Urteil des OLG Stuttgart vom 09.05.2003

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OLG Stuttgart Beschluß vom 9.5.2003, 1 Ss 188/03
Bußgeldhauptverhandlung: Verfahrensfehlerhafte Verhandlung ohne die Staatsanwaltschaft wegen unterbliebener Terminsnachricht trotz
eines Antrages auf richterlichen Hinweis bezüglich eines möglichen Übergangs in das Strafverfahren
Leitsätze
1. Verhandelt das Amtsgericht im Bußgeldverfahren zur Sache, obwohl eine Terminsnachricht an die Staatsanwaltschaft, die hierauf nicht verzichtet
hatte, unterblieben ist und ein Staatsanwalt deshalb an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen kann, so liegt darin ein Verfahrensfehler.
2. Hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG einen Antrag auf Erteilung eines Hinweises auf die Veränderung des rechtlichen
Gesichtspunkts nach § 81 Abs. 1 OWiG gestellt und kommt deshalb ein Übergang vom Bußgeldverfahren ins Strafverfahren in Betracht, so muss die
Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht teilnehmen, weil dann ohne sie nicht verhandelt werden darf.
3. Hat die Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, den Betroffenen gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG auf die Veränderung des rechtlichen
Gesichtspunkts hinzuweisen und damit vom Bußgeldverfahren ins Strafverfahren überzugehen, so muss das Amtsgericht den Hinweis erteilen. Eine
Ausnahme hiervon wäre nur dann zu erwägen, wenn der Staatsanwalt den Übergang willkürlich und erkennbar um jeden Preis erreichen will und
sich begründeten Bedenken des Amtsgerichts verweigert.
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2003 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
Stuttgart
zurückverwiesen.
Gründe
I.
1
Mit Bußgeldbescheid des Arbeitsamtes Stuttgart vom 27. August 2002 war gegen die Betroffene wegen Verstoßes gegen § 404 Abs. 2 Nr. 26
SGB III i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I eine Geldbuße in Höhe von 750 EUR festgesetzt worden. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe im Rahmen des
Bezugs von Arbeitslosengeld entgegen der bestehenden Verpflichtung, jede Änderung, die für die Beurteilung des Leistungsanspruchs
bedeutsam sein könnte, unaufgefordert und sofort dem Arbeitsamt anzuzeigen, die von ihr veranlasste Änderung der Lohnsteuerklasse III/1 in die
Lohnsteuerklasse V nicht mitgeteilt, weshalb ihr zuviel Arbeitslosenunterstützung gewährt worden sei. Gegen diesen Beschluss hat die
Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt. Mit der Vorlage der Akten an das Amtsgericht Stuttgart wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass,
obwohl in dem Bußgeldbescheid des Arbeitsamtes Stuttgart nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht sei, ob der der Betroffenen gemachte Vorwurf
auf Fahrlässigkeit oder Vorsatz beruhe, zunächst von fahrlässiger Tatbegehung auszugehen sei, jedoch bei vorsätzlicher Handlungsweise der
Tatbestand eines Vergehens des Betruges nach § 263 StGB in Betracht käme. Verbunden mit dem Antrag, zur Hauptverhandlung mehrere
namentlich benannte Mitarbeiter des Arbeitsamtes Stuttgart als Zeugen zu laden, wurde deshalb vorsorglich gem. § 81 Abs. 2 S. 1 OWiG der
Antrag gestellt, unter Überleitung vom Bußgeld- in das Strafverfahren nach § 81 Abs. 1 OWiG den Hinweis auf eine mögliche Veränderung des
rechtlichen Gesichtspunktes zu erteilen, dass bei vorsätzlicher Handlungsweise eine Verurteilung wegen eines Vergehens des Betruges nach §
263 StGB in Betracht komme.
2
Nachdem das Amtsgericht trotz dieses Antrages zunächst gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch
Beschluss hingewiesen, die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die in Betracht kommende Überleitung des Bußgeldverfahrens in ein
Strafverfahren nach § 81 OWiG dieser Vorgehensweise jedoch widersprochen hatte, bestimmte das Gericht Hauptverhandlungstermin auf den
24. Januar 2003. Zeugen wurden keine geladen. Die Staatsanwaltschaft erhielt keine Terminsnachricht und nahm auch nicht an der
Hauptverhandlung teil.
