Urteil des OLG Stuttgart vom 16.02.2016

treu und glauben, auslobung, öffentliche bekanntmachung, publikation

OLG Stuttgart Urteil vom 16.2.2016, 12 U 63/15
Auslobung: Rechtsbindungswille bei einer negativen Auslobung; Auslegung eines
Preisausschreibens hinsichtlich des Nachweises des Masernvirus
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 12.03.2015 - 4 O 346/13 -
abgeändert und wie folgt gefasst:
(1) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 492,54 EUR nebst jährlicher Zinsen hieraus in Höhe von
5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.04.2014 zu bezahlen.
(2) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung des Beklagten wird als unzulässig verworfen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
4. Das Urteil und das Urteil des Landgerichts, soweit es aufrechterhalten wird, sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 110.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten in der Hauptsache darüber, ob der Kläger den vom Beklagten für den Nachweis des
Masernvirus ausgelobten Betrag von 100.000 EUR beanspruchen kann.
2
1. Der Beklagte, ein Biologe, vertritt - entgegen der einhelligen Meinung in der Wissenschaft - die
Auffassung, dass Masern nicht durch Viren verursacht werden, es vielmehr einen Masernvirus nicht gebe
und nicht geben könne. Auf der Internetseite des von ihm betriebenen „k...-k... Verlages“ hat er am
24.11.2011 ein „Preisgeld“ von 100.000,00 EUR wie folgt ausgelobt:
3
„Das Preisgeld wird ausgezahlt, wenn eine wissenschaftliche Publikation vorgelegt wird, in der die
Existenz des Masern-Virus nicht nur behauptet, sondern auch bewiesen und darin u. a. dessen
Durchmesser bestimmt ist.
4
Das Preisgeld wird nicht ausgezahlt, wenn es sich bei der Bestimmung des Durchmessers des Masern-Virus
nur um Modelle oder Zeichnung wie ... handelt ...“
5
Wegen weiterer Einzelheiten des Textes wird auf die ausführliche Darstellung im Tatbestand des Urteils des
Landgerichts Ravensburg sowie auf die Anlage K 1 verwiesen. Ob der vollständige Text der Auslobung auf
der Internetseite des „k...-k... Verlages“ zu sehen oder erst durch den Aufruf des - ebenfalls im Internet
hinterlegten - Newsletters gelesen werden konnte, ist in zweiter Instanz streitig geworden. Der Kläger
war jedenfalls nicht Bezieher des Newsletters.
6
Der Kläger, damals noch Student und heute Arzt, legte mit Schreiben vom 31.01.2012 (Anl. K 4) dem
Beklagten mehrere Publikationen vor, die nach seiner Auffassung die Existenz des Masernvirus zweifelsfrei
belegen und bat um Auszahlung des Preisgeldes. Der Beklagte lehnte dies ab, weil der Nachweis des
Masernvirus nicht geführt sei.
7
Der Beklagte betreibt des Weiteren den Verlag „W... A... und Verlag“, auf dessen Homepage im Internet am
13.04.2014, drei Tage nach dem ersten Verhandlungstermin in hiesiger Sache, zeitweise zu lesen war:
8
„Am Montag, 14.04.2014 berichten wir an dieser Stelle, auf die wir per Newsletter hinweisen werden,
dass, warum und wie der unpromovierte, fachfremde Jungarzt D... B... und seine illegalen Hintermänner
im „Wetten, dass es keine Masernviren gibt!“-Prozess am 10.04.2014, vor dem Landgericht Ravensburg,
das Gericht und die Öffentlichkeit angelogen hat. Wir rechnen damit, dass Dr. L... am 24.04.2014
freigesprochen wird und D... B... wegen Gerichtsbetrug, Zahlungsunfähigkeit der Gerichts- und
Anwaltsgebühren, Auslagen und Aufwandsentschädigungen, Beihilfe zu massenhafter Körperverletzung,
zum Teil mit Todesfolge und wegen Fluchtgefahr ins Ausland verhaftet wird.“
9
Der Kläger wandte sich hiergegen und verlangte vom Beklagten eine strafbewehrte
Unterlassungserklärung, die dieser am 15.04.2014 abgab (Anl. K 11).
10 Von den auf Seiten des Klägers angefallenen Anwaltskosten in Höhe von 492,54 EUR hat er 155,00 EUR
selbst bezahlt und wurde hinsichtlich des überschießenden Betrages von der die übrige Zahlung
erbringenden R... Rechtsschutzversicherungs-AG zur Geltendmachung ermächtigt.
11 Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen,
sämtliche Anforderungen, die der Beklagte in seiner Auslobung aufgestellt habe, seien erfüllt. Durch die
von ihm vorgelegten Publikationen werde zweifelsfrei die Existenz des Masernvirus im wissenschaftlichen
Sinne bewiesen und dessen Durchmesser bestimmt.
12 Die geltend gemachten außergerichtlichen Anwaltskosten für die Einholung einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung habe der Beklagte bereits deshalb zu tragen, weil er für den Inhalt seiner
Homepage verantwortlich sei. Auch spreche der Anscheinsbeweis dafür, dass dieser selbst die Inhalte auf
seine Homepage gestellt habe.
13 Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
14
1. den Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 100.000,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
seit dem 01.05.2012 zu zahlen;
15
2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine Nebenforderung in Höhe von 2.924,07 EUR an
außergerichtlichen Anwaltskosten zu zahlen;
16
3. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 492,54 EUR nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 16.04.2014 zu zahlen.
17 Der Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19 Der Beklagte hat in erster Instanz vorgetragen,
die vorgelegten Publikationen erfüllten nicht die Anforderungen, die durch die Auslobung gestellt worden
seien. Die Existenz des Masernvirus müsse bewiesen werden durch eine Publikation seitens des R...-K...-
Instituts (im Folgenden: RKI), welches hierfür nach § 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG) zuständig sei. Dies
ergebe sich schon daraus, dass hinsichtlich der in Deutschland erfolgten Auslobung auf die hier für die
Beweisführung im Bereich von Infektionskrankheiten eigens geschaffenen Regeln des IfSG abzustellen sei.
Aus dem Kontext der Auslobung ergebe sich deren Zweck eindeutig dahingehend, dass geklärt werden
solle, ob eine dem K...´schen Postulat der Isolation des Erregers entsprechende Dokumentation des RKI
vorliege.
20 Verlangt worden sei zudem die Vorlage einer einzigen Publikation, in der sowohl der Nachweis für die
Existenz des Masernvirus erbracht als auch dessen Durchmesser bestimmt werde, sodass es nicht genüge,
wenn - wie vom Sachverständigen vertreten - lediglich die Kombination der wissenschaftlichen Aussagen in
den sechs vorgelegten Fachartikeln die Existenz des Masernvirus beweise und zumindest zwei dieser
Artikel hinreichende Angaben zum Durchmesser des Masernvirus enthielten. Im Übrigen erfüllten die
vorgelegten Publikationen inhaltlich nicht die Anforderungen an die Beweisführung. Bei den darin als
Masernviren ausgegebenen Phänomenen handele es sich tatsächlich um zelleigene Transportvesikel
(Bläschen). Keine der vorgelegten Dokumentationen beruhe auf Versuchen, bei denen der Erreger - wie
geboten - zuvor isoliert und biochemisch charakterisiert oder gar eine solche Isolierung wissenschaftlich
dokumentiert worden sei. Die Art der Beweisführung bei den Versuchen, auf die sich der Kläger berufe,
entspreche nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik und nicht den Anforderungen an eine
Beweisführung unter Beachtung der K...´schen Postulate. Außerdem seien die vorgelegten Arbeiten bereits
deshalb ungeeignet, weil sie ausnahmslos aus der Zeit vor Inkrafttreten des IfSG am 01.01.2001 stammten
und keine Publikation des RKI darstellten. Auch die Bestimmung des Durchmessers sei nicht fundiert
erfolgt. Allein der in einer der vorgelegten Publikationen angegebene Größenrahmen von 300 bis 1000 nm
widerlege bereits die These vom Virus, da sich Viren durch eine geringe Variation ihres Durchmessers
zwischen 15 und maximal 400 nm auszeichneten. Im Übrigen gehe aus einer Auskunft des RKI vom
24.01.2012 hervor, dass der Durchmesser von Masernviren 120 - 400 nm betragen soll und oftmals
Ribosomen in ihrem Innern enthalten seien, wobei Letztere aber der Existenz eines Masernvirus
entgegenstünden.
