Urteil des OLG Stuttgart vom 29.09.2010
OLG Stuttgart: fristlose kündigung, wichtiger grund, gesellschafterversammlung, unwirksamkeit der kündigung, zwangsvollstreckung, geschäftsführer, vermietung, form, anhörung, anstellungsvertrag
OLG Stuttgart Urteil vom 29.9.2010, 9 U 37/10
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ulm vom 12.02.2010 (Az.: 10 O 164/09 KfH)
wird
zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages
leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert der Berufung: bis zu 750.000.- EUR
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen. Die Beklagte ist Inhaberin einer Drogeriekette. Der Kläger trat
am 1.10.2008 in die Dienste der Beklagten, um als Geschäftsführer für den Bereich Einkauf und Vertrieb (exklusive Parfümerie) tätig zu sein.
2
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
3
Den im Streit befindlichen außerordentlichen Kündigungen vom 13.11.2009 sowie vom 19.11.2009 waren bereits vier außerordentliche
Kündigungen der Beklagten vorausgegangen. Die Wirksamkeit dieser vorausgegangenen Kündigungen ist Gegenstand eines gesonderten
Rechtsstreits. Das Landgericht Ulm hat mit noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 9.02.2010 (10 O 131/09 KfH) den dortigen Feststellungsanträgen
des Klägers stattgegeben und die Unwirksamkeit dieser Kündigungen festgestellt.
4
Das Landgericht hat in diesem Fall nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Zeugen W. und J. (vgl. Sitzungsniederschrift des Landgerichts
vom 2.02.2010 – Bl. 141- 148 ) den Feststellunganträgen des Klägers stattgegeben.
5
Es hält den Geschäftsführeranstellungsvertrag für wirksam. Obwohl der für die Bestellung notwendige Gesellschafterbeschluss nicht vorliege, sei
der Anstellungsvertrag nicht nach den Grundsätzen eines fehlerhaften Anstellungsverhältnisses zu beurteilen, da in dem Beschluss der
Gesellschafterversammlung vom 16.03.2009, wodurch der Kläger als Geschäftsführer abberufen worden sei, zugleich eine konkludente
Genehmigung von dessen Bestellung liege. Da die Beklagte sich zur Herbeiführung des entsprechenden Gesellschafterbeschlusses verpflichtet
habe, der Kläger seine Tätigkeit als Geschäftsführer tatsächlich aufgenommen und die Beklagte dies nach außen publik gemacht habe, sei es ihr
verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit des Anstellungsvertrags zu berufen.
6
Die fristlosen Kündigungen seien formal wirksam, da sie von der Gesellschafterversammlung der Beklagten und somit vom zuständigen
Gesellschaftsorgan ausgesprochen worden seien. Herr M. habe die Fa. M. Management Limited in der Gesellschafterversammlung wirksam
vertreten können. Auf einen Vollmachtsnachweis komme es nicht an, weil der Kläger die Kündigungen nicht wegen fehlender Vorlage
zurückgewiesen habe.
7
Jedoch seien die Kündigungen materiell unbegründet, weil ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Dienstverhältnisses in
beiden Fällen nicht vorgelegen habe, welcher die Fortsetzung des Dienstverhältnisses für die Beklagte als unzumutbar erscheinen lasse.
8
Der vom Kläger geäußerte Verdacht der Vordatierung von Gesellschafterbeschlüssen sei erkennbar im Zusammenhang mit der Wahrnehmung
seiner Rechtsposition in einem Rechtsstreit erfolgt und sei auch unter Berücksichtigung seiner fortbestehenden Treuepflicht als Geschäftsführer
hinzunehmen und noch tolerabel gewesen, zumal die Beklagte den Kläger in jenem Rechtsstreit des Prozessbetrugs bezichtigt habe.
9
Der Zwangsvollstreckungsauftrag vom 2.11.2009 sei zwar aus objektiver Sicht vom Kläger übereilt erteilt worden, jedoch habe die Beklagte
durch ihr vorausgegangenes Verhalten beim Kläger Zweifel an ihrer Zahlungsbereitschaft geschürt. Aufgrund der vier außerordentlichen
Kündigungen sowie des Vorwurfs des Prozessbetrugs seitens der Beklagten sei das Vertrauen der Parteien zueinander nachhaltig gestört
gewesen, weshalb im Rahmen der Interessenabwägung ein wichtiger Grund zu verneinen sei.
10 Soweit die Beklagte ihre außerordentliche Kündigung darauf stützt, der Kläger habe im Parallelverfahren Bruttobeträge geltend gemacht, obwohl
er gewusst habe, dass nur Nettobeträge zurück gehalten würden, fehle es bereits an einem wirksamen Gesellschafterbeschluss. Zudem sei eine
solche Kenntnis des Klägers nicht nachgewiesen, auch habe die Beklagte die Bruttoforderung ohne Einwendungen anerkannt.
11 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts, welches dem Beklagtenvertreter am 15.02.2010
zugestellt wurde, Bezug genommen.
