Urteil des OLG Stuttgart vom 27.06.2012
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OLG Stuttgart Beschluß vom 27.6.2012, 8 W 228/12
Grundbuchverfahren: Einsichtnahmeanspruch eines Presseorgans in Grundbuchakten im
Rahmen journalistischer Recherche; Anspruch des Eingetragenen auf rechtliches Gehör
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Grundbuchamts Ehingen vom 15.06.2012 (I GRG 604/2012)
aufgehoben und das Grundbuchamt angewiesen, dem Antragsteller
Einsicht in das Grundbuch vom Ehingen/Donau betreffend das
Grundstück ... in ... zu gestatten, bzgl. der zur Ergänzung einer
Eintragung in Bezug genommen Urkunden beschränkt sich die
Einsicht auf solche, mit welchen Rechtsgeschäfte zwischen
Mitgliedern der ... .... beurkundet wurden (zwischen ... ..., ... ..., ... ...
oder ... ...).
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000.-
EUR.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin recherchiert und produziert u.a. Beiträge für öffentlich-rechtliche
Rundfunkanstalten und private Rundfunkveranstalter. Im Rahmen ihrer journalistischen
Tätigkeit ist sie gegenwärtig auch mit möglichen Vermögensübertragungen zwischen
Angehörigen der Unternehmerfamilie .... vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des eingetragenen Kaufmanns ... .... befasst. Dabei sei ihr bekannt geworden,
dass das von Herrn ... ... und seiner Ehefrau ... ... bewohnte Haus in ... nunmehr im
Eigentum der Ehefrau stehe. Die Antragstellerin weist ergänzend auf Presseberichte hin,
u.a. der Münchener TZ vom 04.06.2012, in welchem ein Sprecher des
Insolvenzverwalters mit der Äußerung zitiert werde, „in den nächsten Wochen werde die
... ... sehr genau auf Vermögensübertragungen untersucht“. Das Büro des
Insolvenzverwalter habe auf telefonische Anfrage eine diesbezügliche Auskunft
verweigert und an das Grundbuchamt verwiesen.
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Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
Bundesgerichtshofs hält die Antragstellerin ein Grundbucheinsichtsrecht für ausreichend
dargelegt. Angesichts des konkreten Verdachts und wegen der Auswirkungen des
Insolvenzverfahrens auch auf tausende von Arbeitnehmern überwiege das
Informationsrecht der Öffentlichkeit und der Presse das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung der Mitglieder der ... ....
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Das Grundbuchamt hat den Antrag auf Einsicht in das genannte Grundbuch mit der
Begründung zurückgewiesen, der Antragsteller könne sich wegen der begehrten Auskunft
auch an den Insolvenzverwalter wenden. Anders als in dem der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 17.08.2011 (V ZB 47/11, NJW-RR 2011, 1651)
zugrundeliegenden Sachverhalt handele es sich vorliegend nicht um eine Person, die ein
öffentliches Amt bekleide, und damit verbundene Abhängigkeiten.
4
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde.
5
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
1.
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Die nach §§ 71 ff. GBO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist
begründet. Der Antragstellerin ist die aus dem Tenor ersichtliche Grundbucheinsicht nach
§ 12 Abs. 1 GBO i.V.m. § 46 GBV zu gewähren. Das Einsichtsrecht in die Grundakten ist
nach §§ 12 Abs. 1 S. 2 GBO, 46 GBV auf solche Urkunden beschränkt, auf die zur
Ergänzung einer Eintragung Bezug genommen ist und durch die Rechtsgeschäfte
zwischen Mitgliedern der ... ... (... ..., ... ..., ... ..., ... ...) beurkundet werden. Diese
Beschränkung folgt dem Umfang des Informationsanliegens, das mit dem Verdacht der
Vornahme anfechtbarer Rechtsgeschäfte unter den Mitgliedern der ... ... begründet wird.
Die genaue Grundstückbezeichnung hat der Senat dem Parallelverfahren 8 W 222/12
(Notariat Ehingen I GRG 607/2012) entnommen.
2.
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Über den ursprünglichen, dem allgemeinen Rechtsverkehr mit Grundstücken dienenden
Regelungszweck hinaus, vermag auch ein schutzwürdiges Interesse der Presse und
vergleichbarer publizistisch tätiger Medien daran, von den für ein bestimmtes Grundstück
vorgenommenen Eintragungen Kenntnis zu erlangen, das nach § 12 Abs. 1 S. 1 GBO für
die Gestattung der Einsicht erforderliche berechtigte Interesse zu begründen (BVerfG
NJW 2001, 503; BGH NJW-RR 2011, 1651 m.w.N. aus dem Schrifttum). Ein solches
Interesse besteht auch hier, weil das Einsichtsgesuch auf die Beschaffung journalistisch
verwertbarer Informationen über eine Grundstücksübertragung unter Familienangehörigen
im Vorfeld der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Übertragenden zielt und somit
der von dem Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 2 GG) erfassten publizistischen
Vorbereitungstätigkeit zuzuordnen ist (BVerfGE 50, 234, 240).