21 Die Erklärung auf der Homepage des Verlages „W... A... und Verlag“ stamme nicht von ihm und sei zum
Zeitpunkt der geforderten Unterlassungserklärung auch bereits nicht mehr dort eingestellt gewesen. Er
habe demnach keine Veranlassung zur außergerichtlichen Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des
Klägers gegeben.
22 Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des
Landgerichts sowie die im ersten Rechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die
Sitzungsniederschriften verwiesen.
23 2. Das Landgericht hat durch Urteil, dessen Tenor am Ende des letzten Verhandlungstermins durch
Verlesen verkündet wurde (Bl. 150, 151 d. A.), der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die
Veröffentlichung des Ausschreibungstextes im Internet stelle eine öffentliche Bekanntmachung der
Auslobung dar. Die Auslegung des Textes führe zu dem Ergebnis, dass entgegen der Auffassung des
Beklagten die Publikationen weder solche des RKI sein noch aus der Zeit nach Inkrafttreten des IfSG
stammen müssen und der Auslobungstext auch nicht dahingehend zu verstehen sei, dass der geforderte
Nachweis in einer einzigen Publikation erbracht sein müsse oder dass Übersichtsarbeiten nicht
herangezogen werden dürften. Wie sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Prof.
Dr. Dr. P... ergebe, handele es sich bei den Publikationen ausnahmslos um wissenschaftliche Fachartikel. Sie
bewiesen - entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen - zwar nicht jeweils für sich, doch in
ihrer Gesamtschau die Existenz eines Virus, das für die Masernerkrankung ursächlich sei. Sie erfüllten in
ihrer Zusammenschau auch die vom Beklagten im Laufe des Rechtsstreits zum Beweismaßstab erhobenen
K...-H...´schen Postulate. Die von diesem geforderte eigene Indizienkette zum Nachweis, nach der das
Masernvirus in einem Menschen oder seiner Körperflüssigkeit fotografiert, daraus isoliert, aufgereinigt,
wieder fotografiert und anschließend dessen Zusammensetzung biochemisch charakterisiert werden müsse
mit einem anschließenden Reinfektionsexperiment, stelle lediglich eine Hypothese dar, der
wissenschaftliche Bedeutung nicht zukomme, da sie keinen wissenschaftlich etablierten Standard darstelle.
24 Ein Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten für die Unterlassungserklärung - mit Ermächtigung
der Rechtsschutzversicherung - bestehe aus Delikt gemäß § 831 BGB. Die streitgegenständliche Äußerung
stelle eine Tatsachenbehauptung dar, die das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletze. Der Beklagte habe
sich für den Eintrag durch etwaige Mitarbeiter nicht gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB entlastet, weshalb
ihm jedenfalls deren Verhalten zuzurechnen sei.
25 Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts
verwiesen.
26 Der Beklagte hat gegen das ihm am 15.04.2015 zugestellte Urteil am 27.04.2015 beim Oberlandesgericht
Stuttgart Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis
zum 15.07.2015 - am 07.07.2015 dort eingegangen.
27 3. Der Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor,
es werde bereits die Wirksamkeit des „Protokoll-Urteils“ gerügt. Es hätten nicht alle Richter unter dem
Protokoll unterschrieben. Die Verbindung von Sitzungsprotokoll und von allen Richtern unterschriebener
Entscheidungsformel genüge nicht. Darüber hinaus werde gerügt, dass das Urteil nicht innerhalb der
vorgesehenen Fristen der Geschäftsstelle übergeben worden sei. Der Ersatzrichter P... sei evtl. nicht auf
die Komplexität des Falles vorbereitet gewesen. Entgegen dem Protokoll sei nicht zur Sache und zum
Beweisergebnis nach Anhörung des Sachverständigen verhandelt worden, vielmehr sei dem Stuhlurteil ein
„faktisches Rede- und Frageverbot“ vorausgegangen. Der Hinweis- und Beweisbeschluss vom 24.04.2014
sei nicht begründet bzw. undurchführbar gewesen. Schließlich sei das rechtliche Gehör verletzt worden, da
die Zeugin Privatdozentin Dr. M... vom RKI nicht geladen worden sei, das Gericht nicht auf das Verlesen der
Information des RKI vom 24.01.2012 eingegangen sei, die Nebenklage nicht verhandelt worden sei und
auch dem Beweisangebot bezüglich seines veröffentlichten Buches „Der Masernbetrug“ nicht entsprochen
worden sei.
28 Der vollständige Auslobungstext sei nicht öffentlich bekannt gemacht worden, da er ausdrücklich nur an
die Empfänger des Newsletters des „k...-k... Verlages“ gerichtet gewesen sei, die sich dafür eingetragen
hätten.
29 Bezüglich des Inhaltes der Auslobung seien die vorgegebenen Kriterien (vgl. zur Auflistung dieser durch
den Kläger: Bl. 223 u. 384 ff. d. A.) nicht zutreffend vom Landgericht erfasst worden. Es hätte nur eine
wissenschaftliche Publikation im Sinne einer Originalarbeit und nicht einer Zusammenfassung vorgelegt
werden dürfen, in der behauptet und bewiesen werde, dass das Masernvirus existiere, was nur durch die
Dokumentation einer Isolation und biochemischen Bestimmung des Isolats möglich sei und in der der
Durchmesser bestimmt werde, was nur durch „negatives Staining“ möglich sei, was nicht gemacht worden
sei. Auch habe die Bestimmung des Durchmessers nicht aufgrund von Modellen und Zeichnungen
vorgenommen werden dürfen, was aber in der 6. Publikation erfolgt sei (Presslinge). Es hätte an Frau PD
Dr. M... (RKI) die Frage nach dem Durchmesser des Masernvirus gestellt werden müssen, da dieser von
zentraler Bedeutung sei. Bei der Auslegung der Auslobung müsse auch der Hintergrund der Publikation
beachtet werden. Es sei zu erkennen gewesen, dass die Auslobung auf das RKI und dessen Tätigkeit abziele
und nur Publikationen nach Inkrafttreten des IfSG im Jahr 2001 und nach der Festschreibung der Regeln
der DFG aus dem Jahr 1998 in Betracht kommen. Der Verlag hätte regelmäßig „k...-k...-Aktionen“
durchgeführt, mit denen informierte Bürger aufgefordert worden seien, das RKI und die
Landesgesundheitsbehörden nach Beweisen in Form von wissenschaftlichen Publikationen zu fragen, die
die Existenz von krankmachenden Viren und des Masernvirus beweisen würden. Die Abonnenten des „k...-
k...-Verlags“ seien durch vorangegangene Veröffentlichungen und Veranstaltungen geschult worden, wie
eine wissenschaftliche Publikation zu erstellen und an deren Inhalt zu erkennen sei, ob darin die Beweise
für die Existenz eines Virus und die Bestimmung seines Durchmessers enthalten seien. Nur in einer
Originalarbeit könnten die exakte Beschreibung der Experimente, die Datenauswertung und die Diskussion
der Ergebnisse enthalten sein. Die Abonnenten hätten gewusst, dass der Beweis für die Existenz eines
Virus nur durch dessen Isolation, der Dokumentation der erfolgten Isolation und danach durch die
Dokumentation der Bestimmung seiner wenigen Bestandteile erbracht werden könne. Die Empfänger der
Newsletter hätten in der Lage sein sollen, die vorgelegten Beweise direkt und selbst überprüfen zu
können. Auch seien viele wissenschaftliche Publikationen für Laien nur sehr schwer und kostenintensiv zu
beschaffen. Auch deshalb hätte eine Originalarbeit vorgelegt werden sollen. Das Landgericht habe durch
seinen Beschluss vom 24.04.2014 die Kriterien, dass es sich nur um eine Publikation, eine Originalarbeit,
die vom RKI stamme, außer Kraft gesetzt und ein weiteres Kriterium, nämlich die Ursächlichkeit für die
Masernerkrankung stattdessen hinzugefügt. Im Übrigen sei durch die Auslobung nie die Einhaltung der
„K...´schen Postulate“ gefordert worden.
