Urteil des OLG Stuttgart vom 16.03.2004

OLG Stuttgart: zerrüttung der ehe, entschädigung, scheidung, genugtuung, ermessen, gesundheit, alter, arbeitsfähigkeit, unterhalt, prozesskostenvorschuss

OLG Stuttgart Beschluß vom 16.3.2004, 17 WF 50/04
Prozesskostenhilfeverfahren für eine Folgesache unter geschiedenen türkischen Ehegatten: Voraussetzungen eines Genugtuungs- oder
Entschädigungsanspruchs
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen des Genugtuungsanspruchs nach Art. 174 Abs. 2 tZGB (türkisches Zivilgesetzbuch)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart - Familiengericht - vom 24. Februar 2004, durch den
der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung von Ansprüchen auf Schadensersatz bzw. Genugtuung versagt wurde, wird
zurückgewiesen.
Beschwerdegebühr: 25 EUR
Gründe
1
Die statthafte und auch sonst zulässig eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des
Amtsgerichts ist unbegründet.
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Auch der Senat geht mit der Beschwerdeführerin davon aus, dass im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren materiell-rechtlich eine
hinreichende Aussicht auf Erfolg für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, wenn sich diese aus dem Vorbringen der Antragstellerin ergibt,
ausreicht. Das Vorbringen der Antragstellerin muss ihren Erfolg als möglich, nicht als gewiss darstellen.
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Gleichwohl mangelt es vorliegend an einer hinreichenden Erfolgsaussicht.
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Die rechtliche Würdigung des Familiengerichts, das zukünftige (mit Scheidung entfallende) Erbrecht eines türkischen Ehegatten gehöre nicht zu
den nach Art. 174 tZGB geschützten Vermögenspositionen, dürfte nicht zutreffen, kann jedoch dahingestellt bleiben (vgl. dazu Hohloch,
Internationales Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht, Länderteil Türkei, 6 B, Rn. 264; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 7 Rn. 207). Der Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin weist aus anderen Gründen in der
vorliegenden Form keine Erfolgsaussicht auf.
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Sowohl der Genugtuungsanspruch nach Art. 174 Abs. 2 tZGB als auch der Entschädigungsanspruch nach Art. 174 Abs. 1 tZGB setzen die
Darlegung konkreter Umstände zur Erfüllung der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen voraus. Daran fehlt es.
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Zum einen lässt die Antragstellerin schon offen, ob sie die verlangte Summe als Entschädigung oder als Genugtuung verlangt bzw. in welcher
Aufteilung zueinander solche Ansprüche die (einheitliche) Klagesumme von 100.000 EUR ergeben sollen.
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Der Vortrag der Antragstellerin zur Anspruchsgrundlage des Art. 174 Abs. 1 tZGB genügt den Anforderungen nicht. Art. 174 Abs. 1 tZGB setzt
zunächst das Vorliegen eines Schadens voraus. Dieser bemisst sich danach, welche Differenz sich zwischen der realen Vermögenslage nach
der Scheidung und der Lage, in der sich der Ehegatte befinden würde, wenn die Ehe nicht geschieden worden wäre (positives oder
Erfüllungsinteresse, vgl. dazu Hohloch, a.a.O., 6 B, Rn. 261). Weiterhin hat der Entschädigungsanspruch nach Art. 174 Abs. 1 tZGB zur
Voraussetzung, dass der antragstellende Ehegatte schuldlos oder jedenfalls weniger schuldig an der Scheidung ist. Ein - auch geringes -
Mitverschulden führt bereits zur Kürzung des Entschädigungsanspruchs. Nach Aktenlage spricht bereits alles dafür, dass die Antragstellerin das
alleinige oder überwiegende Verschulden des Antragsgegners an der Zerrüttung der Ehe nicht beweisen kann. Dies hat das Familiengericht
bereits zutreffend ausgeführt. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung. Neben dem Verschulden des
anderen Ehegatten ist zusätzlich der Eintritt eines ersetzbaren Vermögensschadens als finanzielle Einbuße durch die Scheidung erforderlich.