12 Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit dem am 8.03.2010 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und sie mit
dem am 13.04.2010 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
13 Die Beklagte greift die vom erstinstanzlichen Gericht vorgenommene Tatsachenfeststellung an und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie
meint, ein wichtiger Grund habe für beide außerordentlichen Kündigungen vorgelegen.
14 Der bewusst wahrheitswidrige Prozessvortrag des Klägers zur Rückdatierung der Gesellschafterbeschlüsse stelle einen versuchten
Prozessbetrug und eine grobe Beleidigung und damit eine schwerwiegende Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Dienstberechtigten dar.
Eine bewusst unwahre Behauptung falle nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit. Schließlich sei die Äußerung im Hinblick auf die konkrete
Prozesssituation zur Rechtswahrung weder geeignet noch erforderlich gewesen.
15 Mit der sofortigen Einleitung der Zwangsvollstreckung ohne Vorankündigung habe der Kläger gegen dienstvertragliche und organschaftliche
Treuepflichten grob verstoßen. Nach dem Anerkenntnis der Beklagten habe der Kläger mit einer freiwilligen Zahlung der solventen Beklagten
rechnen können und gewusst, dass die Beklagte noch eine Abrechnung zu erstellen hatte. Die Art und Weise der beabsichtigten Pfändung
(Kassenpfändung in der größten Filiale am Unternehmenssitz der Beklagten) und der Umstand, dass der Kläger nicht auf das Geld angewiesen
gewesen sei, zeige die mit der Zwangsvollstreckung intendierte Rufschädigung.
16 Zweitinstanzlich trägt die Beklagte weiter vor:
17 Ende März 2010 habe sie erfahren, dass der Kläger bei Einleitung der Zwangsvollstreckung nicht - wie behauptet - mittellos gewesen sei,
sondern mit seiner Ehefrau über ein Kontoguthaben von 500.000,00 EUR und über fortlaufende Mieteinnahmen aus der Vermietung von drei
gewerblichen Objekten verfügt habe.
18 Am 6.04.2010 habe Herr M. erfahren, dass der Kläger im Frühjahr 2009 gegenüber Mitarbeitern den Verdacht geäußert habe, die Beklagte ließe
ihn in seinem Büro abhören. Durch die Mitteilung dieses unbegründeten Verdachts habe der Kläger dem Ansehen der Firma geschadet. Die
Beklagte habe lediglich einen früheren Hauptbuchhalter wegen der Besorgnis der finanziellen Unzuverlässigkeit überwachen lassen. Die
Gesellschafterversammlung der Beklagten habe das Nachschieben der Kündigungsgründe am 28.05.2010 beschlossen, was zulässig sei.
Insbesondere diese neu bekannt gewordenen Pflichtverletzungen machten die Fortsetzung des Dienstvertrages bis zum Ablauf vom 30.09.2011
unzumutbar. Schließlich führe auch eine Gesamtwürdigung aller Kündigungssachverhalte zum gleichen Ergebnis.
19 Die Beklagte beantragt,
20
das Urteil des Landgerichts Ulm - 1. Kammer für Handelssachen - vom 12.02.2010 ( Az. 10 O 164/09 kfH) abzuändern und die Klage
abzuweisen.
21 Der Kläger beantragt,
22
die Berufung zurückzuweisen.
23 Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil. Er hält die die Kündigungen vom 13.11.2009 sowie vom 19.11.2009 bereits für formell
unwirksam, weil es an einem wirksamen Gesellschafterbeschluss fehle. Der für die Komplementärin zeichnende Direktor M. sei nicht
nachweisbar einzelvertretungsberechtigt gewesen, weshalb der Kläger die Kündigungen ausdrücklich zurückgewiesen habe.
24 Für die außerordentlichen Kündigungen habe jeweils kein wichtiger Grund vorgelegen.
25 Sein Vortrag bzgl. einer möglichen Rückdatierung der Protokolle sei keine drastische Überzeichnung, erst recht keine Verunglimpfung der
Beklagten. Der Vorwurf des Prozessbetrugs sei damit nicht verbunden. Im Übrigen sei es die Beklagte gewesen, welche den Kläger bei der
Staatsanwaltschaft angezeigt habe.
26 Im Zusammenhang mit der Forderungsbeitreibung sei nicht die Einleitung der Zwangsvollstreckung, sondern die Nichtzahlung durch die
Beklagte rechtsmissbräuchlich gewesen. Binnen 8 Tagen nach dem Anerkenntnis sei weder eine Gehaltsabrechnung vorgelegt noch eine
Zahlung avisiert worden. Die Zwangsvollstreckung habe man mit der größtmöglichen Diskretion vornehmen lassen.
27 Zu den zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten trägt der Kläger vor:
28 Die Vermietung einer Gewerbeimmobilie an die Fa. S. habe der Kläger vor dem Dienstvertrag im Mai 2008 vorgenommen. Zudem beinhalte der
Anstellungsvertrag kein entsprechendes Verbot. Eine relevante Einflussnahme auf das Wettbewerbsunternehmen nach § 12 Abs. 1 des Vertrags
sei damit nicht verbunden.