30 Tatsächlich erfüllten die vorgelegten Publikationen weder einzeln noch in der Gesamtschau die Kriterien
der Auslobung. Das Gericht habe die Artikel bereits nicht selbst geprüft. Diese wurden - unstreitig - erst im
Berufungsverfahren (in englischer Sprache) vorgelegt (Bl. 256 f d. A.). So habe das Gericht akzeptiert, dass
aus den sechs Publikationen und den darin zitierten Veröffentlichungen auf willkürliche Weise Aussagen
und Argumente vom Sachverständigen entnommen worden seien und diese entgegen der Aussagen und
Intension der Autoren ausgelegt und gedeutet sowie zusätzliche Aussagen erfunden worden seien, die in
den Publikationen nicht getätigt worden seien. Schließlich sei daraus ein Konglomerat der Aussagen der
Autoren auf nicht nachvollziehbare und überprüfbare Weise konstruiert worden. So habe der
Sachverständige die Publikation „H... und M...“ entweder nicht gelesen oder absichtlich falsch dargestellt.
Die dortigen Autoren stellten gerade fest, dass keine Informationen zur Vermehrung des Virus vorlägen.
Schließlich handele es sich bei dieser Publikation auch nur um Sekundärliteratur und es werde der vom
Sachverständigen selbst aufgestellte Grundsatz, dass das Außenvorlassen eigener Ergebnisse eine
zwingende Voraussetzung für diesen Publikationstyp sei, nicht beachtet, da sich die Autoren gerade selbst
zitierten. Hinsichtlich der angeblichen Unzulänglichkeit der einzelnen Arbeiten wiederholt der Beklagte
weitgehend seinen Vortrag aus der ersten Instanz und ergänzt diesen. Die von ihm geforderte
Indizienkette zum Nachweis des Masernvirus sei nicht neu. Die in seiner 78-seitigen Stellungnahme zum
Gutachten des Sachverständigen vom 17.11.2014 aufgeworfenen Fragen seien von diesem nicht
beantwortet worden. Der Sachverständige sei befangen, da er den Vornamen des Vorsitzenden Richters
des Landgerichts Ravensburg in seinem Schreiben vom 03.03.2015 (Bl. 132 d. A.) erwähnt habe, obwohl
dessen Vorname im Verfahren niemals aufgetaucht sei. Schließlich würden die Angaben des
Sachverständigen auch durch die gutachterlichen Stellungnahmen, die außergerichtlich eingeholt worden
seien, widerlegt (vgl. etwa Angaben der Rechtsanwälte Dr. E..., die die Veröffentlichungen gelesen hätten;
der Professoren K..., W... sowie der Dres. L... und K...; Anl. A 12 - A 15, Bl. 543 ff d. A. und Anlage zum
Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 9.2.2016, A 22, Bl. 662 d. A.). Schließlich sei nochmals daran zu
erinnern, dass durch das RKI, PD Dr. M..., die als Zeugin benannt worden sei, eine Größe der Viren von 120
- 400 nm festgestellt worden sei und im Material auch Ribosomen hätten festgestellt werden können, was
nach den Aussagen des Sachverständigen gegen ein Virus spreche. Letztlich sei die Entscheidung des
Landgerichts auch unzutreffend, da der Sachverständige - entgegen dem Urteil - nicht gesagt habe, dass
Kontrollexperimente durchgeführt worden seien, aufgrund derer ausgeschlossen werden könne, dass nicht
lediglich zelleigene Artefakte in den Studien festgestellt worden seien.
31 Der Beklagte beantragt:
32
1. Auf die Berufung des Beklagten hin wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 12.03.2015, Az.:
4 O 346/13, abgeändert.
33
2. Die Klage wird abgewiesen.
34 Der Kläger beantragt,
35
die Berufung zurückzuweisen.
36 Der Kläger trägt vor:
37 Das Urteil des Landgerichts lasse keine Anhaltspunkte für eine unvollständige oder unrichtige
Tatsachenfeststellung oder Würdigung erkennen. Die Voraussetzungen für die Einholung eines neuen
Gutachtens lägen nicht vor. Neuer Sachvortrag sei verspätet. Im Übrigen seien lediglich die Einwände aus
erster Instanz vorgebracht worden, auf die bereits seinerzeit eingegangen worden sei. Verfahrensmängel
lägen nicht vor. Es hätten Fragen gestellt werden können und seien auch gestellt worden. Der
Sachverständige sei nicht befangen, da der Vorname des Richters auf an alle Parteien verschickten E-Mails
zu ersehen gewesen sei. Der Inhalt des Protokolls vom 12.03.2015 sei richtig. Verfahrensmängel würden
ebenso wie verspätet vorgebrachte Behauptungen bestritten. Es werde ausdrücklich der erst in zweiter
Instanz behauptete „Hintergrund“ der Veröffentlichungen des „k...-k... Verlages“ bestritten. Die
Internetseite sei auch frei zugänglich gewesen, jedenfalls gelte dies auch für den Newsletter, was bislang
unstreitig gewesen sei. Die nunmehr vorgelegten Stellungnahmen seien nicht geeignet, das gerichtliche
Gutachten in Frage zu stellen. Es ergäben sich nicht nur etwa bezüglich des Sachverständigen W...
durchaus Bedenken an der Wissenschaftlichkeit seiner Arbeiten. Nach den Angaben auf dem Internetportal
„P...“ sei Johann L... Anhänger der „Germanischen neuen Medizin“, gegen den mehrfach Berufsverbote
verhängt worden seien. Frau K... betreibe eine Naturheilpraxis in M... und Frau K... habe das vorgelegte
Gutachten im Rahmen einer Auftragsarbeit für die M... GmbH & Co. KG erstellt.
38 Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien in zweiter Instanz wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 16.02.2016 verwiesen.
II.
39 Die Berufung ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, hat sie auch Erfolg, weil jedenfalls das
Kriterium der Auslobung, den Beweis der Existenz des Masernvirus durch „eine wissenschaftliche
Publikation“ zu führen, durch den Kläger nicht erfüllt wurde.
40 A. Zulässigkeit der Berufung
41 Die Berufung ist teilweise unzulässig.
42 Die Berufung des Beklagten wurde form- und fristgerecht eingereicht und bezüglich des Anspruchs auf
Auszahlung des ausgelobten Betrages in Höhe von 100.000 EUR nebst Zinsen und Kosten auch in
zulässiger Weise begründet. Bezüglich des zugesprochenen Anspruchs auf Erstattung vorgerichtlicher
Anwaltskosten für die Geltendmachung der Abgabe der Unterlassungserklärung durch den Beklagten ist
die Berufung allerdings unzulässig, da sie insoweit nicht ordnungsgemäß begründet wurde.
