Urteil des OLG Stuttgart vom 19.12.2007

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OLG Stuttgart Beschluß vom 19.12.2007, 1 W 60/07
Besorgnis der Befangenheit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen: Ärztliche Tätigkeit für ein
akademisches Lehrkrankenhaus als Ablehnungsgrund bei behaupteter Schädigung in einem anderen
Lehrkrankenhaus der selben Universität
Leitsätze
1. Die Ablehnung eines medizinischen Sachverständigen gemäß §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO ist nicht
allein deshalb gerechtfertigt, weil sowohl das Krankenhaus, in dem der Sachverständige als Chefarzt tätig ist, als
auch das beklagte Klinikum akademische Lehrkrankenhäuser derselben Universität sind.
2. Bei der für die Beurteilung maßgeblichen verobjektivierten Betrachtung besteht die Gefahr einer Rufschädigung
aller akademischen Lehrkrankenhäuser im Falle des Nachweises eines Behandlungsfehlers in einem dieser
Krankenhäuser nicht.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart
vom 14.11.2007 - 15 O 25/07 - wird
zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Wert der Beschwerde: 2.800 EUR
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche wegen angeblicher ärztlicher Fehlbehandlung des Klägers
im Krankenhaus in …. Der Kläger wurde dort vom 08.05.2004 bis 01.06.2004 stationär behandelt, nachdem er
aus vier Metern Höhe von einem Hausdach gestürzt war. Er macht geltend, er habe dabei neben zahlreichen
anderen Verletzungen auch einen Speichenbruch am rechten Arm erlitten, der von den Ärzten im Krankenhaus
in …, das in Trägerschaft der Beklagten steht, behandlungsfehlerhaft übersehen worden sei.
2
Mit Beweisbeschluss gem. § 358a ZPO hat die 15. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart am 30.03.2007 PD
Dr. F. M., Chefarzt der unfallchirurgischen Klinik des E. Krankenhauses in R., zum medizinischen
Sachverständigen bestellt und mit der Begutachtung beauftragt (Bl. 28 ff. d. A.).
3
Der Sachverständige legte sein Gutachten am 17.09.2007 vor (Bl. 39 ff. d. A.). Das Gutachten wurde den
Parteien mit Verfügung des Berichterstatters vom 18.09.2007 übersandt (Bl. 35 d. A.).
4
Mit Schriftsatz vom 15.10.2007, eingegangen beim Landgericht am 16.10.2007, warf der Kläger die Frage der
Befangenheit des Sachverständigen auf (Bl. 62 ff. d. A.). Er führte aus, das E. Krankenhaus in R., an dem der
Sachverständige als Chefarzt tätig ist, sei wie das B. Krankenhaus in U. ein akademisches Lehrkrankenhaus
der Universität U.. Dies habe sich für den Kläger erstmals aus dem Briefkopf des Gutachtens ergeben. Diese
Verbindung könne den Gutachter veranlasst haben, sein Gutachten nicht neutral zu erstatten. Mit Schriftsatz
vom 19.10.2007 wurde klargestellt, dass dieser Vortrag als Befangenheitsantrag zu verstehen sei (Bl. 73 d.
A.).
5
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 14.11.2007 das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt (Bl. 79 d.
A.). Die Tatsache, dass sowohl das B. Krankenhaus in U. als auch das E. Krankenhaus Lehrkrankenhäuser
der Universität U. sind, begründe keine Besorgnis der Befangenheit. Akademische Lehrkrankenhäuser seien in
die betreffende Universität nicht organisatorisch eingegliedert. Es bestehe auch kein besonderes
Kollegialitätsverhältnis der an unterschiedlichen Lehrkrankenhäusern derselben Universität tätigen Ärzte, das
den Sachverständigen zur Unparteilichkeit - gemeint ist offensichtlich: zur Parteilichkeit - verleiten könne.
6
Gegen diesen dem Klägervertreter am 16.11.2007 zugestellten Beschluss wurde am 29.11.2007 sofortige
Beschwerde eingelegt (Bl. 83 d. A.). Diese wurde damit begründet, die Einstufung als akademisches
Lehrkrankenhaus stelle eine Art „Gütesiegel“ für ein Krankenhaus dar. Der negative Ausgang eines
Rechtsstreits gegen ein akademisches Lehrkrankenhaus könne daher den Ruf anderer akademischer
Lehrkrankenhäuser derselben Universität schädigen. Es bestehe die Besorgnis, dass der bestellte
Sachverständige versuche, möglichen Schaden von der Reputation der Lehrkrankenhäuser der Universität U.
abzuwenden.
7
Das Landgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 30.11.2007 (Bl. 85 f. d. A.) nicht abgeholfen und die
sofortige Beschwerde dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
8
Die zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
9
Ein Sachverständiger kann gem. §§ 406 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit
abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu
rechtfertigen. Ein solcher Grund muss objektiv vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger
Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen
und damit nicht unparteiisch gegenüber (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 42, Rdnr. 9 m. w. N. aus der
Rechtsprechung; Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 42, Rdnr. 9; Musielak/Huber, ZPO, 5. Aufl., § 406, Rdnr. 4).
10
1. Mit der sofortigen Beschwerde nicht angegriffen ist die zutreffende Feststellung des Landgerichts,
zwischen den Ärzten verschiedener akademischer Lehrkrankenhäuser derselben Universität bestehe
kein besonderes Kollegialitätsverhältnis, das die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen würde.
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2. Ein Befangenheitsgrund liegt aber auch mit Blick auf die mit der sofortigen Beschwerde geltend
gemachte mögliche Rufschädigung aller akademischer Lehrkrankenhäuser der Universität U. nicht vor.
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Bei objektiver und vernünftiger Betrachtung besteht die Gefahr einer Rufschädigung aller akademischer
Lehrkrankenhäuser der Universität U. im Falle des Nachweises eines Behandlungsfehlers in einem
dieser Krankenhäuser nicht. Die Einstufung als akademisches Lehrkrankenhaus einer Universität mag
von Patienten als besonderes Qualitätsmerkmal eines Krankenhauses aufgefasst werden. Es ist
jedoch nicht ersichtlich, dass sich eine mögliche Rufschädigung eines solchen akademischen
Lehrkrankenhauses gerade über dieses Qualitätsmerkmal nachteilig auch auf alle anderen
Lehrkrankenhäuser auswirken könnte. Die akademischen Lehrkrankenhäuser einer Universität bilden
keinen einheitlichen Verband, der als solcher einen Ruf genießen würde. Dies gilt auch für die
Universitätsklinik zusammen mit den akademischen Lehrkrankenhäusern. Entscheidend für die Frage,
ob ein Patient sich in einem bestimmten Krankenhaus in Behandlung begibt, ist neben der räumlichen
Anbindung vielmehr das konkrete Behandlungsangebot, nicht aber die Einstufung als Lehrkrankenhaus
gerade einer bestimmten Universität. Von daher ist bereits objektiv und bei vernünftiger Betrachtung
die Befürchtung nicht nachzuvollziehen, der Sachverständige PD Dr. M. habe bei der Begutachtung
mittelbare Nachteile auch von dem Krankenhaus abwenden wollen, in dem er als Chefarzt beschäftigt
ist.
III.
13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
14 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 574 ZPO liegen nicht vor.
15 Der Wert der sofortigen Beschwerde wird auf 1/10 des Hauptsachestreitwertes festgesetzt (§ 48 Abs. 1 GKG).