Urteil des OLG Stuttgart vom 22.12.2009

OLG Stuttgart (stpo, stgb, höhe, straftat, geschädigter, anordnung, beschwerde, sicherung, beschwerdeführer, antragsteller)

OLG Stuttgart Beschluß vom 22.12.2009, 5 Ws 202/09
Leitsätze
Eine Tat, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der
Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 verjährt war, stellt keine "Straftat" im Sinne der §§
111g Abs. 2 Satz 3, 111h Abs. 2 Satz 2 StPO dar.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts … vom 22. Oktober 2009
wird als unbegründet
verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
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Im April 2009 wurden aufgrund einer Strafanzeige Ermittlungen wegen Anlagebetrugs gegen die Verurteilte,
gegen die inzwischen durch rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts … vom 22. Oktober 2009 eine
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt worden ist, eingeleitet. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens
erließ das Amtsgericht … durch Beschlüsse vom 14. und 27. April 2009 gemäß §§ 111 b Abs. 2 und 5, 111 d
StPO i. V. m. §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73 a StGB dingliche Arreste in Höhe von 101.100,00 EUR und
7.751.679,42 EUR zur Sicherung von Ansprüchen Geschädigter in das Vermögen der Verurteilten. Aufgrund
dieser Arrestanordnungen wurden deren Forderungen gegen verschiedene Bankinstitute und Bausparkassen
sowie Sachwerte (unter anderem Briefmarken- und Münzsammlungen, Porzellan, Sammelfiguren und
Schmuckgegenstände) gepfändet. Auch wurden im Miteigentum der Verurteilten stehende Gründstücke mit
Sicherungshypotheken, die in die jeweiligen Grundbücher eingetragen wurden, belastet.
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Mit Anklageschrift vom 27. August 2009 legte die Staatsanwaltschaft der Verurteilten zur Last, sich 124
Vergehen des Betrugs im besonders schweren Fall gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 1. Alt.,
Nr. 2 1. Alt., 52, 53 StGB dadurch schuldig gemacht zu haben, dass sie im Zeitraum vom 15. April 2004 bis
16. Oktober 2008 124 Privatpersonen wahrheitswidrig vorgespiegelt habe, deren Gelder einer renditeträchtigen
Kapitalanlage in der Schweiz zuzuführen, während sie diese in Wirklichkeit für eigene Zwecke verwendet und
dadurch die Betroffenen in Höhe von insgesamt 3.721.600,00 EUR geschädigt habe. Wegen möglicher weiterer
Betrugstaten vor dem 15. April 2004 verwies die Staatsanwaltschaft auf das Strafverfolgungshindernis der
Verjährung. Durch Urteil vom 22. Oktober 2009 verhängte das Landgericht … wegen Betrugs in 200 Fällen eine
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, ordnete im Übrigen den Verfall eines Geldbetrages von 71.300,00 EUR
an und stellte fest, dass lediglich deshalb nicht auf Verfall in Höhe von weiteren 937.800,00 EUR erkannt
werde, weil insoweit Ansprüche von Verletzten i.S. des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB entgegenstünden. Durch
Beschluss vom 22. Oktober 2009 ordnete es gleichzeitig an, dass in Abänderung der Beschlüsse vom 14. und
27. April 2009 der dingliche Arrest bezüglich nicht verjährter und nicht eingestellter Taten nur noch in Höhe von
3.360.900,00 EUR und zwar gemäß § 111 i StPO a.F. in Höhe von 2.351.800,00 EUR für die Dauer von drei
Monaten sowie gemäß § 111 i Abs. 3 StPO n.F. in Höhe von 937.800,00 EUR für die Dauer von drei Jahren
gegen die Verurteilte aufrechterhalten wird.
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Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 06. Juli 2009 hat der Beschwerdeführer die Zulassung
der Zwangsvollstreckung in die zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe arrestierten Vermögenswerte der
Verurteilten in Höhe von 52.959,81 EUR nebst Kosten beantragt. Zur Glaubhaftmachung seiner Ansprüche hat
er eine eidesstattliche Versicherung vom 6. Juli 2009 sowie einen Vollstreckungsbescheid vom 12. Juni 2009
vorgelegt, aus denen sich Forderungen des Antragstellers gegen die Verurteilte in dieser Höhe aus unerlaubter
Handlung/Anlagebetrug aus dem Zeitraum zwischen dem 21. Dezember 2001 und dem 8. Januar 2003
ergeben. Durch Beschluss vom 22. Oktober 2009 lehnte die Strafkammer des Landgerichts … den Antrag nach
§§ 111 g Abs. 2, 111 h Abs. 2 StPO als unbegründet ab.
