Urteil des OLG Stuttgart vom 09.09.2013

OLG Stuttgart: immaterieller schaden, fahrrad, hobby, verfügung, freizeit, verkehrsmittel, verkehrsauffassung, lebenshaltung, entschädigung, steigerung

OLG Stuttgart Beschluß vom 9.9.2013, 13 U 102/13
Leitsätze
Der zeitweilige Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines ausschließlich zur sportlichen
Betätigung dienenden Rennrads begründet keinen Anspruch auf abstrakte
Nutzungsentschädigung.
Tenor
1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des
Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom
24.5.2013 - 5 O 30/13 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit, zur beabsichtigten Zurückweisung seiner Berufung Stellung zu
nehmen. Zugleich erhält er Gelegenheit, zur Ersparung weiterer Kosten seine Berufung
zurückzunehmen.
Gründe
I.
1 Der erkennende Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung des Klägers
offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine
mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
2 Die Berufung ist offensichtlich aussichtslos. Zutreffend hat das Landgericht Heilbronn
entschieden, dass dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf Ersatz eines
Nutzungsausfallschadens gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 280 Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB
zusteht.
3 Durch den Rücktritt vom Kaufvertrag wurde zwar ein Anspruch auf Schadensersatz statt der
Leistung auch insoweit nicht ausgeschlossen, als es um den Ersatz eines
Nutzungsausfallschadens geht, der dadurch entstanden ist, dass dem Käufer infolge des
Mangels der Kaufsache deren Nutzung entgeht. Dies gilt auch für einen infolge der
Rückgabe der mangelhaften Sache entstandenen Nutzungsausfall (BGHZ 174, 290).
Allerdings setzt ein Ersatz des Nutzungsausfallschadens voraus, dass es sich insoweit um
einen Vermögensschaden handelt, da eine Entschädigung in Geld für einen immateriellen
Schaden nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen - und somit nicht als Ersatz des
Schadens statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 280 Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB -
gefordert werden kann, § 253 Abs. 1 BGB. Zutreffend hat das Landgericht Heilbronn
ausgeführt, dass der durch den Kläger geltend gemachte Nutzungsausfallschaden im
vorliegenden Rechtsstreit keinen Vermögensschaden darstellt und daher nicht ersatzfähig
ist.
1.
4 Ersatz für den Ausfall der Nutzungsmöglichkeit eines Wirtschaftsguts kommt für einen der
vermögensmehrenden, erwerbswirtschaftlichen Verwendung vergleichbaren
eigenwirtschaftlichen, vermögensmäßig erfassbaren Einsatz der betreffenden Sache in
Betracht. Der Ersatz für den Verlust der Möglichkeit zum Gebrauch einer Sache muss
grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen die Funktionsstörung sich
typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant
auswirkt. Andernfalls bestünde die Gefahr, unter Verletzung des § 253 BGB die
Ersatzpflicht auf Nichtvermögensschäden auszudehnen. Auch würde dies mit den
Erfordernissen von Rechtssicherheit und Berechenbarkeit des Schadens in Konflikt
geraten. Deshalb beschränkt sich der Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige
Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler
Bedeutung ist (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 9. Juli 1986 - GSZ 1/86,
BGHZ 98, 212, 222 f.; BGHZ 196, 101) und bei denen die Nutzungseinbußen an objektiven
Maßstäben gemessen werden können. Der Tatrichter soll den Schadensersatz nicht an
unkontrollierbaren subjektiven Wertschätzungen festmachen müssen, die ihm der
Geschädigte angibt, sondern an Werten, die der Verkehr dem Interesse an der konkreten
Nutzung beimisst. Hierzu kann auf die Verkehrsanschauung abgehoben werden, wenn
diese auch nicht darüber entscheiden kann, wo die Grenze des § 253 BGB verläuft (BGHZ
196, 101).