43 Nach § 520 Abs. 1 ZPO muss der Berufungskläger die Berufung begründen. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2
ZPO hat die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach
Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene
Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und
rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser -
zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - diejenigen Punkte rechtlicher Art
darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die
Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleiten (vgl. nur
BGH, Beschluss vom 28.01.2014, III ZB 32/13, juris-Rn. 12).
44 Vorliegend wurde in der - fristgerecht eingereichten - Berufungsbegründung vom 07.07.2015 überhaupt
nicht dargetan, warum die Entscheidung des Landgerichts bezüglich der zugesprochenen Anwaltskosten
für das Unterlassungsbegehren aufzuheben und die Klage abzuweisen sein soll. Auch im Schriftsatz vom
16.11.2015, eingegangen beim Oberlandesgericht am 17.11.2015, wird eine den genannten
Anforderungen entsprechende Begründung nicht gegeben. Soweit dort erstmals gerügt wird, dass ein
Verfahrensmangel dahingehend vorliege, dass in der Verhandlung am 12.03.2015 „nicht verhandelt wurde
und die Gründe für die Verurteilung und der Nebenklage erst in der schriftlichen Urteilsbegründung
vorgebracht wurden und der Beklagte sich hier nicht verteidigen und entlasten konnte“ und die
Behauptungen des Klägers diesbezüglich bestritten würden (Bl. 383 d. A.), fehlt es auch hier an der
Darlegung, warum dies für die angefochtene Entscheidung erheblich wäre. Gleiches gilt hinsichtlich der
weiter vorgebrachten Verfahrensrügen. Schließlich kommt es hierauf letztlich jedoch nicht an, da jedenfalls
nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eine ordnungsgemäße Begründung eingereicht wurde.
45 Die Berufung ist daher, soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Bezahlung von 492,54 EUR
nebst jährlichen Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
16.04.2014 (Urteilstenor Ziff. 1. c.) wendet, gem. § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
46 B. Begründetheit der zulässigen Berufung bezüglich des ausgelobten Betrages in Höhe von 100.000,00
EUR nebst Zinsen und Kosten
47 Soweit die Berufung des Beklagten zulässig ist, ist sie auch begründet, da der ausgelobte Betrag nur dann
hätte verdient werden können, wenn die zu beweisenden Umstände allesamt in einer in sich
abgeschlossenen Arbeit dargetan worden wären.
48 a. Wirksamkeit des Urteils
49 Das Urteil des Landgerichts ist wirksam.
50 Das Urteil wurde ordnungsgemäß erlassen. Nach § 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO wird das Urteil in dem Termin, in
dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird oder in einem sofort anzuberaumenden Termin
verkündet. Es wird gemäß § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Verlesung der Urteilsformel verkündet und ist
von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben (§ 315 Abs. 1 Satz 1
ZPO). Die Unterschriften der Richter müssen bei der Verkündung noch nicht geleistet sein (vgl.
Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 309 ZPO Rn. 2). Vorliegend haben alle Richter, die bei der
Entscheidung mitgewirkt haben, sowohl den verlesenen Urteilstenor als auch das den Parteien zugestellte,
vollständig abgefasste Urteil unterschrieben.
51 Es handelte sich nicht um ein sog. Protokollurteil, das der von der Klägerin zitierten Entscheidung des BGH
(NJW-RR 2007, 141) zu Grunde lag. Das Protokollurteil ist ein Stuhlurteil, bei dem der gesamte Urteilstext
in das Protokoll bzw. eine mit ihm zu verbindende Anlage aufgenommen wird und im Gegensatz zum
hiesigen Fall gesonderte Urteilsgründe unterbleiben (vgl. § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO und Zöller/Vollkommer,
a.a.O., § 310 Rn. 3 m.w.N.). Im oben zitierten Fall war das Berufungsurteil samt Gründen nur im Protokoll
enthalten und dieses wurde nur von dem Senatsvorsitzenden und dem Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle unterschrieben und es konnten die fehlenden Unterschriften der beiden beisitzenden
Richter wegen Ablaufs der maßgeblichen 5-monatigen Höchstfrist für die Rechtsmitteleinlegung (§ 548
ZPO) nicht mehr rechtswirksam nachgeholt werden.
52 Soweit der Beklagte rügt, dass die Absetzungsfrist von drei Wochen (§ 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO) nicht
eingehalten worden sei, tatsächlich ist das vollständig abgesetzte Urteil, das am 12.3.2015 verkündet
wurde, erst am 13.4.2015 auf die Geschäftsstelle gelangt (vgl. Bl. 180 R d. A.), kann dies seine
Wirksamkeit nicht berühren (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 310 ZPO Rn. 5 m.w.N.), selbst wenn wichtige
Gründe, insbesondere der Umfang oder die Schwierigkeit der Sache, eine Verlängerung der Absetzungsfrist
nicht erfordert haben sollten. Dass Richter P... sich nicht auf die Verhandlung ausreichend habe vorbereiten
können, ist bereits nicht substantiiert vorgetragen.
53 Auch die übrigen Verfahrensrügen, selbst unterstellt, sie wären berechtigt, können nicht die
Unwirksamkeit des Urteils begründen. Selbst nichtige und inkorrekte Entscheidungen sind nicht
wirkungslos (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., vor § 300 ZPO Rn. 20 m.w.N.). Des Weiteren ist darauf
hinzuweisen, dass auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, das
angefochtene Urteil nur geprüft wird, wenn dieser auch nach § 520 Abs. 3 ZPO in der
Berufungsbegründungsschrift geltend gemacht worden ist. Die genannten Verfahrensmängel sind nicht in
der Berufungsbegründungsschrift nach § 520 Abs. 3 ZPO geltend gemacht worden, sondern erst im
November 2015 durch Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 11. Dezember 2015 (Bl. 379 ff d. A.).
54 b. Dem Kläger steht kein Anspruch auf die ausgelobte Belohnung gemäß § 657 BGB zu.
55 Wer durch öffentliche Bekanntmachung eine Belohnung für die Vornahme einer Handlung, insbesondere für
die Herbeiführung eines Erfolges, aussetzt, ist verpflichtet, die Belohnung demjenigen zu entrichten,
welcher die Handlung vorgenommen hat, auch wenn dieser nicht mit Rücksicht auf die Auslobung
gehandelt hat (§ 657 BGB).
56 aa. Öffentliche Bekanntmachung
57 Der Beklagte hat die Auslobung gemäß Anl. K 1 vom 24.11.2011 im Internet öffentlich bekannt gemacht.
58 Öffentliche Bekanntmachung bedeutet Kundgabe gegenüber einem individuell unbestimmten
Personenkreis, z. B. in der Presse, auf Anschlagsäulen, durch Postwurfsendungen an Angehörige einer
Berufsgruppe, so dass ungewiss ist, welche und wie viele Personen die Möglichkeit der Kenntnisnahme
haben (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 657 BGB Rn. 3) .
59 In erster Instanz war unstreitig, dass der vollständige Auslobungstext im Internet für jedermann sichtbar
war. Eine Berichtigung des Teils des Tatbestands des Urteil des Landgerichts, das den unstreitigen
Sachvortrag enthält, wurde nicht beantragt.
60 Der Beklagte ist mit dem neuem Verteidigungsmittel, nämlich mit der Behauptung, dass nur für
Abonnenten des Newsletter die Auslobung sichtbar gewesen sei, ausgeschlossen. Nach § 531 Abs. 2 ZPO
sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn sie
61
1. einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für
unerheblich gehalten worden ist,
62
2. infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
63
3. im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der
Partei beruht.
