Urteil des OLG Stuttgart vom 13.06.2002

OLG Stuttgart: gemeinsame elterliche sorge, gericht erster instanz, örtliche zuständigkeit, eltern, aufenthalt, bezirk, abgabe, rechtsberatung, einverständnis, gerichtsstand

OLG Stuttgart Beschluß vom 13.6.2002, 17 UF 120/2002; 17 UF 120/02
Familiensache: Allgemeiner Gerichtsstand des Kindes von getrennt lebenden Eltern
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird
1. der Beschluss des Amtsgerichts T -- Familiengericht -- vom 23. April 2002 (1 F 234/02)
aufgehoben
und die Sache insoweit an das Amtsgericht T
zurückverwiesen.
2. Im Beschwerdeverfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
II. Beschwerdewert: EUR 3.000
Gründe
1
Die Mutter des Kindes S hat gegen den Beschluss des Amtsgerichts T-Familiengericht -- vom 23. April 2002 zulässige Beschwerde eingelegt
(vgl. §§ 621 a Abs. 1 Satz 1, 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Das Familiengericht hat den Antrag der Mutter, ihr ein Umgangsrecht mit dem
beim Vater lebenden gemeinschaftlichen minderjährigen Kind zuzusprechen, als unzulässig abgewiesen, weil es örtlich unzuständig sei,
nachdem das Kind seinen Aufenthalt in D und nicht in T habe.
2
Die Beschwerde der Mutter hat Erfolg.
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Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach §§ 621 a Abs. 1 Satz 1, 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. §§ 64 Abs. 3 Satz 2, 36, 43 FGG. Entscheidend ist
danach, solange keine Ehesache der Eltern rechtshängig ist (§ 621 Abs. 3 ZPO), der Wohnsitz des Kindes. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FGG ist das
Familiengericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Mündel zu dem Zeitpunkt seinen Wohnsitz hat, in dem das Familiengericht mit der Sache
befasst wird. Hier hatte das Kind zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz jedenfalls auch im Bezirk des Familiengerichts in T.
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Das minderjährige Kind teilt nach § 11 Satz 1, 1. HS den Wohnsitz der Eltern, weil es einen gesetzlichen (abgeleiteten) Wohnsitz hat. Mit der
Trennung der Eltern erlangt ein Kind daher einen von beiden Elternteilen abgeleiteten Doppelwohnsitz (st. Rspr. seit BGHZ 48, 228, 233ff.).
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Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn einem der beiden Elternteile das Recht fehlt, für die Person des Kindes zu sorgen (§ 11 Satz 1 2. HS).
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Den Bedenken des Familiengerichts, das meint, die Mutter vermittle dem Kind in T aufgrund einer vorläufigen Regelung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts zu Gunsten des Vaters keinen Wohnsitz mehr, weil der Vater kraft seines Aufenthaltsbestimmungsrechts das
Recht habe, den Wohnsitz des Kindes zu bestimmen und er hiervon Gebrauch gemacht habe, folgt der Senat nicht.
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Der Mutter fehlt mit jener Entscheidung nicht gänzlich das Recht, (mit) für die Person des Kindes zu sorgen. Allein sorgeberechtigt wäre der Vater
nur, wenn ihm -- auch im Wege der vorläufigen Anordnung -- das Personensorgerecht vollständig übertragen worden wäre. So liegt der Fall
jedoch nicht. Die Rechtsprechung trennt -- schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns -- zwischen der vollen Übertragung
der elterlichen Sorge auf einen Elternteil allein und der bloßen Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil allein.
Letztere Entscheidung belässt aber die gemeinsame elterliche Sorge im Übrigen.
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Dies macht auch der Beschluss des Senats vom 10. Dezember 2001 (17 WF 338-339/01) deutlich, mit dem der Senat das freie Belieben der
Eltern in Fragen des Aufenthalts beendet hat. Inhaltlich bedeutet dies jedoch nicht, dass dem Vater damit die Befugnis zuerkannt worden wäre,
im Sinne des § 36 FGG den Wohnsitz des Kindes einseitig dauerhaft zu bestimmen, solange der andere Elternteil noch als (Mit-)
Sorgeberechtigter anzusehen ist. Genauso wenig kann der der Entscheidung des Senats vorausgehenden tatsächliche Elterneinigung über den
Aufenthalt des Kindes beim Vater in D der Bedeutungsinhalt beigemessen werden, dass dem Vater damit die Wohnsitzbestimmung im Sinne des
§ 36 FGG überlassen worden wäre. Dies scheidet schon deshalb aus, weil sich die Mutter in der unmittelbaren Folgezeit einseitig von diesem
Einverständnis gelöst hatte.
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Bei dieser Sachlage verbleibt es dabei, dass das Kind S im Inland über zwei Wohnsitze verfügt. Das Gesetz knüpft die Zuständigkeit nach § 36
FGG, wenn das Kind einen inländischen Wohnsitz hat, gerade hieran und nicht an den Aufenthalt. Daher ist zunächst von der örtlichen
Zuständigkeit des angerufenen Familiengerichts auszugehen, nachdem dieses angerufen worden ist.
10 Im Übrigen wäre das Familiengericht -- die Richtigkeit seiner Auffassung unterstellt -- nicht befugt gewesen, den Antrag wegen Unzulässigkeit
abzuweisen. Denn dass die Antragstellerin nach den erteilten gerichtlichen Hinweisen keinen Verweisungsantrag gestellt hatte, schadet nicht.
Ohne besondere gesetzliche Regelung wäre die Abgabe des Verfahrens von Amts wegen bei Vorliegen örtlicher Unzuständigkeit an das für
örtlich zuständig gehaltene Gericht möglich gewesen (Bumiller/Winkler, FGG, 7. Aufl., vor §§ 3-5 Rn. 5). Ob die Voraussetzungen des § 46 FGG
vorlagen bzw. noch vorliegen, bedarf derzeit keiner näheren Erörterung.
11 Der Beschwerde ist deshalb zur Prüfung der Frage der Nachholung einer Entscheidung zum Umgangsrechtsantrag der Antragstellerin in der
Sache stattzugeben. In dieser Hinsicht erscheint es angemessen und zweckmäßig, das Verfahren an das Amtsgericht zurückzugeben. Denn eine
Zurückverweisung ist regelmäßig dann geboten, wenn das Gericht erster Instanz aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht zu einer sachlich-
rechtlichen Nachprüfung gelangt ist und dies vom Beschwerdegericht nicht gebilligt wird (Keidel/Kuntze/Winkler/Kayser, FGG, § 12, Rn. 37
m.w.N.).
12 Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 131 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 KostO. Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet
(§ 13 a FGG); den Beschwerdewert bemisst der Senat nach § 30 Abs. 2 KostO n.F. mit EUR 3.000,00.