Urteil des OLG Stuttgart vom 30.06.2005
OLG Stuttgart: einkommen aus erwerbstätigkeit, anwaltskosten, höchstzahl, freibetrag, heizung, ratenzahlung, miete, belastung, schule, verfügung
OLG Stuttgart Beschluß vom 30.6.2005, 8 WF 55/05
Prozesskostenhilfe: Berechnung von Ratenzahlungen nach dem Auslaufen von Ratenzahlungsverpflichtungen auf
Prozesskostenhilfebewilligungen in anderen Verfahren
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts - Familiengericht - Rottenburg vom
14.12.2004 dahin
a b g e ä n d e r t ,
dass die von der Klägerin ab 1.3.2005 zu erbringenden monatlichen Ratenzahlungen auf die Prozesskosten
15,00 EUR
2. Im übrigen wird die sofortige Beschwerde der Klägerin
z u r ü c k g e w i e s e n .
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Der Klägerin war mit Beschlüssen vom 27.10.2000 und 26.6.2001 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt worden. Nachdem
Ratenzahlungsverpflichtungen der Klägerin auf die Prozesskostenhilfebewilligung in anderen Verfahren ausgelaufen war, ordnete die
Rechtspflegerin des Amtsgerichts - Familiengericht - Rottenburg mit Beschluss vom 14.12.2004 für das vorliegende Verfahren monatliche
Ratenzahlungen in Höhe von 60,-- EUR auf die Prozesskosten an.
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Gegen den am 16.12.2004 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 29.12.2004 die sofortige Beschwerde eingelegt, weil sie nach ihren
Einkommensverhältnissen nicht in der Lage sei, Raten zu zahlen. Im übrigen habe sie bereits die Höchstzahl von 48 Raten bezahlt. In einem
Scheidungsverfahren müssten die Verbundsachen bei der Ermittlung der gesetzlich gestatteten Höchstzahl von Raten zusammen berücksichtigt
werden.
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Die Bezirksrevisorin beim Landgericht Tübingen ist der sofortigen Beschwerde entgegengetreten.
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Mit Verfügung vom 12.5.2005 hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts - Familiengericht - Rottenburg die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart
ohne Abhilfe zur Entscheidung vorgelegt.
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Gegenüber dem Oberlandesgericht hat die Klägerin weitere Angaben zur ihren wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht.
II.
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Die zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache weitgehend begründet und führt zur Reduzierung der angeordneten monatlichen
Ratenzahlung auf 15,- EUR.
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1. Der Anordnung von Ratenzahlung steht nicht schon die Höchstzahl von 48 Monatsraten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO n. F. entgegen. Zutreffend
sind die Rechtspflegerin des Amtsgerichts und die Bezirksrevisorin davon ausgegangen, dass die Höchstzahl von 48 Monatsraten für jedes
einzelne, selbständige Verfahren und die darin ausgesprochenen Prozesskostenhilfebewilligungen gilt. Entgegen der Auffassung der Klägerin
würde dies im vorliegenden Fall nicht dazu führen, dass sie noch ca. 10 Jahre Raten zu bezahlen hätte. Gemäß § 120 Abs. 4 Satz 3 ZPO i.V.m. §
115 Abs. 2 ZPO n. F. endet eine Ratenzahlungsverpflichtung einer Partei spätestens 8 Jahre nach rechtskräftiger Entscheidung oder sonstiger
Beendigung des Verfahrens.
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2. Gemäß § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO konnte die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Ratenzahlungen der Klägerin anordnen, wenn sich die für die
Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin seit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in
diesem Verfahren wesentlich geändert haben und die Verbesserung der maßgebenden Verhältnisse dazu führt, dass Ratenzahlungen zu
erbringen sind.
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a) Aus der Lohnbescheinigung für November 2004 ist zu entnehmen, dass sie für die ersten 11 Monate des Jahres 2004 ein Gesamteinkommen
netto von 10.929,75 EUR, also 993,61 EUR netto pro Monat hatte. Zuzüglich des Kindergelds von 462,-- EUR, das bei Berücksichtigung des
durch Unterhaltsleistungen nicht abgedeckten Freibetrags der Kinder und der Kosten der Unterkunft und Heizung vollständig anzusetzen ist
(BGH FamRZ 2005, 790; 605), ist von einem monatlichen Gesamteinkommen der Klägerin von 1.455,61 EUR auszugehen.
10 b) Weil die Klägerin ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, ist gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1b ZPO n. F. hiervon ein Betrag von 173,--
EUR und für sie selbst ein Freibetrag von 380,-- EUR abzuziehen. Die Unterhaltszahlungen des Vaters ihrer Kinder decken die Freibeträge für ...
und ... von jeweils 266,-- EUR ab. Lediglich für ... verbleibt ein abzuziehender restlicher Freibetrag in Höhe von 27,03 EUR.
11 c) Die Kosten für Miete und Heizung können lediglich zur Hälfte einkommensmindernd abgesetzt werden. Die Kosten der Unterkunft und
Heizung sind in der Regel bei Ehegatten, Familienangehörigen, nichtehelichen Lebensgemeinschaften und anderen Wohngemeinschaften nach
Kopfteilen aufzuteilen (OLG Koblenz FamRZ 1997, 679, 680; MDR 2000, 728, 729; OLG Köln FamRZ 2003, 1394; Zöller-Philippi ZPO 25. Aufl., §
115 RN 37a). Die Ausführungen der Klägerin zur Beteiligung ihres nichtehelichen Lebensgefährten an den Kosten der Gemeinschaft geben
keine Veranlassung, hier von diesem Grundsatz abzuweichen.
