Urteil des OLG Stuttgart vom 01.03.2010

OLG Stuttgart (stpo, eigentümer, sachbeschädigung, stgb, auflage, aug, antragsteller, norm, antrag, verletzter)

OLG Stuttgart Beschluß vom 1.3.2010, 2 Ws 176/09
Leitsätze
Verletzter im Sinne von § 172 Abs. 1 StPO ist nicht der Eigentümer des durch einen Verstoß gegen § 17 TierSchG getöteten oder misshandelten
Tieres.
Tenor
Der Antrag der Anzeigeerstatter auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom 06. August 2009
wird als unzulässig
verworfen .
Gründe
I.
1 Die Anzeigererstatter werfen dem Beschuldigten vor, er habe als Jäger am 31. Oktober 2008 den Hund „…“ der Anzeigeerstatter ohne
rechtfertigenden Grund erschossen und sich damit einer Sachbeschädigung (§ 303 StGB) sowie des Tötens eines Wirbeltiers ohne vernünftigen
Grund (§ 17 Nr. 1 TierSchG) schuldig gemacht.
II.
2 Der form- und fristgerechte Antrag der Anzeigeerstatter auf gerichtliche Entscheidung ist nicht zulässig, weil es an einer Straftat fehlt, hinsichtlich
derer die Anzeigeerstatter das Klageerzwingungsverfahren betreiben dürfen.
3 1. Soweit der Antrag darauf gestützt wird, der Beschuldigte habe eine Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB begangen, steht der Zulässigkeit des
Antrags § 172 Abs. 2 Satz 3 StPO entgegen. Zwar sind die Antragsteller als Eigentümer des getöteten Hundes insoweit Verletzte. Bei dem Delikt
der Sachbeschädigung handelt es sich jedoch gemäß § 374 Abs. 1 Nr. 6 StPO um ein Privatklagedelikt, welches mittels eines
Klageerzwingungsverfahrens nach § 172 StPO nicht verfolgt werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, § 172 Rdn. 2). Obwohl die
angezeigte Tat im Sinne von § 264 StPO neben der Sachbeschädigung auch ein Offizialdelikt (§ 17 Nr. 1 TierSchG) betrifft, begründet dies nicht
die Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens, weil die Antragsteller durch das angezeigte Offizialdelikt nicht verletzt sind (vgl. hierzu unten
unter Nr. 2).
4 2. Soweit die Antragsteller behaupten, der Beschuldigte habe ein Vergehen gemäß § 17 Nr. 1 TierSchG begangen, sind sie nicht Verletzte im
Sinne von § 172 Abs. 1 StPO. Verletzter im Sinne dieser Vorschrift ist, wer durch die behauptete Straftat - ihre Begehung unterstellt - in seinen
Rechten, Rechtsgütern oder rechtlich anerkannten Interessen unmittelbar beeinträchtigt worden ist (OLG Stuttgart, NJW 2002, 2893; OLG
Karlsruhe, NStZ-RR 2001, 112; KK-Schmid, StPO, 6. Auflage, § 172 Rdn. 19, jeweils mit weiteren Nachweisen). In Zweifelfällen ist auf die
Schutzzwecklehre zurückzugreifen. Danach kann jemand durch eine Tat nur dann verletzt sein, wenn dessen Rechte durch die (angeblich)
übertretene Norm - jedenfalls auch - geschützt werden sollen (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.; KK-Schmid a.a.O. mit weiteren Nachweisen).
5 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Eigentümer eines getöteten oder misshandelten Tieres bei einem Verstoß gegen § 17 TierSchG
nicht Verletzter im Sinne von § 172 Abs. 1 StPO. Weder aus den Gesetzesmaterialien noch aus Rechtsprechung und Kommentarliteratur lässt sich
entnehmen, dass der Eigentümer eines getöteten Tieres durch § 17 TierSchG eine sich aus dem Tierschutzgesetz ergebende Rechtsposition
erhalten sollte, die über den Schutz des § 303 StGB hinausgeht. Die Gesetzgebung der vergangenen Jahrzehnte zum Tierschutz beruht auf der
Grundkonzeption eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes im Sinne der Mitverantwortung des Menschen für das seiner Obhut anheim gegebene
Lebewesen (vgl. nur BVerfGE 48, 376 ff.). Die Normen des formellen und materiellen Tierschutzrechtes erkennen das Tier als Mitgeschöpf an und
schützen es allein um seiner selbst Willen (vgl. Lorz / Metzger, TierSchG, 6. Auflage, Einführung, Rdn. 60 und vor § 17, Rdn. 3). Weil das
geschützte Rechtsgut bei § 17 TierSchG das Leben und Wohlbefinden der Tiere ist, kann Täter dieser Norm auch der Eigentümer des Tieres sein
(vgl. Lorz / Metzger a.a.O., vor § 17, Rdn. 12). Deshalb bewirkt auch die Einwilligung des Eigentümers oder Verfügungsberechtigten - anders als
bei einer Sachbeschädigung - keine Rechtfertigung tierschutzwidrigen Verhaltens (vgl. Lorz / Metzger a.a.O., § 1 Rdn. 67 und Pfohl in Münchner
Kommentar zum StGB, § 17 TierSchG Rdn. 95).
