Urteil des OLG Stuttgart vom 28.08.2006

OLG Stuttgart (treu und glauben, höhe, eigenes verschulden, einkünfte, aug, selbstbehalt, unterhalt, entlassung, einkommen, verwirkung)

OLG Stuttgart Beschluß vom 28.8.2006, 18 UF 173/06
Kindesunterhalt: Abänderbarkeit eines kurz vor Haftantritt geschlossenen Vergleichs über
Kindesunterhalt; Berücksichtigung des einem Strafgefangenen gezahlten Überbrückungsgeldes und
Ermittlung des notwendigen Selbstbehalts eines Freigängers
Tenor
Das Prozesskostenhilfegesuch des Beklagten für seine beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts
– Familiengericht – Balingen vom 14.06.2006 wird
zurückgewiesen.
Gründe
1 Die beabsichtigte Berufung des Beklagen bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO). Zu Recht
hat die Familienrichterin eine am 05.05.2004 zwischen dem Beklagten und der Mutter der Kläger geschlossene
außergerichtliche Unterhaltsvereinbarung herangezogen und einen Wegfall der Geschäftsgrundlage verneint (§
313 BGB). Der Sinn und Zweck einer Unterhaltsvereinbarung besteht darin, eine verlässliche Befriedung einer
unterhaltsrechtlichen Auseinandersetzung herbeizuführen. Hieraus folgt, dass deren Erfüllung und Weiterbestand
nicht vom bloßen Willen oder von der Enttäuschung einer Erwartung des Unterhaltspflichtigen abhängig ist. Eine
solche Sichtweise würde einseitig den Unterhaltsverpflichteten begünstigen, der es in der Hand hätte, von einer
Vertragserfüllung Abstand zu nehmen. Weder ergibt sich aus dem Wortlaut der abgegebenen Erklärung noch
aus den Begleitumständen, dass die Verbindlichkeit des Beklagten zur Leistung von Kindesunterhalt
eingeschränkt sein oder der einseitigen Abänderung unterliegen sollte. Da auch sonstige Gesichtspunkte fehlen,
die gegen die Wirksamkeit der getroffenen Unterhaltsvereinbarung sprechen könnten, kommt eine Anpassung
lediglich unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht (§ 313 BGB). Danach ist zu
prüfen, ob und ggf. in welchem Verhältnis sich das für den künftigen Unterhaltszeitraum prognostizierte
unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Beklagten vermindert hat, also beiderseitige Erwartungen
fehlgeschlagen sind. Nach den vorgelegten Kontoauszügen der Justizvollzugsanstalt Rottenburg (Anlage B 7 ff.,
Bl. 51 ff.) erzielte der Beklagte bei der GmbH in R. ab Dezember 2004 monatliche Einkünfte in Höhe von
durchschnittlich 913,58 Euro monatlich. Diese Einkünfte sind zur Unterhaltsbemessung heranzuziehen, soweit
sie den im Einzelfall zuzubilligenden Selbstbehalt übersteigen und nicht aufgrund ihrer konkreten
Zweckbestimmung der Einbeziehung entzogen sind. Danach war der Beklagte ab Januar 2005 in Höhe des
vereinbarten Unterhaltes von 250,-- Euro je Kind uneingeschränkt leistungsfähig. In Abzug zu bringen sind
lediglich das Überbrückungsgeld nach § 51 Abs. 1 StVollzG in Höhe von 100,-- Euro, das nach § 51 Abs. 4
StVollzG unpfändbar ist. Für den laufenden Unterhalt in der Zeit vor Haftentlassung ist die als
Überbrückungsgeld gebildete Rücklage danach weder verfügbar noch von seiner Zweckbestimmung her
gedacht. Dass in §§ 52, 83 Abs. 2 StVollzG geregelte Eigengeld des Beklagten, dem diejenigen Bezüge
gutzuschreiben sind, die nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag, Unterhaltsbeitrag oder Überbrückungsgeld in
Anspruch genommen werden (§§ 52 StVollzG), steht hingegen zur Befriedigung bestehender
Unterhaltsansprüche zur Verfügung. Zu beachten ist weiter, dass der Beklagte durch seinen Haftkostenbeitrag in
Höhe von zunächst 74,10 Euro (Januar 2005) und danach in Höhe von 86,26 Euro seine Wohn- und
Verpflegungskosten abgedeckt hat und dass der notwendige Selbstbehalt entsprechend zu reduzieren ist. Darin
enthalten sind nämlich Unterkunftskosten (Warmmietanteil) von monatlich 360,-- Euro (Süd-L 21.2) sowie
geschätzte versparte Verpflegungskosten von monatlich 250,-- Euro. Hingegen ist das Überbrückungsgeld nicht
dem notwendigen Selbstbedarf des Klägers zuzurechnen. Nach der Zweckbestimmung des Gesetzes (§ 51 Abs.