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Schutzwürdige Belange der im Grundbuch Eingetragenen stehen einer Einsichtnahme
nicht entgegen, obwohl auch ihnen aufgrund der im Grundbuch enthaltenen
personenbezogenen Daten über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (informationelle
Selbstbestimmung) Verfassungsrang zukommt. Das Interesse der Presse oder des
Rundfunks erweist sich als gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Eingetragenen dann
als vorrangig, wenn es sich um eine Frage handelt, die für die Öffentlichkeit von Interesse
ist und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen
Auseinandersetzung dient (BVerfG a.a.O). Daran können im Hinblick auf das öffentliche
Interesse, insbesondere auch auf das Interesse der betroffenen Arbeitnehmer, an dem
Gesamtkomplex Insolvenz der ... Unternehmensgruppe und der Frage einer anfechtbaren
Schmälerung der Insolvenzmasse keine Zweifel bestehen. Deshalb ist der vorliegende
Sachverhalt entgegen der Auffassung des Grundbuchamts auch nicht anders zu würdigen
als der vom Bundesgerichtshof (a.a.O.) entschiedene (der die Einsicht in das Grundbuch
des Privatgrundstücks eines Amtsträgers und seiner Ehefrau aufgrund des Verdachts der
Gewährung finanzieller Vergünstigungen durch einen bekannten Unternehmer zum
Gegenstand hatte). Dafür, dass die aus den Nachforschungen möglicherweise
resultierende Berichterstattung lediglich dazu dienen könnte, eine in der Öffentlichkeit
vorhandene Neugierde und Sensationslust zu befriedigen, bestehen keine Anhaltspunkte
(vgl. BGH a.a.O.).
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Wie in dem vom Bundesgerichtshof (BGH NJW-RR 2011, 1651) entschiedenen Fall ist
auch hier nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin in unproblematischer Weise andere
Mittel nutzen könnte, um die erwünschten Informationen unter geringerer Beeinträchtigung
des Persönlichkeitsschutzes der Eingetragenen zu erhalten. Insbesondere kann die
Presse nicht darauf verwiesen werden, sich wegen des Inhalts des Grundbuchs an den
Insolvenzverwalter zu wenden. Zwar obliegt dem Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO
die Prüfung, ob anfechtbare Rechtshandlungen zum Nachteil der Insolvenzgläubiger
vorgenommen wurden. Ihm obliegt aber nicht, insoweit das Informationsbedürfnis der
Öffentlichkeit zu befriedigen. Soweit in der Insolvenzordnung Einsichtsrechte geregelt
sind, richten sich diese an die Verfahrensbeteiligten. Soweit § 299 Abs. 2 ZPO
Einsichtsrechte Dritter regelt, ist ein rechtliches Interesse glaubhaft zu machen, ein nur
wirtschaftliches oder gesellschaftliches Interesse genügt nicht. Davon abgesehen ist zu
berücksichtigen, dass der mit der Einrichtung des Grundbuchs verfolgte Zweck gerade
darin besteht, das Grundeigentum und die an diesem bestehenden Rechte zu registrieren
und die in Bezug auf ein bestehendes Grundstück bestehenden Rechtsverhältnisse zu
publizieren (BGHZ 80, 126, 128).
3.
10 Vor der Entscheidung über das Einsichtsgesuch ist dem Grundstückeigentümer kein
(rechtliches) Gehör zu gewähren (vgl. Demharter, GBO, 28. Aufl., § 12 Rn. 23). Für den
Regelfall der Einsicht erlaubt die Grundbuchordnung bei berechtigtem Interesse eine
Einsichtnahme, ohne eine Abwägung mit gegenteiligen Interessen der im Grundbuch
Eingetragenen vorzusehen (BGHZ 80, 126, 128 f). Dies gilt grundsätzlich auch, wenn
durch journalistische Medien Grundbucheinsicht begehrt wird (BVerfG a.a.O. Tz. 33 ff.;
BGH NJW-RR 2011, 1651 Tz. 5; ablehnend in dieser Allgemeinheit Maaß, NotBZ 2012,
100). Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) ist auch aus der Verfassung
kein grundsätzliches Anhörungserfordernis des Eingetragenen abzuleiten. Eine nicht
ausgeschlossene Ausnahmekonstellation besteht - so das Bundesverfassungsgericht -
jedenfalls dann nicht, wenn der Einsichtsinteressent in einer die Öffentlichkeit wesentlich
angehenden Frage einem gegen den Eingetragenen gerichteten Verdacht nachgeht und
nicht ausgeschlossen ist, dass der Erfolg der Gesamtrecherche bei einer frühzeitigen
Information gefährdet wird. Nichts anderes kann gelten, wenn sich der Verdacht gegen
den Ehemann der Eingetragenen richtet und gegenüber diesem der Verdacht
geäußert wird, als Voreigentümer das Grundstück in anfechtbarer Weise übertragen zu
haben.
4.
11 Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 131 Abs. 4 i. V.m. § 30 Abs. 2 S. 2.,
Abs. 3 KostO.
5.
12 Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 GBO) sind nicht ersichtlich. Die
entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, bereits
hinreichend geklärt.