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Gegen den Beschluss hat der Antragsteller rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
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Die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags vom 06. Juli 2009 ist gemäß §§ 111 g Abs. 2
Satz 2, 111 h Abs. 2 Satz 2 StPO statthaft sowie form- und fristgerecht angebracht worden, hat in der Sache
jedoch keinen Erfolg.
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Die Voraussetzungen für einen begründeten Antrag nach §§ 111 g Abs. 2, 111 h Abs. 2 StPO, die vorliegend in
der Fassung durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei
Straftaten vom 24. Oktober 2006 anzuwenden sind (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 08.10.2007, 3 Ws
592/07,BeckRS 2007 65322)liegen nicht vor.
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Voraussetzung für die Anwendbarkeit der §§ 111 g Abs. 2 StPO, 111 h Abs. 2 StPO ist, dass dem Verletzten
„aus der Straftat“ ein Anspruch erwachsen ist. Zwar hat der Beschwerdeführer durch Vorlage des
Vollstreckungsbescheides vom 12. Juni 2009 und der eidesstattlichen Versicherung vom 6. Juli 2009 glaubhaft
gemacht, dass die darin ausgewiesenen Forderungen aus den betrügerischen Handlungen der Verurteilten
erwachsen sind, die Anlass zur Anordnung der dinglichen Arreste vom 14. und 27. April 2009 waren. Allerdings
macht der Antragsteller Ansprüche aus Tatgeschehen (Vorfälle vor dem 15. April 2004) geltend, deren
strafrechtlicher Verfolgung das Hindernis der Verfolgungsverjährung entgegensteht und die deshalb vom
Anklagesatz nicht umfasst sowie im gerichtlichen Verfahren nicht abgeurteilt wurden. In Anbetracht des
Regelungszusammenhangs der §§ 73 ff. StGB, 111 b ff. StPO in der im vorliegenden Fall geltenden
Gesetzesfassung fehlt es damit aber an einer Anknüpfungstat, die den Beschwerdeführer im Sinne des § 111 g
Abs. 2 StPO und § 111 h Abs. 2 StPO zum privilegierten Zugriff auf das Vermögen der Verurteilten berechtigen
würde.
8
Der Wortlaut der §§ 111g Abs. 2, 111 h Abs. 2 StPO allein lässt zwar nicht erkennen, ob mit der dort
genannten Straftat auch eine verjährte Straftat gemeint ist. Die Vorschriften der §§ 111 g und h StPO tragen
jedoch dem § 73 Abs. 1 S. 2 StGB Rechnung (OLG Karlsruhe MDR 1984, 336; KK-Nack, StPO, 6. Aufl., § 111
g Anm. 1; SK-Rogall, Loseblattkommentar, 62. Lieferung, § 111 g Anm. 1 ff.; Hees, ZIP 2000, 872). Wie die
Entstehungsgeschichte der Regelungen zeigt (s. hierzu Faust, Vermögensabschöpfungsrecht, 1. Aufl. 2008, S.
41 m.w.N.) stellen die §§ 111 b ff. StPO und damit auch die §§ 111 g und h StPO die verfahrensrechtliche
Ergänzung zu den §§ 73 ff. StGB dar und erweisen sich als Konsequenz des 1975 durch das 2. StrRG
erstmals als allgemeine Rechtsfolge eingeführten materiell-strafrechtlichen Verfalls, der durch strafprozessuale
Maßnahmen abgesichert werden musste (Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, S. 13). §§ 111
g und h StPO sind damit Ausdruck der Absicht, dem durch die Tat Geschädigten bereits zusammen mit dem
Strafprozess eine Sicherung bzw. Befriedigung seiner zivilrechtlichen Ansprüchen, die „aus der Straftat“
erwachsen sind, zu ermöglichen (OLG Karlsruhe a.a.O.). Als Ausfluss der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2
i.V.m. Satz 1 StGB, der in der gem. § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 StGB geltenden Gesetzesfassung für Taten vor
dem 1. Januar 2007 (siehe hierzu auch BGH NStZ-RR 2006, 138) eine Rückgewinnungshilfe zugunsten
Verletzter nur im Rahmen der §§ 73, 73 a StGB und nicht im Hinblick auf die Regelung des § 73 d StGB
vorsieht, knüpfen die §§ 111 g und 111 h StPO an die materiellrechtlichen Voraussetzungen des § 73 StGB an.
Einen bevorrechtigten Zugriff eines Geschädigten auf das Vermögen des Täters lassen diese Vorschriften
deshalb nur zu, wenn der Antragsteller Ansprüche aus einem Sachverhalt geltend macht, aufgrund dessen der
Verfall eines Gegenstandes oder von Wertersatz in Betracht kommen und deshalb noch eine Beschlagnahme
oder ein Arrest aufrechterhalten werden kann (vgl. KK-Nack, StPO, 6. Aufl., § 111 g Anm. 1; KMR-Mayer,
Loseblattkommentar, 49. Lieferung, § 111 g Anm. 5; Julius, StPO, 4. Aufl., § 111 g Anm. 4).
