sorgfaltspflichten bestimmt, sind weitgehend
identisch mit denjenigen Gesichtspunkten, von denen ihre Existenz abhängt. Nach einer stehenden
Formulierung der Rechtsprechung umfasst die rechtlich gebotene Verkehrssicherung diejenigen Maßnahmen,
die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und
ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Danach bestehen Verkehrspflichten immer nur im
Rahmen der dem Sicherungspflichtigen in der konkreten Handlungssituation ex ante zur Verfügung
stehenden faktischen und rechtlichen Handlungsmöglichkeiten. Die deliktischen Sorgfaltspflichten verlangen
keine absolute Sicherheit in dem Sinne, dass der Eintritt von Rechtsgutsverletzungen schlechthin
ausgeschlossen wäre, denn: „Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch“. Der
Sicherungspflichtige ist daher weder gehalten, jede abstrakte Gefahr auszuschließen, noch dazu
verpflichtet, konkrete Gefahren gänzlich auszuschließen oder auf einen Wahrscheinlichkeitswert nahe null
zu minimieren. Die deliktsrechtlichen Sorgfaltspflichten enden nicht erst am empirisch-technisch und
rechtlich Möglichen, sondern bereits an der Grenze des Zumutbaren. Soweit sich die vom Geschädigten
erlittene Rechtsgutsverletzung nicht durch zumutbare Sorgfaltsmaßnahmen hätte verhindern lassen, kann
sie dem Schädiger nicht als „Unrecht“ vorgeworfen werden, sondern ist vom Geschädigten als „Unglück“
hinzunehmen (Wagner a.a.O. Rn. 421 ff. m.w.N.).
(2)
30 Nachdem der Klägerin wie den anderen Festzeltbesuchern die allgemeine Sturzgefahr durch das Tanzen auf
den Bierbänken bekannt war und sie und die weiteren auf den Bierbänken tanzenden Personen andere
Besucher durch ihr Tun ebenfalls in Gefahr brachten, war der Beklagte, nachdem er angestoßen worden
war, berechtigt, zur Verhinderung eines Sturzes zu reagieren. Dass es ihm durch den Schritt nach hinten
nicht gelang, sicher auf den Boden zu kommen, sondern er dabei die Klägerin anstieß und beide stürzten,
hält sich im Rahmen des von allen Hinzunehmenden und ist als dem Beklagten nicht anzulastendes Unglück
anzusehen.
b)
31 Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Landgericht nicht von der Behauptung der Klägerin überzeugt
war, der Beklagte habe sie nach dem Sturz ins Gesicht und gegen den Hals geschlagen. Die Klägerin
bekundete dies zwar anlässlich ihrer Anhörung. Ebenso bestätigte die Zeugin R. dies. Dem steht jedoch das
Bestreiten des Beklagten gegenüber, das durch die Aussagen der Zeuginnen K. und H. bestätigt wurde, die
beide erklärten, dass die Klägerin den Beklagten angriff. Auffällig ist zwar, worauf die Berufung hinweist,
dass diese beiden Zeuginnen nichts vom Sturz des Beklagten und der Klägerin wussten. Daraus kann jedoch
nicht mit der erforderlichen Sicherheit abgeleitet werden, dass sie in Bezug auf die dem Sturz nachfolgende
Auseinandersetzung die Unwahrheit sagten und der Wahrheit zuwider bekundeten, nicht der Beklagte habe
die Klägerin, sondern diese den Beklagten angegriffen. Die beiden Zeuginnen kannten den Beklagten nicht
und tanzten nur zufällig mit ihm zusammen auf der gleichen Bierbank, stehen ihm also nicht nahe und
hatten daher keinen Anlass, zu seinen Gunsten unwahr auszusagen. Ebenso bekundete der Zeuge M.,
gesehen zu haben, wie die Klägerin den Beklagten schlug. Er erklärte zwar auch, nicht zu wissen, was dem
voranging, weil er immer zur Bühne geschaut habe. Doch daraus ergibt sich jedenfalls nichts zu Gunsten der
Klägerin. Wenn das Landgericht bei dieser Sachlage nicht davon überzeugt war, dass der Beklagte die
Klägerin körperlich angriff, ist dies nicht als fehlerhaft im Sinne von § 529 ZPO anzusehen.
2.
32 Zu Recht, im Ergebnis aber ohne Belang, beanstandet die Berufung die rechtliche Beurteilung des
Landgerichts dahin, dass die Klägerin jedenfalls ein solch überwiegendes Mitverschulden treffe, dass ein
Verschulden des Beklagten, sofern man ein solches annehmen wollte, dahinter zurücktreten würde, weil sie
wie der Beklagte auf einer Bierbank tanzte und dabei ihr Bierglas in der Hand hielt, was das Abfangen eines
Sturzes erschwerte. Dieses Verhalten ist nicht dazu geeignet, ein solch überwiegendes Mitverschulden der
Klägerin zu begründen, dass ein mögliches Verschulden des Beklagten dahinter vollkommen zurücktreten
könnte.
a)
33 Unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung gemäß § 254 BGB ist die vollständige Überbürdung des
Schadens auf einen der Beteiligten nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen. Ob ein vollständiger
Haftungsausschluss gerechtfertigt ist, kann jeweils nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Urteil vom 07.02.2006 - VI ZR
20/05, juris Rn. 12 m.w.N.).
b)
34 Die Gefahr, beim Tanzen auf der Bierbank derart heftig angestoßen zu werden, dass ein Sturz
unausweichlich war, war für die Klägerin nicht derart groß, dass sie damit unmittelbar rechnen musste und
deshalb in ihrem Tanzen auf der Bank oder dem Halten des Bierglases beim Tanzen auf der Bank ein solch
großes Verschulden gesehen werden müsste, dass ein Verschulden des Beklagten dahinter auf jeden Fall
zurücktreten würde. Ein solch überwiegendes Mitverschulden könnte nur angenommen werden, wenn für
die Klägerin aufgrund besonderer Umstände, die hier nicht vorliegen, erkennbar gewesen wäre, dass sie
angestoßen werden und zu Sturz kommen würde.
35 Doch kommt es auf diese fehlerhafte landgerichtliche Beurteilung mangels feststellbaren Verschuldens des
Beklagten nicht an.
II.
36 Die Berufung war nach alledem mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
37 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
38 Die Revision war mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Satz
1 ZPO).
III.
39 Das Landgericht berücksichtigte bei der Streitwertbemessung den Feststellungsantrag nicht. Der Streitwert
war daher für beide Instanzen auf 7.633,04 EUR festzusetzen.