Urteil des OLG Stuttgart vom 20.08.2010

OLG Stuttgart (firma, zpo, unbeschränkte haftung, haftung, eintritt des schadens, schaden, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, verschulden, hamburg, feststellungsklage)

OLG Stuttgart Urteil vom 20.8.2010, 3 U 60/10
Leitsätze
1. Bei reinen Vermögensschäden hängt die Zulässigkeit einer Feststellungsklage von der Wahrscheinlichkeit eines
auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab. Sie ist unzulässig, wenn der Eintritt
irgendeines Schadens ungewiss ist, der Kläger muss vielmehr schon für die Zulässigkeit der Klage eine
Vermögensgefährdung substantiiert dartun, d.h. die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung
zurückzuführenden Schadens.
2. Ein Rechtsstreit zwischen einem Gläubiger und einem Schiffseigner (oder einer dem Schiffseigner nach § 5c
Abs. 1 BinSchG gleichgestellten Person) wegen eines Anspruchs aus der Verwendung des Schiffes kann trotz
Eröffnung des schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens fortgesetzt werden, soweit der Gläubiger die
unbeschränkte Haftung des Schiffseigners behauptet und daher den Anspruch außerhalb des
Verteilungsverfahrens weiterverfolgen will.
3. Ein (Zeit-) Chartervertrag ist immer dann gegeben, wenn der Auftragnehmer die Verfügungsgewalt über sein
Schiff behält, sich aber verpflichtet, auf längere Zeit für den Auftraggeber Güter zu befördern, der mit dem Schiff
auf eigene Rechnung Transporte betreibt. Der Umstand, dass mehrere (juristische) Personen dasselbe Schiff auf
eigene Rechnung zur Durchführung von Transporten nutzen, steht der Annahme eines Chartervertrages
grundsätzlich nicht entgegen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Vorsitzenden der 40. Kammer für Handelssachen des LG
Stuttgart vom 24.02.2010 - 40 O 48/09 KfH - wird, soweit sich diese gegen die Beklagte Ziff. 1 richtet,
mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird in Bezug auf die Beklagte Ziff. 2 das erstinstanzliche Verfahren und das
Urteil des Vorsitzenden der 40. Kammer für Handelssachen des LG Stuttgart vom 24.02.2010 - 40 O 48/09 KfH -
aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den Klaganspruch der Klägerin an
das Landgericht
zurückverwiesen,
dem auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens vorbehalten bleibt.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert in beiden Rechtszügen: 63.620,00 EUR.
Gründe
A.
1
Die Klägerin begehrt im Wege der Feststellungsklage von den Beklagten die Freistellung von gegen sie
gerichteten Ansprüchen der Firma A… L… GmbH aus einem Transportschaden bei der Havarie des
Binnenschiffes MS „E…“ am 25.03.2007.
2
Die Firma A… L… GmbH, eine internationale Spedition mit Sitz in H…(im Folgenden: Firma A…), wurde im
März 2007 von der Firma S… D… GmbH (im Folgenden: Versenderin) mit dem Versand zweier Container (Nr.
H… 4… und T… 5….) vom Werk der Versenderin in S… zum Sitz ihrer Tochtergesellschaft S… T… Ltd. in
T… (Empfängerin) beauftragt. Beide Container enthielten insgesamt 162 Fässer mit Chemikalien
(Klebstoffkomponenten). Mit der Durchführung der Beförderung beauftragte die Firma A… die Klägerin mit Sitz
im Inland, die den Auftrag unter dem 15.03.2007 bestätigte (vgl. Booking Confirmation gemäß Anlage K 2).
Gemäß dem Auftrag der Klägerin sollte die Beklagte Ziff. 1 den Transport der beiden Container mit einem
Gewicht von 17.280 kg und 13.100 kg jeweils netto vom Hafen S… bis zum Seehafen R… durchführen. Zur
Erfüllung dieses Auftrages bediente sich die Beklagte Ziff. 1 der Beklagten Ziff. 2, der Ausrüsterin des
Binnenschiffes MS „E…“ mit Sitz in der S…, mit der die Beklagte Ziff. 1 am 23.06.2006 eine als
Chartervertrag bezeichnete Vereinbarung abgeschlossen hatte (Anlage B 2). Bei der MS „E…“ handelt es sich
um ein offenes Schiff, das nicht über geschlossene Laderäume oder Ladeluken verfügt.
3
Am 23.03.2007 wurden die beiden Container der Versenderin in S… (zusammen mit weiteren Containern) auf
die MS „E…“ verladen. Nachdem in M…am 24.03.2007 weitere Güter zugeladen wurden, wobei sich die
zweite bis vierte Lage der transportierten Container alle „über Deck“ befanden, gingen bei einem Drehmanöver
bei K… am 25.03.2007 bei starker Schieflage des Schiffes u.a. die beiden über Deck geladenen Container der
Versenderin über Bord. Bei der Havarie fielen insgesamt 32 Container der beförderten 103 Container in den
R…. Die streitgegenständlichen Container konnten am 27.03. bzw. 28.03.2007 geborgen werden (vgl. Anlage
K 8).
4
Die Firma A…nimmt die Klägerin in einem beim Landgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen 411 O 79/08
geführten Rechtsstreit wegen des Transportschadens an den Chemikalienfässern auf Zahlung von 79.525,00
EUR nebst Zinsen in Anspruch. In diesem Prozess wurde beiden Beklagten des vorliegenden Rechtsstreits
durch die Klägerin, die dortige Beklagte, der Streit verkündet. Beide Streitverkündete sind dem vor dem LG
Hamburg noch anhängigen Prozess auf Seiten der dortigen Beklagten als Streithelfer beigetreten. Durch
Grundurteil vom 10.02.2009, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird
(Anlage K 1), hat das Landgericht Hamburg den Klaganspruch der Firma A… dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Nach Hinweisbeschluss vom 16.12.2009 (Bl. 300 d.A.) ist die von den Streithelfern
gegen das vorerwähnte Grundurteil eingelegte Berufung durch das OLG Hamburg gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
mit Beschluss vom 25.02.2010 - 6 U 34/09 - zurückgewiesen worden (Anlage BK 11).
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Durch Beschluss des Amtsgerichts - Schifffahrtsgerichts - Mannheim vom 03.12.2009 - 30 SRV 1/09 BSch -
wurde die Haftungssumme zur Errichtung eines besonderen Fonds zur Befriedigung der Ansprüche im Sinne
von § 36 der schifffahrtsrechtlichen Verteilungsordnung (SVertO) - Anspruchsklasse A - mit Wirkung für
Ansprüche wegen Sachschäden aus dem Ereignis vom 25.03.2007 auf 747.614,00 EUR nebst Zinsen
festgesetzt (Anlage B 8). Am 11.05.2010 hat das Amtsgericht - Schifffahrtsgericht - Mannheim das
Binnenschifffahrtsrechtliche Verteilungsverfahren eröffnet (Bl. 240 d.A.).
6
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagten sie von Ansprüchen
der Firma A… wegen des Transportschadens vom 25.03.2007 freizustellen haben.
7
Wegen der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sowie wegen des Sachvortrags sämtlicher Parteien
im ersten Rechtszug wird auf das landgerichtliche Urteil vom 24.02.2010 verwiesen.
8
Durch dieses Urteil ist die Klage abgewiesen worden. Die Feststellungsklage sei unzulässig. Ein rechtliches
Interesse der Klägerin, das Bestehen von Regressansprüchen gegen die Beklagten im Falle ihrer eigenen
Haftung für den Transportschaden ihrer Auftraggeberin alsbald geklärt zu bekommen, bestehe nicht. Die
Klägerin verlange, dass ein noch nicht konkret gewordenes Rechtsverhältnis geklärt werde. Im Falle einer
nicht bestehenden Verbindlichkeit der Klägerin würde sich ein Feststellungsurteil als gegenstandslos und
überflüssig erweisen. Es sei deshalb nicht sicher, dass die Feststellungsklage zu einer sinnvollen und
sachgemäßen Erledigung im Streit stehender Punkte führe. Zwar werde das notwendige
Feststellungsinteresse grundsätzlich auch bei erst drohender Inanspruchnahme und noch offenem Schaden
bejaht. Jedoch sei für eine Feststellungsklage ein Interesse an einer alsbaldigen Feststellung der
Schadensersatzpflicht notwendig. Ein solches Interesse bestehe nicht. Durch die erfolgte Streitverkündung im
Rechtsstreit mit der Firma A….. könne eine Verjährung von Ansprüchen nicht eintreten. Es sei der Klägerin
zumutbar, den Ausgang des Vorprozesses mit der Interventionswirkung nach § 68 ZPO abzuwarten und das
Regressverhältnis erst anschließend zu klären. Eine Unterbrechung des Rechtsstreits durch den Beschluss
des Amtsgerichts - Schifffahrtsgerichts - Mannheim vom 03.12.2009 sei nicht eingetreten. Bei der Beklagten
Ziff. 2 bestünden Anhaltspunkte für leichtfertige Organisationsmängel im Sinne von § 5 b Abs. 1 BinSchG.
Das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI)
finde auf den vorliegenden Transportschaden keine Anwendung.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin,
die in erster Linie Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
Landgericht beantragt und in zweiter Linie ihren erstinstanzlichen Feststellungsantrag weiterverfolgt. Sie
macht hauptsächlich geltend, das Landgericht habe die Anforderungen an ein Feststellungsinteresse im Sinne
von § 256 Abs. 1 ZPO überspannt. Die Versenderin bzw. deren Transportversicherer, die Firma X… I…S…,
gehe von einem Totalschaden aus. In dem vom Landgericht Hamburg zu führenden Betragsverfahren sei der
behauptete Schaden von ihr bestritten worden. Unstreitig sei dort jedoch geblieben, dass zumindest in einige
der Fässer Flusswasser eingedrungen sei, viele Fässer seien äußerlich beschädigt gewesen. Demnach sei
mit einer Verurteilung im Betragsverfahren zu rechnen, wobei allein fraglich sei, ob ein Totalschaden vorliege
oder ob der Schadensbetrag unter dem vollen Handelswert der Klebstoffkomponenten liege. Die Möglichkeit,
dass sie, die Klägerin, der Firma A… nicht hafte, sei auszuschließen. Die Annahme des Erstgerichts, der
Feststellungsantrag stehe unter der zulässigen Rechtsbedingung einer eigenen Haftung, sei unzutreffend.