5 Bei der Prüfung, ob nach der Verkehrsauffassung der vorübergehende Verlust der
Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes als wirtschaftlicher Schaden gewertet werden
kann, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Das verlangt die in § 253 BGB getroffene
gesetzgeberische Entscheidung, wonach immaterieller Schaden nur ausnahmsweise,
nämlich in den gesetzlich geregelten Fällen, zu ersetzen ist. Ausgehend von diesem
strengen Maßstab hat der Bundesgerichtshof eine Entschädigung für den Fortfall der
Nutzungsmöglichkeit etwa von Kraftfahrzeugen (ständige Rechtsprechung, z.B. BGHZ 40,
345; BGHZ 45, 212), Wohnhäusern (z.B. BGHZ 98, 212) und Ferienwohnungen (z.B. BGHZ
101, 325) bejaht. Dagegen hat der restriktive Maßstab dazu geführt, dass der
Bundesgerichtshof sowie die Instanzgerichte mehrfach für den Nutzungsausfall von
Gegenständen eine Entschädigungspflicht verneint haben (BGHZ 76, 179 - Privates
Schwimmbad; BGHZ 86, 128 - Wohnwagen; BGHZ 89, 60 - Sportmotorboot; BGHZ 112,
392 - Beeinträchtigung der Jagdausübung und dadurch entgangene Jagdfreude eines
Jagdpächters; BGH NJW-RR 2008, 1198 - Wohnmobil; BGH NZV 2012, 223 - Motorrad;
OLG Stuttgart NJW-RR 2012, 472 - Reitpferd). In den genannten Fällen ist die Zuerkennung
eines Entschädigungsanspruchs für den Nutzungsverlust letztlich daran gescheitert, dass
sich der zeitweise Verlust unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nicht als
wirtschaftlicher Schaden dargestellt hat, sondern als individuelle Genussschmälerung und
damit als nicht vermögensrechtlicher Schaden (BGHZ 196, 101).
6 So hat der Bundesgerichtshof in seiner Begründung, dass die entgangene Nutzung eines
Sportmotorbootes nicht ersatzfähig ist, insbesondere darauf abgestellt, dass die Nutzung
nicht dazu bestimmt und geeignet sei, dem Nutzer in erster Linie einen wirtschaftlichen
Vorteil zu bringen. Vielmehr diene das Boot der Freude am Wassersport (BGHZ 89, 60).
Hinsichtlich der entgangenen Nutzung eines Wohnmobils hat der Bundesgerichtshof
ausgeführt, dass anders als bei einem für den alltäglichen Gebrauch vorgesehenen Pkw die
jederzeitige Benutzbarkeit des Wohnmobils für den Nutzer ein die Lebensqualität
erhöhender Vorteil, jedoch keinen ersatzfähigen materiellen Wert darstelle. Die
Wertschätzung des Wohnmobils habe der Kläger des dortigen Rechtsstreits auf die
Möglichkeit, seine Freizeit aufgrund der besonderen Mobilität besonders intensiv gestalten
zu können, gestützt. Zwar diene ein Wohnmobil auch der Personenbeförderung. Jedoch
habe der Kläger des dortigen Verfahrens diese Nutzung nicht infolge der Beschädigung
entbehren müssen, da ihm dafür ein Pkw zur Verfügung gestanden habe (BGH NJW-RR
2008, 1198). Hinsichtlich der entgangenen Nutzung eines Motorrads hat der
Bundesgerichtshof ausgeführt, dass der Nutzer die Wertschätzung des Motorrads außer auf
den Gesichtspunkt der Mobilität vor allem darauf gestützt habe, dass das Motorradfahren
sein Hobby sei, zumal er auch über einen Pkw verfüge. Dieser Gesichtspunkt betreffe indes
nicht die alltägliche Nutzbarkeit zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung und entziehe sich
deshalb einer vermögensrechtlichen Bewertung (BGH NZV 2012, 223).