29 Der Kläger habe sich zwar mit Mitarbeitern der Beklagten über den kursierenden Verdacht des Abhörens unterhalten. Ihm sei von einem
Abhörskandal und nach Verkündung des landgerichtlichen Urteils auch von weiteren derartigen Missbrauchsfällen berichtet worden.
30 Ein Nachschieben von Kündigungsgründen sei unzulässig. Zum einen hätte es dafür einer Willensäußerung der Gesellschafterversammlung
bedurft. Zum anderen sei die angebliche Verdachtsäußerung über Abhörmaßnahmen anders gelagert als der behauptete Prozessbetrug, so
dass sich damit der Charakter der Kündigung völlig ändern würde.
31 Wegen der behaupteten Täuschung des Gerichts im Termin vom 19.01.2010 über seine finanziellen Verhältnisse sowie des Verstoßes gegen
das Wettbewerbsverbot durch Vermietung von Gewerbefläche an die Firma S. hat die Beklagte am 26.03.2010 eine weitere fristlose Kündigung
ausgesprochen. Diese Kündigung ist Gegenstand eines anderen Rechtsstreits. Das Landgericht Ulm hat mit - noch nicht rechtskräftigem - Urteil
vom 11.05.2010 (Az.: 10 O 44/10 KfH) auch diese außerordentliche Kündigung für unwirksam gehalten.
32 Wegen des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
33 Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
34 Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Anstellungsvertrag wirksam ist (1) und mangels Vorliegens eines materiellrechtlichen
Kündigungsgrundes weder durch die außerordentliche Kündigung vom 13.11.2009 (2) noch durch die Kündigung vom 19.11.2009 (3) wirksam
beendet wurde. Auch das Nachschieben von Kündigungsgründen konnte diesen Kündigungen nicht zur Wirksamkeit verhelfen (4).
1.
35 Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Anstellungsvertrag zwischen den Parteien mangels ordnungsgemäßer Vertretung gem. §
164 Abs. 1 S. 1 BGB nicht wirksam zustande gekommen ist (a), allerdings durch nachträgliche Zustimmung gem. §§ 182, 184 BGB genehmigt
wurde (b).
a)
36 Beim Abschluss des Dienstvertrags mit dem Kläger wurde die Beklagte nicht ordnungsgemäß vertreten, da die Vertragsurkunde nur von Herrn M.
unterzeichnet wurde, ohne dass ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung erging.
37 Die Bestellung als Geschäftsführer kann - ebenso wie dessen Abberufung - nach §§ 6, 9 des Gesellschaftervertrages vom 30.06.1987 nur
wirksam mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung der KG erfolgen Das Handeln des geschäftsführenden Direktors der Komplementärin
(Limited), das nach dem Gesellschaftsvertrag der Zustimmung der Gesellschafterversammlung der beklagten KG bedurfte, war von der
Vertretungsmacht der geschäftsführenden Gesellschafterin für „gewöhnliche“ Geschäfte nicht mehr gedeckt, da der im Streit befindliche
Dienstvertrag eine Geschäftsführerbestellung beinhaltete (vgl. zur Auswirkung der fehlenden Zustimmung der Gesellschafterversammlung BGH
DNotZ 1995, 961).
38 Bei der angemeldeten und in das deutsche Handelsregister eingetragenen Beklagten handelt es sich um eine nach deutschem Recht gem. §
161 Abs. 1 HGB gegründete Kommanditgesellschaft. Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass persönlich haftende
Gesellschafterin dieser KG eine nach englischem Recht errichtete private limited company by shares (im folgenden: Limited) ist. Es entspricht
herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass eine Limited als eine im EU-Ausland gegründete Kapitalgesellschaft die
Stellung einer Komplementärin in einer KG übernehmen kann (vgl. OLG Frankfurt ZIP 2006, 1673 m.w.N.), da von der Vergleichbarkeit der
englischen Limited mit einer GmbH deutschen Rechts ausgegangen wird, deren Komplementärfähigkeit im Rahmen der Rechtsreform der GmbH
Co. KG anerkannt ist. Für die KG ist nach dem Gesellschaftsstatut deutsches Recht maßgeblich. Nach §§ 161 Abs. 2, 164, 170, 115, 125 HGB
sind bei der KG die Kommanditisten von der Geschäftsführung und organschaftlichen Vertretung ausgeschlossen und sämtliche Komplementäre
grundsätzlich einzeln zur Geschäftsführung und Vertretung berechtigt und verpflichtet, soweit der Gesellschaftsvertrag keine abweichenden
Regelungen trifft. Da es sich bei der Komplementärin um eine englische Limited handelt, ist für die Geschäftsführung und Vertretung dieser
Gesellschaft englisches Recht maßgeblich, selbst wenn sie eine Zweigniederlassung in Deutschland begründet hat.