64 Dass einer der genannten Gründe für die nachträgliche Zulassung des Vortrags hier einschlägig wäre, ist
weder vorgetragen noch ersichtlich.
65 Im Übrigen würde selbst für den Fall, dass die Erklärung an einen individuell abgegrenzten Kreis
bestimmter Personen gerichtet war, dies lediglich dazu führen, dass es sich dann um ein
annahmebedürftiges Vertragsangebot gehandelt hat, für eine bestimmte Handlung einen bestimmten Lohn
zu bezahlen (vgl. hierzu: Palandt/Sprau, a.a.O., § 675 BGB Rn. 3 m.w.N.). Durch die gegenüber dem Kläger
erfolgte Bestätigung vom 30.1.2012 (Anl. K 3), dass die Auslobung noch gilt, hätte der Beklagte diesem das
Angebot auf Abschluss eines entsprechenden Vertrages gemacht, das dieser dann angenommen hätte. Die
Folgen wären rechtlich wohl dieselben wie bei der Auslobung.
66 bb. Rechtsbindungswille und Auslegung der Auslobung
67 b.b.1. Der Auslobung des Beklagten fehlt nicht der Rechtsbindungswille.
68 Vorliegend könnte bereits fraglich sein, ob der Auslobung nicht der für die Abgabe einer Willenserklärung
nötige Rechtsbindungswille fehlt. Ergibt bereits die Auslegung, dass der Auslobende sich nicht rechtlich
binden will, so liegt schon nach dem normativen Erklärungswert keine Willenserklärung vor (vgl.
Staudinger/Bergmann, BGB, Neubearb. 2006, § 657 BGB Rn. 28 m.w.N.). So wird auch bisweilen in der
Lehre die Regel aufgestellt, dass in Situationen, in denen der Auslobende den Eintritt des Erfolges nicht
wünscht oder gar für unmöglich hält (sog. negative Auslobungen) eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür
sprechen mag, dass dem Auslobenden der Rechtsbindungswille fehlt (vgl. Staudinger/ Bergmann, a.a.O.
m.w.N.). Doch selbst für den Fall, dass der Auslobende den Erfolg, für dessen Herbeiführung er die
Belohnung verspricht, nicht ernstlich wünscht, er sogar seine Herbeiführung für unmöglich hält, kann der
Rechtsbindungswille nicht verneint werden, da er einen Anreiz schaffen muss, gerade zu zeigen, dass die
zu belohnende Handlung nicht möglich ist und deshalb die Auslobung eine ernstlich gemeinte Verpflichtung
darstellt (vgl. Staudinger/Bergmann, a.a.O. und Palandt/Sprau, a.a.O., § 657 BGB Rn. 4 m.w.N.). So liegt es
auch hier. Im Übrigen hat der Kläger dem Beklagten ausdrücklich bestätigt, dass die Auslobung ernst
gemeint ist.
69 b.b.2. Auslegung der Auslobung
70 Was genau Gegenstand der Auslobung ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Diese richtet sich nach der
Verständnismöglichkeit eines durchschnittlich Beteiligten oder eines Angehörigen des gerade
angesprochenen Personenkreises. Außer dem Text der Erklärung dürfen nur solche Umstände
berücksichtigt werden, die jedermann oder auch jedem Angehörigen der angesprochenen Kreise bekannt
oder erkennbar sind (vgl. BGHZ 53, 307 juris-Rn. 12; Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 133 BGB Rn. 12
m.w.N., Erman/Berger, BGB, 14. Aufl., § 657 BGB Rn. 10: Auslegung nach §§ 133, 157 BGB). Vorliegend ist
davon auszugehen, dass - entsprechend dem unstreitigen Sachverhalt in erster Instanz - jedermann
Zugang zum Text der Auslobung hatte und jeder am Thema „Impfung“, insbesondere „Masernimpfung“
interessierte Internetnutzer zum angesprochenen Kreis gehörte.
71 Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht
an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie
Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Die §§ 133, 157 BGB gelten sowohl für
die Auslegung von Verträgen als auch für die von einseitigen Rechtsgeschäften - um ein solches handelt es
sich bei der Auslobung (vgl. Palandt/Sprau, a.a.O., § 657 BGB Rn. 1 mit Nachweisen auch zur
Gegenauffassung) - und einzelnen Willenserklärungen. Der Anwendungsbereich beider Vorschriften deckt
sich. Sie sind bei der Auslegung nebeneinander heranzuziehen (vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 157 BGB
Rn. 1 m.w.N.).
72 Dabei sind sowohl der Wortlaut der Erklärung als auch die Begleitumstände, vor allem die
Entstehungsgeschichte, die Äußerungen der Parteien und deren Interessenlagen zu berücksichtigen sowie
der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck. Geboten ist eine nach beiden Seiten interessengerechte
Auslegung; im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen,
widerspruchsfreien und den Interessen beider Parteien gerecht werdenden Ergebnis führt, das mit den
Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs im Einklang steht (vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 133
BGB Rn. 14 - 20 m.w.N.).
73 Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass dem aus der Auslobung (Anl. K 1) für Dritte erkennbaren
Interesse des Beklagten bei der Auslegung maßgebliche Bedeutung zukommt.
74 Dem Beklagten geht es, ausgehend von der für ihn unumstößlichen Gewissheit der Nichtexistenz des
Masernvirus („da wir wissen, dass es das Masern-Virus nicht gibt und bei Kenntnis der Biologie und der
Medizin auch nicht geben kann...“), darum, zu zeigen, dass „die Idee, dass Masern durch ein Virus
verursacht werde“ sich als Bestandteil einer Werbekampagne darstelle, die durch die Bundesregierung und
die WHO zu Gunsten der Pharmaindustrie unterstützt werde. Es werde deshalb „Unwahres“ behauptet,
„... damit die Würde der Menschen ...“ verletzt „und auf dieser Basis durch die Impfungen der körperlichen
Unversehrtheit und dem Recht auf Leben ...“ geschadet. Besonders in den Fokus rückt dabei das RKI,
namentlich Privatdozentin Dr. M... Er geht davon aus, dass angesichts des Umstandes, dass die Existenz
des Masernvirus auch durch die Auslobung nicht nachgewiesen werden kann, sich „das weitere Vorgehen“
so gestalten werde, dass Beschwerden an die Vorgesetzten von Privatdozentin Dr. M... gerichtet werden,
da deren Verhalten „- so zu tun als ob es ein Masern-Virus gäbe - nicht hingenommen werden“ darf. Das
Preisausschreiben stellt damit einen Teil der vom Beklagten als Gegner der Masernvirusimpfung
durchgeführten Kampagne dar. Ihm liegt erkennbar nicht daran, dass seine - ohnehin als unumstößlich
dargestellte - Behauptung zur Nichtexistenz des Masernvirus widerlegt wird.
75 Gleichwohl soll die Auslobung - wie der Beklagte auch in der Berufungsinstanz bestätigt - ernst gemeint
gewesen sein, so dass der „Gegenbeweis“ nach Maßgabe der Auslobung angetreten werden kann.
76 Dabei sind allerdings die restriktiven Vorgaben des Beklagten zu beachten, denn diesem ist - erkennbar für
Dritte - ja nicht am Nachweis des Masernvirus gelegen.
77 (1) Kriterium: Nachweis durch eine einzige wissenschaftliche Publikation
78 Das Preisgeld wird nach dem eindeutigen Wortlaut der Ausschreibung
79
„... ausgezahlt, wenn eine wissenschaftliche Publikation vorgelegt wird, in der die Existenz des Masern-
Virus nicht nur behauptet, sondern auch bewiesen und darin u. a. dessen Durchmesser bestimmt ist.
