Urteil des OLG Stuttgart vom 29.04.2008
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OLG Stuttgart Beschluß vom 29.4.2008, 10 W 21/08
Insolvenzverfahren: Pflicht des Insolvenzverwalters zum Hinweis auf eine mangelnde Schlüssigkeit der
Forderungsanmeldung
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 25.03.2008 wird das Anerkenntnisurteil des Landgerichts
Stuttgart vom 18.03.2008 - Az.: 15 O 347/07 - hinsichtlich des Kostenausspruchs wie folgt
abgeändert:
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Beschwerdewert: bis 3.500,-- Euro
Gründe
I.
1
Mit Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 31.10.2005 - Az.: 6 IN 781/05 - wurde der Beklagte zum
Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma X, , ernannt.
2
Durch ihre Prozessbevollmächtigten meldete die Klägerin hierauf mit Schreiben vom 12.12.2005 folgende
Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle an:
3
Schadensersatz wegen fehlender Planung/ Bauüberwachung/ Rechnungsprüfung aus dem
Bauvorhaben Sanierung der Abwasserkanäle in T., L., L.-T.-W., Schw./ S., W. und entlang des A.-
K. gemäß Gutachten Professor Dr.-Ing. P. vom 22.07.2005 für LG München II, Az.: 10 OH
5608/04 in Höhe von Euro 149.580,- an.
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Der Forderungsanmeldung lagen das Deckblatt und die beiden letzten Seiten eines 22-seitigen Gutachtens
vom 22.07.2005 bei, welches der Gerichtssachverständige Dr.-Ing. P. im Rahmen eines Beweisverfahrens
vor dem Landgericht München II - Az.: 10 OH 5608/04 - erstellt hatte.
5
Die in die Insolvenztabelle aufgenommene Forderung wurde vom Beklagten im Prüfungstermin vom
19.01.2006 bestritten. Mit Anwaltschriftsatz vom 17.04.2007 (Anl. K 25) bat die Klägerin den Beklagten um
kurze Sachstandsmitteilung und erhob schließlich mit Klagschrift vom 27.11.2007 Feststellungsklage nach
§ 179 InsO hinsichtlich eines Teils der angemeldeten Forderung, nämlich in Höhe von Euro 56.967,47
nebst Zinsen. Im vom Landgericht Stuttgart angeordneten schriftlichen Vorverfahren anerkannte der
Beklagte die Klagforderung hinsichtlich der Hauptforderung unter Verwahrung gegen die Kostenlast. Auf
gerichtlichen Hinweis nahm die Klägerin daraufhin die Klage hinsichtlich der Nebenforderung zurück.
Hierauf verurteilte das Landgericht den Beklagten entsprechend seinem Anerkenntnis und legte ihm nach §
91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits auf. Der Beklagte habe den verfolgten Anspruch zwar sofort
anerkannt, jedoch zur Klagerhebung Anlass gegeben, indem er der Forderungsanmeldung widersprochen
habe, ohne die Klägerin auf deren fehlende Prüffähigkeit hinzuweisen. Bei Unklarheiten müsse der
Insolvenzverwalter auf die Ergänzung einer in seinen Augen mangelhaften Anmeldung hinwirken.
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Gegen diesen Kostenausspruch wendet sich der Beklagte mit seiner sofortigen Beschwerde vom
25.03.2008 (Bl. 66. A.) und beantragt, der Klägerin die Kosten des Rechtstreits nach § 93 ZPO
aufzuerlegen. Das Landgericht Stuttgart half der Beschwerde mit Beschluss vom 28.03.2008 (Bl. 70 d.A.)
nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
7
Die Einzelrichterin hat das Verfahren mit Beschluss vom 28.04.2008 gemäß § 568 Satz 2 Nr. 1 ZPO dem
Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
1.
8
Die sofortige Beschwerde, mit der der Beklagte die Kostenentscheidung des erstinstanzlichen
Anerkenntnisurteils nach §§ 99 Abs. 2 S. 1, 567 Abs. 1 ZPO isoliert anficht, ist zulässig. Sie wurde
insbesondere fristgerecht eingereicht und ist nach § 567 Abs. 2 ZPO statthaft.
2.
9
Auch in der Sache hat der Beklagte Erfolg. Die Kosten erster Instanz waren nach § 93 ZPO der Klägerin
aufzuerlegen, nachdem der Beklagte den klägerischen Anspruch im erstinstanzlichen schriftlichen
Vorverfahren nach § 307 S.2 ZPO sofort anerkannt und zur Erhebung der Klage keine Veranlassung
gegeben hat. Eine solche liegt insbesondere nicht in dem Widerspruch des Beklagten gegen die zur
Insolvenztabelle angemeldete Forderung der Klägerin.
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Veranlassung zur Klagerhebung hätte der Beklagte nur gegeben, wenn die Klägerin nach dessen Verhalten
vernünftigerweise davon hätte ausgehen müssen, sie werde ohne Klage nicht erreichen, dass dieser
seinen Widerspruch gegen die Forderung aufgibt und letztere in der Insolvenztabelle festgestellt wird.
