Urteil des OLG Stuttgart vom 13.11.2013

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OLG Stuttgart Beschluß vom 13.11.2013, 15 UF 195/13
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Esslingen vom 28.06.2013 unter Nr. 2 seiner Entscheidungsformel
abgeändert.
Der Versorgungsausgleich wird ausgeschlossen.
2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin und der
Antragsgegner je zur Hälfte; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: 1.086 EUR.
Gründe
I.
1 Die Beschwerde des Antragsgegners richtet sich gegen den Versorgungsausgleich. Er
erstrebt den Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG wegen grober
Unbilligkeit. Der am … geborene Antragsgegner ist bereits während der Ehe an multipler
Sklerose und Osteoporose erkrankt. Seine Tätigkeit als Geschäftsführer eines Autohauses
musste er im Jahr 1995 krankheitsbedingt aufgeben. Seit … bezieht er eine
Erwerbsminderungsrente. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung beträgt seit
01.04.2013 monatlich 1.375,14 EUR netto. Seit dem Jahr 2000 ist der Antragsgegner auf
einen Rollstuhl angewiesen. Er ist in die Pflegestufe 2 eingestuft. Zusammen mit der
älteren der beiden aus der Ehe hervorgegangenen, … und … geborenen Töchter wohnt er
im Erdgeschoss der im Miteigentum der Beteiligten stehenden Doppelhaushälfte, das er
rollstuhlgerecht umgebaut hat. Das Obergeschoss, in das er nicht gelangen kann, bewohnt
die Tochter, die dem Antragsgegner auch Pflegeleistungen erbringt. Die monatlichen
Hausverbindlichkeiten von 350 EUR bringt der Antragsgegner auf. Er betreibt noch einen
Handel mit gebrauchtem Spielzeug, aus dem er in 2012 einen Gewinn von 570 EUR
erzielt hat. Ausweislich der Überschussrechnung vom 05.11.2013 beträgt der in 2013
bislang erwirtschaftete Verlust 1.038,32 EUR
2 Die am … geborene Antragstellerin ist als kaufmännische Angestellte vollschichtig in
einem Autohaus beschäftigt. Im Jahr 2012 hat sie ein Bruttoeinkommen von insgesamt
38.664,99 EUR erzielt. Sie lebt in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einem
anderen Partner.
3 Das Familiengericht hat in dem insoweit nicht angefochtenen
Scheidungsverbundbeschluss die am … geschlossene Ehe der Antragstellerin und des
Antragsgegners auf den am … zugestellten Scheidungsantrag geschieden und den
Versorgungsausgleich durchgeführt.
4 Die Antragstellerin und der Antragsgegner haben während der nach § 3 VersAusglG
maßgeblichen Ehezeit vom … bis … folgende Versorgungsanrechte erworben:
5
Die Antragstellerin
bei der Deutschen Rentenversicherung Bund
ein Anrecht von
26,2257
Entgeltpunkten
Ausgleichswert
13,1129
Entgeltpunkten
korrespondierender Kapitalwert
83.390,39 EUR
sowie
aus einer privaten Rentenversicherung bei der Nürnberger
Lebensversicherung AG
ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von
1.761,80 EUR
und einem Ausgleichswert von
880,90 EUR
und einer privaten Rentenversicherung bei der Allianz
Lebensversicherungs-AG
ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von
9.390,81 EUR
und einem Ausgleichswert (nach Abzug der hälftigen
Teilungskosten) von
4.595,41 EUR
6
Der Antragsgegner
bei der Deutschen Rentenversicherung Bund
ein Anrecht von
40,9287
Entgeltpunkten
und einem Ausgleichswert von
20,4644
Entgeltpunkten
korrespondierender Kapitalwert
130.141,63 EUR
sowie
ein Anrecht aus einer betrieblichen Altersversorgung bei der
Allianz Lebensversicherungs-AG mit einem Ehezeitanteil von
3.183,61 EUR
und einem Ausgleichswert (nach Abzug der hälftigen
Teilungskosten) von
1.544,05 EUR
und einer privaten Rentenversicherung bei der Allianz
Lebensversicherungs-AG
ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von
541,46 EUR
und einem Ausgleichswert von
270,73 EUR
7 Das Familiengericht hat jeweils im Wege der internen Teilung die in der gesetzlichen
Rentenversicherung erworbenen Entgeltpunkte der Antragstellerin und des
Antragsgegners sowie das Anrecht aus der Lebensversicherung der Antragstellerin bei
der Allianz-Lebensversicherungs-AG intern ausgeglichen. Hinsichtlich der weiteren
Anrechte wurde wegen des geringfügigen Werts ein Ausgleich nicht durchgeführt.
8 Mit seiner Beschwerde erstrebt der Antragsgegner den Ausschluss des
Versorgungsausgleichs. Er verweist darauf, dass er auf die ungeschmälerte Rente
dringend angewiesen sei, während die Antragstellerin erst im Rentenalter von dem
Ausgleich profitiere. Im Übrigen könne diese bis zur Rente noch weitere Anwartschaften
erwerben und so ihre Rente um rund 540 EUR steigern. Demgegenüber könne der
Antragsgegner auf Grund seiner Erwerbsunfähigkeit keine weiteren
Versorgungsanwartschaften hinzuerwerben.