12 d) In Ansehung oder während des Prozesses oder danach eingegangene Verpflichtungen sind grundsätzlich nicht als besondere Belastungen
zu berücksichtigen, da von diesem Zeitpunkt an der Begünstigte seine Lebensführung auf den bevorstehenden Prozess bzw. auf seine
gesetzlich vorgesehene Ratenzahlungsverpflichtung einrichten muss. Insbesondere sind Zahlungsverpflichtungen nicht zu berücksichtigen,
wenn sie von der Partei bewusst eingegangen wurden, um sich hilfsbedürftig zu machen (Kalthoener / Büttner / Wrobel-Sachs Prozesskostenhilfe
und Beratungshilfe 3. Aufl., RN 294). Verbindlichkeiten, die während oder nach dem Prozess entstanden sind, sind jedoch dann zu
berücksichtigen, wenn es sich um sogenannte lebenswichtige Anschaffungen gehandelt hat, der sich die Partei nicht entziehen konnte.
13 Nachdem die Klägerin Kinder hat, ist es - auch angesichts ihres Wohnorts - nachvollziehbar, dass für die Lebensführung der Klägerin und ihrer
Kinder ein Familienfahrzeug unabweisbar ist. Die monatlichen Raten hierfür von 110,-- EUR übersteigen den angemessenen Umfang angesichts
der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nicht.
14 Anwaltskosten und Verbindlichkeiten für Anwaltskosten sind nur insoweit abzugsfähig, als die Anwaltskosten aus früheren Prozessen stammen
(OLG Köln FamRZ 1993, 579; Kalthoener / Büttner / Wrobel-Sachs a.a.O. RN 285; Zöller, a.a.O. RN 41). Aus dem Vortrag der anwaltlich
vertretenen Klägerin ist nicht erkennbar, warum vorliegend Anwaltskosten entstanden waren, die nicht von Prozesskostenhilfe gedeckt waren
und deshalb ein Ratenkredit benötigt worden war. Insbesondere ist daraus nicht ersichtlich, dass die Anwaltskosten vor der Erstbewilligung von
Prozesskostenhilfe entstanden wären. Belege über den Entstehungsgrund dieser Kosten wurden nicht vorgelegt. Die Raten auf den seit
15.6.2003 laufenden Ratenkredit in Höhe von 122,-- EUR sind danach nicht berücksichtigungsfähig.
15 e) Die Aufwendungen der Klägerin für die Kernzeitbetreuung, die Fahrtkosten und das Schulgeld für ihre Kinder in Höhe von insgesamt 126,--
EUR sind als besondere Belastungen abzugsfähig.
16 f) Die Klägerin darf darüber hinaus als besondere Belastung im Sinn des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO 40 % des Eckregelsatzes (Regelsatz für
den Haushaltsvorstand) nach § 22 BSHG, jetzt § 28 SGB XII als Mehrbedarf abziehen. Dieser Abzug beruht darauf, dass die Klägerin drei sich in
der Schule befindliche Kinder im Alter von 10 Jahren, 15 Jahren und 17 Jahren allein erzieht und im Hinblick hierauf überobligatorisch arbeitet
(vgl. Senat, Beschluss vom 15.10.2004, AZ: 8 WF 107/04 m.w.N.). Ob und in welchem Umfang eine Erwerbsobliegenheit besteht, ist nach den
gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BGH FamRZ 1990, 283 = NJW-RR 1990 323, 325 f.). Der Betreuung von drei Kindern unter
18 Jahren steht eine Erwerbsobliegenheit nicht schlechthin entgegen. Angesichts des Alters der drei Kinder der Klägerin, die alle noch die
Schule besuchen, ist auch unter Berücksichtigung des Zusammenlebens mit einem neuen Lebensgefährten eine Erwerbsobliegenheit der
Klägerin über eine Halbtagstätigkeit hinaus zu verneinen (vgl. zum Ganzen auch Palandt-Brudermüller, BGB 64. Aufl., § 1570 RN 7 ff.).
17 Nach der Verordnung der Landesregierung über die Festsetzung der Regelsätze in der Sozialhilfe beträgt der Eckregelsatz für den
Haushaltsvorstand seit dem 1.1.2005 345,-- EUR. Aufgrund ihrer überobligatorischen Erwerbstätigkeit und der damit verbundenen besonderen
Belastungen angesichts ihrer drei minderjährigen Kinder sind 40 % dieses Eckregelsatzes, also 138,-- EUR als besondere Belastung vom
Einkommen der Klägerin abzuziehen.
18 3. Das einzusetzende Einkommen ermittelt sich danach wie folgt:
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Verdienst:
993,61 EUR netto
Kindergeld
462,00 EUR
Erwerbstätigenfreibetrag
173,00 EUR
Freibetrag Partei
380,00 EUR
Freibetrag Kinder
27,03 EUR
Miete (1/2)
475,00 EUR
Raten Pkw
110,00 EUR
besondere Belastungen
126,00 EUR
überobligatorische Tätigkeit
138,00 EUR
verbleibendes einzusetzendes Einkommen: 26,58 EUR
20 Danach hat die Klägerin Raten in Höhe von 15,-- EUR pro Monat zu zahlen. Dementsprechend war der Beschluss der Rechtspflegerin des
Amtsgerichts - Familiengericht - Rottenburg vom 14.12.2004 abzuändern.
21 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.