Jedenfalls sei die Frage ihrer Haftung dem Grunde nach gegenüber der Firma A… inzwischen rechtskräftig
durch das Grundurteil vom 10.02.2009 geklärt worden. Ein Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des
Bestehens eines Regressanspruches sei zu bejahen. In der Kette von Hauptgläubiger -
Hauptschuldner/Regressgläubiger - Regressschuldner seien „Doppelprozesse“ zulässig und gerade im
Transportrecht üblich, sodass ein Hauptprozess der Ladungsseite gegen den Hauptfrachtführer und ein
Regressprozess des Hauptfrachtführers gegen einen Unterfrachtführer gleichzeitig geführt werden könnten. So
liege der Fall auch hier. § 261 ZPO stehe nicht entgegen. Die Feststellungsklage biete die einzige
Möglichkeit, den bestehenden Befreiungsanspruch gerichtlich gegen die Beklagten durchzusetzen. Eine
Leistungsklage scheide aus, nachdem Ansprüche der Firma A… im Prozess mit dem Hauptfrachtführer dem
Grunde und der Höhe nach bestritten worden seien. Die Forderung des Hauptfrachtführers sei der Höhe nach
noch nicht genau bestimmbar. Für ein Feststellungsinteresse reiche es aus, wenn dem subjektiven Recht des
Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch drohe, dass der Beklagte es ernstlich bestreite.
Dies treffe auf beide Beklagten zu. Dass keine Verjährung der Regressansprüche drohe, schließe ein
Feststellungsinteresse nicht aus. Sie, die Klägerin, sei daran interessiert, die an die Firma A… zu leistende
Zahlung so rasch wie möglich von den Beklagten zurückzuerhalten. Das Abwarten des Abschlusses des
Rechtsstreits in Hamburg sei ihr nicht zumutbar. Wenn erst danach der Regressprozess geführt werden
könne, trage sie jahrelang das Insolvenzrisiko der Beklagten. Diesen Zeitraum mittels einer
Feststellungsklage abzukürzen, sei von erheblichem Vorteil. Die Havarie der MS „E…“ gehe auf ein krasses
Fehlverhalten der Schiffsführung und auf ein qualifiziertes Organisationsverschulden beider Beklagten zurück.
Die Möglichkeit einer globalen Haftungsbeschränkung durch einen Haftungsfonds bestehe für die Beklagten
nicht. Dies müsse schnellstmöglich im vorliegenden Regressverfahren geklärt werden, weil dadurch das
eigentliche Hindernis für eine sinnvolle und effiziente Beilegung der gesamten Streitigkeit aus dem Weg
geräumt werden könne. Aufgrund der Weigerung des Landgerichts, sich mit der Sache inhaltlich zu befassen,
habe eine Verhandlung über die Regressansprüche nicht stattgefunden. Daher sei eine Zurückverweisung des
Rechtsstreits an das Landgericht zweckmäßig.
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Die Klägerin stellt die Anträge:
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Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens wird die Sache an das Gericht des
ersten Rechtszugs zurückverwiesen.
12
Hilfsweise:
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Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, die Klägerin von
Ansprüchen freizustellen, welche die Firma A… L…. GmbH im Zusammenhang mit dem behaupteten
Verlust zweier Containerladungen (Container Nr. H…4… und T… 5…) anlässlich der Havarie des
Binnenschiffes „E….“ am 25.03.2007 auf dem R… nahe K… gegenüber der Klägerin zustehen.
14
Beide Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht.
16
Die Beklagte Ziff. 1 verteidigt das angegriffene Urteil und hebt insbesondere hervor, der von der Firma A…
gegen die Klägerin geführte Rechtsstreit sei noch nicht rechtskräftig beendet. Dort sei der gesamte Vortrag
zum Eintritt des Schadens sowie zur Schadenshöhe streitig. Die dortige Beklagte und hiesige Klägerin habe
ausdrücklich den Vortrag zum Schaden als unschlüssig und unsubstantiiert gerügt. Deshalb sei der Erfolg der
von der Firma A… angestrengten Schadensersatzklage noch offen. Es bestehe durchaus die Möglichkeit,
dass die Firma A… mit ihrem Zahlungsverlangen nicht durchdringe. In diesem Fall gehe die vorliegende
Feststellungsklage ins Leere. Es könne deshalb sein, dass die hier zu klärenden Rechtsfragen nicht geklärt
werden müssen. Die Feststellungsklage sei jedenfalls unbegründet. Sie sei Charterer der MS „E…“, weshalb
die globale Haftungsbeschränkung gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 c Abs. 1 Nr. 1 Binnenschifffahrtsgesetz (BinSchG)
eingreife. Die Haftungsbeschränkung entfalle nicht nach § 5 b BinSchG, da ein eigenes qualifiziertes
Verschulden nicht vorliege. Die Havarie sei dadurch verursacht worden, dass die Klägerin das Gewicht der
Container nicht an diesen angebracht und dadurch gegen § 1 Gewichtsbezeichnungsgesetz (GewBezG)
verstoßen habe. Dies schließe eine Haftung aus und begründe jedenfalls ein Mitverschulden im Sinne von §
254 BGB. Weiter sei die Haftung deswegen ausgeschlossen, weil der Verlust der Container auf die
Decksverladung zurückzuführen sei. Hilfsweise beruft sich die Beklagte Ziff. 1 zusätzlich auf die Begrenzung
der Schadenshöhe nach CMNI für Containerschäden. Was den Vorwurf eines Eigenverschuldens in Form
eines Organisationsmangels anlange, sei weiterer Tatsachenvortrag zu halten. Das Vorbringen der Klägerin
hierzu sei unsubstantiiert. Der Schiffsführer B… habe die Stauung der Container stets verantwortungsbewusst
und fehlerfrei durchgeführt, es habe nie Veranlassung gegeben, auf die nautische Verantwortung des
Schiffsführers in irgendeiner Weise Einfluss zu nehmen.
17
Die Beklagte Ziff. 2 verfolgt im zweiten Rechtszug wie die Beklagte Ziff. 1 primär ihren erstinstanzlichen
Antrag auf Abweisung der Klage weiter und vertieft bzw. ergänzt ihren Sachvortrag dahin, sowohl nach
Ansicht des Verwaltungsgerichts Köln als auch nach Ansicht des OLG Köln (Az. 3 U 133/09) führe der
Eröffnungsbeschluss vom 11.05.2010 kraft Gesetzes zur Unterbrechung des Rechtsstreits. Als Ausrüsterin
der MS „E…“ sei eine Haftung außerhalb des Verteilungsverfahrens nicht gegeben. Sie selbst habe weder
leichtfertig gehandelt noch im Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Auf die
Grundsätze zur sekundären Darlegungslast könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Deren Vortrag
zum schweren Organisationsverschulden sei unsubstantiiert und ohne Beweisantritt geblieben. Darüber
hinaus seien diese Grundsätze nicht auf die binnenschifffahrtsrechtlichen Haftungsregeln übertragbar. Die
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die zur Verurteilung des Schiffsführers B… geführt haben, hätten nicht
den geringsten Anfangsverdacht für ein Verschulden seitens der Beklagten ergeben. Der Schiffsführer B… sei
seit über 35 Jahren in der Schifffahrt beschäftigt und über 15 Jahre in der Containerschifffahrt als
Schiffsführer tätig gewesen, ohne jemals einen Schadensfall zu verursachen. An dessen Qualifikation hätten
nicht die geringsten Zweifel bestanden. Die gemäß Kap. 22 RhSchUO für die MS „E…“ erforderlichen
Stabilitätsberechnungen hätten vorgelegen, diese seien Voraussetzung zur Erteilung des Schiffsattestes
gewesen, welches im Schadenszeitpunkt uneingeschränkt gültig gewesen sei. Bei Reisebeginn sei die MS
„E..“ nicht instabil, sondern stabil gewesen, eine Krängung habe nicht vorgelegen. Es sei zur
Stabilitätsprüfung ein erfolgreicher Schlängelversuch durchgeführt worden. Außerdem hätten 7 Fachkräfte der
Wasserschutzpolizei auf Höhe K… eine Untersuchung des Binnenschiffes auf Instabilität vorgenommen, ohne
dass es zu Beanstandungen gekommen sei. Eine gesonderte Stabilitätsberechnung vor Fahrantritt sei weder
vorgeschrieben noch zwingend gewesen. Die Gewichtsangaben in den Warenbegleitpapieren seien falsch
gewesen. Die Klägerin respektive die Absender hätten keine Angaben zum Rohgewicht der Container
gemacht, sodass ein vorsätzlicher Verstoß gegen § 1 GewBezG vorliege und ein Verschulden der Klägerin
und ihrer Rechtsvorgänger zu vermuten sei.
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Beide Beklagten sind der Meinung, dass die Eröffnung des binnenschifffahrtsrechtlichen
Verteilungsverfahrens zur Unterbrechung des vorliegenden Rechtsstreits gemäß §§ 41, 8 Abs. 3 SVertO
geführt hat. Dies ergebe sich aus § 19 Abs. 3 SVertO. Es obliege der Klägerin, eine Entscheidung darüber zu
treffen, ob die behaupteten Ansprüche im Verteilungsverfahren angemeldet oder ob diese stattdessen unter
Durchbrechung der Haftungsbeschränkung im vorliegenden Rechtsstreit weiterverfolgt werden. Nur durch eine
Unterbrechung des Rechtsstreits bleibe die Wahlmöglichkeit für die Klägerin erhalten.
19
Die Klägerin hat dazu entgegnet, eine Unterbrechungswirkung des Eröffnungsbeschlusses vom 11.05.2010
sei nicht gegeben. Bei der Beklagten Ziff. 1 handle es sich nicht um einen Charterer im Sinne von § 5 c Abs.