1 StVollzG) soll es dazu dienen, den Lebensunterhalt nicht nur des Gefangenen, sondern auch seiner
Unterhaltsberechtigten in den ersten vier Wochen nach der Entlassung zu sichern. Für den laufenden
Unterhaltsbedarf der Kläger kann es aber deswegen nicht herangezogen werden, weil der Beklagte vor seiner
Entlassung darüber nicht verfügen kann, also damit eine Unterhaltsschuld auch nicht freiwillig begleichen
könnte. Unterhaltsrechtlich muss es daher als Einkommen des Beklagten in dem Monat angesehen werden, in
den der Zeitpunkt der Entlassung fällt und in dem es in der angesammelten Höhe ausbezahlt wird. Auch kann
der Beklagte unter dem Gesichtspunkt selbstverschuldeter Leistungsunfähigkeit nicht so behandelt werden, als
erziele er weiterhin Einkünfte wie in Freiheit. Das Gesetz sieht zwar in schwerwiegenden Fällen
selbstverschuldeter Unterhaltsbedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten einen Verlust des Anspruchs vor (§§
1611 Abs. 1, 1579 Abs. 1 Nr. 3 BGB), kennt aber keine entsprechenden Vorschriften in Bezug auf die
Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Diese ist daher grundsätzlich auch dann beachtlich, wenn sie
durch eigenes Verschulden verursacht worden ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ergibt sich nach der
Rechtsprechung nur dann, wonach ein Unterhaltspflichtiger seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einsetzen
und sich Einkünfte anrechnen lassen muss, die er bei gutem Willen durch zumutbare Erwerbstätigkeit, unter
Umständen auch im Wege eines Arbeitsplatz- oder Berufswechsels, erreichen könnte. Beim Strafgefangenen
wird dann eine Ausnahme zu machen sein, wenn die Berufung auf die Leistungsunfähigkeit infolge der Strafhaft
gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen würde. Das kommt etwa in Betracht, wenn die Straftat gegen
den Unterhaltsberechtigten oder seine Angehörigen gerichtet war, wenn sie verübt wurde, um sich absichtlich
der Unterhaltspflicht zu entziehen oder wenn sie in einer Weise im Zusammenhang mit der Unterhaltspflicht
steht, dass die Vorstellungen und Antriebe, die ihr zu Grunde liegen, sich auch auf Leistungsunfähigkeit als
Folge des strafbaren Verhaltens erstrecken (BGH NJW 1982, 1812). Derartiges ist im vorliegenden Fall aber
weder behauptet noch festgestellt. Somit ist bis 30.06.2005 von einem notwendigen Selbstbehalt in Höhe von
316,26 Euro auszugehen (840,-- Euro - 360,-- Euro Wohnkostenanteil - 250,-- Euro Verpflegung) und ab
01.07.2005 in Höhe von 366,26 Euro ausgehend von einem Selbstbehalt von 890,-- Euro. Unter
Berücksichtigung des zu belassenden Selbstbehaltes ist der Beklagte zur Leistung des vertraglich vereinbarten
Kindesunterhaltes leistungsfähig ab Dezember 2004. Für eine Verwirkung nach § 242 BGB ist kein Raum, weil
der Beklagte weder vorgetragen hat noch sonst ersichtlich ist, ob und in welchem Umfang er sich darauf
eingestellt hat, für die Vergangenheit nicht mehr auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden. Eine
Verwirkung des künftigen Unterhaltes kommt ohnehin nicht in Betracht.
2 Soweit der Beklagte im Zeitraum Juni 2004 bis einschließlich November 2004 aufgrund seiner vorübergehenden
Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Ulm ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehaltes nicht in der
Lage war, die getroffene Absprache zu erfüllen, ist eine andere Beurteilung nicht geboten. Entgegen seiner
Behauptung in der Berufungsbegründung hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht am
23.05.2006 angegeben, dass er ca. vier Wochen vorher erfahren habe, dass er am 10.05.2004 in Ulm seine
Strafe antreten müsse. Auch habe er gewusst, dass er ca. ein halbes Jahr in Ulm bleiben werde und dann
voraussichtlich als Freigänger nach Rottenburg verlegt werde (Bl. 74 d.A.). Somit wusste der Beklagte bei
Abschluss der Unterhaltsvereinbarung am 05.05.2004 (Bl. 15 d.A.), dass er für einen begrenzten Zeitraum von
ca. einem halben Jahr nicht in der Lage sein werde, den vereinbarten Unterhalt aufgrund laufender Einkünfte zu
bestreiten. Da die für die Bemessung der Unterhaltshöhe maßgebenden Umstände bei Vertragsschluss bekannt
waren, ist es dem Beklagten verwehrt, sich nachträglich auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen.