Urteil des OLG Stuttgart vom 21.11.2016

bauunternehmer, stadt, beweisverfahren, mangel

OLG Stuttgart Beschluß vom 21.11.2016, 10 U 71/16
Leitsätze
1. Ein Auftragnehmer ist auch dann von der Mängelhaftung befreit, wenn er ordnungsgemäß gemäß § 4 Abs. 3
VOB/B Bedenken mitteilt, aber der Auftraggeber untätig bleibt und darauf nicht reagiert.
2. Betrifft der ordnungsgemäße Bedenkenhinweis des ausführenden Bauunternehmers einen Planungsmangel,
besteht kein Gesamtschuldverhältnis zwischen dem Planer und dem ausführenden Bauunternehmer. Es liegt
auch kein Fall der gestörten Gesamtschuld vor.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.05.2016, Aktenzeichen 18 O
18/16, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.301,44 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Klägerin, die von der Stadt G. mit der Erbringung von Bodenbelagsarbeiten bei der Sanierung eines
Schulgebäudes beauftragt worden war, nimmt das beklagte Architektenbüro, das von der Stadt mit der
Planung und Bauüberwachung beauftragt worden war, im Wege des Gesamtschuldnerregresses auf Zahlung
von 10.301,44 EUR nebst Zinsen in Anspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass sie am 29. Juli 2011
gegenüber der Bauherrin Bedenken wegen der alten Spachtelmassenschichten angemeldet habe. Hätte die
Beklagte ordnungsgemäß geplant, hätte sie von Anfang an den Rückbau der alten Spachtelmassenschichten
ausschreiben müssen. Dies sei nicht geschehen und stelle einen Planungsfehler dar. Es sei deshalb zu den
Mangelerscheinungen gekommen, die im selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht H. (Az. 8 OH
14/13), das die Stadt G. gegen die hiesige Klägerin eingeleitet habe, festgestellt worden seien. Die Beulen-
und Blasenbildungen hätten beseitigt werden müssen, damit keine Stolperfallen entstehen und die
Bodenbelagsablösungen nicht weiter voranschreiten. Sie könne daher gemäß §§ 421, 426 BGB bei der
Beklagten wegen der für die Führung des Beweisverfahrens entstandenen Kosten und der zur
Mangelbeseitigung getätigten Aufwendungen Rückgriff nehmen. Die Aufwendungen zur Beseitigung der
Mangelerscheinungen beliefen sich auf 8.795,88 EUR. An Gerichtskosten für das selbständige
Beweisverfahren habe sie 5.142,95 EUR bezahlt. Daneben seien Anwaltskosten von 777,50 EUR angefallen.
Von den Kosten werde wegen des Planungsfehlers der Beklagten 70 % geltend gemacht. Dies ergebe den
eingeklagten Betrag.
2 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe weder ein Anspruch auf anteiligen
Gesamtschuldnerausgleich gemäß § 426 Abs. 1 BGB noch ein Anspruch gemäß § 426 Abs. 2 BGB zu. Der
planende Architekt sei Erfüllungsgehilfe des Bauherrn. Dieser müsse sich daher ein etwaiges planerisches
Fehlverhalten anrechnen lassen. Der Bauherr könne den Bauunternehmer allenfalls mit dem Teil des
Schadens zur Verantwortung ziehen, der auch von ihm im Innenverhältnis zum Architekten zu tragen sei,
so dass der Bauunternehmer später vom Architekten auch keinen Ausgleich verlangen könne. Unterstelle
man ein Planungsverschulden der Beklagten von 70 %, hätte die Klägerin gegenüber der Bauherrin allenfalls
auf 30 % gehaftet. Auf die Zurechnung eines Mitverschuldens der Beklagten habe die Klägerin im
selbständigen Beweisverfahren selbst hingewiesen. Im Übrigen sei ein Planungsfehler der Beklagten nicht
ersichtlich. Der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren habe einen systembedingten Fehler
gerade verneint. Die von einer Drittfirma vorgenommenen Untersuchungen der Untergrundbeschaffenheit
hätten ergeben, dass die Haftzugswerte in Ordnung seien. Ein verbleibendes Restrisiko sei von der
Beklagten erkannt und in Kauf genommen worden. Ausgehend von dem Beklagtenvortrag, wonach sich die
Bauherrin nach Erörterung des verbleibenden Restrisikos bewusst für die ausgeschriebene Variante
entschieden habe, liege in der Realisierung dieses Restrisikos schon kein Mangel der klägerischen
Werkleistung.
3 Die Klägerin erstrebt mit ihrer Berufung die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und die
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht, hilfsweise die Abänderung des Urteils dahingehend,
dass die Beklagte gemäß dem erstinstanzlichen Klageantrag verurteilt wird.