1 BinSchG. Außerdem liege bei beiden Beklagten ein qualifiziertes Verschulden im Sinne von § 5 b Abs. 1
BinSchG vor. Der Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts - Schifffahrtsgerichts - Mannheim beziehe sich nur
auf Ansprüche der Anspruchsklasse A gemäß § 36 SVertO, während die hier streitgegenständlichen
Ansprüche im Zusammenhang mit dem Transport von Fässern mit Klebemittelkomponenten zur
Anspruchsklasse D zu zählen seien, für die ein Fonds nach der schifffahrtsrechtlichen Verteilungsordnung
nicht errichtet worden sei. Es komme hinzu, dass für das seerechtliche Verteilungsverfahren anerkannt sei,
dass der Streit, ob der Schuldner für einen Anspruch unbeschränkt und damit außerhalb des
Verteilungsverfahrens haftet, im ordentlichen Prozess auszutragen sei. Eine Entscheidung darüber, ob
Ansprüche im Verteilungsverfahren angemeldet werden, sei jetzt von ihr noch nicht zu treffen. Eine
Anmeldung könne bis zum 15.11.2010 erfolgen. Ein Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen der Anmeldung
der Ansprüche im Verteilungsverfahren und der Geltendmachung der unbeschränkten Haftung im streitigen
Verfahren bestehe nicht. Erst nach der Verteilung des Fondsvermögens sei darüber zu befinden, ob der
unbeschränkt haftende Schuldner in Anspruch genommen wird.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die
gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten schriftlichen Unterlagen Bezug genommen.
B.
21
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie hat bezüglich der Beklagten Ziff. 1 in der Sache keinen Erfolg.
Zwar wurde die Klage rechtfehlerhaft vom Landgericht im Wege eines Prozessurteils als unzulässig
abgewiesen (I.). Sie erweist sich aber als unbegründet. Die Beklagte Ziff. 1 hat zwar gegenüber der Klägerin
für den durch die Havarie vom 25.07.2007 entstandenen Schaden nach den Vorschriften des HGB
unbeschränkt einzustehen. Die Klägerin kann ihren Schadensersatzanspruch aber nur noch im
binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren geltend machen, weil zugunsten der Beklagten Ziff. 1 die
globale Haftungsbeschränkung aus §§ 4, 5c Nr. 1, 5d Abs. 2 BinschG eingreift. Deshalb war die Berufung in
Bezug auf die Beklagte Ziff. 1 mit der im Tenor Ziff. 1 enthaltenen Klarstellung zurückzuweisen. In Bezug auf
die Beklagte Ziff. 2 ist der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif. Der Senat hat daher von der
Möglichkeit gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO Gebrauch gemacht, das angegriffene Urteil teilweise aufzuheben
und insoweit das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht
zurückzuverweisen (II.).
I.
22
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Klage zulässig.
1.
23
Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts, die auch unter der Geltung von § 513 Abs. 2
ZPO von Amts wegen zu prüfen ist (BGH TranspR 2009, 130), folgt jedenfalls aus § 39 S. 1 ZPO, weil die
Beklagte Ziff. 2 zur Sache verhandelt hat, ohne das Fehlen der internationalen Zuständigkeit der deutschen
Gerichte zu rügen (BGHZ 120, 334; BGHZ 134, 127).
2.
24
Der Grundsatz, dass eine Feststellungsklage dann ausscheidet, wenn dem Gläubiger eine Klage auf Leistung
möglich und zumutbar ist (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 256 Rn. 7 a ZPO m.w.N.), führt hier nicht zur
Unzulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage. Eine Leistungsklage ist dann nicht vorrangig zu erheben,
wenn der Gläubiger seinen Anspruch noch nicht oder nicht ohne Durchführung einer aufwändigen
Begutachtung beziffern kann (BGH MDR 2008, 461; BGH NJW 2000, 1256). So liegt der Fall hier. Im
Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Vertragspartner, der Firma A…, liegt bislang lediglich ein
Grundurteil vor, während die Höhe des Anspruchs, dessen sich die Firma A… berühmt, im Betragsverfahren
streitig ist. Solange der Kläger gegen den Bestand der Schuld vorgeht, hat er kein berechtigtes Interesse
daran, von seinem Schuldner bereits Zahlung zu erhalten. In solchen Fallkonstellationen ist grundsätzlich die
Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der richtige Weg (BGH NJW 1993, 1137 Tz. 23; BGHZ 79, 76).
Diesen Weg hat die Klägerin hier beschritten.
3.
25
Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist auch nicht aus anderen Gründen zu
verneinen.
26
a) Ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO besteht grundsätzlich nur dann, wenn dem
subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Un-sicherheit dadurch droht, dass der Beklagte
es ernstlich bestreitet oder er sich eines Rechts gegen den Kläger berühmt, und wenn das erstrebte Urteil
infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH NJW 1986, 2507; Zöller/ Greger,
a.a.O., § 256 ZPO Rn. 7). Bei reinen Vermögensschäden hängt die Zulässigkeit einer Feststellungsklage von
der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab. Nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Feststellungsklage unzulässig, wenn der Eintritt irgendeines
Schadens noch ungewiss ist; vielmehr muss der Kläger schon für die Zulässigkeit der Klage eine
Vermögensgefährdung substantiiert dartun, d.h. die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung
zurückzuführenden Schadens (BGH NJW 2006, 830; Zöller/Greger, a.a.O., § 256 ZPO Rn. 8 a).
27
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Nach dem rechtskräftigen Grundurteil des Landgerichts Hamburg
vom 10.02.2009 muss die Klägerin mit einer Inanspruchnahme durch die Firma A… ernsthaft rechnen. Der
Eintritt eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens ist mehr als wahrscheinlich. Die
Firma A… hat ihren Schaden unter Vorlage von Rechnungen der Versenderin auf 79.525,00 EUR beziffert.
Der Transportversicherer der Versenderin hat nach dem Tatbestand des vorerwähnten rechtskräftigen
Grundurteiles bereits Entschädigungsleistungen erbracht und sich Schadensersatzansprüche der Versenderin
gegen die Firma A… abtreten lassen. Weiter hat die Klägerin vorgebracht, in die in den R… gefallenen Fässer
sei teilweise Wasser eingedrungen. Unter diesen Umständen liegt zumindest eine Vermögensgefährdung im
Sinne der zitierten Rechtsprechung des BGH vor.
28
b) Eventuelle Interventionswirkungen des vorerwähnten Grundurteils gemäß § 68 ZPO lassen das
Feststellungsinteresse unberührt. Das Landgericht Hamburg hatte nicht darüber zu entscheiden, ob die
Beklagten sich gegenüber der Klägerin des vorliegenden Prozesses mit Erfolg auf die globale
Haftungsbeschränkung nach dem BinSchG berufen können, und hat dies auch nicht getan.
29
c) Es verhält sich auch nicht so, dass die Klägerin den Ausgang des beim Landgericht Hamburg noch
anhängigen Betragsverfahrens abwarten muss. Dadurch, dass die Beklagten eine unbeschränkte Haftung
wegen des Transportschadens vom 25.03.2007 in Abrede stellen, liegt eine gegenwärtige Gefahr der
Unsicherheit in Bezug auf den Regressanspruch der Klägerin vor, was bereits jetzt zu einem
Feststellungsinteresse führt. Da eine Vermögensgefährdung der Klägerin i.S.d. zitierten Spruchpraxis zu
bejahen ist, kann bereits jetzt Feststellungsklage erhoben werden. Es kann der Klägerin nicht zugemutet
werden, den Ausgang des vom Landgericht Hamburg geführten Betragsverfahrens abzuwarten. Dadurch
würde die Durchsetzung von Regressansprüchen zeitlich verzögert, ohne dass es hierfür einen
rechtfertigenden Grund gibt.
30
d) Das erforderliche Feststellungsinteresse fehlt der Klage auch nicht deswegen, weil mit einer Verjährung von
Regressansprüchen aufgrund der im Prozess mit der Firma A… bewirkten Streitverkündung nicht zu rechnen
ist (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB). Zwar ist anerkannt, dass dann, wenn durch die Feststellungsklage die
Hemmung der Verjährung bezweckt werden soll, stets ein Feststellungsinteresse gegeben ist (BGH VersR
1972, 459; BGH NJW 1952, 741). Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass ein
Feststellungsinteresse dann entfällt, wenn keine Notwendigkeit besteht, eine Hemmung der Verjährung
herbeiführen zu müssen. Eine solche Rechtsansicht wird weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur
vertreten. Lediglich dann, wenn die Verjährungshemmung der alleinige Zweck einer Klage ist, lässt ein
Anerkenntnis, wenn es abgegeben wird, um den Geschädigten klaglos zu stellen, das Feststellungsinteresse
in Wegfall geraten (BGH NJW 1985, 791). Im vorliegenden Fall verfolgt die Klägerin jedoch vornehmlich den
Zweck, sich an den Beklagten zeitnah schadlos halten zu können, falls sie zur Leistung von Schadensersatz
an die Firma A… verurteilt werden sollte. Ein solcher Zweck ist legitim und ausreichend.
4.
31
Die Eröffnung des schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens durch Beschluss vom 11.05.2010 lässt die
Zulässigkeit der Klage unberührt. Haftungsschuldner können trotz Eröffnung des schifffahrtsrechtlichen
Verteilungsverfahrens im Wege eines separaten Rechtsstreits in Anspruch genommen werden, d.h. ein
Eröffnungsbeschluss gemäß § 7 SVertO kann nicht zur Zurückweisung einer Klage als unzulässig führen,
allenfalls zur Unterbrechung von anhängigen Prozessen (Trost in Hartenstein/Reuschle, Transport- und
Speditionsrecht, 2010, S. 154).
II.
32
Die Eröffnung des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens hat nicht zur Unterbrechung des
vorliegenden Rechtsstreits geführt. Die Klägerin kann den von ihr gegenüber der Beklagten Ziff. 1 geltend
gemachten Freistellungsanspruch aber nicht außerhalb des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren
verfolgen. Denn dieser Anspruch unterliegt der globalen Haftungsbeschränkung nach §§ 4, 5c Nr. 1, 5d Abs. 2
BinschG mit der Folge, dass er nur noch im Rahmen des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens
durchgesetzt werden kann. Bei dieser Rechtslage war vom Senat eine Sachentscheidung zu treffen, für eine
Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO bleibt kein Raum (1.). Anders verhält es
sich in Bezug auf die Beklagte Ziff. 2. Ob die Haftung der Beklagten Ziff. 2 nach den vorerwähnten
Vorschriften des BinSchG begrenzt ist, bedarf der weiteren Sachaufklärung. Unter besonderer
Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hat der Senat diesbezüglich von einer eigenen Entscheidung
in der Sache abgesehen (2.).
1.
33
Zur Haftung der Beklagten Ziff. 1:
34
Die Beklagte Ziff. 1 haftet gegenüber der Klägerin für den Verlust der streitgegenständlichen Container nicht
unbegrenzt, vielmehr kann sie sich als Charterer des Binnenschiffes MS „E…“ mit Erfolg auf die globale
Haftungsbeschränkung gemäß §§ 4, 5c Abs. 1 Nr. 1, 5d BinSchG berufen mit der Folge, dass etwaige
Schadensersatzansprüche nur im binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren verfolgt werden können.
35
a) Der Regressprozess ist nicht gemäß §§ 41, 8 Abs. 3 SVertO durch die Eröffnung des
schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens unterbrochen.
36
Zwar ist in § 8 Abs. 3 SVertO geregelt, dass Rechtsstreitigkeiten wegen der in Abs. 1 genannten Ansprüche,
die bei der Eröffnung des Verteilungsverfahrens anhängig sind, mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses
unterbrochen werden, bis sie nach § 19 SVertO aufgenommen werden oder bis das Verteilungsverfahren
aufgehoben oder eingestellt wird. § 8 SVertO findet auf die Eröffnung des binnenschifffahrtsrechtlichen
Verteilungsverfahrens mit modifizierter Maßgabe Anwendung (§ 41 SVertO). Indessen wirkt die Eröffnung
gemäß § 41 Nr. 1 SVertO nur in Bezug auf Ansprüche, die der Haftungsbeschränkung nach den §§ 4 bis 5 m
BinSchG unterliegen. Daraus folgt, dass solche Ansprüche, die der globalen Haftungsbeschränkung nach
dem BinSchG nicht unterliegen, von den Wirkungen der Eröffnung nicht erfasst werden. Solche Ansprüche
werden von der Klägerin insbesondere unter Berufung auf ein eigenes qualifiziertes Verschulden der
Beklagten gemäß § 5b Abs. 1, Abs. 2 BinSchG geltend gemacht.
37
Nur in einem streitigen Prozess außerhalb des Verteilungsverfahrens kann geklärt werden, ob die Beklagten
ein eigenes qualifiziertes Verschulden gemäß §§ 5b, 5c Abs. 1 Nr. 1 BinSchG am Schadensfall trifft. Dafür
besteht im Verteilungsverfahren kein Raum. Ein Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen der Anmeldung der
Ansprüche im Verteilungsverfahren und der Geltendmachung der unbeschränkten Haftung im streitigen
Verfahren besteht nicht. Dies folgt aus § 24 S. 2 SVertO. Nach dieser Norm haftet der Schuldner außerhalb
des Verteilungsverfahrens nicht mehr, wenn der Gläubiger nicht innerhalb eines Monats nach Feststellung
seines Anspruchs im Verteilungsverfahren dem Verteilungsgericht nachweist, dass er den Anspruch gegen
den Schuldner gerichtlich geltend gemacht und sein Begehren darauf gestützt hat, dass der Schuldner für den
Anspruch außerhalb des Verteilungsverfahrens haftet. Somit hat der Gläubiger erst nach Verteilung der
Haftungssumme eine definitive Entscheidung darüber zu treffen, ob er den Schuldner außerhalb des
Verteilungsverfahrens unter Geltendmachung der unbeschränkten Haftung in Anspruch nimmt.
38
Diese Betrachtung steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung betreffend § 8 SVertO a.F..
Durch Urteil vom 13.03.1980 - II ZR 239/78, BGHZ 76, 206 = NJW 1980, 1749 - hat der BGH insoweit
entschieden, dass ein Rechtsstreit zwischen einem Gläubiger und dem Reeder wegen eines Anspruches aus
der Verwendung des Schiffes trotz Eröffnung des seerechtlichen Verteilungsverfahrens fortgesetzt werden
kann, soweit der Gläubiger die unbeschränkte Haftung des Reeders behauptet und daher den Anspruch
außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgen will. Diese Rechtsprechung hat der BGH mit Urteil vom
25.04.1988 - II ZR 252/86, BGHZ 104, 215 = TranspR 1988, 288 - bestätigt. Die gleichen Grundsätze sind auf
das binnenschifffahrtsrechtliche Verteilungsverfahren zu übertragen. Ein sachlich-rechtlicher Grund zur
Differenzierung wurde von der Klägerin nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich.
39
b) Ein Anspruch der Klägerin, von Forderungen der Firma A… wegen des Schadensereignisses vom
25.03.2007 freigestellt zu werden, ergibt sich aus §§ 452 a, 459, 407, 425 Abs.1, 428, 435 HGB.
40
aa) Gemäß Art. 28 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 EGBGB findet deutsches Recht Anwendung.
41
Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) ist nicht heranzuziehen. Gemäß Art. 28, 29 der Verordnung
gilt diese für Schuldverhältnisse, die nach dem 17.12.2009 geschlossen wurden, und somit nicht für das
streitgegenständliche Vertragsverhältnis, welches im Jahr 2007 zustande gekommen ist.
42
Nach Art. 28 Abs. 4 S. 1 EGBGB wird bei Güterbeförderungsverträgen vermutet, dass diese mit dem Staat
die engsten Verbindungen aufweisen, in dem der Beförderer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seine
Hauptniederlassung hat, sofern sich in diesem Staat auch der Verladeort oder der Entladeort oder die
Hauptniederlassung des Absenders befindet. Die Beklagte Ziff. 1 hat ihren Sitz im Inland, wo sich auch der
Verladeort befunden hat.
43
Die Klägerin hat mit der Beklagten Ziff. 1 einen Vertrag über einen sog. multimodalen Transport im Sinne von
§ 452 HGB vereinbart. Verschiedene Transportmittel im Sinne dieser Vorschrift liegen bereits dann vor, wenn
ein Teil des Transports per Schiff auf Binnengewässern und ein weiterer Abschnitt des Transports per Schiff
zur See erfolgt bzw. erfolgen soll (vgl. Koller, Kommentar zum Transportrecht, 6. Aufl. 2007, § 452 HGB Rn.
14). Außerdem wären dann, wenn über jede Teilstrecke ein gesonderter Vertrag abgeschlossen worden wäre,
auch mindestens zwei dieser Verträge verschiedenen Rechtsvorschriften unterworfen gewesen. Dies ergibt
sich bereits daraus, dass nur auf den Binnenschiffstransport neben den Vorschriften des HGB auch das
Binnenschifffahrtsgesetz anzuwenden ist (vgl. Koller, a.a.O., § 452 HGB Rn. 18).
44
Nachdem bei dem hier in Rede stehenden multimodalen Vertrag feststeht, dass die Beschädigung der Güter
auf einer bestimmten Teilstrecke, nämlich während der Binnenschifffahrtsbeförderung, entstanden ist,
bestimmt sich die Haftung des Frachtführers gemäß § 452 a HGB nach den Rechtsvorschriften, die auf einen
Vertrag über eine Binnenschifffahrtsbeförderung nach R… anzuwenden wären. Bei diesen Vorschriften handelt
es sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht um diejenigen des Budapester Übereinkommens über den
Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI), sondern um die §§ 407 ff HGB.
45
Das Landgericht Hamburg hat im Grundurteil vom 10.02.2009, das im Rechtsstreit zwischen der Firma A…
und der hiesigen Klägerin ergangen ist, die Ansicht vertreten, dass die Rechtsregeln der CMNI vorliegend
nicht eingreifen (S. 7/8 des Urteils). Diese Sichtweise hat das OLG Hamburg in seinen Beschlüssen vom
16.12.2009 und vom 25.02.2010 i.S. 6 U 34/09 bestätigt. Durch die Zurückweisung der gegen das
vorerwähnte Grundurteil eingelegten Berufung hat diese Entscheidung Rechtskraft erlangt. Für den
vorliegenden Regressprozess entfaltet das Grundurteil zur Frage der Unanwendbarkeit der CMNI
Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO.
46
Es ist anerkannt, dass ein rechtskräftiges Grundurteil gemäß § 304 ZPO bereits Interventionswirkung zeitigt
(RGZ 123, 95; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl. 2010, § 68 Rn. 4; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 68
ZPO Rn. 4). Nach § 68 ZPO umfasst die Interventionswirkung in objektiver Hinsicht die tragenden
Feststellungen des Ersturteils. Sie erstreckt sich danach sowohl auf den beurteilten Tatsachenkomplex als
auch auf die inhaltliche „Richtigkeit“ der Entscheidung und damit auf deren tatsächliche und rechtliche
Grundlagen, die sog. „Entscheidungselemente“ (BGHZ 85, 255; 96, 53; 103, 278; 116, 102; 157, 99;
Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 68 ZPO Rn. 9). Was zu den tragenden Feststellungen des Ersturteils gehört,
beurteilt sich nicht danach, was das Erstgericht selbst als entscheidungserheblich angesehen hat, sondern
ausschließlich danach, worauf die Entscheidung objektiv nach zutreffender Rechtsauffassung beruht; dabei
ist von dem vom Erstgericht gewählten Begründungsansatz auszugehen (BGHZ 157, 99).
47
Von diesen Grundsätzen ausgehend ist eine Interventionswirkung zu bejahen. Die jetzigen Beklagten sind
dem vor dem Landgericht Hamburg geführten Prozess nach der erfolgten Streitverkündung durch die jetzige
Klägerin als Streithelfer beigetreten. Der Beitritt war wirksam. Die Unanwendbarkeit der CMNI zählt zu den
tragenden rechtlichen Feststellungen im Vorprozess, denn sie war hinreichende und notwendige Bedingung
der Erstentscheidung. Bei Vertragsketten entfaltet die Entscheidung über für beide (sämtliche)
Vertragsverhältnisse identische Streitpunkte Bindungswirkung im Folgeverfahren (Zöller/Vollkommer, a.a.O.,
§ 68 ZPO Rn. 10). So liegt der Fall hier. Bei Anwendbarkeit der CMNI hätte das Landgericht nicht zu einer
Haftung der jetzigen Klägerin dem Grunde nach aus §§ 452a, 459, 407, 425, 428, 435 HGB gegenüber der
Firma A… gelangen können.