3
Mit Urteil vom 24. Januar 2003 verurteilte das Amtsgericht, das (auch) in der Hauptverhandlung den von der Staatsanwaltschaft beantragten
Hinweis gemäß § 81 Abs. 1 OWiG nicht erteilt hatte, die Betroffene wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen § 404
Abs. 3 SGB III zu der Geldbuße von 200 EUR.
4
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit ihrer zum Nachteil der Betroffenen eingelegten Rechtsbeschwerde. Sie rügt zum
einen, dass das Amtsgericht ihrem Antrag auf Überleitung des Bußgeldverfahrens ins Strafverfahren nicht entsprochen habe, zum anderen
beanstandet sie einen Verstoß gegen den prozessualen Anspruch der Staatsanwaltschaft auf Terminsnachricht und ihr Recht auf Teilnahme an
der Hauptverhandlung.
II.
5
Das Rechtsmittel ist zulässig.
6
Die Rechtsbeschwerde ist formgerecht erhoben worden. Zwar bestimmen §§ 142 Abs. 1 Nr. 3, 145 Abs. 2 GVG, dass Amtsanwälte das Amt der
Staatsanwaltschaft nur bei den Amtsgerichten versehen dürfen. Gegenüber dem Oberlandesgericht besitzt ein Amtsanwalt keine
Postulationsfähigkeit (vgl. BayObLG, MDR 1974, 599). Der Rechtsbeschwerdeantrag der Staatsanwaltschaft als Prozesserklärung ist indes beim
Amtsgericht angebracht und begründet worden; das war zulässig, da die Akten noch nicht dem Oberlandesgericht als Rechtsbeschwerdegericht
vorgelegt worden waren (§§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 321, 335 Abs. 1 StPO; vgl. hierzu OLG Stuttgart, NStZ 2003, 93).
7
Die Rechtsbeschwerde ist in entsprechender Anwendung des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG zulässig.
8
Nach dieser Bestimmung soll das Gericht in einer Bußgeldsache nicht gegen den Willen des Betroffenen oder der Staatsanwaltschaft im Wege
des Beschlussverfahrens (§ 72 Abs. 1 OWiG) entscheiden können. Sie betrifft damit zunächst einen anderen Verfahrenssachverhalt, ist jedoch
nach ihrem Grundgedanken - eine Beschneidung der Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten zu verhindern und ihnen ggf. die
Rechtsbeschwerdemöglichkeit zu geben - dann entsprechend anzuwenden, wenn die einem Verfahrensbeteiligten vom Gesetz eingeräumte
Mitwirkungsmöglichkeit bei der Gestaltung des Verfahrens übergangen und seine in Ausübung dieses Rechtes abgegebene prozessuale
Erklärung nicht berücksichtigt wurde oder das Gericht die Hauptverhandlung ohne Einverständnis eines Beteiligten in dessen Abwesenheit
durchgeführt hat (BayObLG, VRS 55, 446 ff. = NJW 1979, 119; OLG Karlsruhe, VRS 44, 64 ff.; Göhler, OWiG, 13. Auflage, Rdn. 18 zu § 79; KK-
Steindorf, OWiG, 2. Auflage, Rdn. 16 zu § 81 m.w.N.). Beides ist nach dem Vortrag der beschwerdeführenden Staatsanwaltschaft vorliegend der
Fall.
III.
9
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Beide in zulässiger Weise ausgeführten Verfahrensrügen greifen durch.
10 Zu Recht sieht die Staatsanwaltschaft einen Verfahrensfehler darin, dass der Tatrichter zur Sache verhandelt hat, obwohl eine Terminsnachricht
an die Staatsanwaltschaft unterblieben ist und sie deshalb an der Hauptverhandlung mangels Terminkenntnis nicht teilnehmen konnte. Durch
diese Verfahrensweise hat das Amtsgericht das prozessuale Recht der Staatsanwaltschaft auf Mitwirkung in der Hauptverhandlung verletzt.
Dieses Recht der Staatsanwaltschaft ergibt sich aus ihren Aufgaben, ihrer Stellung und ihren Befugnissen im gerichtlichen Bußgeldverfahren.
