Urteil des OLG Stuttgart vom 19.07.2006

OLG Stuttgart (gegenstand des verfahrens, antrag, widerklage, materielle rechtskraft, bewilligung, neues vorbringen, kläger, beschwerde, wiederholung, aug)

OLG Stuttgart Beschluß vom 19.7.2006, 13 W 21/06; 13 W 21/2006
Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren: Rechtsmissbrauch bei wiederholtem Prozesskostenhilfeantrag
Leitsätze
Zur Frage des Rechtsmißbrauchs bei wiederholtem Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 27. Zivilkammer (ER) des Landgerichts
Stuttgart vom 10.3.2006 - 27 O 464/2005 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
[Sachverhalt s. "Sonstiger Langtext".]
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.
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Der Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Widerklage ist unzulässig.
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Das Landgericht Düsseldorf hat durch Beschluß vom 24.8.2004 - 37 O 86/03 - den dortigen Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe, der auf der Grundlage desselben Lebenssachverhaltes gestellt worden
war, zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten hat das Oberlandesgericht
Düsseldorf durch Beschluß vom 14.1.2005 - I-16 W 66/04 - zurückgewiesen.
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Zwar kann ein Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe grundsätzlich neu gestellt werden. Beschlüsse,
mit denen die Prozesskostenhilfe versagt wird, erlangen keine materielle Rechtskraft (BGH NJW 2004, Seite
1805).
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Der Beklagten fehlt es jedoch am Rechtsschutzbedürfnis für eine neuerliche Entscheidung, weil keine neuen
Tatsachen vorgetragen worden sind (OLG Frankfurt OLGR 2004, Seite 287; OLG Hamm, FamRZ 2004, Seite
1218; OLG Naumburg OLG-NL 2003, Seite 91; OLG Saarbrücken OLGR 2000, Seite 246; OLG Bamberg
FamRZ 1997, Seite 756). Der Vortrag der Beklagten erschöpft sich in einer Wiederholung der Behauptungen,
die sie bereits in den Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht Düsseldorf vorgebracht hat. Dies gilt
auch für den Widerklagantrag Ziffer 2, nachdem die Beklagte in ihrer Beschwerdeschrift ausdrücklich
klargestellt hat, dass sie mit der Zahlung an die LBBW keine Rückforderung bezüglich der von der Klägerin
verwerteten Bürgschaft begehre, sondern einen Teil ihres Ausgleichsanspruchs verfolge (Bl. 311 d.A.). Neues
Vorbringen ist trotz des Hinweises des Senates in der Verfügung vom 21.6.2006 weder von der Beklagten
bezeichnet worden noch aus den beigezogenen Akten des Landgerichts Düsseldorf - 37 O 86/03 - ersichtlich.
Dies gilt mit Ausnahme der Behauptung (Bl. 270 d.A.), die Beklagte habe am 27.7.2001 auch deshalb
ordentlich gekündigt, weil sie durch den Vertragsentwurf vom 26.7.2001 erstmals erfahren habe, dass ihr
Vertragspartner in Wegfall geraten sei. Angesichts des Umstandes, dass die Beklagte dies erstmals knapp 6
Jahre nach der Kündigung und nach mehrjähriger Prozessführung vorbringt, ist dieser Vortrag als reine
Schutzbehauptung zu werten.
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Soweit die Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin für deren Klage in Abrede stellt, ist dies für ihren Antrag
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Widerklage ohne Bedeutung.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es in diesem Zusammenhang für die Annahme desselben
Lebenssachverhaltes unerheblich, dass die Beklagte vor dem Landgericht in Düsseldorf als Klägerin
aufgetreten ist und sich hier gegen eine Klage der dortigen Beklagten mit einer Widerklage wehrt. Maßgeblich
ist, dass sich der zu beurteilende Lebenssachverhalt durch formale prozessuale Umstände nicht ändert.
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Zu Unrecht reklamiert die Beklagte eine Veränderung des Lebenssachverhalts mit dem Argument, dass das
Landgericht Düsseldorf der Frage nachgegangen sei, ob der Ausgleichsanspruch den jetzt von der Klägerin
geltend gemachten Anspruch übersteige und dies verneint habe, während hier die Beklagte die
Zahlungsansprüche der Klägerin in Frage stelle und im Wege der Widerklage einen höheren Betrag verlange als
Zahlungsansprüche der Klägerin in Frage stelle und im Wege der Widerklage einen höheren Betrag verlange als
im damaligen Klagverfahren. Maßgeblich ist, dass das Landgericht Düsseldorf und das Oberlandesgericht
Düsseldorf den geltend gemachten Ausgleichsanspruch der Beklagten insgesamt verneint haben.
10 Die Beklagte geht auch fehl in der Annahme, die Klägerin habe im Gegensatz zu dem Verfahren in Düsseldorf
den Sachvortrag der Beklagten im hiesigen Verfahren nicht substantiiert bestritten. Soweit die Behauptungen
der Beklagten für die Entscheidungen des Land- und Oberlandesgerichts Düsseldorf erheblich waren, hat die
Klägerin diesen Vortrag auch im vorliegenden Verfahren hinreichend bestritten. Dies gilt insbesondere für die
Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 26.1.2006 und vom 5.5.2006.
11 Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte im vorliegenden Verfahren tatsächlich weitere Beweismittel
vorgelegt hat. Für die Entscheidung zumindest des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat die Frage, ob die
Beklagte im dortigen Verfahren ausreichend Beweis angetreten hat, keine Rolle gespielt.