48
Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts Hamburg zur fehlenden Anwendbarkeit der CMNI.
Zur näheren Begründung wird auf das noch nicht rechtskräftige Senatsurteil vom 01.07.2009 - 3 U 248/08,
veröffentlicht in TranspR 2009, 309 - Bezug genommen, welches das nämliche Schadensereignis vom
25.03.2007 zum Gegenstand hat. Nach erneuter Prüfung hält der Senat daran fest. Im Grundsatz gilt der
Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages als innerstaatliches Recht nicht vor dem Eintritt der völkerrechtlichen
Wirksamkeit des Vertrages für die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfGE 1, 396, 411). Von diesem
Prinzip kann der Gesetzgeber zwar abweichen. Ein eindeutiger Wille der Legislative, dass die Bestimmungen
des CMNI unabhängig vom Inkrafttreten des völkerrechtlichen Vertrages innerstaatliche Geltung erlangen
sollten, ist jedoch weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Zustimmungsgesetz hinreichend deutlich zum
Ausdruck gekommen.
49
Mangels Anwendbarkeit der CMNI wären auf einen reinen Binnenschifffahrtstransportvertrag die §§ 407 ff.
HGB heranzuziehen. Das Binnenschifffahrtsgesetz steht der Anwendung dieser Normen nicht entgegen, da §
26 BinSchG für Frachtgeschäfte zur Beförderung von Gütern auf Binnengewässern auf die §§ 407 ff HGB
verweist und es im Übrigen nur Regelungen enthält, die neben die frachtrechtlichen Haftungsbestimmungen
treten bzw. diese ergänzen.
50
bb) Die Voraussetzungen für eine dem Grunde nach bestehende Obhutshaftung der Beklagten Ziff. 1 nach §
425 Abs. 1 HGB sind gegeben, nachdem die Container nach der Übergabe an die Beklagten und vor der
Ablieferung am Bestimmungsort in den R… gefallen sind und die darin befindlichen Fässer beschädigt
wurden.
51
cc) Auf den Haftungsausschluss gemäß § 427 Abs. 1 Nr. 1 HGB (Decksverladung) bzw. aus § 427 Abs. 1 Nr.
5 HGB (ungenügende Gewichtskennzeichnung der Frachtstücke) kann sich die Beklagte Ziff. 1 nicht mit
Erfolg stützen. Gleiches gilt für alle übrigen Haftungsbegrenzungen und Haftungsbefreiungen nach dem HGB
und nach den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp). Denn das Schadensereignis beruht auf
einem qualifizierten Verschulden des Schiffsführers, das sich die Beklagte Ziff. 1 zurechnen lassen muss (§§
435, 428 HGB bzw. Ziff. 27 ADSp).
52
Auch insoweit entfaltet das Grundurteil im Vorprozess vom 10.02.2009 Interventionswirkung. Darin ist das
Erstgericht davon ausgegangen, dass die verantwortlichen Schiffsführer trotz der von ihnen erkannten
massiven Instabilität des Schiffes infolge falscher Beladung pflichtwidrig die weitere Fahrt fortsetzten und
nicht, wie es geboten gewesen wäre, unverzüglich ankerten bzw. den nächsten Hafen zum Zwecke des
Endladens einiger Container anliefen, um so für eine ausreichende Stabilität zu sorgen. Die pflichtwidrig
fortgesetzte Fahrt habe im Zuge der sich verstärkenden Instabilität und einer bei einem Drehmanöver
herbeigeführten zusätzlichen Krängung des Schiffes schließlich zu dem Ladungsverlust geführt. Andere
denkbare Schadensursachen hätten sich nach Sachlage nicht maßgeblich ausgewirkt. Daher sei die Havarie
auf ein leichtfertiges Verhalten in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten
werde, auf Seiten der Beklagten bzw. ihrer Nachunternehmer zurückzuführen (S. 11/12 des Urteils). Diese
Feststellung zählt zu den tragenden rechtlichen Entscheidungselementen.
53
Diesem Rechtsstandpunkt tritt der Senat aus den Gründen ebenfalls bei, die bereits in dem schon zitierten
Urteil vom 01.07.2009 - 3 U 248/08 - näher dargelegt wurden. Auch insoweit wird auf diese Entscheidung
verwiesen.
54
Für den Schiffsführer, den die Beklagte Ziff. 2 gestellt hat, hat die Beklagte Ziff. 1 der Klägerin nach § 428 S.
1 und 2 HGB einzustehen. Die Beklagte Ziff. 1 hat sich zur Erfüllung des Transportauftrags der Beklagten
Ziff. 1 bedient, zu deren Leute der Schiffsführer B… zu rechnen ist.
55
dd) Was den von den Beklagten erhobenen Einwand des Mitverschuldens der Klägerin gemäß § 425 Abs. 2
HGB i.V.m. § 254 BGB wegen unterbliebener Gewichtskennzeichnung anlangt, greift zugunsten der Klägerin
gleichfalls die Interventionswirkung des rechtskräftigen Grundurteils ein. Darin hat das Landgericht Hamburg
entschieden, dass der Klägerin/Versenderin nicht deswegen ein Mitverschulden am Schadenseintritt zur Last
gelegt werden kann, weil die transportierten Container vorschriftswidrig keine Gewichtsangaben aufgewiesen
haben. Auch insoweit handelt es sich um ein tragendes rechtliches Urteilselement gemäß § 68 ZPO.
56
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein mögliches Mitverschulden nicht nachweislich zur Havarie
beigetragen hat. Steht - wie hier - die Kausalität eines nach § 435 HGB leichtfertigen Verhaltens des
Frachtführers bzw. seiner Leute für den Schaden fest, ist eine Mitverursachung durch den Geschädigten nur
dann beachtlich, wenn es für den Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kausal geworden
ist (Koller, a.a.O., § 435 HGB Rn. 19 f). Diesen Beweis vermochten die Beklagten nicht zu führen. Schon die
Frage, ob die vorhandenen Gewichtsdifferenzen für den Eintritt des Schadens ursächlich geworden sind, ist
nach dem Ergebnis der anderweitig durchgeführten Beweisaufnahme nicht eindeutig geklärt. Bei der Frage der
Mitverursachung durch die Geschädigte wäre zudem nur auf Gewichtsdifferenzen der von ihr stammenden
zwei Container abzustellen. Wie hoch diese Gewichtsdifferenz war, ist völlig offen. Darüber hinaus ist zu
beachten, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Schiffsführer B… dann, wenn die
tatsächlichen Gewichte der Container bekannt gewesen wären, von der Fahrt Abstand genommen oder sich
sonst anderes verhalten hätte. Erst recht kann eine mögliche Mitursächlichkeit der unterbliebenen
Gewichtskennzeichnung, für die die Beklagten beweisbelastet sind, nicht als erwiesen erachtet werden.
57
ee) Der Schaden der Klägerin besteht in der Belastung mit einer Verbindlichkeit (§ 249 BGB). Ihr
Schadensersatzanspruch geht daher dahin, hiervon befreit zu werden. In welcher Höhe der Klägerin ein
Schaden droht, bedarf keiner Entscheidung.
58
c) Die Klägerin kann ihren Schadensersatzanspruch aber nur im schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren
verfolgen. Denn die Haftung der Beklagten ist nach den §§ 4, 5b, 5 c Abs. 1 Nr. 1 BinSchG auf den durch das
Amtsgericht - Schifffahrtsgericht - Mannheim festgesetzten Höchstbetrag beschränkt.
59
Nach § 8 Abs. 2 S. 1 SVertO können Ansprüche, für die die Haftung durch das Verteilungsverfahren
beschränkt worden ist, nur nach den Vorschriften dieses Gesetzes verfolgt werden. Gemäß § 5b Abs. 1
BinSchG kann der Schiffseigner seine Haftung nach den Vorschriften dieses Abschnitts nicht beschränken,
wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die von ihm selbst in der Absicht,
einen solchen Schaden herbeizuführen, oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen wurde, dass ein
solcher Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Dem Schiffseigner steht nach § 5c Abs. 1 Nr. 1
BinSchG der Charterer des Schiffes gleich. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann der Beklagten Ziff. 1 kein
eigenes dem Vorsatz gleichstehendes gravierendes Verschulden angelastet werden.
60
aa) Die Meinung der Klägerin, die streitgegenständlichen Ansprüche seien zur Anspruchsklasse D (Ansprüche
wegen Gefahrgutschäden) zu zählen gemäß § 5h Abs. 1 BinSchG i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 SVertO,
weshalb sich der Eröffnungsbeschluss vom 11.05.2010 hierauf nicht erstrecke, geht fehl. Es kann
dahinstehen, ob die transportierten Klebstoffkomponenten zu den gefährlichen Gütern im Sinne von § 5h Abs.
1 S. 3 BinSchG zu zählen sind. Der Anspruchsklasse D unterfallen gemäß § 5h Abs. 1 S. 1 BinSchG nämlich
nur solche Ansprüche, die Schäden durch gefährliche Güter betreffen. Solche Ansprüche werden von der
Klägerin nicht verfolgt. Die Klägerin macht Beschädigungen der Klebstoffkomponenten selbst geltend, aber
keine Schäden, die hierdurch hervorgerufen worden sind. Aus diesem Grunde sind die hier in Rede stehenden
Ansprüche zur Anspruchsklasse A zu rechnen i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 1 SVertO i.V.m. § 4 BinSchG, auf die
sich der Eröffnungsbeschluss vom 11.05.2010 bezieht.