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Sind Taten verjährt, fehlt es unabhängig von Ansprüchen Tatgeschädigter an der Grundlage für eine Anordnung
nach §§ 73, 73a StGB (vgl. u.a. BGH NStZ 2003, 422; NJW 1979, 1942; SS-Eser, StGB, 27. Aufl., § 73 Anm.
4). Voraussetzung hierfür ist nämlich, dass die Tat Gegenstand eines Urteils im subjektiven Verfahren sein
kann; hinsichtlich verjährter Taten ist insoweit aber das Verfahren beendet und die Verhängung von
Rechtsfolgen nicht mehr möglich (u.a. BGH NStZ 2003, 422). Entsprechend dem Grundgedanken des § 73
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StGB ist gem. § 111 b Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 StPO eine vorläufige Sicherung aus
einer Straftat erlangter Vermögensvorteile zugunsten der Verletzten deshalb auch nur möglich, wenn -
abgesehen von entgegenstehenden Ansprüchen Geschädigter - die Voraussetzungen für die Anordnung nach
§§ 73, 73a StGB vorliegen. Bei verjährten Taten haben deshalb mangels Erwartung einer arrestierungsfähigen
Rechtsfolge Sicherungsmaßnahmen im Rahmen der Rückgewinnungshilfe von vorneherein zu unterbleiben (§
111 b Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 StPO) bzw. sind wieder aufzuheben (§ 111 b Abs. 3 StPO). Auch knüpft die
Aufrechterhaltung von Maßnahmen zur Sicherstellung von Ansprüchen Verletzter nach dem Erlass eines
Urteils gem. § 111 i StPO alter und neuer Fassung (s. BGH NStZ 2009, 113; NJW 2008, 1093 zur Geltung des
§ 111 i StPO in der vor dem 1. Januar 2007 geltenden Gesetzesfassung für Taten, die vor diesem Zeitpunkt
begangen wurden) daran an, dass eine Verfallsanordnung grundsätzlich in Betracht kommt und im Urteil
lediglich deshalb unterbleibt, weil Ansprüche Verletzter i.S. des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB der Anordnung dieser
Rechtsfolge entgegenstehen; dementsprechend hat das Landgericht durch seine Entscheidungen vom 22.
Oktober 2009 den dinglichen Arrest auch nicht zur Sicherung von Forderungen Geschädigter aus verjährten
Taten aufrechterhalten.
10 Der Möglichkeit der Strafverfolgung, die für die Anordnung des Verfalls eines Gegenstands bzw. von
Wertersatz gem. §§ 73, 73 a StGB von entscheidender Bedeutung ist, kommt somit für den Bereich der
Zurückgewinnungshilfe Reflexwirkung zu (vgl. hierzu auch Bach JR 2008, 230 ff.). Aufgrund des
Regelungszusammenhangs zwischen den §§ 73, 73a StGB, §§ 111 b ff StPO in der vorliegend geltenden
Gesetzesfassung kann ein Geschädigter deshalb nur bei solchen Taten in den Genuss der mit der
Zurückgewinnungshilfe verbundenen Vorteile gelangen, bei denen eine Strafverfolgung grundsätzlich möglich
ist und betrieben werden kann. Eine solche Anknüpfungstat i.S. der §§ 111 g Abs. 2 und 111 h Abs. 2 StPO ist
hier aber nicht gegeben.
11 Dass der Antragsteller damit gegenüber anderen Verletzten, bei denen die Taten verfolgt werden konnten,
benachteiligt ist, stellt eine Folge der im gegebenen Fall geltenden gesetzlichen Regelungen dar. Mit dem
Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober
2006 sind zwar Regelungen in der Absicht geschaffen worden, den Opfern von Straftaten die Durchsetzung
ihrer Ansprüche zu erleichtern; dass damit aber eine umfassende Realisierung von Restitutions- und
Schadensersatzansprüchen Geschädigter auch für vor dem 1. Januar 2007 begangene Straftaten, die wegen
Verjährung nicht verfolgt werden können, gewährleistet oder ein absoluter Vorrang des Opferschutzes
sichergestellt werden sollte, kann den gesetzlichen Bestimmungen und den Gesetzesmaterialien nicht
entnommen werden (vgl. hierzu Bundestagsdrucksache 16/700, S. 14; siehe auch Bach a.a.O.). Nur solche
Taten, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 24. Oktober 2006 verjährt waren, sind aber Gegenstand
des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.
12 Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist deshalb als unbegründet zu verwerfen.