6 Auch die Zielsetzung der jüngsten tierschutzrechtlichen Gesetzgebung (einschließlich der Änderung des Grundgesetzes und der Änderung des
Strafrahmens bei § 17 TierSchG) ist getragen von der Achtung der Tiere als Mitgeschöpfe, die von vermeidbaren Leiden und Schäden geschützt
werden sollen. Alleiniges Motiv für die Erhöhung des Strafrahmens in § 17 TierSchG war, dem Schutz der Tiere und dem wachsenden
Tierschutzbewusstsein der Bevölkerung Rechnung zu tragen (vergl. BR-Drucksache 763/96, S. 1 des Gesetzentwurfes der Bundesregierung und
S. 49 der zugehörigen Begründung). Menschliche Interessen (sogenannter anthropozentrischer Tierschutz) werden durch die Bestimmungen des
Tierschutzgesetzes hingegen nicht geschützt. Dass die Antragsteller Halter des getöteten Tieres waren, ändert hieran nichts. Denn insoweit
werden die Rechte der Halter durch die - dem Verfahren nach § 172 Abs. 1 StPO nicht zugängliche - Vorschrift des § 303 StGB geschützt (vgl. OLG
Celle, NStZ 2007, 483 mit zustimmender Anmerkung Iburg; Graalmann-Scheerer in Löwe Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 172, Rdn. 100).
7 Die gegenteilige Auffassung, welche den Eigentümer eines misshandelten oder getöteten Tieres als Verletzten ansieht (OLG Stuttgart, OLGSt
Band 4 Seite 119; KK-Schmid, a.a.O., § 172 Rdn. 30, Pfohl a.a.O., § 17 TierSchG, Rdn. 133) überzeugt nicht. Soweit für diese Ansicht überhaupt
Begründungen angegeben werden, stützt sich diese Gegenmeinung darauf, dass die Eigentümer des getöteten Tieres durch die Tötung ihres
Tieres unmittelbar betroffen seien und nicht nur durch die Auswirkungen der Straftat irgendwie berührt seien. Abgesehen von der bereits
ausgeführten Tatsache, dass der Schutzzweck der Norm die Eigentümer nicht schützt, spricht gegen diese Rechtsauffassung, dass die durch
einen Verstoß gegen § 17 TierSchG angenommene Verletzung des Eigentümers eines Tieres nicht über diejenige hinaus geht, die durch das
Privatklagedelikt der Sachbeschädigung bereits sanktioniert ist.
III.
8 Unbeschadet der Frage seiner Zulässigkeit ist der vorliegende Klageerzwingungsantrag aber auch unbegründet. Zum einen übersehen die
Anzeigeerstatter, dass im Strafrecht nicht der Beschuldigte darlegen und beweisen muss, dass seine Handlung gerechtfertigt ist. Deshalb kommt
dem Beschuldigten in einem Strafverfahren zugute, wenn offen bleiben muss, ob die Tötung eines - möglicherweise - wildernden Hundes vom
Jagdschutz gedeckt war. Im Übrigen könnte in einer Hauptverhandlung angesichts der widersprüchlichen Angaben der einzelnen Zeugen
einerseits und der objektiven Sachlage andererseits vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte - wie die Anzeigeerstatter
zeitweilig selbst unterstellt haben - den Hund bei der Schussabgabe mit einem Reh verwechselt hat. In diesem Fall läge ein Tatbestandsirrtum vor,
der zur Straffreiheit des Beschuldigten führen würde, weil die fahrlässige Begehung von § 17 TierSchG nicht unter Strafe gestellt ist.