61
bb) Die Beklagte Ziff. 1 ist als Charterer i.S.v. § 5c Abs. 1 Nr. 1 BinSchG anzusehen. Es handelt sich dabei
um einen Schiffsunternehmer, der aufgrund eines Mietvertrages ein Schiff samt Besatzung mietet (Korioth,
Binnenschifffahrtsrecht, 2008, S. 23). Hierzu zählen der Bareboad-Charterer, der Zeitcharterer und der
Reisecharterer (v. Waldstein/Holland, Binnenschiffahrtsrecht, 5. Aufl., 2007, § 5c BinSchG Rn. 3; Koller,
a.a.O., § 5c BinSchG Rn. 1). Ein Zeitchartervertrag ist immer dann gegeben, wenn der Auftragnehmer die
Verfügungsgewalt über sein Schiff behält, sich aber verpflichtet, auf längere Zeit für den Auftraggeber Güter
zu befördern (v. Waldstein/Holland, a.a.O., § 407 HGB Rn. 23). Zeitcharterer ist nach der Rechtsprechung des
BGH, wer mit dem samt Besatzung gecharterten Schiff auf eigene Rechnung Seetransporte betreibt (VersR
1991, 715). Gemessen an diesen Kriterien ist die Beklagte Ziff. 1 als (Zeit-) Charterer zu qualifizieren. Diese
hat mit der Beklagten Ziff. 2 über das Binnenschiff MS „E…“ am 23.06.2006 einen Nutzungsvertrag
geschlossen, der zeitlich nicht befristet ist (Anlage B 2). Danach wird das Schiff samt Besatzung von der
Beklagten Ziff. 2 gestellt, die sich auf unbestimmte Zeit dazu verpflichtet hat, für die Beklagte Ziff. 1 als
Auftraggeberin Güter zu befördern. Die Containerplätze, über die die Beklagte Ziff. 1 disponieren kann, sind
nicht zahlenmäßig beschränkt. Die Seetransporte erfolgen auf eigene Rechnung der Beklagten Ziff. 1. Auch
wenn die Route - wie in Ziff. 2 des Vertrages bestimmt ist - von der Beklagten Ziff. 2 festgelegt wird, hat das
wirtschaftliche Risiko aus dem Vertrag, das sich aus einer nicht ausreichenden Beladung des Schiffes ergibt,
die Beklagte Ziff. 1 zu tragen. Die vertragliche Regelung, wonach die Beklagte Ziff. 2 über freie
Ladekapazitäten auf eigene Rechnung und Kosten frei verfügen kann (Ziff. 3. des Vertrages), ändert an der
rechtlichen Betrachtung nichts. Das Vorrecht, den Raum des Schiffes zu nutzen, stand der Beklagten Ziff. 1
zu. Dass von der Beklagten Ziff. 2 gleichzeitig ein Chartervertrag mit Firma M… GmbH, der
Schwestergesellschaft der Beklagten Ziff. 1, geschlossen wurde, ist gleichfalls rechtlich unerheblich. Ähnlich
wie bei einer Miete können auch mehrere Charterer das gleiche Schiff zu Geschäftszwecken nutzen. Wenn
nach der zu Art. 1 Abs. 2 des Londoner Übereinkommens vom 19.11.1976 über die Beschränkung der
Haftung für Seeforderungen (HBÜ) ergangenen Rechtsprechung (Entscheidung des Admirality Court vom
05.11./09.12.2008, Anlage SH 2-2 nach Bl. 53 d.A.) sogar ein Slot-Charterer als Charterer anzusehen ist,
muss dies erst recht für die Beklagte Ziff. 1 gelten.
62
cc) Ein eigenes qualifiziertes Verschulden eines vertretungsberechtigten Organs oder Gesellschafters der
Beklagten Ziff. 1 i.S.v. § 5b BinSchG ist zu verneinen.
63
Die Möglichkeit zur Haftungsbeschränkung ist nach § 5b Abs. 1 BinSchG nur ausgeschlossen, wenn der
Verschuldensvorwurf unmittelbar den Schiffseigner selbst trifft. Der Schiffseigner oder solche Personen, die
ihm gleichgestellt sind, muss sich weder absichtliches noch leichtfertiges Verhalten seiner Schiffsbesatzung
noch sonstiger Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen zurechnen lassen (v. Waldstein/Holland, a.a.O., § 5b
BinSchG Rn. 8; Korioth, a.a.O., S. 25; so auch BGHZ 181, 292 = TranspR 2009, 327 zu § 660 Abs. 3 HGB).
Da es sich bei der Beklagten Ziff. 1 um eine juristische Person handelt, scheidet eine (globale)
Haftungsbeschränkung nur dann aus, wenn das qualifizierte Verschulden ein vertretungsberechtigtes Organ
oder einen vertretungsberechtigten Gesellschafter trifft (§ 5b Abs. 2 BinSchG). Demnach verliert die Beklagte
Ziff. 1 die Möglichkeit der globalen Haftungsbeschränkung nicht deshalb, weil dem Schiffsführer ein
qualifiziertes Verschulden vorzuwerfen ist.
64
(1) Was die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines qualifizierten Verschuldens gemäß § 5b Abs. 1
BinSchG anlangt, kann auf die zu § 435 HGB, zu Art. 29 CMR bzw. zu § 660 Abs. 3 HGB ergangene
Judikatur zurückgegriffen werden.
65
Eine Leichtfertigkeit im Sinne von § 435 HGB ist bei besonders schweren Pflichtverletzungen gegeben, bei
denen sich der Frachtführer oder die Personen, für die er nach § 428 HGB haftet, in krasser Weise über die
Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzen (BGH TranspR 2007, 423; BGH TranspR 2004, 399).
Erforderlich ist das Unterlassen elementarer Schutzvorkehrungen (BGH TranspR 2006, 161). Dieses ist zu
bejahen, wenn grundlegende, auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten verletzt werden, wenn nahe liegende
Überlegungen nicht angestellt werden oder wenn der Handelnde bzw. Verantwortliche sich über Bedenken in
Anbetracht von Gefahren hinwegsetzt, die sich jedem aufdrängen müssen (OLG Düsseldorf TranspR 2005,
468; Koller, a.a.O., § 435 HGB Rn. 6).
66
Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich
dem Handelnden aus einem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein
Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein
allerdings nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes schließen
zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das
leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese
Folgerung rechtfertigt (BGH TranspR 2007, 423; BGH TranspR 2004, 399). Hierbei muss die aus der Sicht
des Handelnden gegebene Wahrscheinlichkeit nicht 50 % überschreiten (BGH TranspR 2004, 309).
Ausreichend ist vielmehr, dass das Risiko des Schadenseintritts nahe liegend ist (OLG Oldenburg TranspR
2001, 367) bzw. dass eine geringe, andererseits aber auch nicht völlig belanglose, sondern statistisch
relevante Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt gegeben ist (OLG München TranspR 2002, 161; vgl.
zum Meinungsstand Koller, a.a.O., § 435 HGB Rn. 16 und FN 112).
67
Zur Darlegungs- und Beweislast gelten ebenfalls die zu § 435 HGB, Art. 29 CMR bzw. zu § 660 Abs. 3 HGB
entwickelten Grundsätze (v. Waldstein/Holland, a.a.O., § 5b BinSchG Rn. 12). Nach der im Seefrachtrecht zu
§ 660 Abs. 3 HGB ergangenen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die den Anspruchsteller treffende
Darlegungs- und Beweislast für die besonderen Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung des Spediteurs
dadurch gemildert wird, dass dieser nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen des unterschiedlichen
Informationsstands der Parteien zu den näheren Umständen aus seinem Betriebsbereich soweit möglich und
zumutbar eingehend vorzutragen hat (BGH TranspR 2006, 35). Voraussetzung dafür ist, dass der
Anspruchsteller Anhaltspunkte für das Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens darlegt, die sich
insbesondere aus der Art und dem Ausmaß des Schadens ergeben können (BGHZ 174, 244 Tz. 25). Dieser
für Verlustfälle entwickelte Grundsatz wurde vom BGH auf Fälle der Beschädigung von Transportgut
übertragen, wenn der entstandene Schaden auf einer unzureichenden Sicherung des Frachtgutes beruht, mit
der Folge, dass der Frachtführer, soweit es ihm im konkreten Fall zuzumuten ist, in substantiierter Weise
darzulegen hat, welche auf der Hand liegenden Schadensverhütungsmaßnahmen er getroffen hat (BGH
TranspR 2009, 331; BGHZ 174, 244 Tz. 25 f.). Kommt er seiner sekundären Darlegungslast nicht im
gebotenen Umfang nach, so spricht eine widerlegliche tatsächliche Vermutung dafür, dass ihn in objektiver
wie in subjektiver Hinsicht ein qualifiziertes Verschulden trifft (BGH TranspR 2004, 175; BGH TranspR 2004,
460).
68
Diese Grundsätze sind auf die Beschädigung von Transportgut auch dann heranzuziehen, wenn der
entstandene Schaden - wie hier - mitursächlich auf eine unterbliebene Stabilitätsberechnung zurückzuführen
ist. Ein triftiger und einleuchtender Grund für eine Ungleichbehandlung der genannten Schadensursachen ist
nicht erkennbar.
69
(2) Hiervon ausgehend kommt ein eigenes qualifiziertes Verschulden der Beklagten Ziff. 1 nicht in Betracht.
70
Die Klägerin hat dazu vorgetragen, die Beklagte Ziff. 1 treffe ein schweres Organisationsverschulden. Bei der
fehlerhaften Beladung des Schiffes und der untauglichen Sicherheitskontrolle vor Antritt der Fahrt durch die
MS „E…“ habe es sich um ein von beiden Beklagten gebilligtes und eingespieltes Verhalten gehandelt (Bl. 12
d.A.). Die Beklagte Ziff. 1 habe die Disposition der Ladung an die Firma L… G…GmbH & Co KG übertragen,
bei der der Geschäftsführer G… dafür zuständig gewesen sei. Dieser sei nicht überwacht worden, das "Aus
der Hand geben" der Disposition stelle schon ein Organisationsversagen dar (Bl. 76 d.A.). Die Beklagte Ziff. 1
habe nicht auf Sicherheitskontrollen gedrängt. Dieser hätte sich die Gefahr aufdrängen müssen, dennoch
habe sie die Beklagte Ziff. 2 nicht zur ordnungsgemäßen Befolgung der gesetzlichen Pflichten angehalten und
diese nicht überwacht (Bl. 157 d.A.). Die Beklagten hätten bislang nicht vorgetragen, was unternommen
worden sei, um einen Unfall, wie er sich am 25.03.2007 ereignet hat, zu vermeiden. Nach den Grundsätzen
über die sekundäre Darlegungslast hätten jedoch beide Beklagten sich hierzu zu äußern. Deshalb sei zu
vermuten, dass die Voraussetzungen des § 5b BinSchG gegeben seien. Ein qualifiziertes Verschulden wird
von der Beklagten Ziff. 1 in Abrede gestellt.