9 Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist darauf, dass
der Antragsgegner ohne weiteres eine behindertengerechte Wohnung anmieten könne,
zumal er ohnehin das gemeinsame Haus nur zu einem Drittel nutzen könne und dessen
Beibehaltung deshalb ohnehin unwirtschaftlich sei.
10 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
II.
11 Die zulässige Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zum Ausschluss des
Versorgungsausgleichs, weil dessen Durchführung grob unbillig im Sinne des § 27
VersAusglG ist. Die rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs
widerspricht nach den hier vorliegenden Gegebenheiten dem Grundgedanken des
Versorgungsausgleichs, eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe an den in der Ehezeit
insgesamt erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise.
1.
12 Der Ausgleich der beiderseits in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen
Anrechte führt per Saldo zu einer Übertragung von 7,3515 Entgeltpunkten auf die
Antragstellerin (20,4644 EP - 13,1129 EP). Dies entspricht einer monatlichen Bruttorente
von 206,36 EUR (7,3515 EP * 28,07 EUR), um den die Erwerbsminderungsrente des
Antragsgegners bereits jetzt gekürzt wird. Die Erwerbsminderungsrente des
Antragsgegners von
13 derzeit brutto
1.532,19 EUR
verringert sich damit um
206,36 EUR
auf
1.325,83 EUR
und nach Abzug der Beiträge zur Krankenversicherung (8,2%) mit
108,72 EUR
und Pflegeversicherung (2,05%)
27,18 EUR
auf netto
1.189,93 EUR
14 Angesichts des Umstandes, dass die Antragstellerin erst nach Eintritt in das gesetzliche
Rentenalter von der Durchführung des Ausgleichs und der Erhöhung ihrer Rente
profitieren wird, erweist sich der Ausgleich jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt als
unwirtschaftlich.
2.
15 Hinzu kommt, dass auch nach Einschätzung der Beteiligten die Durchführung des
Ausgleichs zu einem Unterhaltsanspruch des Antragsgegners gegenüber der
Antragstellerin führen wird. Allein auf Grund der Gegenüberstellung des
16
16 monatlichen Renteneinkommens des Antragsgegners von
1.189,93 EUR
und des Erwerbseinkommens der Antragstellerin von bereinigt um 14,5 % 1.723,14 EUR
17 (ausgehend von dem in 2012 erzielten Gesamtbruttoeinkommen von 38.664,99 EUR,
netto bei Stkl 1 monatlich 2.015,37 EUR) ergibt sich rechnerisch ein Unterhaltsanspruch
von rund 266 EUR.
18 Auf Seiten des Antragsgegners sind auch keine weiteren Einkünfte zu berücksichtigen.
Die Leistungen der Pflegeversicherung decken den krankheitsbedingten Bedarf ab, §
1610 a BGB. Im Übrigen hat der Antragsgegner dargelegt, dass er monatliche
Zuzahlungen in Höhe von zuletzt 5,80 EUR zu erbringen hat. Soweit die Antragstellerin
auf die Einkünfte aus dem Spielzeugverkauf verweist, bewegen sich diese angesichts des
Gewinns von 570 EUR in 2012 und dem negativen vorläufigen Ergebnis in 2013 eher in
einem bescheidenen Rahmen und sind zu vernachlässigen.
19 Der Umstand, dass nach Durchführung des Versorgungsausgleichs und der damit
einhergehenden Kürzung der Rente des Antragsgegners dieser unterhaltsberechtigt wird,
führt zu einer Verkehrung des Ausgleichszwecks, weil der Antragsgegner
unterhaltsrechtlich das zurückfordern kann, was er durch den Versorgungsausgleich
abgegeben hat (vgl. BGH, FamRZ 1987,255 Rn. 11 für den Fall des beiderseitigen
Rentenbezugs).
3.
20 Bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung fällt weiter ins Gewicht, dass die
Antragstellerin bis zur Erreichung des gesetzlichen Rentenalters in rund … Jahre durch
eigene Erwerbstätigkeit ihre Altersversorgung weiter ausbauen kann. Sie hat bis zum
Ende der Ehezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt 31,5125
Entgeltpunkte erworben; dies entspricht einer monatlichen Rente von 884,56 EUR brutto.
Bei Zugrundelegung der bislang durchschnittlich erworbenen Rentenanwartschaften von
1,2 Entgeltpunkten p.a. wird sie voraussichtlich noch weitere rund 18 Entgeltpunkte
hinzuerwerben können, so dass sie eine voraussichtliche Rente von brutto rund 1.390
EUR (49,5125 EP * 28,07 EUR) erreicht. Demgegenüber kann der Antragsgegner seine
Altersversorgung durch eine eigene Erwerbstätigkeit nicht mehr aufstocken.
4.
21 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin durch den Zugewinnausgleich -
ihre Ausgleichsforderung hat sie außergerichtlich auf 106.051,77 EUR beziffert - weitere
Vermögenswerte erwerben wird, mit denen sie ihre Altersversorgung aufstocken kann, so
dass sie zum Aufbau ihrer eigenen Alterssicherung nicht zusätzlich auf den
Versorgungsausgleich angewiesen ist.
III.
22 Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 150 Abs. 1, 3 FamFG, die zum
Beschwerdewert auf § 50 Abs. 1 FamGKG.
23 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.