39 Vorliegend sieht § 6 i.V.m. § 9 des Gesellschaftsvertrags vom 30.06.1987 vor, dass für „nicht gewöhnliche“ Handlungen wie Erteilung oder
Widerruf der Geschäftsführerbefugnis die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Beklagten notwendig ist. Gem. § 9 des
Gesellschaftsvertrags vom 30.06.1987 ist die Gesellschafterversammlung beschlussfähig, wenn 2/3 der Gesellschafter anwesend oder vertreten
sind. Gesellschafter der Beklagten sind neben der genannten Komplementärin M., M. sowie die P.-Verwaltungs-GmbH. Die Komplementärin
kann laut vertraglicher Regelung vom 24.03.2009 der Limited durch den Direktor M. stets einzeln vertreten werden. Für die Verwaltungs-GmbH
sind als weitere Kommanditisten die Herren M. und M. jeweils einzelvertretungsberechtigt. Demnach war die Gesellschafterversammlung der
Beklagten beschlussfähig, wenn die Komplementärin und die Kommanditisten jeweils in Person bzw. in Vertretung der Herren E. und R. M.
anwesend waren.
b)
40 Der wegen fehlender Vollmacht nicht wirksam zustande gekommene Dienstvertrag wurde durch nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) der
Gesellschafter der Beklagten gem. §§ 184, 182 BGB genehmigt. Die Zustimmung gem. § 182 BGB kann auch konkludent erfolgen, insbesondere
ist eine Zustimmung anzunehmen, wenn der Zustimmungsberechtigte das Rechtsgeschäft als gültig behandelt und das Verhalten des
Zustimmungsberechtigten dem Erklärungsempfänger als Zustimmung erkennbar ist (BGH WM 1990, 1575; Palandt-Ellenberger, BGB, 69. A.,
2010, § 182 Rn. 3).
41 Indem die Geschäftsführerposition des Klägers seitens der Beklagten publik gemacht wurde und der Kläger für die Beklagte als Geschäftsführer
über eine Zeitspanne von über einem halben Jahr tätig war, haben die übrigen Gesellschafter die Geschäftsführerstellung des Klägers schlüssig
genehmigt. Einer Zustimmung in Form eines Gesellschafterbeschlusses bedurfte es nicht, da die Zustimmung nicht der für das Hauptgeschäft
bestimmten Form bedarf (§ 182 Abs. 2 BGB). Auch in dem Gesellschafterbeschluss vom 16.03.2009, wodurch der Kläger als Geschäftsführer
abberufen wurde, kommt zum Ausdruck, dass die Gesellschafter der Beklagten bis dahin von einer Geschäftsführerbestellung des Klägers
ausgegangen sind.
2.
42 Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht angenommen, die Kündigung vom 13.11.2009 sei zwar formal wirksam ausgesprochen (a) und
nicht wegen Zurückweisung nach § 174 BGB unwirksam (b), allerdings fehle es an einem wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung
(c).
a)
43 Für die Kündigungserklärung, welche zugleich einen Widerruf der Geschäftsführerbefugnis beinhaltete, bedurfte es gem. § 6 des
Gesellschaftervertrags der Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss. Diese Zustimmung für die Kündigung vom 13.11.2009 - ebenso wie für
jene vom 19.11.2009 - wurde erteilt, ebenso wurde Herrn E. M. die Vollmacht zur Kündigungserklärung übertragen.
b)
44 Der Kündigung als einseitig empfangsbedürftiger Willenserklärung war - ebenso wie der Kündigung vom 19.11.2009 - die Bevollmächtigung des
M. durch die Gesellschafterversammlung, die Kündigung im Namen der Beklagten auszusprechen, beigefügt. Es fehlte jedoch der Nachweis,
dass Herr M. seitens der Limited bevollmächtigt war, die Komplementärin in der Gesellschafterversammlung zu vertreten.
45 Ungeachtet der Frage, ob eine Fehlerhaftigkeit des Gesellschafterbeschlusses die Vertretungsmacht berührt (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 34. A.,
2010, Hopt § 116 Rn. 7) und damit überhaupt ein Fall der Rügemöglichkeit nach § 174 BGB vorliegt, ist das Landgericht zu Recht davon
ausgegangen, dass der Kläger mit seiner E- Mail vom 16.11.2009 (K 24/80) - ebenso wenig wie mit seiner E-Mail vom 22.11.2009 (K 28/84) - die
Kündigungserklärung nicht unverzüglich gerügt und aus diesem Grund nicht zurückgewiesen hat. Eine Zurückweisung der einseitigen,
empfangsbedürftigen Willenserklärung muss deutlich, also gerade wegen der fehlenden Vorlage der Vollmachtsurkunde erfolgen (vgl. BAG NZI
2003, 509). Zwar braucht die fehlende Vollmachtsurkunde nicht ausdrücklich beanstandet zu werden, vielmehr ist durch Auslegung zu ermitteln,
aus welchem Grund die Zurückweisung erfolgt ist. Da der Kläger in seiner E-Mail nur auf § 174 BGB Bezug nimmt und die fehlende bzw.