12 Die Veränderung der persönlichen Verhältnisse bei der Beklagten ist für die Entscheidung des Senates
unerheblich. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Düsseldorf haben ihre Entscheidungen
ausschließlich darauf gestützt, dass die objektiven Voraussetzungen für die Bewilligung der beantragten
Prozesskostenhilfe nicht vorliegen. Angesichts dieser Sachlage kommt es für die Frage, ob eine Wiederholung
des Antrages zulässig ist, auf eine Veränderung der subjektiven Voraussetzungen nicht an.
13 Entgegen der Auffassung der Beklagten wird das Rechtsschutzbedürfnis für eine Wiederholung des Antrages
auch nicht durch den Umstand begründet, dass nunmehr statt des Landgerichts bzw. Oberlandesgerichts
Düsseldorf das Landgericht bzw. Oberlandesgericht Stuttgart über den Sachverhalt zu entscheiden hat. Die
Beklagte kann die Wiederholung nicht allgemein schon dadurch rechtfertigen, dass das im vorliegenden Fall
zuständige Gericht bisher noch nicht über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden hat. Der
Beklagtenvertreter kann seine Auffassung nicht auf die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln
(OLGZ 1989, Seite 67) stützen. Für eine zulässige Wiederholung des Prozesskostenhilfeantrages im Falle
einer Zuständigkeitsänderung kommt es nach Auffassung des Senates vielmehr darauf an, dass ein Kläger,
der keine Prozesskostenhilfe begehrt, bei vernünftiger Betrachtungsweise von der Herbeiführung einer solchen
Zuständigkeitsänderung nicht abgesehen hätte. Dies ist bei einem Kläger, der seine Klage erhöht, nicht der
Fall. Hier steht die Erhöhung seines Begehrens im Vordergrund. Die Zuständigkeitsveränderung ist lediglich
eine mittelbare Folge, auch wenn in dem einen oder anderen Fall damit eine Zuständigkeitsveränderung
beabsichtigt sein mag. Demgegenüber hätte ein nicht Prozesskostenhilfe beanspruchender Kläger seine Klage
vor dem Landgericht Düsseldorf nicht zurückgenommen, um diese mit demselben Lebenssachverhalt, wenn
auch mit erweitertem Antrag, als Widerklage vor dem Landgericht Stuttgart einzureichen. Der Umstand, dass
der Kläger seinerseits vor dem Landgericht Stuttgart verklagt worden ist, ändert hieran nichts. Der nicht
Prozesskostenhilfe beanspruchende Kläger hätte gegebenenfalls auf eine Aussetzung des Verfahrens gem. §
148 ZPO vor dem Landgericht Düsseldorf hingewirkt. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich der Kläger, wie
dies die Beklagte im vorliegenden Fall getan hat, vor dem Landgericht Stuttgart im Wege der Hilfsaufrechnung
gegen die dortige Klage verteidigt und der streitgegenständliche Lebenssachverhalt der Klage vor dem
Landgericht Düsseldorf mit dem der Hilfsaufrechnung zugrunde liegenden Lebenssachverhalt übereinstimmt.
14 Soweit die Beklagte mit ihrer Beschwerdeschrift die Widerklage erweitert hat und hierfür ebenfalls
Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist das Prozesskostenhilfeverfahren in der Beschwerdeinstanz nicht
angefallen. Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluß des Landgerichts vom 10.3.2006, der sich
wiederum auf die Widerklage im seinerzeitigen Umfang bezieht. Über den Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für die Erweiterung der Widerklage hat daher zunächst das Landgericht zu entscheiden.
Das Landgericht wird aber auch hier zu erwägen haben, ob der Antrag zumindest teilweise wegen
Rechtsmissbrauchs unzulässig ist. Der Lebenssachverhalt, der dem geltend gemachten Anspruch in Höhe von
EUR 1.207,56 wegen Ausfalls des Nachttankautomaten zugrunde liegt, lag mit derselben Berechnung bereits
dem Beschluß des Landgerichts Düsseldorf (dort Seite 6) zugrunde. Die geltend gemachten Ansprüche wegen
Provisionsausfall vom 28.12.2001 bis 31.12.2001 in Höhe von EUR 427,72 sowie der beanspruchte
Gehaltsentgang aus abgetretenem Recht in Höhe von EUR 3.207,20 werden auf die Wirksamkeit der
außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 28.12.2001 gestützt, wobei der hier zugrunde liegende
Lebenssachverhalt ebenfalls bereits Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht Düsseldorf (Seite 4 des
dortigen Beschlusses) war und die Wirksamkeit dort verneint worden ist.
15 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vor.
Sowohl die Fortbildung des Rechts als auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Zum einen ist die Rechtsfrage zum Rechtsmissbrauch bei
wiederholter Antragstellung im Prozesskostenhilfeverfahren vor verschiedenen Gerichten bisher nicht
höchstrichterlich entschieden worden. Zum anderen beinhaltet die Differenzierung des Senates in dieser Frage
eine Abweichung von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (OLGZ 1989, Seite 67).
Sonstiger Langtext
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Sachverhalt
17 Die Beklagte machte gegen die Klägerin in einem vorangegangenen Rechtsstreit vor dem Landgericht
Düsseldorf einen Anspruch auf Handelsvertreterausgleich geltend. Ihr Antrag auf Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe ist als unbegründet zurückgewiesen worden. Ihre Beschwerde vor dem Oberlandesgericht
Düsseldorf ist erfolglos geblieben.
18 Die Klägerin macht gegen die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit vor dem Landgericht Stuttgart Ansprüche
aus demselben Rechtsverhältnis geltend. Die Beklagte hat hierauf ihre Klage vor dem Landgericht Düsseldorf
zurückgenommen und verfolgt ihren Anspruch auf Handelsvertreterausgleich im Wege der Widerklage im
vorliegenden Rechtsstreit. Hierfür begehrt sie Prozeßkostenhilfe. Das Landgericht hat ihren Antrag als
unbegründet zurückgewiesen.