Urteil des OLG Stuttgart vom 07.06.2006
OLG Stuttgart (fristlose kündigung, räumung, zpo, miete, kündigung, beschwerde, aug, wohnung, kläger, mahnung)
OLG Stuttgart Beschluß vom 7.6.2006, 13 U 89/06; 13 U 89/2006
Räumungsurteil gegen den Wohnraummieter: Versagung einer Räumungsfrist wegen Unzumutbarkeit
für den Vermieter
Leitsätze
Für den Vermieter ist die Gewährung einer Räumungsfrist grundsätzlich unzumutbar, wenn die Zahlung der
laufenden Miete/Nutzungsentschädigung für die Dauer der Räumungsfrist nicht gewährleistet ist.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen die Versagung einer Räumungsfrist im Anerkenntnisurteil der 3.
Zivilkammer (ER) des Landgerichts Ellwangen vom 28.4.2006 - 3 O 60/2006 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens über die sofortige Beschwerde.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wir auf bis zu EUR 13.000,00 festgesetzt.
Gründe
1
[Sachverhalt s. "Sonstiger Langtext".]
2
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 721 Abs. 6 Nr. 1 ZPO zulässig, jedoch unbegründet.
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Eine Räumungsfrist gem. § 721 ZPO ist der Beklagten nicht zu gewähren.
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Zwar ist eine entsprechende Bewilligung auch im Falle einer Kündigung wegen rückständigen Mietzinses
grundsätzlich möglich. Dabei sind jedoch die Interessen des Mieters und des Vermieters gegeneinander
abzuwägen. Dies führt zur Versagung der Räumungsfrist.
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Grundsätzlich ist es dem Vermieter nicht zuzumuten, eine Räumungsfrist hinnehmen zu müssen, wenn nicht
gewährleistet ist, dass wenigstens für die Dauer der Räumungsfrist die laufende Miete/Nutzungsentschädigung
gezahlt wird.
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Die Beklagte hat zu keiner Zeit die Zahlung von Miete/Nutzungsentschädigung für die Zeit der begehrten
Räumungsfrist angeboten. Zwar hat sie darauf hingewiesen, dass sie in absehbarer Zeit mit
Provisionszahlungen rechne. Die Beklagte hat jedoch bereits mit Schreiben vom 25.10.2005 (Anlage K 8) die
Begleichung von Mietrückständen durch erwartete Zahlungseingänge bis 31.12.2005 angekündigt, ohne dass
letztlich Zahlungen erfolgt sind. Angesichts dieser Umstände bietet die jetzige Ankündigung von
Zahlungseingängen durch die Beklagte keine ausreichende Gewähr, dass sie die anfallenden
Mietzinsen/Nutzungsentschädigung wird aufbringen können, zumal sie die behaupteten Provisionszahlungen
nicht näher darlegt.
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Ein gegenüber dem Interesse des Klägers vorrangiges Interesse der Beklagten hat diese nicht dargetan. Dabei
kann dahingestellt bleiben, ob sie die streitgegenständlichen Räume tatsächlich zu Wohnzwecken nutzt und
welche Härte eine Räumung für sie bedeuten würde. Sie wußte selbst, dass sie seit Mai 2005 keine Miete
mehr bezahlt und damit die Gefahr einer fristlosen Kündigung heraufbeschwört. Sie konnte und musste sich
daher frühzeitig darauf einstellen, dass sie bei Eintritt der Kündigungsvoraussetzungen mit Kündigung und
alsbaldiger Räumung zu rechnen hat. Darüber hinaus hat der Kläger nach mehrfacher Mahnung mit Schreiben
vom 16.11.2005 die fristlose Kündigung mit einer Räumungsfrist zum 23.11.2005 erklärt und schließlich am
9.2.2006 Räumungsklage eingereicht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28.4.2006 hat die Beklagte
ihre Räumungsverpflichtung anerkannt. Angesichts dieses Zeitablaufs hatte die Beklagte bis heute
ausreichend Zeit, sich auf die anstehende Räumung vorzubereiten. Die Gewährung einer Räumungsfrist kann
unter diesen Umständen nicht in Betracht kommen.
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Zu Unrecht hebt die Beklagte darauf ab, dass die Räumung für sie und ihre Familie eine unbillige Härte
bedeute.
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Selbst wenn die streitgegenständlichen Räume insgesamt als Wohnraum vermietet wären, würde die
Gewährung einer Räumungsfrist grundsätzlich die Erfüllung einer Ersatzraumbeschaffungspflicht der Beklagten
voraussetzen, denn nur in diesem Fall verdient die Beklagte den besonderen Schutz des Gesetzes vor der
sofortigen Räumung ihrer Wohnung.
10 Die Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, dass sie Anstrengungen unternommen hat, um Ersatzraum zu
beschaffen. Dabei kann sich die Beklagte nicht auf die Lage auf dem Wohnungsmarkt berufen. Der
Wohnungsmarkt ist gerichtsbekannt entspannt. Soweit die Anmietung einer Ersatzwohnung lediglich an der
Zahlungsfähigkeit scheitert, kann dies bei der Gewährung einer Räumungsfrist nicht berücksichtigt werden.
11 Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass sie im Erdgeschoß ihre 85-jährige Mutter untergebracht habe, die sich
im Endstadium einer Alzheimer-Erkrankung befinde, kommt ohnehin nur eine Betreuung in einem Pflegeheim
oder innerhalb der (Ersatz-) Wohnung der Beklagten in Betracht, weil Patienten in diesem Stadium der
Erkrankung nicht mehr sich selbst überlassen werden können und deshalb auch keine eigene Wohnung mehr
benötigen. Soweit die Beklagte im übrigen behauptet, dass ein Pflegeplatz kurzfristig nicht zur Verfügung
stehe, hat sie weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass sie sich erfolglos um einen Pflegeplatz bemüht
hat. Soweit die Beklagte darüber hinaus eine Fremdbetreuung wegen auftretender Aggressionen bei der Mutter
ausschließt, hat sie hierfür keinen Beweis angeboten.
12 Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
13 Bei der Festsetzung des Streitwertes ist der Senat von dem auf den begehrten Verlängerungszeitraum
entfallenden Mietzins bzw. Nutzungsentschädigung ausgegangen.
14 Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO).
Sonstiger Langtext
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Sachverhalt
16 Der Kläger hat an die Beklagte eine Immobilie teils als Wohn- oder Gewerberaum, zum überwiegenden Teil
aber als Gewerberaum vermietet, die die Beklagte in streitigem Umfang als Wohnraum nutzt. Nach mehrfacher
Mahnung wegen Mietrückständen hat der Kläger das Mietverhältnis durch Schreiben vom 16.11.2005 fristlos
gekündigt und Räumungsfrist bis 23.11.2005 gewährt. Am 9.2.2006 hat er Räumungsklage eingereicht. Im
Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28.4.2006 hat die Beklagte ihre Räumungsverpflichtung anerkannt
und die Gewährung einer Räumungsfrist beantragt. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen
richtet sich die Beschwerde der Beklagten.