unzureichende urkundliche Ermächtigung als solche nicht erwähnt, bleibt unklar, welchen von mehreren in Betracht kommenden urkundlichen
Vollmachtsnachweisen er meint. Sichere Anhaltspunkte dafür, dass er damit die Ermächtigungsurkunde der Limited - nämlich den Nachweis,
dass Herr M. die Limited in der Gesellschafterversammlung vertreten durfte - meinte, lassen sich auch bei großzügiger Auslegung seiner
Erklärung nicht entnehmen (vgl. BAG NJW 1981, 2374).
c)
46 Die Kündigung vom 13.11.2009 ist nicht als fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB wirksam.
47 Nach § 626 Abs. 1 können Arbeitsverhältnisse aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund
derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht
zugemutet werden kann. Insoweit ist mit der Frage der Zumutbarkeit eine Prognoseentscheidung hinsichtlich der künftigen negativen
Auswirkungen der Pflichtverletzung verbunden. Jedoch können auch abgeschlossene Sachverhalte derart schwerwiegend sein, dass dem
Arbeitgeber eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. Münch. Komm. – Henssler, BGB, 5. a., 2009, § 626
Rn. 109).
48 In diesem Fall war weder eine vorherige Anhörung noch eine Abmahnung des Klägers erforderlich.
49 Ob eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers zu den Kündigungsgründen geboten und damit zugleich Wirksamkeitsvoraussetzung für die
Kündigung ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Bei einer Kündigung aufgrund eines durch Tatsachen bewiesenen
Sachverhalts ergibt sich keine Pflicht zur Anhörung, weshalb sich eine solche im vorliegenden Fall erübrigte.
50 Eine Abmahnung ist in der Regel entbehrlich, wenn das Vertrauensverhältnis gestört ist, dies insbesondere bei Pflichtverletzungen im Rahmen
von Dienstverhältnissen von Organmitgliedern bei juristischen Personen (vgl. Palandt-Weidenkaff, a.a.O., § 626 Rn. 18). Dies trifft auch auf die
behaupteten massiven Pflichtverletzungen des Klägers als Geschäftsführer zu.
d)
51 Zu Recht hat das Landgericht in dem Zwangsvollstreckungsauftrag des Klägers vom 2.11.2009 – eingegangen bei der Gerichtsvollzieherin am
3.11.2009 – keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gesehen. Für sich betrachtet wurde dieser Zwangsvollstreckungsauftrag
durch die Klägervertreter zwar vorschnell erteilt, da bei einem Titel aufgrund Anerkenntnis und bestehender Solvenz des Schuldners in der Regel
auch mit dessen freiwilliger und baldiger Zahlung zu rechnen ist. Dennoch ist das Verhalten nicht als ein erheblicher Pflichtenverstoß anzusehen,
welcher die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Bei dem bereits durch andere Vorfälle aus der Vergangenheit gestörten
Vertrauensverhältnis (mehrfach ausgesprochene außerordentliche Kündigungen gegenüber dem Kläger, Strafanzeige gegen den Kläger) war
eine an sich vom Gesetz nicht vorgeschriebene, jedoch übliche vorgeschaltete Zahlungsaufforderung nicht unbedingt geboten, auch stand die
Zahlungsbereitschaft der Beklagten nicht außer Zweifel. Die Art und Weise der Zwangsvollstreckung (Kassenpfändung in einer Filiale der
Beklagten) ist nicht gesetzwidrig. Zwar ist ein Angestellter, insbesondere ein solcher in leitender Position auf Grund seiner Treuepflicht gehalten,
Schaden von seinem Arbeitgeber abzuwenden und geschäfts- und rufschädigende Handlungen zu unterlassen. Dass der Kläger die
Zwangsvollstreckung nicht wegen des Geldes, sondern ausschließlich zum Zwecke der Rufschädigung betrieben hat, ist keine feststehende
Tatsache, sondern eine Vermutung der Beklagten. Um ihrer Aufklärungspflicht zu genügen, hätte sie den Kläger vor Ausspruch der Kündigung
anhören müssen, um den Sachverhalt zu klären. Zudem deutet die Bitte an den Gerichtsvollzieher, die Kassenpfändung abends, somit zu Zeiten
der „gefüllten“ Kassen vorzunehmen, darauf hin, dass der Kläger die Forderung tatsächlich beitreiben wollte. Eine mit der Ausführung des
Pfändungsauftrags einhergehende Geschäfts- oder Rufschädigung hat die Beklagte nicht behauptet. Selbst wenn der Kläger auf die
Gehaltszahlungen aufgrund seiner Vermögenssituation nicht angewiesen war, wäre die Zwangsvollstreckung nicht deswegen
rechtsmissbräuchlich, weshalb es für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nicht darauf ankommt, ob der Kläger hinsichtlich seiner
Vermögenssituation unzutreffende Angaben gemacht hat.
3.
52 Zutreffend geht das Landgericht davon aus, auch der außerordentlichen Kündigung vom 19.11.2009, welche aus den gleichen Gründen, wie
unter Punkt 2 a) und b) aufgeführt, formal wirksam ausgesprochen wurde und nicht wegen Zurückweisung nach § 174 BGB unwirksam ist, fehle
es an einem wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB.