71
Bei Zugrundelegung dieses Vortrages fehlen Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass der Schaden
auf ein eigenes qualifiziertes Verschulden von vertretungsberechtigten Organen (oder Gesellschaftern) der
Beklagten Ziff. 1 zurückzuführen ist.
72
Die Havarie ist nach dem Ergebnis der Begutachtung durch den Sachverständigen B… in dem gegen den
Schiffsführer B… geführten Strafverfahren maßgeblich durch ein Fehlverhalten der Schiffsführung verursacht
worden. Die diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen im Grundurteil vom 10.02.2009 müssen die
Beklagten hinnehmen (§ 68 ZPO). Die Schiffsführung wurde vom Ausrüster, d.h. von der Beklagten Ziff. 2,
ausgewählt. Die Beklagte Ziff. 1 war hiermit nicht befasst. Für die unterbliebene Stabilitätskontrolle hatte die
Beklagte Ziff. 1 nicht selbst zu sorgen. Diesbezügliche Überwachungsmaßnahmen schuldete allenfalls die
Beklagte Ziff. 2 als Schiffsausrüsterin, nicht aber die Beklagte Ziff. 1. Für ein vertragswidriges Verhalten der
Beklagten Ziff. 2 hat die Beklagte Ziff. 1 gemäß § 5b BinSchG gerade nicht einzustehen. Vorstellbar ist zwar,
dass die Disposition fehlerbehaftet gewesen ist, weil das transportierte Gewicht zu hoch war, um eine positive
Stabilität des Schiffes zu gewährleisten. Für die Disposition war die Beklagte Ziff. 1 aber selbst wiederum
nicht verantwortlich. Diese oblag unstreitig der Firma L… G… GmbH & Co KG. Die Überwachung dieser Firma
und deren Sicherheitsmaßnahmen gehörte gleichfalls nicht zu den Aufgaben der Beklagten Ziff. 1. Die
Beladung des Schiffes im M… Hafen fiel auch nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten Ziff. 1, diese
ist unstreitig durch die Firma M… GmbH erfolgt. Eine Überwachung dieses Unternehmens schuldete die
Beklagte Ziff. 1 gegenüber der Klägerin nicht.
73
Bei dieser Sach- und Rechtslage genügt der Vortrag der Klägerin nicht, um eine sekundäre Darlegungslast der
Beklagten auszulösen. Lediglich die Erwägung, dass eine Partei über die besseren Aufklärungsmöglichkeiten
verfügt und einer Schadensursache nähersteht, ist nicht geeignet, Abweichungen von der an sich geltenden
Gesetzes- oder Vertragslage bezüglich der Beweislast zu rechtfertigen. Denn die vom Gesetzgeber gewollte
Beschränkung der Haftung würde wirkungslos werden, wenn der Verfrachter bei verbleibenden Zweifeln am
Schadensverlauf immer zu einer qualifizierten Haftung herangezogen werden könnte (vgl. BGHZ 127, 275,
284). Ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten Ziff. 1 ist durch die Klägerin demzufolge weder dargetan
noch ausreichend belegt worden.
74
Im Übrigen deutet nichts darauf hin, dass Organe (oder Gesellschafter) der Beklagten Ziff. 1 in dem
Bewusstsein gehandelt haben, dass ein Schaden, wie er sich hier ereignet hat, mit Wahrscheinlichkeit
eintreten werde. Bei der anders lautenden Behauptung der Klägerin handelt es sich um reine Spekulation.
Substantiierten Vortrag zu den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen von § 5b BinSchG hat die Klägerin
jedenfalls nicht gehalten.
75
Nach alledem ist die Klage abweisungsreif.
76
d) Dem Hauptantrag der Klägerin auf Aufhebung und Zurückverweisung war nicht zu entsprechen. Zwar hat
das Landgericht nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden. Nach § 538 Abs. 2 Nr. 3 darf die Sache
jedoch nur dann auf Antrag unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten
Rechtszuges zurückverwiesen werden, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist. Ist der Rechtsstreit
ohne weitere Verhandlung spruchreif oder dem Berufungsgericht eine Verfahrensentscheidung ohne weitere
Sachaufklärung möglich, gilt § 538 ZPO nicht (BGH WM 2005, 888; BGH NJW 2002, 2795; Reichold in
Thomas/Putzo, a.a.O., § 538 Rn. 6). So verhält es sich hier.
2.
77
Zur Haftung der Beklagten Ziff. 2:
78
Eine unbegrenzte Haftung der Beklagten Ziff. 2 nach den Vorschriften des HGB für den Schaden der Klägerin
aus dem Schadensereignis vom 25.03.2007 ist ebenfalls zu bejahen. Ob die Beklagte Ziff. 2 ein qualifiziertes
Eigenverschulden trifft, ist noch offen. Deshalb kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob der
streitgegenständliche Anspruch der globalen Haftungsbeschränkung nach dem BinSchG unterfällt. Aus
diesem Grunde ist der Rechtsstreit in Bezug auf die Beklagte Ziff. 2 noch nicht entscheidungsreif. Die
Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO sind erfüllt.
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a) Das Verfahren ist nicht unterbrochen nach §§ 41, 8 Abs. 3 SVertO. Die Klägerin behauptet ein eigenes
qualifiziertes Eigenverschulden der Beklagten Ziff. 2.
80
b) Eine unbeschränkte Haftung der Beklagte Ziff. 2 für den Schaden, der der Klägerin durch die Havarie vom
25.03.2007 entstanden ist, folgt aus §§ 452 a, 437 Abs. 1, 425 Abs. 1, 428, 435 HGB.
81
aa) Auf den Schadensfall findet auch im Verhältnis zur Beklagten Ziff. 2 deutsches Recht Anwendung (Art. 28
Abs. 1 EGBGB bzw. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Wird die Haftung aus § 437 HGB IPR-rechtlich als
vertragsähnliche Haftung qualifiziert, gilt Art. 28 Abs. 1 EGBGB. Der Sitz der Beklagten Ziff. 2 liegt zwar in
der Schweiz. Jedoch gilt die Vermutung von Art. 28 Abs. 4 S. 1 EGBGB zu Gunsten des Rechts der
Hauptniederlassung des Beförderers im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nur dann, sofern sich im gleichen
Staat auch der Verlade- oder der Entladeort oder die Hauptniederlassung des Absenders befindet. Hieran fehlt
es, denn der Verladeort liegt im Inland, der Entladeort in R…/Niederlande und die Hauptniederlassung des
Absenders ebenfalls im Inland. Die engste Verbindung des Beförderungsvertrages besteht zum nationalen
Recht. Es liegt nicht nur der Verladeort, sondern auch der Schadensort in Deutschland. Die Absenderin hat
ihren Sitz in Deutschland ebenso wie die Klägerin. Außerdem richtet sich die Haftung der Beklagten Ziff. 1,
mit der die Beklagte Ziff. 2 einen Chartervertrag geschlossen hat, ebenfalls nach deutschem Recht. Wird die
Haftung gemäß § 437 HGB als deliktsähnliche Haftung qualifiziert, gelangt Art. 40 Abs. S. 2 EGBGB zur
Anwendung. Der Erfolgsort der unerlaubten Handlung liegt im Inland. Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des
Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende
Recht (Rom II) gilt nach deren Art. 31, 32 für außervertragliche Schuldverhältnisse, die ab dem 11.01.2009
entstanden sind, mithin nicht für den hier zu entscheidenden Fall.
82
Die CMNI ist nicht heranzuziehen. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
83
bb) Die Beklagte Ziff. 2 ist Ausrüster der MS „E…“, mit der der Transport bewerkstelligt wurde. Das von ihr
überlassene Schiff nebst dem dazugehörigen Personal hat den verfahrensgegenständlichen Transportauftrag
durchgeführt. Bei der Beklagten Ziff. 2 handelt es sich daher um den ausführenden Frachtführer i.S.v. § 437
HGB.
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cc) Auf mögliche Haftungsausschluss- bzw. Haftungsbeschränkungsgründe des HGB bzw. der ADSp kann
sich auch die Beklagte Ziff. 2 nicht mit Erfolg stützen. Ihr ist das qualifizierte Verschulden des Schiffsführers
gemäß §§ 428, 435 HGB bzw. Ziff. 27.2 ADSp zuzurechnen. Mit ihren gegen diese Betrachtungsweise
vorgebrachten Einwendungen ist die Beklagte Ziff. 2 nach § 68 ZPO ausgeschlossen.
85
dd) Ein Mitverschulden wegen der unterbliebenen Gewichtskennzeichnung der Container trifft die Klägerin
nicht. Zum einen bindet die zu diesem Punkt vom Landgericht Hamburg im Grundurteil getroffene Feststellung
(§ 68 ZPO), die zu den tragenden rechtlichen Grundlagen des Ersturteils zählt. Zum anderen ist ein
Kausalzusammenhang zwischen der fehlenden Gewichtskennzeichnung und dem Schadensereignis nicht
beweisbar.
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c) Die Klägerin kann ihren Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten Ziff. 2 aber nur dann außerhalb
des Verteilungsverfahrens verfolgen, wenn der Beklagten Ziff. 2 die Möglichkeit, sich auf die globale
Haftungsbeschränkung nach dem BinSchG zu stützen, verwehrt ist. Darum hängt die zu treffende
Entscheidung davon ab, ob der Vorwurf, die Beklagte Ziff. 2 habe den Schadensfall durch ein qualifiziertes
Eigenverschulden im Sinne von § 5b Abs. 1, 2 i.V.m. § 5c Abs. 1 Nr. 1 BinSchG herbeigeführt, berechtigt ist.
Diese Frage kann noch nicht abschließend beurteilt werden.