11 Mit der Vorlage der Akten an das Amtsgericht stellt die Staatsanwaltschaft die Tat, die dem Betroffenen vorgeworfen wird, zur gerichtlichen
Aburteilung und übernimmt damit die eigenständige Vertretung und Verantwortung für die Beschuldigung im gerichtlichen Bußgeldverfahren, in
dem es Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, das öffentliche Interesse zu vertreten (OLG Karlsruhe, VRS 44, 64 ff; OLG Düsseldorf, VRS 74, 208 ff;
Göhler, aaO, Rdn. 2 zu § 75). Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn ihr ein prozessuales Recht zur Mitwirkung in der Hauptverhandlung
zusteht. Die Staatsanwaltschaft ist somit zur Teilnahme an der Hauptverhandlung jederzeit berechtigt. § 75 Abs. 1 Satz 1 OWiG steht dem nicht
entgegen. Diese Vorschrift befreit die Staatsanwaltschaft lediglich von der Teilnahmepflicht und stellt die Teilnahme in ihr pflichtgemäßes
Ermessen; sie lässt jedoch das Teilnahmerecht unangetastet.
12 Das ihr zustehende Recht auf Mitwirkung in der Hauptverhandlung kann die Staatsanwaltschaft nur ausüben, wenn sie von dem
Hauptverhandlungstermin unterrichtet ist. Die Staatsanwaltschaft muss deshalb - jedenfalls dann, wenn sie bei der Aktenübersendung nicht
ausdrücklich auf Terminsnachricht verzichtet hat - grundsätzlich von dem anberaumten Termin zur Hauptverhandlung benachrichtigt werden
(OLG Karlsruhe, VRS 44, 64,66; OLG Düsseldorf, VRS 74, 208,209; Göhler, aaO, Rdn. 5 zu § 75; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Auflage,
Rdn. 2 zu § 75, KK-Senge, OWiG, 2. Auflage, Rdn. 6 zu § 75). Hält der Richter die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft für erforderlich (§ 75 Abs. 1
Satz 2 OWiG), so teilt er ihr dies zusätzlich, zweckmäßigerweise verbunden mit der Terminsnachricht (Göhler, aaO, Rdn. 6 zu § 75; KK-Senge,
aaO, Rdn. 7 zu § 75) mit. Für den Fall, dass der Richter eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft nicht für erforderlich hält, ist er jedoch aus den
oben genannten Gründen nicht von dem Erfordernis einer Terminsnachricht befreit.
13 Hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG einen Antrag auf Erteilung eines Hinweises gemäß § 81 Abs. 1 OWiG gestellt und
kommt deshalb ein Übergang vom Bußgeldverfahren ins Strafverfahren in Betracht, so muss die Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung
teilnehmen, weil dann ohne sie nicht verhandelt werden darf (Nr. 287 RiStBV; Rebmann/Roth/Herrmann, aaO, Rdn. 1 zu § 75). Da sie in diesem
Fall sonach den (grundsätzlich möglichen) Verzicht auf eine Terminsnachricht gar nicht erklären kann, war es vorliegend nicht erforderlich,
seitens der Staatsanwaltschaft in der den Antrag auf Hinweiserteilung enthaltenden Abgabeverfügung nochmals ausdrücklich einen
Teilnahmewillen zu äußern.
14 Im vorliegenden Fall ist die Staatsanwaltschaft von dem Hauptverhandlungstermin nicht unterrichtet und die Hauptverhandlung in ihrer
Abwesenheit durchgeführt worden. Dies stellt einen Verfahrensfehler dar. Ob hierin ein absoluter Aufhebungsgrund im Sinne des § 338 Nr. 5
StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zu sehen ist (so OLG Karlsruhe, VRS 44, 64,66; Rebmann/Roth/Herrmann, aaO, Rdn. 3a zu § 75; KK-Senge,
aaO, Rdn. 6 zu § 75), kann dahingestellt bleiben (so auch OLG Düsseldorf, VRS 74, 208,209; OLG Stuttgart, Die Justiz 1975, 317). Jedenfalls
beruht das Urteil auf dem genannten Verfahrensverstoß, da nicht auszuschließen ist, dass das Gericht im Falle der Teilnahme der
Staatsanwaltschaft und Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte, beispielsweise durch Stellung von Beweisanträgen auf weitere
Sachverhaltsaufklärung hinzuwirken, zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
15 Des weiteren dringt auch die auf die Verletzung des § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG gestützte Verfahrensrüge durch.