53 Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB, deren Missachtung zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führt, wurde beachtet.
54 Die zweiwöchige Ausschlussfrist beginnt mit Kenntnis des Kündigenden von den Tatsachen, die den wichtigen Grund ausmachen. Dazu
gehören die Umstände für und gegen eine Kündigung sowie die Beweismittel für die Pflichtverletzung. Es kommt dabei auf die Kenntnis
derjenigen Person an, der im konkreten Fall das Recht zur Kündigung zusteht, bei juristischen Personen auf die Kenntnis des für die Kündigung
zuständigen Organs (vgl. Palandt-Weidenkaff, a.a.O., § 626 Rn. 24), so bei der Kündigung eines Geschäftsführers der GmbH allein auf die
Kenntnis der Gesellschafterversammlung als zur Willensbildung berufenes Kollegialorgan (BGH NJW 1998, 3274).
55 Herr M. hat von dem Schriftsatz der Klägervertreter vom 23.10.2009 aufgrund der Gerichtsverhandlung vor dem LG Ulm wohl noch im Oktober
2009 Kenntnis erlangt, es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Gesellschafterversammlung noch vor dem 13.11.2009 über diesen Vorgang
informiert wurde.
56 Die beanstandeten Behauptungen des Klägers stellen sich allerdings als nicht kündigungsrelevant dar.
57 Nach ständiger Rechtsprechung können Beleidigungen des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer, die nach Form und Inhalt eine grobe
Ehrverletzung bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und eine
außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG NZA 2003, 1295). Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso
schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgte (BAG a.a.O.). Handelt es sich jedoch um eine Äußerung, die ein
Prozessbeteiligter in einem gerichtlichen Verfahren zur Wahrung seiner Rechtsposition abgegeben hat, sind bei der Anwendung des § 193 StGB
neben der Meinungsäußerungsfreiheit auch die Auswirkungen des Rechtsstaatsprinzips auf die durch Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte
Betätigungsfreiheit und der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen. Im „Kampf um das Recht“ sind nur missbräuchliche
Einlassungen, die in keinem Zusammenhang zur Verteidigung stehen und offenbar unhaltbar sind, nicht gem. § 193 StGB gerechtfertigt (BVerfG
NJW 1991, 2074; NJW 2000, 3196).
58 Zwar enthält die geäußerte Vermutung des Klägers, die beiden Gesellschafterbeschlüsse seien rückdatiert worden, inhaltlich die Aussage, dass
er der Beklagten einen wahrheitswidrigen Prozessvortrag zutraut und damit im Kern eine ehrverletzende Äußerung. Allerdings erfolgte diese
Äußerung im Zusammenhang mit der Wahrnehmung seiner Rechtsposition (nämlich der Untermauerung seiner Auffassung, die Kündigungen
seien auch formell unwirksam) im zivilrechtlichen Rechtsstreit. Da der Kläger diese Äußerung nur in Form einer Vermutung – wobei das bisherige
außerprozessuale und prozessuale Verhalten der Beklagten Anlass zur Annahme gab, dass Herr M. die Zustimmung der
Gesellschafterversammlung nicht stets vorab eingeholt hatte - geäußert hat und in seiner Wortwahl sachlich geblieben ist, die Beklagte sich
dagegen ihm gegenüber mit Vorwürfen wie „Prozessbetrug“ nicht zurückgehalten hat, kann darin weder ein strafrechtlich relevantes Verhalten
noch eine rechtswidrige, gröbliche Pflichtverletzung gegenüber der Beklagten als Dienstherr gesehen werden.
4.
59 Soweit die Beklagte Kündigungsgründe nachschiebt, ist der neue Vortrag zwar zulässig (a), bedurfte keiner besonderen Bevollmächtigung (b)
und war grundsätzlich zur Rechtfertigung früherer Kündigungserklärungen möglich (c). Allerdings ist weder der Vorwurf des Prozessbetrugs
wegen Täuschung über die wirtschaftliche Situation (d) noch der Vorwurf der Verbreitung wahrheitswidriger Äußerungen (e) geeignet, die bereits
ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen zu rechtfertigen. Auch eine Gesamtschau aller bisherigen Kündigungsgründe führt nicht zur
Beendigung des Anstellungsvertrags (f).
a)
60 Der neue Vortrag in der Berufungsinstanz bzgl. des Nachschiebens von Kündigungsgründen ist gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO in der
Berufungsinstanz zuzulassen, da die rechtsgestaltende Erklärung erst im Laufe des Berufungsverfahrens abgegeben wurde (vgl. Zöller-Heßler ,
ZPO, 28. A., 2009, § 531 Rn. 31: Präklusionsvorschriften sollen zum alsbaldigen Vortrag, nicht zur raschen Realisierung materiell-rechtlicher
Voraussetzungen anhalten).