Entscheidend sind hierbei die Umstände des Einzelfalls (h.M.: BGH, Beschluss vom 09.02.2006 - IX ZB
160/04 - NJW-RR 2006, 773 - zit. nach Juris Rz. 9), wobei im Ausgangspunkt zwei Fallgruppen zu
unterscheiden sind:
a.
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An einer Klagveranlassung fehlt es zum einen, wenn der Gläubiger aus dem Verhalten des
Insolvenzverwalters erkennen kann, dass er die Forderung nur deshalb bestreitet, weil er sich zu dieser
noch nicht erklären konnte. In Rechtsprechung und Literatur wird diese Frage regelmäßig vor dem
Hintergrund eines "vorläufigen Bestreitens" durch den Insolvenzverwalter diskutiert (BGH aaO - zit. nach
Juris Rz. 9; OLG München ZInsO 2005, 778; OLG Hamm DB 1999, 527; Münchener-Komm.-Schumacher,
2. Aufl. 2008, § 178 InsO Rz. 37; Heidelberger-Komm.-Irschlinger, 4. Aufl. 2006, § 178 InsO Rz. 4b;
Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 64 Rz. 8 f; Uhlenbruck, 12. Aufl. 2003, § 178 InsO,
Rz. 10). In diesem Fall weiß der Gläubiger, dass eine Feststellung seiner Forderung zur Tabelle noch
möglich ist. Es ist ihm deshalb auch zuzumuten, sich beim Insolvenzverwalter zu vergewissern, ob dieser
seinen Widerspruch aufrechterhält, bevor er Feststellungsklage erhebt (BGH, a.a.O zur Aufnahme der
Rechtsstreits nach § 180 Abs. 2 InsO - Juris Rz. 10). Diese Überlegungen greifen im vorliegenden Fall
jedoch nicht. Nachdem der Beklagte seinen Widerspruch ohne Vorbehalt und ohne weiteren Hinweis auf
den Grund seines Widerspruchs erhoben hatte, ergab sich allein aus der Erklärung des
Insolvenzverwalters kein Anhaltspunkt dafür, dass dieser seinen Widerspruch zurücknehmen werde .
b.
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Eine Klagveranlassung ist aber zum anderen auch dann zu verneinen, wenn der Gläubiger eine
offensichtlich unsubstantiierte Forderung anmeldet und das Bestreiten des Insolvenzverwalters im Hinblick
darauf erfolgt, dass er den Rechtsgrund der angemeldeten Forderung mangels Tatsachenvortrags und/oder
Vorlage ausreichender Nachweise nicht überprüfen kann (noch zu § 139 KO: OLG Dresden ZIP 1997, 327;
OLG Celle ZIP 1994, 1197 f.; Frankfurter Komm.-Kießner, 4. Aufl. 2006, § 174 InsO Rz. 18;
Kübler/Prütting, Stand 1998, § 179 InsO Rz. 8). Wird die Forderung erstmals im Rahmen der
Feststellungsklage substantiiert und gibt der Insolvenzverwalter hierauf ein sofortiges Anerkenntnis ab, so
fallen dem Gläubiger die Kosten nach § 93 ZPO zu Last.
aa.
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Nach § 174 Abs. 2 InsO ist bei der Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle neben dem Betrag der
Forderung auch ihr Grund anzugeben. Hierunter ist der konkretisierte und individualisierte Sachverhalt zu
verstehen, aus dem der Insolvenzgläubiger seine Forderung hergeleitet. Nach § 4 InsO i.V.m. § 130 ZPO
muss hierfür der der Forderung zugrunde liegende Lebenssachverhalt schlüssig dargelegt werden (MK-
Nowak, § 174 InsO Rz. 10). Maßgeblich sind daher all die Tatsachen und Umstände, aus denen sich die
Forderung ergibt. Solche wurden mit der Anmeldung jedoch nicht vorgetragen. Für den Beklagten und
die gemäß § 177 Abs. 1 S. 2 InsO ebenfalls widerspruchsberechtigten Insolvenzgläubiger war deshalb
eine Überprüfung der Forderung nicht möglich. Die Bezeichnung der Forderung als "Schadensersatz wegen
fehlender Planung/ Bauüberwachung/ Rechnungsprüfung" reicht für eine Individualisierung des Anspruchs
schon deshalb nicht, weil sich die Forderung ersichtlich aus drei verschiedenen Teilforderungen
zusammensetzt (Reparaturkosten, Kosten für auszuführende Sanierungsmaßnahmen und verbleibende
Wertminderungen), ohne dass diese konkret bezeichneten Pflichtverletzungen der Schuldnerin zugeordnet
werden können. Zwar kann zur Begründung der Anmeldung grundsätzlich auch auf dieser beigefügte
Unterlagen Bezug genommen werden (MK-Nowak § 174 InsO Rz. 10). Jedoch lässt sich der Rechtsgrund
vorliegend auch nicht dem - unvollständigen - Auszug aus dem Gerichtsgutachten entnehmen. Auch die
Höhe der angemeldeten Forderung war für den Insolvenzverwalter nicht überprüfbar. Unabhängig davon
weicht der zur Tabelle angemeldete Forderungsbetrag wesentlich von dem nunmehr mit der
Feststellungsklage geltend gemachten Teilbetrag ab, ohne dass die Klägerin dargelegt hat, warum sie
nunmehr nur eine Teilforderung geltend gemacht hat.
bb.