16 Hiernach wird der Betroffene auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt
hat. Der Hinweis und der damit verbundene Übergang in das Strafverfahren liegt nicht im Ermessen des Gerichts. Hat die Staatsanwaltschaft den
Antrag gestellt, muss das Gericht entsprechend der eindeutigen Formulierung des § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG nach der ganz überwiegenden
Meinung in Rechtsprechung und Literatur den Hinweis erteilen (BayObLG, VRS 55, 446,448; BayObLG, Beschluss vom 27. Oktober 1989 - 2 Ob
OWi 286/89 -; KK-Steindorf, aaO, Rdn. 16 zu § 81; Göhler, aaO, Rdn. 9 zu § 81; Rebmann/Roth/Herrmann, aaO, Rdn. 4 zu § 81). Die
Staatsanwaltschaft muss, wenn der Verdacht einer Straftat gegeben ist, den Übergang in das Strafverfahren durchsetzen können, damit die Tat
unter den vollen Garantien der Strafprozessordnung untersucht werden kann. Das Bußgeldverfahren ist zwar weitgehend dem Strafverfahren
angenähert, es gelten jedoch zahlreiche Verfahrensvereinfachungen, die nur im reinen Bußgeldverfahren berechtigt sind. Wäre der Richter
befugt, ungeachtet der Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass möglicherweise der Verdacht einer Straftat besteht, von einem Hinweis auf die
Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes abzusehen, dann hätte die Staatsanwaltschaft zum Beispiel keine Möglichkeit, auf der
Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung und der Vereidigung von Zeugen zu bestehen, um den Sachverhalt nach der
strafrechtlichen Seite genügend aufklären zu können (Rebmann/Roth/Herrmann, aaO, Rdn. 4 zu § 81).
17 Damit räumt das Gesetz der Staatsanwaltschaft zweifellos eine starke Stellung ein. Dass möglicherweise infolge eines rein vorsorglich gestellten
Antrages der Staatsanwaltschaft der Übergang in das Strafverfahren schon bei dem geringen Verdacht einer Straftat ausgelöst und der
Verfahrensablauf damit unter Umständen erschwert wird, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen (vgl. BT-Drucksache V/1269, Seite 105). Dies
betrifft allerdings ausschließlich die verfahrensrechtliche Seite. Der Richter ist auch nach Überleitung ins Strafverfahren keineswegs gezwungen,
eine strafrechtliche Bewertung des Sachverhaltes vorzunehmen. Kommt er zu dem Ergebnis, dass sich der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt
hat, so bleibt es ihm unbenommen, nur wegen einer Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße festzusetzen (KK-Steindorf, aaO, Rdn. 25 zu § 81). Hat
der Richter Bedenken, so kann er die Staatsanwaltschaft hierauf hinweisen und die Rücknahme des Antrages empfehlen, die auch noch nach
der Beweisaufnahme erfolgen kann. Die Staatsanwaltschaft erhält so die Möglichkeit der Überprüfung, ob sie den Antrag aufrecht erhält oder
nicht (Rebmann/Roth/Herrmann, aaO, Rdn. 4 zu § 81; Göhler, aaO, Rdn. 9 zu § 81).
18 Ob der Richter darüber hinaus dann, wenn die Staatsanwaltschaft trotz seiner geäußerten Bedenken offensichtlich missbräuchlich ihren Antrag
aufrechterhält, die Möglichkeit haben muss, den Antrag durch förmlichen Beschluss zurückzuweisen, braucht im vorliegenden Verfahren, in
welchem nach dem dem Senat aufgrund der zulässig erhobenen Verfahrensrüge zugänglichen Akteninhalt keinerlei Hinweise auf ein
entsprechendes Verhalten der Staatsanwaltschaft vorliegen, nicht entschieden zu werden. Aus dem Gesetz ergibt sich insoweit nichts;
Rechtsprechung und Literatur haben - soweit ersichtlich - hierzu noch nicht Stellung genommen.
19 Bei der Beantwortung der Frage muss einerseits berücksichtigt werden, dass die Staatsanwaltschaft als Organ der Rechtspflege in ihrer
gesamten Amtsführung zur strikten Objektivität verpflichtet ist. Sie ist nicht Partei und darf es nicht sein (BGHSt 15, 155, 159 = NJW 1960, 234).