b)
61 Nachdem die neuen Kündigungsgründe durch den Prozessbevollmächtigten in der Berufungsbegründungsschrift genannt werden, findet § 174
BGB im Hinblick auf die im Rahmen des gesetzlichen Umfangs seiner Prozessvollmacht abgegebene Erklärung keine Anwendung (BGH NJW
2003, 963).
c)
62 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Kündigungsgründe, die dem Kündigenden bei Ausspruch der
Kündigung noch nicht bekannt waren, uneingeschränkt nachgeschoben werden, wenn sie bereits bei Ausspruch der Kündigung entstanden sind
(vgl. BAG NJW 2008, 1097 m.w.N.). Laut Bundesgerichtshof (BGHZ 157, 151 = NJW 2004, 1528; BB 2005, 1698) ist – was vom
Bundesarbeitsgericht offen gelassen wurde - ein Nachschieben bzw. Auswechseln der Kündigungsgründe im Prozess auch dann möglich, wenn
die Kündigung hierdurch einen völlig anderen Charakter erhält, sofern sie bei Ausspruch der Kündigung schon vorlagen und dem kündigenden
Gesellschaftsorgan nicht länger als zwei Wochen zuvor bekannt waren. Auf einen sachlichen Zusammenhang kommt es danach nur für die
unterstützende Heranziehung von bei Ausspruch der Kündigung bereits gem. § 626 Abs. 2 BGB verfristeter „Gründe“ an.
d)
63 Die Erörterung des Vorwurfs des Prozessbetrugs wegen angeblich unrichtiger Angaben zur finanziellen Situation im Zusammenhang mit der
Zwangsvollstreckung bzw. des angeblichen Wettbewerbsverstoßes im Zusammenhang mit der Geschäftsraumvermietung an die Fa. S. erübrigt
sich insofern, als diese Gründe die Beklagte zur fristlosen Kündigung vom 26.03.2010 veranlasst haben, welche Gegenstand eines anderen,
noch nicht rechtskräftig abgeschossenen Rechtsstreits sind.
64 Dem Kündigenden ist es laut Bundesgerichtshof (BGHZ 157, 151) jedoch nicht verwehrt, einen Kündigungsgrund, auf welchen er eine neuere
fristlose Kündigung gestützt hat, einer früheren Kündigung als weiteren Grund „nachzuschieben“ oder „auszutauschen“, sofern dieser bereits
zum Zeitpunkt des Ausspruchs der früheren Kündigung vorgelegen hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte hierauf auch eine
„abermalige“ außerordentliche Kündigung (mit Schreiben vom 26.03.2010) gestützt hat (vgl. BGH BB 2004, 64). Für dieses Nachschieben der
sachlich anders gelagerten Kündigungsgründe liegt die notwendige Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung (vgl. dazu BGH BB 2004,
64; 2005, 1698) vom 28.05.2010 vor. Auf die Einhaltung der Ausschlussfrist kommt es gem. § 626 Abs. 2 BGB beim Nachschieben von
Kündigungsgründen nicht an (BGHZ 157, 151).
65 Das Verschweigen bzw. Verschleiern der Einkommensverhältnisse und seiner finanziellen Situation ist für das Ob und die Art und Weise der
Durchführung der Zwangsvollstreckung aus dem Zahlungstitel ohne Relevanz. Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, durch
Vermietung von Gewerbefläche an ein Konkurrenzunternehmen habe der Kläger einen gewichtigen Wettbewerbsverstoß begangen. Die
Vermietung als solche erfolgte bereits vor Beginn des Anstellungsvertrages, somit zu einem Zeitpunkt, als der Kläger noch nicht in einem
Pflichtenverhältnis zur Beklagten stand. Das Verschweigen der Vermietung bzw. die Fortsetzung des Mietvertrages während seiner Tätigkeit als
Geschäftsführer stellt keine gröbliche Pflichtverletzung dar. Wenn dem Kläger nach der vertraglichen Regelung des § 12 des
Geschäftsführeranstellungsvertrages gestattet wird, Minderheitsgesellschafter bei Konkurrenzunternehmen zu werden, so muss es ihm erst recht
gestattet sein, Gewerbefläche an ein solches Unternehmen zu vermieten. Dass mit der Vermietung eine besondere Förderung der Tätigkeit des
Konkurrenzunternehmens verbunden war, hat die Beklagte nicht behauptet. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger damit in einen
Interessenkonflikt zu seinem Dienstherrn geraten ist. Schließlich hat die Beklagte nicht vorgetragen, dass es dem Kläger als rechtmäßiges
Alternativverhalten möglich gewesen wäre, diesen Mietvertrag vorzeitig zu beenden.
e)
66 Da es sich bei dem Kündigungsgrund der Verbreitung wahrheitswidriger Äußerungen über angebliche Abhörmaßnahmen im Unternehmen um
einen sachlich anderen als denjenigen Grund handelt, welcher die Gesellschafterversammlung zur fristlosen Kündigung vom 13.11.2009 bzw.
jener vom 19.11.2009 veranlasst hat, war für das Nachschieben dieses Grundes eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung der
Beklagten notwendig, was durch den Gesellschafterbeschluss vom 28.05.2010 (Anlage B 9 - Bl. 225) unter Ziff. 3 a) nachgeholt wurde. Wie oben
ausgeführt, ist die Nichtbeachtung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB unschädlich.