7 Das Kammergericht hat - ausgehend von den oben dargelegten Grundsätzen - in einer
Entscheidung vom 16.7.1993 (NJW-RR 1993, 1438) zwar die entgangene Nutzung eines
Fahrrads als ersatzfähigen Schaden angesehen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat
das Kammergericht jedoch insbesondere ausgeführt, dass Fahrräder typischerweise
regelmäßig als alternatives Verkehrsmittel genutzt würden, um damit zur Arbeitsstätte,
Schule und dergleichen zu gelangen. Nicht zuletzt habe der von der Allgemeinheit immer
wichtiger genommene Gedanke des Umweltschutzes dazu geführt, verbreitet das Fahrrad
als das umweltfreundlichste Verkehrsmittel einzusetzen. Es wäre unbillig, einem
Geschädigten, der anstelle eines Kraftfahrzeuges ein Fahrrad benutze, eine
Nutzungsentschädigung zu versagen. Unwidersprochen habe der Kläger des dortigen
Verfahrens vorgetragen, dass er häufiger Fahrrad fahre, weil es im Straßenverkehr
einfacher sei, auf diese Weise an das gewünschte Ziel zu gelangen. Somit entspreche es
nicht mehr der Lebenswirklichkeit, dass ein Fahrrad meist nur zur Freizeitgestaltung genutzt
werde.
2.
8 Zutreffend hat das Landgericht Heilbronn ausgeführt, dass ausgehend von diesen
Grundsätzen die entgangene Nutzung des Rennrads im vorliegenden Rechtsstreit keinen
ersatzfähigen Schaden darstellt. Der Kläger trägt selbst vor, dass er das individuell
angepasste und speziell für seine Bedürfnisse hergestellte Rennrad ausschließlich zur
sportlichen Betätigung genutzt habe. Dagegen habe er das Rennrad nicht als alternatives
Fortbewegungsmittel genutzt, etwa um zur Arbeit zu gelangen. Vielmehr habe ihm insoweit
ein Pkw zur Verfügung gestanden. Hierdurch unterscheidet sich der hier zu entscheidende
Rechtsstreit von dem durch das Kammergericht entschiedenen Fall, in dem der Kläger des
dortigen Verfahrens das Fahrrad nicht ausschließlich oder überwiegend zur
Freizeitgestaltung oder sportlichen Betätigung, sondern als alternatives
Fortbewegungsmittel nutzte. Im hier zu entscheidenden Rechtsstreit nutzte der Kläger sein
Rennrad dagegen ausschließlich zur sportlichen Betätigung und somit zur
Freizeitgestaltung, wobei dahinstehen kann, ob der Kläger - wie von ihm behauptet - den
regelmäßigen Ausdauersport wegen eines ausgeprägten Herzinfarktrisikos in seiner
Familie zur Steigerung der Lebenserwartung ausgeübt habe. Auch wenn der Kläger die
sportliche Betätigung nicht maßgeblich als Vergnügen - als von ihm gerne betriebenes
Hobby während seiner Freizeit - ausgeübt haben sollte, sondern diese vielmehr als Gebot
der individuellen Gesundheitsvorsorge aufgefasst hätte, so führte dieser Gesichtspunkt
dennoch nicht dazu, dass der Kläger das Rennrad zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung
genutzt hätte, weshalb sich die durch den Kläger ausgeübte Nutzung einer
vermögensrechtlichen Bewertung entzieht. Auch gesundheitliche Nachteile, die dem Kläger
nach seinem Vortrag aufgrund der entgangenen Nutzungsmöglichkeit seines Rennrads
drohten, sind dem Bereich eines Nichtvermögensschadens zuzuordnen, der gemäß §§ 437
Nr. 3, 434 Abs. 1, 280 Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB nicht zu ersetzen ist.
II.
9 Die Berufung des Klägers wird daher zurückzuweisen sein. Dem Kläger wird
anheimgestellt, zur Vermeidung weiterer Kosten seine Berufung zurückzunehmen.