80
Das Preisgeld wird nicht ausgezahlt, wenn es sich bei der Bestimmung des Durchmessers des Masern-Virus
nur um Modelle oder Zeichnungen wie dieses handelt ...“
81 Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut ist hiernach eine Publikation vorzulegen, in der der Nachweis
nach diesen Vorgaben zu erfüllen ist.
82 Für ein solches Verständnis spricht nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Umstand, dass ein einziges
Werk nicht nur seiner äußeren Form nach in sich abgeschlossen ist und dadurch den in sich gegliederten
Stoff klar umgrenzt, sondern auch, dass kein Streit darüber entstehen kann, durch welche Textpassage
welches von ggf. einer Vielzahl von Werken welcher Beweis geführt werden kann. Bei einer Vielzahl von
Werken, durch die in ihrer Gesamtschau ein Beweis geführt werden soll, kann es deutlich schwieriger sein,
ein jedes der Werke methodisch und inhaltlich auf eine vergleichbare und aussagekräftige Ebene zu führen.
Dazuhin schränkt es den Aufwand der Prüfung erheblich ein, wenn dem Wortlaut entsprechend der Beweis
in einem Werk geführt werden muss. Es liegt auf der Hand, dass vom Beklagten, erkennbar auch für Dritte,
nicht gewünscht sein kann, dass etwa 50, 100 oder 500 verschiedene Werke vorgelegt werden, aus denen
dann einzelne Textpassagen oder Abschnitte wie ein Puzzle zusammengesetzt werden, um sodann über
die Aussage im Gesamtkontext zu streiten.
83 Damit sprechen Gründe der Praktikabilität und der Zumutbarkeit dafür, die Ausschreibung so zu
verstehen, wie sie dem Wortlaut nach zu verstehen ist. Des Weiteren ist für den Dritten auch erkennbar
und angesichts des Umstandes, dass der Auslobende auch die Belohnung bezahlt, auch nicht nach Treu und
Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu beanstanden (§ 157 BGB), dass der Beklagte seinen Text
nicht nach einem zu Gunsten des Beweisführenden großzügigen Verständnisses über den Wortlaut hinaus
ausgelegt sehen möchte und ausgelegt sehen muss.
84 Schließlich finden sich im Auslobungstext keine Kriterien für eine sinnvolle Beschränkung der Anzahl der als
Beweismittel vorzulegenden Arbeiten und solche sind auch nicht ersichtlich:
85
- Es kann - entgegen dem Landgericht - auch nicht aus dem Bedürfnis, dass Publikationspraxis im
medizinischen Forschungskontext schon seit Jahrzehnten angeblich nicht mehr die Monografie sei,
geschlossen werden, dass entgegen dem Wortlaut nunmehr durch eine Vielzahl von Fachartikeln die
einzelnen Aspekte nachgewiesen werden können.
86
Selbst wenn es eine Praxis dahingehend gäbe, wie der Sachverständige ausführte, dass in den letzten
Jahrzehnten praktisch keine einzelnen Monografien zu einem Thema erstellt wurden, erscheint es nicht als
ausgeschlossen, dass eine solche doch existiert und vorgelegt werden kann. Wie die Publikationen aus den
50-er Jahren (Enders u. Peebles und Beck u. v. Magnus) zeigen, wurden auch Publikationen vorgelegt, die
über 60 Jahre alt sind, also zu einer Zeit geschrieben wurden, als noch Monografien veröffentlicht worden
sein mögen. Im Übrigen kann auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine für die
Beweisführung geeignete Monografie existiert oder zum Zwecke der Erlangung des beträchtlichen
Preisgeldes publiziert wird. Dafür, dass der Beklagte auch an eine eigens für die Auslobung erstellte
wissenschaftliche Publikation gedacht haben kann, spricht auch der Umstand, dass der Beklagte
behauptet, dass die Existenz fast aller existierenden ca. 2.000 Virusarten inkl. deren Durchmesserangaben
in jeweils einer einzigen Publikation bewiesen worden sei (Bl. 386 d. A.).
87
Es mag zwar dem Bedürfnis des Klägers und des Beweisführenden entsprechen, die Hürden für die
Beweisführung vorzugeben, doch ist dies im Ergebnis Sache des Auslobenden, der allein bestimmt, wofür
er bereit ist, eine Belohnung zu bezahlen. In diesem Sinne ist auch für den Dritten erkennbar, dass der
Auslobende es den möglichen Bewerbern des Preisgeldes nicht erleichtern möchte, den von ihm ohnehin
nicht erwünschten Nachweis, dass ein Masernvirus existiert, zu ermöglichen.
88
- Auch der Umstand, dass der Beklagte nicht sofort nach Vorlage der Veröffentlichungen den Einwand
erhoben hat, dass sechs Publikationen vorgelegt wurden und nicht nur eine, steht dem nicht entgegen.
Der Beklagte hat sofort eingewendet, dass keine der vorgelegten Arbeiten den Beweis zu führen geeignet
sei. Erst als der Sachverständige sein Ergebnis dargetan hat, dass der Beweis bei Zusammenschau aller
Publikationen als geführt angesehen werden könne, hat es sich aufgedrängt, nunmehr auch einzuwenden,
dass dann jedenfalls der Beweis nicht durch eine einzige Arbeit geführt worden sei.
89
- Auch die Auslegung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte gemäß § 157 BGB
gebietet keine dem sich um das Preisgeld Bewerbenden günstigere Auslegung. Es verstößt nicht gegen
Treu und Glauben, wenn derjenige, der 100.000 EUR auslobt, seine - für Dritte erkennbar - eigenen
Vorstellungen - mögen diese es auch schwer machen, das Preisgeld zu verdienen - zum Maßstab der
Auslobung bestimmt. Eine Verkehrssitte, die dem entgegenstehen könnte, ist weder vorgetragen noch
erkennbar.
90
Im Ergebnis kommt somit eine Auslegung entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Auslobung nicht in
Betracht.
91 (2) Kriterium „Originalarbeit“
92 Soweit der Beklagte meint, dass nur eine „Originalarbeit“ eingereicht werden könne, unter der er die
exakte Beschreibung der Experimente, die Datenauswertung und die Diskussion der Ergebnisse versteht
(Bl. 387 d. A.), mag er dies zwar angestrebt haben, doch geht dies nicht aus dem Auslobungstext hervor,
der nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen ist. Eine Übersichtsarbeit wäre jedenfalls dann
ausreichend, wenn hierin auf Basis vorangegangener Arbeiten der wissenschaftliche Nachweis für die
Existenz und Größe des Masernvirus geführt wird.
93 (3) „Veröffentlichung muss vom RKI stammen“
94 Es ist vom maßgeblichen Empfängerhorizont weder nach dem Wortlaut noch nach dem erkennbarem
Zweck der Ausschreibung zu ersehen, dass es sich um eine Veröffentlichung des RKI handeln muss. Der
Umstand, dass die Frage hinsichtlich des Durchmessers des Masernvirus an PD Dr. M... gestellt werden
solle, lässt hierauf ebensowenig schließen, wie der Hinweis des Beklagten in seinem Antwortschreiben an
den Kläger auf das IfSG.
95 (4) Publikation muss „wissenschaftlich“ sein im Sinne der DFG-Kriterien von 1998
96 Aus dem Auslobungstext kann vom angesprochenen Publikum nicht erkannt werden, dass eine
wissenschaftliche Publikation nach dem Standard der DFG-Kriterien von 1998 erfolgen soll. Verlangt wird
lediglich eine „wissenschaftliche Publikation“. Das IfSG, auf das in der Auslobung in diesem Zusammenhang
nicht Bezug genommen wird, gibt ebenfalls keinen wissenschaftlichen Standard vor.