67 Das Nachschieben bzw. der Austausch dieses Kündigungsgrundes stellt sich mangels Anhörung und mangels ausreichender Aufklärung als
unverhältnismäßig dar und entsprach nicht den Anforderungen des § 626 BGB.
68 Bei diesem Kündigungsgrund handelt es sich wegen den zwischen den Parteien streitigen und damit ungeklärten Einzelheiten um einen nicht
ausreichend aufgeklärten Sachverhalt . Bei einer solchen Verdachtskündigung war die Beklagte verpflichtet, den Kläger vorher anzuhören. Der
Dienstverpflichtete muss bei einer Verdachtskündigung vor dem Ausspruch der Kündigung die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe bzw.
Verdachtsmomente zu beseitigen bzw. zu entkräften. Vor Ausspruch der Kündigung muss der Dienstherr alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des
Sachverhalts tun. Selbst abseitigen Einlassungen des Dienstverpflichteten hat er nachzugehen, was vorliegend nicht geschehen ist (vgl. Lunk
NJW 2010, 2753 m.w.N.). Bereits wegen schuldhafter Verletzung dieser sich aus der Aufklärungspflicht ergebenden Anhörungspflicht ist die auf
den Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers gestützte Kündigung unwirksam (vgl. BAG NZA 1986,
674; Münch. Komm. – Henssler, a.a.O., § 626 ).
69 Zudem setzt eine Verdachtskündigung den dringenden (objektiven) Verdacht einer schweren Pflichtverletzung oder Straftat voraus (vgl. zum
Ganzen Lunk a.a.O.). Nachdem die Beklagte eingeräumt hat, in der Vergangenheit einen Mitarbeiter abgehört zu haben, und der Kläger angibt,
sich mit Mitarbeitern über derartige Vorfälle im Unternehmen unterhalten zu haben, ist eine auf Beweiszeichen gestützte große
Wahrscheinlichkeit für eine grobe Pflichtverletzung des Klägers nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen kann auch ein sich in diesem
Zusammenhang entwickelndes vertrauliches Gespräch unter Arbeitskollegen, selbst wenn es sich auf Gerüchte stützt und teilweise einen
diffamierenden Inhalt hat, nicht ohne Weiteres als grobe Pflichtverletzung angesehen werden, solange die Gesprächsteilnehmer darauf
vertrauen konnten, dass ihre Äußerungen nicht nach außen getragen werden und sich nicht betriebsschädigend auswirken (vgl. BAG NZA 2010,
271; DB 2003, 1797; Hess. LAG NZA-RR 2007, 245). Bei alledem muss berücksichtigt werden, dass das Klima zwischen den Parteien im
relevanten Zeitraum (Frühjahr 2009) bereits durch fristlose Kündigung, Verdächtigungen und Strafanzeige „vergiftet“ war, weshalb das
eingestandene Erörtern von Gerüchten - welche sich später zumindest teilweise als zutreffend herausstellten - kein kündigungsrechtlich
relevantes Fehlverhalten darstellt. Der Senat vermag dem teilweise wechselnden Vortrag der Beklagten unter Berücksichtigung der Einlassung
des Klägers keinen weitergehenden dringenden Verdacht zu entnehmen, der Kläger habe bewusst wahrheitswidrig geäußert, er werde selbst
von der Beklagten abgehört, weshalb sich eine Beweisaufnahme hierzu erübrigt hat.
f)
70 Sofern die Beklagte einen wichtigen Kündigungsgrund in der Gesamtschau aller vorgetragenen Gründe sehen möchte, wäre eine neue
Kündigungserklärung notwendig gewesen, wobei bei Pflichtverletzungen, die zu einem Gesamtverhalten zusammengefasst werden können, die
Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB mit dem letzten Vorfall, der ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bildet, die zum Anlass
für die Kündigung genommen werden, beginnt (vgl. Münch. Komm. – Kramer, a.a.O., § 626 Rn. 307). Eine solche materiell rechtliche Erklärung
beinhaltet die Berufungsbegründung jedoch nicht. Eine sozusagen „unterstützende“ Mitberücksichtigung der Gründe im Rahmen der bereits
ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen scheitert an dem fehlenden sachlichen Zusammenhang, welcher eine Gewichtung der
„fortdauernden“ Pflichtverletzung zuließe. Ein Nachschieben sämtlicher Kündigungsgründe ungeachtet eines sachlichen Zusammenhangs
kommt nicht in Betracht, wenn der Kündigungsgrund bei Ausspruch der Kündigung noch nicht vorgelegen hat. Soweit die Chronologie der
Ereignisse dies zulässt, wurde die Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung unter diesem Gesichtspunkt bereits unter Punkt 4 a) bis e)
verneint.
III.
71 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
72 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
73 Die Revision war nicht gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.