14
Entgegen der Auffassung des Landgerichts bestand für den Beklagten auch keine Verpflichtung, die
Klägerin auf die unschlüssige Forderungsanmeldung hinzuweisen.
15
Ob und in welchem Umfang dem Insolvenzverwalter eine Pflicht obliegt, den Gläubiger auf Mängel seiner
Anmeldung hinzuweisen, wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich gesehen.
16
Das OLG Dresden, aaO S. 328, verneinte eine solche Hinweispflicht auf Basis der aus §§ 138 ff. KO a.F.
resultierenden Rechtslage. § 139 ZPO finde im Verhältnis von Verwalter zum Anmeldenden keine
Anwendung. Das OLG Celle (aaO S. 1197) stellte in einem Fall, in dem vom Gläubiger
Werklohnforderungen aus "diversen Rechnungen" ohne Abschriften oder Fotokopien der Rechnungen
angemeldet worden waren, fest, dass der Konkursverwalter nicht bereits dadurch Veranlassung zur Klage
gibt, dass er diese Forderungen bestreitet. Der Gläubiger müsse zuvor durch Nachfrage beim
Konkursverwalter klären, aus welchem Grunde dieser die Forderungen bestritten habe, und ihm die
erforderlichen Urkunden vorlegen, auch wenn diese dem Gemeinschuldner bereits übersandt worden waren.
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Irschlinger (in Heidelberger Komm., § 174 InsO Rz. 15) und Gottwald (aaO § 64 Rz. 8) gehen auf Basis
eines schlüssigen Sachvortrags des Gläubiges davon aus, dass der Insolvenzverwalter vor dem Bestreiten
der angemeldeten Forderung die zur Prüfung erforderlichen Urkunden in Kopie anfordern solle. Uhlenbruck
(§ 175 InsO Rz. 4) verweist vor dem Hintergrund eines Vorprüfungsrechts des Insolvenzverwalters darauf,
dass diesem eine Hinweispflicht nur hinsichtlich offensichtlicher Mängel obliege. Demgegenüber vertritt
Nowak (in MK § 174 InsO Rz. 10) die sehr viel weitergehende Auffassung, dass der Insolvenzverwalter
den Anmeldenden auf etwaige Mängel - insbesondere auch auf einen unklaren und unschlüssigen Vortrag -
hinzuweisen habe. Allerdings sei der Verwalter nicht verpflichtet, den Anspruch selbst zu ermitteln bzw.
Nachweise/ Urkunden selbst zu beschaffen.
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Nach Auffassung des Senats kann sich eine Hinweispflicht des Insolvenzverwalters allenfalls auf
offensichtliche Mängel der Anmeldung, etwa auf solche, die einer Aufnahme der Forderung in die Tabelle
entgegen stehen, beziehen. Dagegen ist der Insolvenzverwalter vor Einlegung des Widerspruchs nicht
verpflichtet, den Gläubiger zuvor auf Schlüssigkeitsmängel hinzuweisen. Entgegen der Rechtsauffassung
der Klägerin ergibt sich eine solche Pflicht für den Verwalter nicht aus den §§ 4 InsO, 139 ZPO. Das Risiko
einer unzulänglichen Forderungsanmeldung trägt der Gläubiger. Will er ausschließen, dass der
Insolvenzverwalter der Forderung nur deshalb widerspricht, weil er diese anhand der Anmeldung und der
vorgelegten Unterlagen nicht prüfen kann, sollte er den Insolvenzverwalter vor Klageerhebung
fristgebunden zur Mitteilung auffordern, welche Umstände einer Feststellung der Forderung zur
Insolvenztabelle entgegenstehen. Die bloße Sachstandsanfrage vom 17.04.2007 genügt diesen
Anforderungen allerdings nicht. Unterlässt der Gläubiger eine Nachfrage, so trägt er im anschließenden
Feststellungsverfahren das Kostenrisiko hinsichtlich eines sofortigen Anerkenntnisses, wenn der Verwalter
die Forderung nunmehr erstmalig auf Basis eines schlüssigen Klagvortrags prüfen kann.
III.
19
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus §
3 ZPO. Maßgebend sind die im Verfügungsverfahren entstandenen Kosten (3 Gerichtsgebühren nach KV
1211 Nr. 2 (Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast); 1,3 Verfahrensgebühr, 1,2
Terminsgebühr (nach Zöller, 26. Aufl. 2007, § 307 ZPO Rz.12 auch ohne mündliche Verhandlung) pro
Anwalt aus einem Gegenstandswert von 5.696,74 Euro). Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, §
574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.