Der einzelne Staatsanwalt muss nach § 160 Abs. 2 StPO alle für und gegen den Beschuldigten vorliegenden Umstände sorgfältig, gewissenhaft
und unvoreingenommen gegeneinander abwägen. Diese Verpflichtung trifft den Staatsanwalt nicht nur in seiner Eigenschaft als Herr des
Ermittlungsverfahrens, sondern auch als Anklagevertreter in der Hauptverhandlung, wo er im Rahmen des Zulässigen durch unparteiisches
Verhalten dazu beizutragen hat, dass dem Bürger zu seinem Recht verholfen wird (OLG Stuttgart, NJW 1974, 1394, 1395; Meyer-Goßner, StPO,
46. Auflage, Vorbem. 8 vor § 141 GVG). Einschränkend ist jedoch zu beachten, dass der Staatsanwalt, der die Anklage vertritt und als solcher ein
Gegengewicht zu dem um Entlastung bemühten Angeklagten darstellt, anders als der Richter in jedem Stadium des Verfahrens zum Ausdruck
bringen darf und kann, dass nach seiner Meinung eine Verurteilung wegen einer Straftat hinreichend wahrscheinlich sei. Der Staatsanwalt darf
also durchaus als festgelegt auftreten. Will aber ein Staatsanwalt, der mit Eingang der Akten bei Gericht nicht mehr Herr des Verfahrens ist, mit
seinem Antrag auf Erteilung eines Hinweises gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG den Übergang ins Strafverfahren willkürlich und erkennbar um
jeden Preis erreichen und verweigert er sich deshalb trotz begründeter Bedenken seitens des Gerichts gezielt einer Modifizierung seiner
Sichtweise, so neigt der Senat zu der Auffassung, dass dies im Einzelfall dazu führen kann, dass der Richter nicht an diesen Antrag gebunden
und zu einem "Formalakt ohne Sachprüfung" (BGH Ermittlungsrichter, NStZ 2000, 547, 548) gezwungen ist, sondern das Recht haben muss,
diesen Antrag durch Beschluss zurückzuweisen. Der vorliegende Fall nötigt jedoch insoweit nicht zu einer abschließenden Stellungnahme.
20 Dass das Amtsgericht den gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft, dem es hätte stattgeben müssen mit der
Folge, dass im weiteren Verfahren auch aufgrund eines Strafgesetzes entschieden werden darf, nicht behandelt hat, war rechtsfehlerhaft.
21 Auch auf diesem Verfahrensfehler kann das Urteil beruhen. Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene wegen einer fahrlässig begangenen
Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße festgesetzt. Möglicherweise wäre es zu einem anderen Ergebnis gekommen, wenn es im Strafverfahren
entschieden hätte. Die Teilnahme der Staatsanwaltschaft wäre Pflicht gewesen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hätte in der
Hauptverhandlung, zum Beispiel durch die Wiederholung seines Antrages auf Vernehmung von Zeugen, auf eine weitere
Sachverhaltsaufklärung hinwirken und möglicherweise eine Verurteilung der Betroffenen wegen Betruges erreichen können.
22 Das angefochtene Urteil war daher aufgrund der erhobenen Verfahrensrügen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Stuttgart zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
IV.
23 Dieser Verfahrensweise steht nicht entgegen, dass der Hinweis nach § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist
(BGHSt 35, 298; Göhler, aaO, Rdn. 25 zu § 81). Er muss vom Rechtsbeschwerdegericht erteilt werden, wenn dieses aufgrund seiner in § 81 Abs.
1 OWiG niedergelegten Pflicht zur umfassenden Kognition zu dem Ergebnis kommt, das Amtsgericht habe in rechtsfehlerhafter Weise nicht
beachtet, dass der hinreichende Verdacht einer Straftat bestand und insoweit keine Verfahrenshindernisse vorlagen. Das
Rechtsbeschwerdegericht muss in diesem Fall selbst auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hinweisen (BGHSt 35, 303; Göhler,
NStZ 1988, 83, 84). Dagegen bedarf es eines Hinweises aufgrund eines entsprechenden Antrages der Staatsanwaltschaft gem. § 81 Abs. 2 S. 1
OWiG im Rechtsbeschwerdeverfahren dann nicht, wenn das Urteil des Amtsgerichts auf eine mit Verfahrensrügen begründete
Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft aufzuheben ist (BayObLG, Beschl. v. 27. Oktober 1989 - 2 Ob OWi 286/89; OLG Hamm, NStE Nr. 6 zu
§ 81 OWiG). Der die Überleitung in das Strafverfahren herbeiführende Hinweis nach § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG, der auch noch im weiteren
Verfahren erfolgen kann (vgl. BayObLG, Beschl. v. 27. Oktober 1989 - 2 Ob OWi 286/89 -), bleibt daher dem Verfahren erster Instanz vor dem
Tatrichter, auf das die gesetzliche Regelung des § 81 OWiG ohnehin erkennbar gemünzt ist (vgl. KK-Steindorf, aaO, Rdn. 17 zu § 81),
überlassen.