97 Die Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21. Aufl., Bd. 30, führt unter „wissenschaftliches Buch“ aus:
„inhaltsbezogene Bezeichnung für ein Buch, das sich einem wissenschaftlichen Thema widmet, auf
wissenschaftlichen Erkenntnissen fußend verfasst ist“. Im Großen Wörterbuch der Deutschen Sprache des
Duden (Bd. 6) ist wissenschaftlich als „die Wissenschaft betreffend, dazugehörend, darauf beruhend“
definiert.
98 Im Internet-Lexikon Wikipedia ist wissenschaftliche Arbeit definiert als „systematisch gegliederter Text, in
dem ein oder mehrere Wissenschaftler das Ergebnis seiner oder ihrer eigenständigen Forschung darstellt“.
Nach dieser Definition stellte die Arbeit von „H... u. M...“ jedenfalls keine wissenschaftliche Arbeit dar, da
sie auch nach den Ausführungen des Sachverständigen (Bl. 17 des Gutachtens) einen Übersichtsartikel
darstellt, der die Ergebnisse aus Originalarbeiten Autoren zusammenfasst.
99 Diese Definition ist jedoch zu hinterfragen, da es auch als wissenschaftlich erscheint, wenn die bisherigen
Arbeiten systematisch ausgewertet, zusammengefasst und hieraus ggf. neue Schlüsse gezogen werden.
100 Da somit auch eine Übersichtsarbeit, die wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem Thema aus
wissenschaftlichen Veröffentlichungen systematisch zusammenfasst und aufarbeitet, auf
wissenschaftlichen Erkenntnissen fußend verfasst ist, ist richtigerweise auch die Arbeit von „H... und M...“
als wissenschaftliche Arbeit anzusehen, ebenso diejenige von „D... et al“.
101 Der Beklagte behauptet, dass die beiden letztgenannten Publikationen nicht unabhängig fachbegutachtet
seien. Die Publikation von „D... et al.“ sei in einer internen Zeitschrift eines japanischen Colleges
veröffentlicht worden, die nachweislich nicht unabhängig fachbegutachtet worden sei. Bei der
Übersichtsarbeit von „H... und M...“ zitierten sich die Autoren gerade selbst, obwohl der Sachverständige
als zwingende Voraussetzung für diesen Publikationstyp das Außenvorlassen eigener Forschungsergebnisse
dargetan habe (Bl. 369 d. A.).
102 Nach den Ausführungen des Sachverständigen sind alle Artikel Zeitschriften mit einem
Fachgutachtersystem entnommen und damit in der Regel von mindestens von zwei unabhängigen
Fachwissenschaftlern vor der Veröffentlichung geprüft und ggf. mit Korrekturanforderungen versehen
worden (S. 17 des Gutachtens). Dem stehen gegenteilige Behauptungen des Beklagten gegenüber. Es
kann letztlich - da nicht entscheidungserheblich - dahinstehen, ob die Einwände des Beklagten begründet
sind und ob sie nicht, da erstmals in zweiter Instanz in den Prozess ordnungsgemäß eingeführt, gemäß §
531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen wären.
103 (5-7) Beweis der Existenz des Masernvirus, Durchmesser und Nichtverwendung von Modellen
104 Die Beweiswürdigung des Landgerichts dahingehend, dass aufgrund des eingeholten
Sachverständigengutachtens bewiesen sei, dass die vom Kläger vorgelegten Publikationen in ihrer
Gesamtheit den Nachweis für die Existenz und die Erregereigenschaft des Masernvirus belegten und auch
die Bestimmung des Durchmessers in der vom Beklagten verlangten Form gelungen sei, ist im Ergebnis
nicht zu beanstanden.
105 Das Berufungsgericht hat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die vom Gericht des ersten Rechtszuges
festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder
Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung begründen und deshalb eine erneute
Feststellung gebieten - wie hier nicht -, seiner Verhandlung und Entscheidung zu Grunde zu legen. Neue
Tatsachen sind nur, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist, zu beachten (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
106 Der Beklagte ist mit Beanstandungen gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen nach §
531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, wenn er sie erstinstanzlich hätte geltend machen können, denn
Beanstandungen eines Sachverständigengutachtens zählen zu den neuen Angriffs- oder
Verteidigungsmitteln (vgl. KG Berlin, MDR 2007, 48 m.w.N. u. Zöller/Heßler, a.a.O., § 531 ZPO, Rn. 31,
m.w.N.).
107 Das Landgericht hat die Angaben des Sachverständigen, dessen Fachkunde nicht angezweifelt werden
kann, eingehend, nachvollziehbar und überzeugend gewürdigt (vgl. insbesondere S. 20 f. des Urteils unter
2.). Es ist nicht erkennbar, dass hierbei etwa Denkgesetze verletzt wurden oder sonstige Fehler
unterlaufen sind.
108 Soweit der Beklagte rügt, dass das Gericht die in englischer Sprache verfassten Veröffentlichungen nicht
selbst gelesen und geprüft habe, war dies zum einen nicht nötig, da es sich um medizinische Fachartikel
handelt, die ohne Übersetzung sowohl in sprachlicher Hinsicht als auch in ihrer wissenschaftlichen
Einordnung und Bewertung ohnehin nicht vom Gericht beurteilt werden können. Zum anderen wurde in
erster Instanz nicht gerügt, dass der Sachverständige den Inhalt der Artikel falsch dargestellt habe. Der
Beklagte ist deshalb mit dieser Rüge gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.
109 Das Gleiche gilt für die Einwände, dass aus den sechs Publikationen und den darin zitierten
Veröffentlichungen auf willkürliche Weise Aussagen und Argumente entnommen worden seien, die
entgegen der Aussagen und Intention der Autoren ausgelegt und gedeutet werden würden, zusätzliche
Aussagen erfunden worden seien, die in den Publikationen nicht getätigt worden seien, daraus ein
Konglomerat der Aussagen der Autoren auf nicht nachvollziehbare und überprüfbare Weise konstruiert
werde und weitere Einwände, auf die noch gesondert einzugehen sein wird.
110 Nach Vorlage des Sachverständigengutachtens vom 17.11.2014 wurde den Parteien Gelegenheit gegeben,
bis zum 20.1.2015 Anträge und Ergänzungsfragen zum schriftlichen Gutachten vorzubringen (Verfügung
vom 24.11.2014, Bl. 98, 99 d. A.). Der Beklagte hat durch Anwaltsschriftsatz vom 3.2.2015 zum
Gutachten Stellung genommen und neun Fragen gestellt, die wiederum dem Sachverständigen vorgelegt
wurden. Der Sachverständige hat hierzu eine ergänzende Stellungnahme abgegeben (Stellungnahme vom
3.3.2015, auf Bl. 132 d. A.). Im Termin vom 12.3.2015 (Bl. 139 ff) bestand Gelegenheit Fragen an den
Sachverständigen zu stellen, die ausweislich des Sitzungsprotokolls, insbesondere im Hinblick auf die von
Assessor S... für den Beklagten gestellten Fragen, auch genutzt wurde. Ein eigenes, unmittelbares
Fragerecht musste dem Beklagten nicht eingeräumt werden (vgl. § 397 ZPO; siehe hierzu unten).
111 Die Stellungnahme des Beklagten persönlich zum Gutachten, die er im Umfang von 78 Seiten am 2.2.2015
erstellt hat (Anl. zu Bl. 125 d. A.), musste vom Sachverständigen und dem Gericht nicht im Einzelnen
beachtet werden, nachdem durch Anwaltsschriftsatz vom 3.2.2015 anwaltlich neun Ergänzungsfragen
gestellt wurden und das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es diese so bewertet, dass „eine
anwaltliche Verdichtung der Einwände und der Ergänzungsfragen des Beklagten erfolgt ist“.