4 Die Stadt sei nicht über die risikobehaftete Planung der Beklagten aufgeklärt worden. Hätte die Beklagte die
Stadt ordnungsgemäß aufgeklärt, nachdem sie - die Klägerin - die Bedenken schriftlich geäußert hatte, hätte
die Stadt die von ihr zusätzlich angeregten Arbeiten in Auftrag gegeben. Das Landgericht sei zu Unrecht
davon ausgegangen, dass der Bauunternehmer vom Bauherrn allenfalls mit dem Teil des Schadens zur
Verantwortung gezogen werden könne, der auch von ihm im Innenverhältnis zum Architekten zu tragen
sei. Führe ein Bauunternehmer eine fehlerhafte Planung aus und habe er seine Bedenken mitgeteilt, hafte
er für seine Mitverantwortung mit einer nach allen Umständen des Einzelfalls zu bestimmenden Quote.
Entscheidende Ursache bleibe dann jedenfalls der Planungsfehler für den später eingetretenen
Bauwerksmangel. Die Verletzung der Mitteilungspflichten durch den Bauunternehmer könne lediglich mit 30
% in Ansatz gebracht werden. Dementsprechend könne sie 70 % der Kosten, die für die Nachbesserung
angefallen seien, gemäß § 421 BGB i.V.m. § 426 BGB vom Beklagten fordern. Es würde zu unbilligen
Ergebnissen führen, wenn der Bauherr nur 30 % des Schadens gegenüber dem Bauunternehmer geltend
machen dürfe, der Bauunternehmer aber keinen Rückgriff beim Architekten nehmen könne, wenn er 100 %
des Schadens beseitige. Zu Unrecht sei das Landgericht davon ausgegangen, dass ein Planungsfehler der
Beklagten nicht ersichtlich sei. Das Vorliegen eines Planungsfehlers ergebe sich aus den Ausführungen des
Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren.
II.
5 Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. Mai 2016, Aktenzeichen 18 O 18/16, ist
gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel
offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt
und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über
die Berufung ist nicht geboten.
6 Wie der Senat bereits in dem Hinweisbeschluss vom 8. September 2016 dargelegt hat, hat das Landgericht
im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von
10.301,44 EUR hat. Es fehlt bereits an einem Gesamtschuldverhältnis der Klägerin und der Beklagten
gegenüber der Stadt G. als Auftraggeberin.
1.
7 Zwar handelt es sich bei den Belagsablösungen sowie den Beulen- und Blasenbildungen um einen Mangel
des Werks der Klägerin. Hiervon geht auch die Klägerin aus.
2.
8 Die Klägerin hat für diesen Mangel aber nicht einzustehen, da sie ordnungsgemäß am 29. Juli 2011
schriftlich gegenüber der Auftraggeberin Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung angemeldet
und damit ihrer Verpflichtung aus § 4 Abs. 3 VOB/B genügt hat. Als Kommune war die Auftraggeberin
verpflichtet, im Bauvertrag die Geltung der VOB/B zu vereinbaren. Dies ist geschehen, wie sich unter
anderem daraus ergibt, dass die Klägerin in ihrer Bedenkenmitteilung vom 29. Juli 2011 ausdrücklich auf § 4
VOB/B Bezug genommen hat.
9
a)
Ein Unternehmer haftet grundsätzlich auch dann für einen Mangel der von ihm hergestellten Leistung,
wenn die Ursache hierfür im Verantwortungsbereich des Auftraggebers oder eines Vorunternehmers liegt.
Dies gilt nach § 13 Abs. 3 VOB/B dann nicht, wenn er die ihm nach § 4 Abs. 3 VOB/B obliegende Mitteilung
gemacht hat. Nach § 4 Abs. 3 VOB/B hat der Auftragnehmer Bedenken gegen die vorgesehene Art der
Ausführung, gegen die Güte der gelieferten Stoffe oder Bauteile oder gegen die Leistungen anderer
Unternehmer dem Auftraggeber unverzüglich schriftlich mitzuteilen. Die Verletzung dieser Prüfungs- und
Hinweispflicht durch den Unternehmer ist kein Tatbestand, der eine Mängelhaftung begründen könnte (vgl.
nur BGH, Urteil vom 25. Februar 2016 - VII ZR 210/13, BauR 2016, 1033, juris Rn. 17 f.). Vielmehr ist die
Erfüllung der Prüfungs- und Hinweispflicht ein Tatbestand, der den Unternehmer von der Sach- oder
Rechtsmängelhaftung befreit. Die Grenzen der Prüfungs- und Hinweispflicht ergeben sich aus dem
Grundsatz der Zumutbarkeit, wie sie sich nach den Umständen des Einzelfalles darstellt. Maßgeblich sind in
erster Linie das vom Unternehmer zu erwartende Fachwissen sowie alle Umstände, die für den
Unternehmer bei hinreichend sorgfältiger Prüfung als bedeutsam erkennbar sind (BGH, Urteil vom 8.
November 2007 - VII ZR 183/05, BGHZ 174, 110 = BauR 2008, 344, juris Rn. 24; Senat, Urteil vom 31.