87
(1) Die Klägerin hat dazu vorgebracht, beim Versagen der Schiffsführung habe es sich nicht um einen
Einzelfall gehandelt, sowohl das fehlerhafte Beladen des Schiffes als auch die untaugliche Stabilitätskontrolle
sei eingespielt gewesen und von der Beklagten Ziff. 2 gebilligt worden (Bl. 12 d.A.). Diese habe den
Schiffsführer nicht sorgfältig ausgewählt und weder Überwachungsmaßnahmen ergriffen noch Instruktionen
erteilt, um einen Schadensfall wie den vorliegenden zu verhindern. Auf ein krasses Organisationsverschulden
der Beklagten Ziff. 2 sei bereits deshalb zu schließen, weil von dieser die Ansicht vertreten werde, die
Schiffsführung habe sich korrekt verhalten, einer Stabilitätskontrolle vor Fahrantritt habe es nicht bedurft. Ihrer
sekundären Darlegungslast sei die Beklagte Ziff. 2 jedenfalls nicht nachgekommen (Bl. 76 d.A. und Bl. 155 ff.
d.A.).
88
Die Beklagte Ziff. 2 steht auf dem Standpunkt, die Schlängelversuche hätten einen tauglichen Stabilitätstest
dargestellt. Eine Stabilitätsberechnung sei weder gesetzlich vorgeschrieben noch zwingend gewesen. Der
Schiffsführer B… sei seit über 35 Jahren in der Schifffahrt beschäftigt und über 15 Jahre in der
Containerschifffahrt als Schiffsführer tätig gewesen, ohne jemals einen Schadensfall zu verursachen. An
dessen Qualifikation hätten nicht die geringsten Zweifel bestanden. Aus diesen Gründen habe es keinerlei
Notwendigkeit gegeben, den Schiffsführer eingehend zu überwachen.
89
(2) Danach hat die Klägerin genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens des
Vorstands der Beklagten Ziff. 2 darlegt. Ein dem Vorsatz gleichstehendes gravierendes Verschulden des
Schiffsführers steht bindend fest. Dieses besteht mit darin, dass die Schiffsführung entgegen den Regeln der
nautischen Kunst keinerlei brauchbare rechnerische Stabilitätsüberprüfung vorgenommen und auf
Warnhinweise anderer Schiffsbesatzungen nicht reagiert und pflichtwidrig und schuldhaft Ballastwasser
aufgenommen hat. Vielmehr hat sich die Schiffsführung mit hier untauglichen Schlängelversuchen begnügt.
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Nach der Überzeugung des Senats hätten rechnerische Stabilitätsüberprüfungen vor Fahrtantritt zur
Gefahrenabwehr zwingend vorgenommen werden müssen. Dies hat der Sachverständige B… im Gutachten
vom 18.07.2007 (Anlage 6 6 ) und in der Tischvorlage vom 29.09.2008 (Anlage K 7) nachvollziehbar und
unmittelbar einleuchtend begründet. Mit einer auf dem Markt vorhandenen Software sind solche
Kontrollberechnungen verhältnismäßig schnell und einfach vorzunehmen. Sie sind das einzige ausreichend
verlässliche Mittel, dass der Schiffsführung vor Fahrtantritt zur Ermittlung der Stabilität zur Verfügung steht.
Hingegen können Schlängelversuche eine Havarie nicht zuverlässig ausschließen, wie bereits durch den
streitgegenständlichen Schadensfall eindrücklich belegt ist. Schlängelversuche können nur für den aktuellen
Moment einen gewissen subjektiven Aufschluss über die Schiffsstabilität geben, die sich bei wechselnden
äußeren Umständen und Einflüssen (veränderte Wetterlage, z.B. durch Wind) oder bei besonderen Manövern
(z.B. Drehmanöver etc.) ganz anders darstellen kann. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang
ferner, dass nach Fahrtantritt aus unterschiedlichen Gründen die Bestrebung bestehen kann, selbst bei
gefahrgeneigten Verhältnissen die Fahrt fortzusetzen und von einer Umkehr zur Entladung einzelner
Frachtstücke abzusehen. Hingegen lässt sich anhand von objektiven Zahlenwerken leicht und ausreichend
zuverlässig eine Entscheidung darüber treffen, ob von einer genügenden Stabilität ausgegangen und die Fahrt
gefahrlos angetreten werden kann. Deshalb können Schlängelversuche eine Stabilitätsberechnung nicht
ersetzen, sondern allenfalls als präventive Zusatzmaßnahme in Betracht kommen.
91
Die Argumentation der Beklagten, die Container seien ganz oder teilweise nicht mit Gewichtsangaben
versehen gewesen, gebietet keine andere Betrachtung. Falls erforderlich sind die zu übernehmenden
Frachtgüter nachträglich zum Zweck einer aussagekräftigen Stabilitätsberechnung zu verwiegen. Sollte dies
nicht möglich sein und eine verlässliche Stabilitätsberechnung nicht auf andere Weise durchführbar, sind nicht
mit ihrem Gewicht gekennzeichnete Frachtstücke sicherheitshalber nicht mit an Bord zu nehmen.
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Auf die unterbliebene Stabilitätskontrolle ist die Havarie vom 25.03.2007 maßgeblich zurückzuführen. Schon
eine Stabilitätsberechnung auf der Basis der vorhandenen Ladelisten hätte, wie vom Gutachter B… zu
erfahren war, zu einer krassen Instabilität des Schiffes geführt (S. 5 und 11 des Gutachtens vom 18.08.2007).
Wäre sie vorgenommen worden, hätte die MS „E…“ die Fahrt nicht antreten dürfen. Wären die korrekten,
höheren Gewichte der Container angegeben worden, hätte sich bei einer rechnerischen Überprüfung erst recht
eine Instabilität herausgestellt.
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Als Ausrüsterin der MS „E…“ und ausführende Frachtführerin traf die Beklagte Ziff. 2 die Verpflichtung, durch
besondere Vorkehrungen sicherzustellen, dass Transportschäden wie der verfahrensgegenständliche
vermieden werden und dass es zu Verhaltensweisen der Schiffsführung, wie sie im Streitfall an den Tag
gelegt wurden, gar nicht erst kommt. Dies hätte etwa durch Schulungs-, Instruktions- und
Überwachungsmaßnahmen geschehen müssen. Für die Planung und Umsetzung solcher generellen
Maßnahmen hatte der Vorstand der Beklagten Ziff. 2 zu sorgen. Es liegt nahe, dass der Schadensfall vom
25.03.2007 nicht passiert wäre, falls die Beklagte Ziff. 2 solche Sicherungsvorkehrungen ergriffen hätte. Hätte
die Beklagte Ziff. 2 insbesondere auf die Durchführung einer ordnungsgemäßen Stabilitätskontrolle hingewirkt,
wäre die Fahrt nicht wie geschehen durchgeführt worden. Offenbar war der Schiffsführer auch nicht damit
vertraut, welche Verhaltensweisen zur Gewährleistung eines sicheren Transports zu ergreifen sind, falls
während der Fahrt eine gefahrträchtige Schieflage auftritt.
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Daraus folgt, dass die Beklagte Ziff. 2 gehalten ist, sich im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu den
von ihr ergriffenen Sicherungsmaßnahmen zu äußern, insbesondere dazu, was von ihr veranlasst worden ist,
um eine negative Stabilität des Schiffes beim Transport zu verhindern.
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(3) Allerdings wurde die Beklagte Ziff. 2 bislang noch nicht darauf hingewiesen, dass die Annahme eines
qualifizierten Eigenverschuldens in Betracht kommt (§ 139 ZPO). Daher ist der Beklagten Ziff. 2 noch
Gelegenheit zu geben, ihren Sachvortrag zu ergänzen. Dies ist von der Beklagten Ziff. 2, wie im Termin vom
04.08.2010 erörtert worden ist, auch beabsichtigt, was die Gewährung eines Schriftsatzrechts und mindestens
einen weiteren Verhandlungstermin notwendig macht. Evtl. muss sogar eine Beweisaufnahme durchgeführt
werden.
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d) Der Senat erachtet es unter den obwaltenden Umständen für zweckmäßig, das landgerichtliche Urteil in
Bezug auf die Beklagte Ziff. 2 gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO aufzuheben und das Verfahren zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen, um den Verlust einer
Tatsacheninstanz zu vermeiden. Eine andere Vorgehensweise widerspräche darüber hinaus dem
übereinstimmenden Willen sämtlicher Prozessparteien, die in erster Linie eine Zurückverweisung beantragt
haben. Es kommt hinzu, dass so eher zu erwarten ist, dass der BGH über die gegen das Senatsurteil vom
01.07.2009 i.S. 3 U 248/08 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde noch vor einer Entscheidung des Land-
bzw. Oberlandesgerichts über den vorliegenden Rechtsstreit befindet.
III.
97
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde auf 63.620,00 EUR festgesetzt. Die Klägerin wird als
Beklagte von der Firma A… in dem vor dem Landgericht Hamburg geführten Prozess wegen des
streitgegenständlichen Transportschadens auf Zahlung von 79.525,00 EUR in Anspruch genommen. Von
diesem ihr drohenden Schaden will die Klägerin durch die Beklagten befreit werden. Er bildet somit auch den
Streitgegenstand für den hiesigen Prozess. Da eine positive Feststellungsklage erhoben worden ist, ist ein
Abschlag in Höhe von 20 % zu berücksichtigen. Dies führt zu einem Streitwert von 63.620,00 EUR.
Entsprechend war der Streitwert für die erste Instanz zu korrigieren.
98
Wird - wie hier - von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch gemacht, kann über die Kosten durch
das Berufungsgericht nicht entschieden werden, weil der Aus-gang des Rechtsstreits noch offen ist. Daher
war dem Landgericht eine Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens vorzubehalten (OLG Köln
NJW-RR 1987, 1152; Zöller-Heßler, a.a.O., § 538 ZPO Rn. 58).
99
Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht veranlasst.
100 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben, da weder
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Zur streitigen Frage der
Unterbrechungswirkung gemäß §§ 8, 41 SVertO hat sich der BGH in den angeführten Entscheidungen schon
geäußert.