Dabei erreicht eine solchermaßen geschuldete Entschädigung nicht die volle Schadenssumme, sondern unterfällt zur angemessenen
Festsetzung dem tatrichterlichen Ermessen. Denn allenfalls ein angemessener Schadensersatz wäre geschuldet. Die wesentlichen Kriterien für
dessen Bemessung sind dabei u.a. der Umfang des Verschuldens oder des Mitverschuldens, die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse
der Ehegatten, ihr Alter, ihre Gesundheit und Arbeitsfähigkeit. Das Vorliegen einer Mangellage beim Verpflichteten wäre denkbar und
gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen. Dabei darf das Ziel des Entschädigungsanspruchs nicht aus den Augen verloren werden. Er dient
allenfalls dazu, dass die Lebensbedingungen, die während der aufrechten Ehe vorlagen, wiederhergestellt werden. Er darf aber das
Gleichgewicht der beteiligten Interessen nicht verletzen. Keinesfalls dient er dagegen der Bereicherung der Partei. Letztlich bleibt die
Antragstellerin insoweit jeglichen Vortrag zur Frage schuldig, in welcher Höhe ihr - was bei der Beurteilung ihres Entschädigungsanspruchs
zusätzlich zu beachten wäre - bedürftigkeitsorientierter Unterhalt zustehen kann, da die Entschädigung ausschließlich die Funktion hat, die
möglicher Weise bleibende Lücke zu den ehelichen Lebensverhältnissen zu schließen (OLG Stuttgart, FamRZ 1993, 974, 975). Inwieweit der von
der Antragstellerin behauptete wertvolle Immobilienbesitz des Mannes in der Türkei die gemeinsame Lebensstellung in guten Tagen beeinflusst
hat, bleibt im Dunkeln. Der Verpflichtung der Antragstellerin, hierzu nachvollziehbar vorzutragen, wird eine offensichtlich „ins Blaue hinein“
geltend gemachte Summe von 100.000 EUR nicht gerecht. Entschädigung ist nach dem maßgeblichen türkischen Rechtsverständnis keine
Vermögensstrafe.
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Im Gegensatz zur Entschädigung dient der Genugtuungsanspruch nicht dem Ersatz eines wirtschaftlichen Interesses sondern der Kompensation
seelischen Leidens des betroffenen (unschuldigen) Ehegatten. Vorausgesetzt wird insoweit jedenfalls eine schwere Verletzung, die sich aus
dem Vortrag, die in Deutschland wohnende Antragstellerin werde in ihrem Dorf in Folge einer (im Übrigen bestrittenen) Liebschaft des
Ehemannes abschätzig behandelt, nicht ausreichend erschließt.
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Mangels hinreichender Erfolgsaussicht hat das Amtsgericht deshalb im Ergebnis zu Recht der Antragstellerin Prozesskostenhilfe zur
Geltendmachung der Folgesache Entschädigung/Genugtuung versagt.
10 Schließlich wäre im Rahmen der Frage der Bedürftigkeit der Antragstellerin im Sinne des Prozesskostenhilferechts noch darauf
zurückzukommen, dass ihr - nachdem sie ein Vermögen des Mannes in der Größenordnung von mehreren hunderttausend Euro behauptet - ein
Anspruch auf Prozesskostenvorschuss zustehen dürfte. Obwohl das türkische Recht generell keine dem deutschen Recht vergleichbare
Prozesskostenvorschussregelung kennt, wird ein solcher Anspruch aus den allgemeinen Beistands- und Fürsorgeverpflichtungen der Ehegatten
abgeleitet (Wendl/Dose, a.a.O., § 7, Rn. 201).
11 Die Beschwerdegebühr beruht auf § 131b KostO. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).