März 2015 - 10 U 93/14, BauR 2016, 280, juris Rn. 65 f.). Eine Haftungsbefreiung des Unternehmers tritt
nicht nur dann ein, wenn er ordnungsgemäß auf seine Bedenken hingewiesen hat, sondern auch, wenn er
bei gebotener Prüfung die Fehlerhaftigkeit der Vorleistung nicht erkennen konnte (Kniffka/Koeble,
Kompendium des Baurechts, 4. Aufl., 6. Teil Rn. 53).
10
b)
Vorliegend hat die Klägerin mit Schreiben vom 29. Juli 2011 gegenüber der Auftraggeberin Bedenken im
Hinblick auf den Untergrund, der aus Altspachtelmassenschichten bestand, angemeldet und erklärt, dass sie
keine Gewährleistung übernehme, falls es zu Abplatzungen der Spachtelmasse und dadurch zum Ablösen
des von der Klägerin zu verlegenden Bodenbelags komme. Dies stellte eine ordnungsgemäße schriftliche
Bedenkenmitteilung im Sinne von § 4 Abs. 3 VOB/B dar und führte zu einer Haftungsbefreiung der Klägerin
gegenüber der Auftraggeberin, auch wenn diese entgegen ihrer vertraglichen Verpflichtung, eine
Entscheidung zu treffen, nicht auf die Bedenkenmitteilung reagiert hat, sondern schlicht untätig geblieben
ist, wie die Klägerin vorträgt. Auch der untätig bleibende Auftraggeber hat für die sich daraus ergebenden
Folgen einzustehen (vgl. Riedl/Mansfeld in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, 13. Aufl., § 4
VOB/B Rn. 63; Oppler in Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar, 19. Aufl., § 4 Abs. 3 VOB/B Rn. 76; Merkens in
Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 5. Aufl., § 4 VOB/B Rn. 109). Keine andere Beurteilung ergibt
sich, wenn die Auftraggeberin nach Abwägung der von der Klägerin mitgeteilten Bedenken das
Schadensrisiko als sehr gering beurteilt und die Mitarbeiter der Klägerin vor Ort angewiesen haben sollte,
die Arbeiten nur so wie im Leistungsverzeichnis beschrieben auszuführen, wie die Beklagte in der
Klagerwiderung vorgetragen hat.
11
c)
Ist die Klägerin aber wegen des ordnungsgemäßen Bedenkenhinweises von ihrer Haftung gegenüber der
Auftraggeberin befreit, besteht keine gesamtschuldnerische Haftung mit der Beklagten. Ein
Gesamtschuldverhältnis ist auch nicht dadurch zustande gekommen, dass die Klägerin die Mängel, für die sie
nicht einzustehen hat, beseitigt hat. Tatsächlich ergibt sich aus dem als Anlage K 1 vorgelegten Schreiben
der Klägerin vom 25. Juni 2015 an die Auftraggeberin, mit welchem sie ihre Kosten für Tätigkeiten zur
Beseitigung der Schäden aufgrund abgeplatzter Spachtelmasse auf Sulfitablaugekleber auf 8.795,88 EUR
netto entsprechend 10.467,10 EUR brutto bezifferte, dass die Klägerin nicht der Ansicht war, zur
(unentgeltlichen) Mängelbeseitigung verpflichtet zu sein.
12 Die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 16. November 2016 führen zu keiner abweichenden
Beurteilung. Die Grundsätze des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs kommen nicht zur Anwendung, da
kein Fall einer gestörten Gesamtschuld vorliegt. Vielmehr bestand zwischen der Klägerin und der Beklagten
aus den dargelegten Gründen zu keinem Zeitpunkt ein Gesamtschuldverhältnis. Für die Annahme eines erst
nachträglich entstandenen gestörten Gesamtschuldverhältnisses ist daher kein Raum. Auch eine analoge
Anwendung der Regeln über den Ausgleich im gestörten Gesamtschuldverhältnis kommt nicht in Betracht.
Es fehlt sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte.
13 Ob und ggf. in welcher Höhe die Klägerin von ihrer Auftraggeberin eine Vergütung für die
Mängelbeseitigungsarbeiten beanspruchen kann, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Ebenfalls nicht im vorliegenden Rechtsstreit zu klären ist die Frage, ob und ggf. welche Ansprüche der
Klägerin gegen ihre Auftraggeberin wegen der ihr im Zusammenhang mit dem selbständigen
Beweisverfahren 8 OH 14/13 vor dem Landgericht H. entstandenen Kosten zustehen und ob der
Auftraggeberin Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
3.
14 Sollten die aufgetretenen Belagsablösungen sowie Beulen- und Blasenbildungen auf Fehler der Klägerin bei
der Ausführung ihrer Arbeiten zurückzuführen sein, wäre sie zur Nachbesserung verpflichtet gewesen und
würde im Verhältnis zur Beklagten alleine haften, so dass auch dann der geltend gemachte Anspruch nicht
bestünde.
III.
15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
16 Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
17 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung des § 3 ZPO bestimmt.