112 Nach § 78 ZPO herrscht vor dem Landgericht Anwaltszwang. In diesem Rahmen ist schriftsätzlicher
Vortrag im Rechtsstreit vor dem Landgericht durch den Anwalt zu halten. Insoweit hat der
Beklagtenvertreter auch zu dem Gutachten des Sachverständigen Stellung genommen und
Ergänzungsfragen gestellt (vgl. auch § 411 Abs. 4 ZPO). Nach § 397 Abs. 1 ZPO sind die Parteien nicht
berechtigt, den Zeugen (die Norm gilt entsprechend für Sachverständigen, § 402 ZPO) direkt zu befragen.
Es steht ihnen bei dessen Vernehmung aber zu, Fragen vorlegen zu lassen. Nur der Anwalt hat das Recht,
unmittelbar Fragen an den Sachverständigen zu richten (§§ 397 Abs. 2, 402 ZPO), der Partei selbst kann
der Vorsitzende dies gestatten, was hier wohl nicht erfolgt ist.
113 Das Landgericht hat durch Verfügung vom 19.2.2015 (Bl. 126 d. A.) dargetan, dass es davon ausgehe, dass
im Beklagtenschriftsatz „eine anwaltliche Verdichtung der Einwände und Ergänzungsfragen des Beklagten
erfolgt“ sei. Dem wurde weder schriftsätzlich noch im Termin vom 12.03.2015 (Bl. 139 ff d. A.)
widersprochen. Das Gericht konnte daher davon ausgehen, dass die anwaltlich gestellten Fragen
maßgebend sind und musste nicht nochmals auf die 58 bzw. 78-seitige Stellungnahme des Beklagten selbst
eingehen. Es wird auch nicht behauptet, dass die Fragen des Beklagtenvertreters im Termin vom
12.3.2015 an den Sachverständigen nicht zugelassen wurden.
114 Dass Fragen im Termin nicht mehr gestellt werden durften, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen.
Nachdem das Diktat des Sachverständigen von diesem genehmigt und allseits ausdrücklich auf ein
erneutes Vorspielen verzichtet wurde, ist im Protokoll vermerkt, dass weitere Fragen an den
Sachverständigen nicht gestellt worden seien, die Parteien streitig zum Beweisergebnis mit den eingangs
festgehaltenen Anträgen weiter verhandelt hätten und weitere Anträge nicht gestellt worden seien (Bl.
149 d. A.).
115 Der Vermerk im Protokoll weist die Verhandlung über die Beweisaufnahme förmlich nach (vgl.
Zöller/Stöber, a.a.O., § 165 ZPO, Rn. 2, m.w.N.). Hiergegen ist nur der Nachweis der Fälschung (§ 165 Satz
2 ZPO) zulässig. Es wird nicht behauptet, dass eine wissentlich falsche Beurkundung oder nachträgliche
Verfälschung i.S.v. §§ 267, 271, 348 StGB erfolgt ist. Im Übrigen wird nicht bestritten, dass weitere Fragen
an den Sachverständige nicht gerichtet wurden, wie im Protokoll auf S. 11 vermerkt ist.
116 Soweit der Beklagte dartut, dass das Urteil jedenfalls insoweit von falschen Voraussetzungen ausgehe, als
der Sachverständige nicht ausgeführt habe, dass in den Publikationen Kontrollexperimente zum Ausschluss
zelleigener Artefakte enthalten seien (S. 23 des Urteils unter b., Abs. 2), kann dem nicht gefolgt werden.
Der Sachverständige geht in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.03.2015, dort S. 3 (Bl. 134 d. A.)
unter 6. gerade hierauf ein und legt dar, dass die notwendigen Daten und Kontrollexperimente zum
Ausschluss zelleigener Artefakte anstelle des Maservirus in den Fachartikeln enthalten seien, wobei er auf
sein Gutachten verweist.
117 Der Beklagte kann letztlich auch nicht damit Erfolg haben, dass angeblich nicht aufgeklärt worden sei, ob
beim RKI nicht Ribosomen im Innern der Masernviren gefunden worden seien und dies die Eigenschaft als
Virus ausschließe. Der Sachverständige hat hierzu (Protokoll S. 9, Bl. 147 d. A.) ausgeführt, dass das
Masernvirus keine Ribosomen enthalte und eine solche Mitteilung erstaunlich sei, allergrößte
Aufmerksamkeit hervorrufen würde, das Konzept des Virus freilich dadurch nicht zwingend „über den
Haufen geworfen“ werden würde. Das begriffliche Verständnis des Virus sei nämlich durchaus im Fluss.
Allein die Anwesenheit von Ribosomen stehe daher der Existenz eines Virus nicht zwingend im Wege.
118 Soweit der Durchmesser des Masernvirus durch das RKI angeblich mit 120 - 400 nm angegeben worden sei
(vgl. Bl. 23 d. A.), steht auch dies der Beweiswürdigung des Landgerichtes nicht entgegen. Dieser
Größenbereich liegt innerhalb des vom Landgericht aufgrund des Sachverständigengutachtens als
wissenschaftlich plausibel nachgewiesenen Größenbereich von 50 bis 1.000 nm bezeichneten Bereichs. Es
kann daher nicht erkannt werden, dass sich die beiden gemessenen Werte ausschließen.
119 Auch der Einwand, dass auf das vom Beklagten veröffentlichte Buch „Der Masernbetrug“ nicht
eingegangen worden sei, greift nicht. Es fehlt bereits an substantiiertem Vortrag, inwieweit welcher
Beweis durch welchen Inhalt geführt werden soll. Im Übrigen sind sowohl der Sachverständige als auch das
Landgericht auf die eigenen Hypothesen des Beklagten eingegangen und haben diese als solche zur
Kenntnis genommen und bewertet. Dazuhin wurde das Buch vom Beklagten nicht vorgelegt.
120 Soweit der Beklagte meint, der Sachverständige sei befangen, da er die ergänzende Stellungnahme vom
03.03.2015 (Bl. 132 d. A.) an „Herrn M... S... ...“ an das Landgericht Ravensburg versandt habe, also den
Vornamen des Vorsitzenden verwendet habe, ist bereits nicht ersichtlich, warum sich hieraus ein
Befangenheitsgrund ergeben können soll (zumal auf der E-Mail des Landgerichts an den Sachverständigen
vom 2.3.2015 dessen Vorname verzeichnet war; vgl. Bl. 130). Des Weiteren wäre der Befangenheitsantrag
aber auch zu spät gestellt. Nach § 43 ZPO, der auch für Sachverständige entsprechend anzuwenden ist
(vgl. Zöller/Vollkommer, § 43 ZPO, Rn. 2, m.w.N.), kann eine Partei einen Richter - hier: den
Sachverständigen - wegen der Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm,
ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder
Anträge gestellt hat. Der Beklagte hat sich sowohl in die Verhandlung eingelassen als auch Anträge
gestellt, ohne den nun genannten vermeintlichen Befangenheitsgrund geltend zu machen.
121 Soweit der Beklagte in der Berufungsinstanz nunmehr eine Anzahl von Stellungnahmen von wohl
Impfgegnern vorgelegt hat, die seine Position stützen sollen, kann - weil nicht entscheidungserheblich -
offen bleiben, ob diese noch zuzulassen gewesen wären (§ 531 Abs. 2 ZPO).
122 Im Ergebnis hat die Berufung, soweit sie zulässig ist, jedenfalls Erfolg, weil das Kriterium der Auslobung,
den Beweis der Existenz des Masernvirus durch „eine wissenschaftliche Publikation“ zu führen, durch den
Kläger nicht erfüllt wurde. Demzufolge stehen dem Kläger auch keine vorgerichtlichen Anwaltskosten zu.
III.
123 1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
124 2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
125 3. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.